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Viertes Kapitel

(Bärchen tummelt sich ln den Irrgängen ahnungsloser Jugend. Er lernt die Katzen kennen. Wird zum Lebensretter seines Feindes. Erhält als Belohnung von Menschenmund den Namen Bruder. Eine Würde, die er im Hochmut des Jugendstolzes oder auch seiner rassereinen Abstammung halber skeptisch auffaßt)

Die Jugend ist das schönste Stück des Lebens. Wenn man auf sie zurückschaut. Mitten in ihrem Getümmel fühlt man sich oft ebenso einsam wie im Greisenalter. Überall stößt man auf Wunder, weiß niemanden, der sie erklären könnte.

Es war wohl nicht lange, nachdem ich Herrn Haralds Bärengeschichte verwunden hatte, als mir wieder Unbegreifliches widerfuhr.

Wie gewöhnlich hatte ich mich wieder an den frischgefüllten Futternapf neben meine Mutter gesellt. Rasch war es mir gelungen, den fettesten Knochen im Maul zu haben. Plötzlich wendete sich meine Mutter gegen mich und riß mir den guten Bissen aus den Zähnen.

So ging es nun bei jeder Mahlzeit. Alle Zärtlichkeit war fort. Meine Mutter benahm sich gegen mich, wie wenn wir uns nie näher gekannt hätten.

Zuerst hielt ich es für Spiel. Alles dünkte mir damals Scherz. Ich lernte den Ernst der Angelegenheit begreifen, als ich einige tüchtige Bisse zu fühlen bekommen hatte.

Es war vorbei. Meine Mutter kümmerte sich nicht mehr um mich. Wo ich ihr im Wege war, ließ sie es mich fühlen.

Diese Erwähnung darf nicht das Andenken meiner Mutter schmälern. Wie ich schon sagte, wir haben eine andre Auffassung von Familiensinn, als die Menschen. Die einmal in Elternschaft geraten, nie wieder der Sorge um ihre Nachkommen ledig werden. Die sich besonders in guten Erfahrungen kund gibt. Die mir leichter scheinen, als gute Beispiele.

Ist es Familiendünkel bei mir, oder Mangel an besserem Verständnis, ich glaubte meiner Mutter später gerade für diese Bisse dankbar sein zu müssen. Die mich lehrten, daß man nicht zeitig genug beginnen könne, sich allein auf sich selbst zu verlassen.

Ich hatte begriffen, daß ich das Leben mit der eignen Schnauze zu studieren hatte. Die erste Folge davon war mancher Klaps auf sie. Im Winkel der Küche hatte ich einen Eimer entdeckt, der mir ein Wunder dünkte. Eine geheime Stätte leckerster Bissen. Bald verstand ich es, ihn auf die Seite zu legen, so daß sich sein duftender Inhalt auf dem Boden ausbreitete. Nun konnte ich zwischen Schmackhaftem und weniger Bekömmlichem nach Belieben wählen. Genau wie der Herr Senator an seinem vollbesetzten Tisch.

Dies Kunststück brachte mir Prügel auf sämtliche Körperteile.

Es machte mir nichts aus. Dieser Eimer war für mich, was kleinen Menschenkindern wahrscheinlich das Märchenbuch ist.

Immer enthielt er ungeahnte Herrlichkeiten in Hülle und Fülle. Versteckt zwischen vielen häßlichen und verabscheuungswürdigen Dingen, die überwunden werden mußten. Sobald sich Gelegenheit fand, umkreiste ich ihn aufs neu, warf ihn geschickt auf die Seite und stürzte mich mit ganzer Schnauze in seine Wonnen. Im Umstülpen brachte ich es zur Meisterschaft.

Worin man sich tüchtig weiß, will man sich gern hervortun. Besonders in der Jugend. Eines Tages kam ich dazu, wie der Herr Senator, zur Verhütung eines Embonpoints, mit einigen andern Herren Kegel spielte. Ein Spiel, das ich Frau Alwina plebejisch schelten hörte. Weil es geräuschvoll war und transpirieren machte. Mir gefiel es. Mit einem Sprung war ich zwischen den Kegeln und hatte alle neun geworfen.

Der Lohn für diese Einmischung in das Privatvergnügen vornehmer Herren blieb nicht aus. Eine Kegelkugel, an den linken Hinterfuß geschleudert, brachte mich viele Tage um Sprung und Lauf. Ich merkte, falsch angewendet gereichen uns die besten Kenntnisse zum Schaden ...

Kein Wunder, daß uns dann Unvernunft erst recht in Verwicklungen und Schwierigkeiten bringt.

Ich meinte damals, daß alles Gute, das ich entdeckte, für mich da war. Ein schöner Irrtum, dem vielleicht auch die Menschen immer wieder aufs neu unterliegen werden. Ich wünsche jedem, er möge auf die schonendste Weise davon geheilt werden. –

Zu meiner Belehrung wurde eine Hundepeitsche in Bewegung gesetzt. Ihre Sprache war deutlich und eindringlich. Man wunderte sich, wie rasch ich lernte, nichts mehr von Tisch oder Teller zu holen. Ich selbst wunderte mich nicht.

Mit zehn Wochen hatte ich die Entsagung gelernt, auch mit hungrigem Magen zusehn zu können, wie andre schmausen. Geduldig auf die Abfälle ihres Mahls zu warten.

Es soll dies keine Anklage sein. So viel Wert auf Essen wie die Menschen legen wir nicht. Nur während der ersten Lebenszeit regiert uns das Maul. Zum Unterschied von den Menschen, die, wie ich beobachtete, gerade in den spätern Jahren den Genüssen des Magens großen Ernst zumessen.

Ich begreife, daß man nur mein Gutes gewollt. Selbstüberwindung kann nicht früh genug gelehrt werden dem, der für andre leben muß und will und an sich selbst zuletzt denkt. Und das wollen und müssen wir Dobermanns. Ein andres Leben wäre uns nicht möglich.

Aber es gibt Gefahren, die keine Peitsche lehren kann. Sondern nur die Erfahrung.

Das sollte ich einige Tage später zu wissen bekommen.

Ich lebte in einem Hauswesen peinlichster Ordnung. Was nicht zusammengehörte, blieb sorglich getrennt. Daß Hund und Katze nicht zusammenpaßten, glaubte der einfachste Dienstbote aus seinem Schulbuch zu wissen.

Woher diese zum Sprichwort erhobene Antipathie stammt, hab ich nicht erforschen können. Daß sie keine Notwendigkeit, beweisen viele Fälle von Freundschaft zwischen Hund und Katze. Allerdings nur in menschlicher Umgebung. Wo vielleicht die Einwirkung des Vorbildes in Betracht gezogen werden muß. Da menschliche Erziehung als eine der ersten Bedingungen lehrt, daß man durchaus nicht fauchen, bellen oder Zähne und Krallen zeigen darf, wenn man es möchte.

Sicher scheint mir aber, daß Menschen, die Hunde mögen und solche, die Katzen lieben, meistens von ganz verschiedener Art sind.

Ich glaubte, bei Menschen, die mich nicht mochten, oder Furcht vor mir empfanden, stets Katzengeruch zu spüren. Ich versuchte, meinen geliebten Herrn vor ihnen zu warnen, indem ich sie anbellte. Auch wenn sie gut gekleidet waren ...

Ich war in der Schachtel der Geborgenheit also noch keiner Katze begegnet. Bis ich eines Morgens einer großen, grünen Stachelbeere nachgesprungen war. In ungestümer Freude jagte ich blindlings zwischen den Büschen.

Ein erschreckendes Fauchen knisterte mir plötzlich entgegen. Zwei grüne Blitzfunken leuchteten vor mir auf. Ich glaubte, eine mir neue Waffe des Menschen vor mir zu haben. Die Waffen andrer Tiere zeigt uns der Instinkt. Nur die Waffen des Menschen, zahllos und künstlich, bieten uns Rätsel bis ans Lebensende. Dies allein ist meiner schwachen Meinung nach der Grund, daß der Mensch Herr werden konnte über viel kräftigere Tiere. Und – mit Erlaubnis zu sagen – auch über manche viel weltkundigere ...

Gefauch und Blinkfeuer nahmen zu. Ein erschrecktes Kind darf davonlaufen. Ein Hund bleibt stehen oder duckt sich angriffsbereit. Diese Lehre meiner Mutter befolgte ich. Aber die besten Lehren schützen nicht immer vor Unheil.

Ich blieb stehn. Aber das fauchende Etwas sprang. Im nächsten Augenblick fühlte ich scharfen Schmerz in meinen Augen und sah nichts mehr.

Ich war blind wie in den ersten Lebenstagen. Blinder. Denn nun kannte ich das Blau des Himmels, das Grün des Rasens, die Buntheit der Blumen, den wechselnden Blick des Menschenauges. Kannte ich meinen geliebten Herrn, schlank und geschmeidig, aber mit festem Nacken. Mit aufrecht getragenem Haupt und dem dunkelblonden dichten Haar, von dem ein Büschel stets in die Stirn fiel, um von sehnigen Händen zurückgeworfen zu werden. Wie blitzten seine Augen in Unmut und noch mehr aus Freude.

Furchtbar war das Dunkel um mich, und der Schmerz fraß. Ich vergaß die zweite Lehre, wonach Winseln ehrlos. Ich winselte. Aus ganzer Kraft.

Ich hörte eilende Schritte, Wortgeschwirr. Die dicke Lina zeterte, wie wenn ihr ein Braten angebrannt wäre. Der Küchenjunge heulte, als hätte er den Kochlöffel um die Ohren bekommen. Auch die gnädige Frau spürte ich und hörte ich. Sie schrie nach stärkender Essenz. Für sich.

Ich kannte nun den Katzengeruch. Aber dann führte man die gnädige Frau fort. Ich winselte in meiner Dunkelheit. Ich wagte keinen Schritt zu tun. Weder vor noch rückwärts.

Eine Hand packte mich. Ich biß zu.

Ich hörte einen Fluch und fühlte einen festen Schlag, doppelt stark in meiner Dunkelheit.

Doch was war das? Jetzt hörte ich ein Tier in der gleichen Angst schreien, die mir selbst das Fell sträubte. Gellend hilflos, bis es sich allmählich entfernte, mit ihm die vielen Schritte und Stimmen, die eben noch um mich herum gewesen waren. Es ging dem Teich zu.

Wo jemand in Not, hat ein Dobermann hinzuzuspringen. Diese Lehre saß mir im Blut. War keine Folge der Peitsche. Ich vergaß die Augen und folgte der Schnauze. Erst schleppend, dann springend, geschwind und geschwinder.

Als ich den Teich erreichte, hörte ich etwas mit festem Klatsch ins Wasser sausen. Schon war ich nachgesprungen und untergetaucht.

Wie herrlich ist Wasser. Wie heilsam. Nach der Sonne und meinem geliebten Herrn ist es wohl das Schönste, das ich auf Erden gefunden habe. Wie kühlt es, wie rauscht es, wie erquickt es die verstaubte Zunge.

Ich schwamm. Das Naß spülte sanft das geronnene Blut aus meinen Augen. Der Schmerz war fort. Ich sah die grünliche Flut, und packte den Klumpen, den man hineingeworfen und strebte dem Ufer zu. Mit Schreck spürte ich Katzengeruch aufsteigen. Er rief mir Angst, Augenschmerzen und Dunkel zurück.

Ich ließ meine Beute aus dem Maul gleiten. Aber kaum hörte ich das Wasser aufklatschen, hatte ich wieder zugepackt. Endlich war das Ufer erreicht.

Ich hörte Rufe, Händegeklatsch und Widerspruch durcheinander. Vor allem aber die Stimme meines geliebten Herrn. Sie hatte so bewegten Klang, daß ich, als ich kaum mein Fell einmal geschüttelt hatte, unruhig zu ihm jagte und an ihm emporsprang. Er umhalste mich wie einen Bruder. Er nannte mich immer wieder einen guten, braven Kerl. Ich rannte vor Freuden zurück zu dem Gegenstand, den ich aus dem Wasser geholt. Um ihn meinem geliebten Herrn zu bringen. Aber mich schauderte. Das lebte, ich fühlte es, und regte sich doch nicht. Ich begann es von allen Seiten zu belecken. Da ließ mich etwas einen schnellen Sprung nach rückwärts machen. Ich hatte die Krallen bemerkt, die meine Augen zu fühlen bekommen, ich spürte den Katzengeruch. Doch die Krallen waren gebunden. Das Häufchen Fell wimmerte. Ich mußte helfen. Meine Zähne zerrten. Endlich rissen die Stricke. Ich machte einen Satz. Wie ein Hase. Ich will es gestehn. Der befreite Kater aber sprang mit noch geschickterem Bogen vorbei an uns allen fort.

»Bravo Bärchen,« schrie jemand. Man klatschte in die Hände.

Aber mein geliebter Herr überschrie alle andern. Im Übermut seiner fünfzehn Jahre rief er, daß er mir Brüderschaft anbiete. Bruder müsse ich heißen statt Bärchen. Bruder, denn ich hatte meinen Todfeind gerettet. Ganz wie ein echter Mensch. Und nur ihm gehöre ich jetzt. Ihm allein.

Ich jagte hin und her. Ich kannte mich nicht aus. Die Worte meines geliebten Herrn machten mich glücklich. Ich war zufrieden, nicht mehr Bärchen zu heißen. Doch wußte ich nicht, ob ich mich des neuen Namens wegen freuen sollte. Dieser Menschenbezeichnung. Als echter Dobermann. Besonders, da ich Onkel Tom den Kopf hatte schütteln sehen.

Er sagte zu Achim, meinem geliebten Herrn, es möge ihm sein schöner Glaube an die Menschen nicht getrübt werden. Seiner Meinung nach hätte ich gerade wie ein echtes Tier gehandelt. Dabei klopfte er meinem geliebten Herrn auf die Schulter.

Kein andrer hätte es wagen dürfen, sich mit erhobener Hand meinem geliebten Herrn zu nähern.

Onkel Tom durfte sich das erlauben ...


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