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XVIII

Die Sonne eines klaren Augusttages brannte erbarmungslos auf die kahlen Wände des Gebirgsstockes nieder, der sich namenlos in nordöstlicher Richtung parallel der pazifischen Küste Alaskas hinzog. Die kartographische Aufnahme des Landes wurde jetzt von der Regierung etwas lebhafter betrieben, und hie und da ragte auf einem der Gipfel in der Runde die rote Latte mit dem hölzernen Dreibein, das Zeichen der ersten trigonometrischen Vermessung.

Im Tale brauste der Fluß. Die gefräßige Rotte der Forellen und die unruhige Wanderschar der hungrigen Lachse kümmerten sich nicht um das Treiben der wenigen Menschen, die im Tale ein Zelt aufschlugen, auf die Berge kletterten, durch ein langes Fernrohr zielten, eifrig Logarithmentafeln wälzten und wieder verschwanden. Auch sonst nahm niemand von ihnen Notiz. Das Hinterland von Cerdova war damals ein Land wie geschaffen für weltflüchtige Leute.

»Heut abend werden wir in einem gemütlichen Heuschober schlafen«, sagte der Landmesser Bob Cattle zu seinen beiden Gehilfen Jim und Joe, als sie nach getaner Arbeit über eine breite Geröllhalde abstiegen. »Wir müssen bald an der großen Flußgabel sein, und von dort ist's nur noch eine kleine Stunde Weg übers Plateau bis zum Hause Mac'Phenors. Der wird sich freuen, wieder mal Menschen zu sehen. Wohnt nun schon an die zwanzig Jahre mit seiner Frau und dem Jungen in dieser Einöde und ist immer noch nicht verrückt geworden. Für mich wär' das nichts. Denke mir, es muß doch manchmal zum Sterben langweilig sein. Nicht einmal die Jagd ist sonderlich in der Gegend. Die Indianer kommen selten hier durch – und Mac'Phenor lassen sie in Frieden.«

»Frage mich immer, wovon die Leute eigentlich im Winter leben«, bemerkte Jim, der voranschritt und den Weg ausmachte. »Sie haben Futter für ihre zwei Kühe, vielleicht haben sie auch ein paar Schweine eingestellt; aber schließlich muß ein Farmer doch auch mal was verkaufen, wenn er seinen Betrieb halten will.«

»Das fragen sich manche andere auch«, lachte der Landmesser. »Aber die Lösung des Rätsels ist nicht besonders schwer. Wer so lange in diesem Lande lebt, kennt es besser als wir, und daß überall in der Nähe des Cooper-River Gold liegt, das ist klar. Mac'Phenor ist einer von den Stillen im Lande, die langsam zu Vermögen und Wohlstand kommen. Er betreibt's nicht im großen; hat immer das, was man ›Reserven‹ nennt. Wenn der mal dranginge, alle ihm bekannten Fundstellen auf einmal auszubeuten, wäre er sicher ein reicher Mann. Aber er überläßt das seinen Jungen. Hat sich die Mutungsrechte in der Umgebung seiner Farm goldrichtig in Cerdova eintragen lassen, und keiner kann ihm mehr an die Karre fahren. Wenn der Junge späterhin in Frieden leben will, kann er die Claims einzeln oder geschlossen an eine Gesellschaft verkaufen und auf einem alten Landsitz in Schottland seine Renten verzehren. Mac'Phenor weiß, was er hat! Hier und da hat er auch wohl mit leichter Mühe ein paar tausend Dollar geschürft, und damit gibt er sich zufrieden. Er braucht nichts zu verkaufen … Mr. Valler war auch so einer. Vergangenen Herbst noch bin ich bei ihm gewesen. Nun ist er tot. Die Brandstätte seines Hauses ist nur ein kleines Stück vom Anwesen Mac'Phenors entfernt.«

Die drei schwiegen. Sie kannten die Tragödie der Familie natürlich – soweit Einzelheiten darüber überhaupt bekannt waren.

»Man hat noch immer keine Spur von dem Mörder?« fragte Joe nach einer Weile.

»Es sollen zwei gewesen sein«, meinte Bob, »ein Norweger und ein Schweizer. Der Distriktssheriff hat es mir verraten. Woher er das wissen will, hat er mir freilich nicht auf die Nase gebunden. Übrigens die Toni, Vallers älteste Tochter, soll noch am Leben sein. Wie das zugegangen ist, weiß auch keiner. Das heißt, Mac'Phenor wird es wissen, aber ich glaube kaum, daß er darüber spricht. Ihm wird auch nicht mehr sonderlich wohl sein in seiner Weltabgeschiedenheit, seit die Geschichte passiert ist.«

»Haben die Mörder bei Valler etwas gefunden?« erkundigte sich Jim.

»Mac'Phenor sagt, es könne nicht der Rede wert sein. Er wollte damals nicht recht mit der Sprache heraus. Sicherlich ist Gold im Hause gewesen. Valler war ein ganz Gescheiter. Er konnte eine goldführende Schicht auf den ersten Blick von einer tauben unterscheiden. Habe öfter mit ihm darüber gesprochen. Erstaunlich, was der Mann alles wußte. Hatte in Freiberg die Bergwissenschaften studiert. Die Deutschen haben nämlich eine Bergakademie. Ich glaube, es ist die einzige auf der Welt. Die Leute verstehen was vom Fach, da könnt ihr euch heilig drauf verlassen, und der Valler hat ja schon achtundneunzig den großen Run am Yukon mitgemacht. Er soll drüben ein Vermögen haben. Nun ist er tot.« – Der Landmesser Bob Cattle seufzte traurig. – »Wirklich schade um den Mann – und um seine Frau erst recht. Sie soll eine Schweizerin gewesen sein. Habe sie schon gekannt, als sie eben herüberkamen als ganz junge Leute. Das war ausgangs der achtziger Jahre. Schön wie der Frühling in den Bergen war sie, sage ich euch; erregte direkt Aufsehen, als sie in Cerdova an Land kam. Valler dürfte der erste gewesen sein, der in diesem Distrikte Gold geschürft hat.«

Die Dämmerung sank bereits über die Berge, als die drei sich dem Hause Mac'Phenors näherten. Im Tale, das schon in blauen Schatten lag, rauschte der Fluß. Die Spitzen der Höhen prangten im roten Lichte der scheidenden Sonne. Ein riesiger Hund stürmte den Ankommenden mit lautem Gebell entgegen.

Mac'Phenor begrüßte den Landmesser und seine Gehilfen mit kräftigem Handschlag, und seine Frau eilte sogleich in die Küche, um mit gastlicher Mahlzeit Ehre einzulegen. In dieser Einsamkeit wird jeder Fremde herzlich und ohne Arg aufgenommen. Mr. Cattle aber war kein Fremder, sondern ein lieber alter Bekannter, und die Freude darüber, ihm Gastfreundschaft gewähren zu können, war um so größer.

Als die sechs Menschen um den runden Tisch saßen und dem Rauchfleisch mit Bohnen kräftig zusprachen, das die Hausfrau aufgetragen hatte, drehte sich das Gespräch wieder um das Schicksal der Familie Valler.

Mac'Phenor wußte allerhand Neues zu berichten.

»Vor sechs Tagen war O'Shennan, der Sheriff, mit drei Männern hier oben«, so berichtete er, »und beinahe hätten sie einen Mann mitgenommen, der sich verdächtig gemacht hatte, mit den Morden in Zusammenhang zu stehen. Aber nachher stellte sich alles als ganz harmlos heraus. Eigentlich hatte ich die Geschichte angerührt.«

»Du solltest doch nicht davon sprechen«, sagte Dorothee, Mac'Phenors Frau, mißbilligend. »Der Sheriff hat es ausdrücklich gesagt. Die Männer sind doch schwatzhafter als die Frauen!«

»Aber Dorothee«, verteidigte sich der Farmer, »Bob Cattle ist ein alter Bekannter, ein Regierungsbeamter dazu, und Jim und Joe, die kenne ich doch auch schon ein Dutzend Jahre. Außerdem ist die Sache ja längst – also hören Sie, Bob! Ich gehe nicht gern 'rüber nach der Brandstelle; ist mir unheimlich, das Grab inmitten der schwarzen Asche. Merkwürdig, wie lange sich der Brandschutt hält. Dachte, der Regen im Frühjahr und die Stürme im März würden die Spur des Hauses tilgen. Aber die Holzasche liegt fest wie Zement. Im Juni ist ein bißchen Gras drüber gewachsen … und weil ich das Kreuz neu aufstellen mußte – das alte war aus den Steinen gefallen – ging ich also hinüber und sah – da war frisch gegraben worden. Holla, dacht' ich, wer hat denn hier gewühlt? Sie müssen nämlich wissen, Mr. Valler hatte noch einen Brocken Gold unter der Diele liegen, als er mit seiner Familie ermordet wurde. Ich hab' davon natürlich auch nichts gewußt. Ritt damals mit Toni nach Cerdova hinunter und erlebte allerlei. Na ja, Toni wußte von dem Golde und kannte die Stelle genau, wo es lag. Wir haben das Metall aus dem Brandschutt gehoben und bei der Miners-Bank in Cerdova verkauft. Ich komme also 'rüber und sehe, daß der Grund des Hauses mit Hacke und Spaten bearbeitet worden ist – und denke mir natürlich gleich mein Teil. Das kann bloß einer sein, so sagt' ich mir, der was von dem Golde weiß, das noch drunter liegen soll – und reite nach Cerdova zum Sheriff.

Der sagt: ›Gut, daß Sie das melden, Mac'Phenor. Wer das ist, der wird mit den Morden zu tun haben. Werden uns den Burschen mal ansehen!‹ Sie reiten also vier Mann hoch mit mir herauf und beobachten die Umgebung des Hauses. Richtig kommt der Mann auch eines Tages wieder an mit seinem Spaten. Sie lassen ihn ruhig ein Weilchen arbeiten – und wen greifen sie?«

»Nun – wen?« fragte der Landmesser ungeduldig, als Mac'Phenor die Pause der Spannung zu lang ausdehnte.

»Wen? Sie werden lachen! Den Franz Henne, der da drüben auf der anderen Seite der Schlucht ein Camp hält und den Cooper-River im Schweiße seines Angesichts absiebt! Der war nicht schlecht erschrocken, als ihn die Männer des Sheriffs plötzlich beim Kragen hielten und ausfragten.

Was er hier mache?

Nun, er grabe, wie man sehen könne.

Was er suche?

Gold!

Unter dem Hause des ermordeten Mr. Valler?

Eben gerade dort! Er habe von einem Manne in Cerdova erfahren, daß unter dem Hause möglicherweise noch Gold liege – und warum solle es dort liegenbleiben? Im Cooper-River sei keines mehr, das wisse er nun ganz genau. Wer ihm wehren wolle, auf einem Boden zu muten, der niemandem mehr gehöre?

Die Leute des Sheriffs waren nicht sehr höflich, wie man sich denken kann. Er solle den Namen des Mannes nennen, von dem er seine Weisheit habe. Aber da klinkte er aus und wurde ganz verstockt. Ein Landsmann von ihm sei es gewesen, denn er habe deutsch gesprochen. Mehr wisse er nicht.

Warum der Mann denn nicht selber heraufgekommen sei und nachgesehen habe?

Das wisse er abermals nicht. Der Mann sei Anfang Juli mit der »City of Townsend« nach Frisco gefahren. Habe gesagt, ihm nütze die Kenntnis von dem Golde unter Vallers Hause nichts mehr, denn er müsse fort. Erben seien nicht vorhanden – warum also solle das Gold bis zum Jüngsten Tage unter der Brandstätte liegenbleiben?

Nachher hat Franz Henne Rechenschaft geben müssen über jeden Tag in der Zeit des Mordes, und da hat sich denn herausgestellt, daß er gerade damals die Eselstour gemacht hat nach dem Yukon hinauf. Er hat auch die Namen von zwei Männern genannt, die dabei gewesen sein sollen. Wo die jetzt steckten, wisse er natürlich nicht. Der Sheriff solle sie nur suchen! Na, ihr könnt euch denken, wie sie ihn sonst noch hergenommen haben. Sein Camp drüben haben sie um und um gewendet. Aber schließlich konnte ihn der Sheriff nicht festhalten und ging mit seinen Männern zurück nach Cerdova.«

Bob Cattle blickte nachdenklich drein.

»Die Geschichte, die Franz Henne da erzählt hat, klingt nicht sehr wahrscheinlich. Wenn der Mann, von dem er sein Wissen hat, wirklich der Mörder war – der Kerl müßte ja ein ganz Grüner sein, sich solch einer Gefahr auszusetzen – um Nichts! Wer konnte überhaupt wissen, daß Mr. Valler Gold unter seiner Diele liegen hatte?«

»Das ist es ja eben« – Mac'Phenor senkte seine Stimme zu einem vertraulichen Flüstern – »kein Mensch konnte es wissen! Ich, sein nächster Nachbar, habe keine Ahnung davon gehabt. Aber nachher ist doch allerhand ans Licht gekommen. Haben Sie gewußt, daß Mr. Valler ein reicher Mann war? Na also! Niemand hat es gewußt! Ich rede jetzt nicht von dem Golde unter seiner Diele., Immerhin, die Minersbank hat Toni ungefähr dreißigtausend Dollar dafür gutgeschrieben. Nein, Valler hat sich schon vorher ein großes Vermögen gemacht. Verstehe gar nicht, was er in der Gegend überhaupt noch wollte! Es ist ein letzter Wille von ihm hinterlegt gewesen, so sagte O'Shennan, und die Toni erbt alles. Vielleicht weiß sie es noch gar nicht. Valler hat hier in der Umgegend eine ganze Menge Fundstellen gehabt und gemächlich ausgebeutet. Er war keiner von unserer Sorte, Bob, das können Sie glauben. Bin auch nie recht warm mit ihm geworden. Was der für Bücher hatte! Bin ja oft drüben gewesen und hab's mit eigenen Augen gesehen. Ganze Schränke voll standen bei ihm auf dem Boden, und lauter gelehrtes Zeug. Dichter und so. In allen möglichen Sprachen. Und seine Frau hat mit den Kindern richtige Schule gehalten wie eine Lehrerin. Wenn die Toni mal als kleines Mädel mit unserm Charlie spielte, sagte sie oft: ›Jetzt muß ich aber gehen und Schularbeiten machen!‹ So was! Schularbeiten in den Bergen! Hast du Worte!«

Jim und Joe staunten.

»Das Mädel soll ja drei Sprachen gesprochen haben, deutsch, englisch und italienisch«, bemerkte der Landmesser.

»Ach, du meine Güte, haben Sie 'ne Ahnung, Mr. Cattle, was die alles konnte. Zum Beispiel aus der Bibel. Unsereiner ist froh, wenn er drei Gesangbuchlieder und das Vaterunser im Kopf hat. Die Toni kannte den ganzen Katechismus auswendig und das Lehrstück von der Beichte mit ›Was ist das?‹ und ›Wie geschieht das?‹ dazu. Dabei ging sie mit einer Büchse um wie der beste Rifleman vom Yukon, und reiten konnte sie …«

»Ganz gewiß, das konnte sie!« seufzte Charlie. In seinem Herzen brannte eine unglückliche Liebe zu Toni Valler. Was wäre wohl geworden, wenn diese grauenvolle Tat nicht geschehen wäre? Eines Tages hätte er das Mädel doch gekriegt. Aber nun? Das Leben in diesen Bergen war ihm verleidet, seit Toni nicht mehr da war. Er wollte fort von hier …

»Und was ist nachher aus diesem Franz Henne geworden?« erkundigte sich der Landmesser.

»Was Genaues weiß ich nicht. Am nächsten Tag war er aus seinem Camp drüben verschwunden. Vor einer Woche sind hier Prospectors durchgekommen, die erzählten, er sei nach Frisco gegangen. Wahrscheinlich hatte er Angst vor dem Winter, und im Cooper-River hat er bestimmt kein Glück gehabt. Er ist ja schon im Frühjahr einmal hier oben gewesen, zusammen mit einem Deutschen, einem gewissen Holzer, den der Sheriff jetzt suchen läßt. Der Junge soll fünfzehntausend gemacht haben.«

»Da kann ich zufällig dem Sheriff Bescheid stoßen. Mr. Holzer ist nämlich auch in Frisco. Er hat das einzig Richtige getan, ist mit seinem kleinen Vermögen in die Staaten gegangen. Man hat's ja oft genug erlebt, wie das Gold in diesem Lande seinen Besitzer wechselt. Wer in Cerdova bleibt, hat nach einem Jahre keinen roten Cent mehr. Wissen Sie übrigens, daß die Häberlins auch in dieser Gegend herumgesucht haben?«

»Die Häberlins? Höre den Namen zum ersten Male.«

»Ja, das waren auch so ein paar Studierte. Sie hatten die Erlaubnis der Regierung, Einblick in meine Landvermessungsarbeit zu nehmen. Ich traf die beiden eines Tages zusammen mit Mr. Valler in der Gegend des Mount Blackburn, wo sie Gesteinsproben untersuchten. Merkwürdige Kerle sind das. Wenn man sie nicht nebeneinander sieht, kann man sie unmöglich auseinanderhalten. Es sind nämlich Zwillingsbrüder. Valler schien sie übrigens gut zu kennen.«

»Valler hat ihre Namen mir gegenüber nie erwähnt. Denken Sie, daß sie mit den Morden …«

»Ich denke gar nichts. Aber da fällt mir ein – ich hätt's dem Sheriff doch erzählen sollen. Das war im Spätherbst vorigen Jahres, so etwa zwei Monate vor Vallers Tode. Vielleicht können die beiden O'Shennan auf eine neue Spur setzen. Sie sind übrigens auch nach Frisco zurückgegangen.«

»Wer hier oben was ausgefressen hat, geht nach Frisco!« sagte Joe nachdenklich, und die andern nickten dazu.


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