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XVII

Sie hatten ein Treffen in dem Kaffee vereinbart, in dem die Brüder bisher regelmäßig mit Korbin Holzer gesessen hatten, und Korbin stellte Toni Valler die Zwillinge in aller Form vor.

Richard ergriff Tonis Hand, die ihm zaghaft entgegengestreckt wurde.

»Ich freue mich, Sie schon jetzt kennenzulernen, Miß Valler«, sagte er schlicht. »Früher oder später wären wir doch zusammengekommen. Sie haben gewiß schon erfahren, daß mein Bruder und ich die Kaufverhandlungen um den Nachlaß Ihres verstorbenen Vaters für die C.M.C. führen?«

»Mein Anwalt teilte es mir vor einigen Tagen mit. Woher wußten Sie eigentlich, daß der Nachlaß zum Verkauf steht? Ich könnte als einzige Erbin die Verhandlungen jederzeit abbrechen.«

Georg Häberlin antwortete:

»Es sind keine neuen Verhandlungen, die wir führen. Ich bahnte das Geschäft bereits im Oktober vorigen Jahres an, und zwar ging die Anregung dazu von Ihrem Vater aus.«

»So kannten Sie meinen Vater?«

»Ich darf wohl sagen, daß mein Bruder und ich Ihren lieben Vater gut gekannt haben. Wir studierten gemeinsam mit ihm in Freiberg und in Zürich, waren mit ihm befreundet, sind im Laufe der Jahre, die er in Alaska verlebte, in nicht gerade lebhaftem, aber doch ununterbrochenem Briefwechsel geblieben – und so ist es gekommen, daß sich unsere Interessen fanden. Die C.M.C. suchte drüben einen bevollmächtigten Sachverständigen für ihre Verhandlungen zum Ankaufe von Minenkonzessionen, wir wurden von der Schweizer Regierung an die Gesellschaft empfohlen, und so begegneten sich mancherlei Wünsche und Gelegenheiten hüben und drüben. Der Auftrag der Gesellschaft fügte sich zwanglos unsern sonstigen Plänen und Absichten ein, und so nahmen wir an …

Ich traf Ihren Vater Ende September vorigen Jahres in der Nähe des Mount Blackburn, wo wir gemeinsam ein ziemlich großes Gebiet auf goldführendes Gestein und seine Abbauwürdigkeit untersuchten, für das Ihr Vater vorsorglich die Konzession erworben hatte. Auch dieses größte aller bisher vergebenen Claims steht zum Verkaufe, und ich rate Ihnen sehr, die Vorschläge nicht zurückzuweisen, die ich Ihnen demnächst unterbreiten werde. Ich weiß wohl, Sie könnten später für das Abbaurecht vielleicht eine größere Summe erzielen; aber die Voraussetzung dafür bleibt doch immer das Auftreten eines entschlossenen Käufers, wie die C.M.C. einer ist. Man findet nicht alle Tage einen so zahlungsfähigen Interessenten, und die Aufrechterhaltung der Claimrechte ist, wie Sie wohl wissen, an die sofortige Inangriffnahme der Ausbeutung geknüpft. Sie müßten also zunächst selbst einmal erhebliche Kapitalien in diesem Geschäft anlegen …«

»… die ich nicht habe!«

»Nun« – Richard Häberlin lächelte wohlwollend – »es würde in diesem Falle genügen, wenn ein bescheidener Anfang gemacht würde. Wenn Sie selbst an irgendeiner Stelle des Claims zu schürfen beginnen, ist dem Gesetz für eine Weile Genüge getan, und solange keine Anzeige wegen ungenügender Inangriffnahme der Ausbeutung gegen Sie vorliegt, können Sie Ihre Rechte aufrechterhalten. Aber mein Bruder hat schon recht, wenn er Ihnen rät, die Abbau-Konzessionen für eine einmalige Ablösungssumme hinzugeben, zumal die Gesellschaft auf Grund unseres Gutachtens bereit ist, zweihunderttausend Dollar dafür zu zahlen. Die Mount-Blackburn-Mine soll eine Ausbeutungsstätte großen Stils werden, und es bleiben Ihnen noch eine ganze Menge kleinerer Abbaurechte, die Sie dann halten können, solange Sie wollen.«

Toni erschrak sichtlich.

»Aber – das ist ja ein großes Vermögen – selbst für Staatenverhältnisse. Natürlich werde ich keinen Augenblick zögern …«

Georg lachte gemütlich.

»Nun – Sie brauchen sich ja nicht heute und morgen zu entscheiden, Miß Valler. Das Angebot wird Ihnen in den nächsten Tagen zusammen mit einem Auszug aus unserm Gutachten zugehen, und wir empfehlen Ihnen, einen Bergbausachverständigen für dessen Beurteilung zuzuziehen. Sie sollen selbst das sichere Gefühl haben, daß unser Vorschlag billig ist und den obwaltenden Verhältnissen gerecht zu werden sucht.«

Man trank gemeinsam Kaffee, und Mucki beehrte Toni sofort mit dem vollen Vertrauen seiner klugen Hundeseele. Als man zum Strande aufbrach, hielt er sich neben ihr und blickte zu ihr auf, als erwarte er sehnlich den Befehl von ihr, einen fortgeschleuderten Stock zurückzubringen.

»Na, Mucki«, sagte Korbin freundlich zu ihm, »da hast du endlich auch mal eine Freundin; aber sie kümmert sich nicht um dich.«

Die Häberlins waren ein paar Schritte zurückgeblieben.

Toni war den Tränen nahe; sie lächelte krampfhaft.

»Korbin«, sagte sie leise, »ich halte das nicht aus. Der Gedanke – wenn ich wirklich auf einen Unschuldigen geschossen hätte, ich fände keine ruhige Stunde mehr – und auf einen von den beiden habe ich geschossen … und ich kann's immer noch nicht glauben, daß er kein Mörder ist. Was mach' ich nur? Ich hab' Angst vor jedem Worte, das ich spreche!«

Richard Häberlin war plötzlich wieder neben ihr.

»Was gedenken Sie jetzt zu tun, Miß Valler?« fragte er freundlich. »Sie sind unabhängig. Ihr Vater sprach davon, daß er nach Europa zurückzugehen beabsichtige. Er hat einen bescheidenen väterlichen Besitz in Zürich gehalten – Sie haben es wohl inzwischen aus dem Testament ersehen – ein kleines Landhaus am Ufer des Sees. Ach, Sie kennen die Schweiz ja noch nicht, die Ihre wahre Heimat ist; aber wenn Sie wüßten, wie herrlich es dort ist, Sie zögerten gewiß nicht, dahin zu gehen. Ich kann mir gar nicht denken, daß Sie sich in diesem Lande hier wohl fühlen können!«

»Ich gehe sehr ernsthaft mit diesem Gedanken um«, antwortete Toni befangen. »Auch meine Mutter hat oft von der Heimat gesprochen – Sie war eine Tessinerin – und ich möchte die Schweiz und das alte Europa wohl kennenlernen. Wenn Mr. Holzer von seinen Bergen erzählt, gewinnt man den Eindruck, daß es wirklich ganz andere Berge sind als droben in Alaska. Ich kann mir das noch gar nicht recht vorstellen: auf den Gipfeln Eis und Schnee, und im Tale drunten Wein und süße Frucht, alte Häuser, Kirchen, bunt bemalte Häuser, einen blauen See mit Dampfschiffen und schmalen, bewimpelten Booten – ach, das muß schön sein! Aber noch muß ich hier bleiben. Eine Pflicht …«

»Ich weiß, Miß Valler, Sie dürfen nicht ruhen, bis der Tod Ihrer Eltern und Geschwister seine Sühne gefunden hat … aber ich hoffe mit Ihnen, daß der Tag nicht mehr fern ist, an dem sich das Dunkel lichtet, das jetzt noch über dieser Tat schwebt. Vielleicht erinnert sich mein Bruder Georg doch noch dieser oder jener Einzelheit aus jenen Tagen, die zu einer Entdeckung des Mörders führt. Leider haben wir beide etwas Genaueres über die Umstände, unter denen sich die Tat vollzog, nicht erfahren –, noch weniger über das Ergebnis der amtlichen Nachforschung. Wenn Sie Vertrauen zu uns hätten …«

Das also war der Plan der beiden! Sie tappten im Dunkel über das, was die Distriktspolizei bereits wußte – ahnten wohl auch, daß der schwerste Verdacht gegen einen von ihnen vorlag und daß die Festnahme des Mörders bisher nur an dieser verzweifelten Zwillingsähnlichkeit gescheitert war. Sie wußte plötzlich, daß jedes Wort, das sie in dieser Sache sprach, Mr. Hoods Pläne und Absichten durchkreuzen konnte. So sagte sie denn:

»Das ist es eben, was diese Sache auch für mich so schwer macht – ich tappe selber über die polizeilichen Ermittlungen völlig im Dunkel. Manchmal kommt es mir fast so vor, als habe die Polizei mich im Verdachte, meine Eltern ermordet zu haben. Alles ruht in den Händen des Distriktssheriffs von Cerdova, Mr. O'Shennan. Er hat mir bisher über das Ergebnis seiner Arbeit noch keine Zeile zukommen lassen …«

Richard Häberlin lächelte aufmunternd.

»Nur Geduld, Miß Valler, Sie werden bald von ihm hören!«

»Woher wollen Sie das wissen?«

»Ich ahne es!«


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