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XV

»Franz Henne – ein Deutscher?«

Der italienische Konsul in San Franzisco, Guiseppe Balsaro, dreht den Zettel zwischen den Fingerspitzen, den ihm der farbige Diener auf einem silbernen Tablett überreicht hat. »Er soll sich mit seinem Anliegen an Mr. Stokinger wenden. Deutsche Interessen …«

»Massah sagen, Sache mit Politik. Nur für Master Balsaro. Sähr wichtig.«

Der Konsul lächelt nachsichtig. Wahrscheinlich wieder einer von jenen Glücksrittern, die Skandalgeschichten mit Politik verwechseln und »Informationen« belanglosester Art für gute Dollars an den Mann zu bringen suchen. San Franzisco ist in letzter Zeit geradezu das Hauptquartier dieser Leute geworden. Da gibt es Franzosen, die Mordgeschichten aus dem deutschen Elsaß verhökern wollen, Russen, die Bombenanschläge gegen den Zaren, Iren, die Attentate auf englische Stützpunkte im Fernen Osten aufdecken können – und alle wollen sie Dollars haben für ihre Wissenschaft.

»Na, dann führe den Mann mal herein, Charlie«, sagt der Konsul nach kurzem Überlegen. »Werden ja hören, was Wichtiges oder Nichtiges er auszupacken hat.«

Der Diener verschwindet. Gleich darauf tritt Franz Henne ein wenig zögernd ins Arbeitszimmer des Konsuls.

»Sie wünschen?«

Franz Henne bleibt im Türrahmen stehen.

»Verhandeln wir zuverlässig unter vier Augen?« sagt er und blickt sich suchend im Räume um.

»Reden Sie offen, Sir«, sagt der Konsul. »Es ist nicht meine Art, Gespräche, deren Belanglosigkeit die Kosten des neuen Verfahrens nicht deckt, durchs Mikrophon auf Schallplatten zu bringen.«

Franz setzt sich zaghaft auf die Kante eines hochlehnigen Stuhles.

»Es handelt sich nämlich um folgendes – ich hätte ein wichtiges militärisches Geheimnis anzubieten. Eine Schweizer Sache.«

»Wüßte nicht, was es von seiten der Schweiz militärisch zu verbergen gäbe. Die Eidgenossenschaft hat zur Zeit keine irgendwie erhebliche Armee …«

»Und doch – etwas sehr Wichtiges. Ich will es Ihnen kurz erklären. Sie wissen, es gibt zwei Querverbindungen durchs Gebirge, den Gotthard und den Simplon. Im Falle eines Krieges, in den Frankreich, Italien oder Deutschland verwickelt werden, kann der Besitz dieser Verbindungen den Erfolg entscheidend beeinflussen.«

Er spricht wie ein Professor! denkt der Konsul flüchtig. Diese Worte hat er irgendwo aufgeschnappt. Im übrigen hat er natürlich recht. Der Gotthard und der Simplon in der Hand einer kriegführenden Partei – und laut setzt er seinen Gedankengang fort:

»Gewiß, das ist die geheime Gefahr für die Unabhängigkeit der Schweiz. Die Bundesregierung hat deshalb keinen Zweifel darüber gelassen, daß sie entschlossen ist, im Falle eines Angriffs auf ihre Grenzen diese Querverbindungen zu zerstören.«

»Sehr richtig, Herr – und jede der drei genannten Mächte hat das stärkste Interesse daran, eine Sprengung der beiden Tunnel zu verhindern.«

Der Konsul lächelt unmerklich.

»Natürlich; aber es dürfte nicht leicht sein, die Schweizer daran zu hindern, dieses Vorhaben auszuführen!«

»So sieht es aus – weil nämlich niemand außer einigen Männern im Generalstab weiß, von welcher Stelle aus die Sprengung betätigt wird. Es gibt da zwei abgelegene Hütten droben in den Bergen, und in denen liegt unter einer Glasscheibe der Knopf, der die elektrische Zündung auslöst. Die Großmacht, die im Besitze dieses Geheimnisses ist, kann durch einen Handstreich die Sprengung um viele Tage hinausschieben – vielleicht ganz verhindern, wenn sie sich nachher mit Waffengewalt in den Besitz der Zündkabel setzt.«

»Und – Sie kennen die beiden Stellen, von denen aus die Sprengung betätigt wird?«

Franz Henne erhebt sich vom Stuhle und sagt feierlich:

»Ich bin im Besitze des Sprengplanes; habe die Karte, in die alle Kabel eingezeichnet sind – könnte die Sprengung ganz allein verhindern, wenn ich an irgendeiner Stelle des Abhanges das Kabel durchschneide!«

Guiseppe Balsaro bleibt ruhig sitzen. Er weiß: Der Besitz dieses Sprengplanes wäre für seine Regierung nach verschiedenen Richtungen hin von nicht zu unterschätzender Bedeutung. In Wahrheit sind es diese beiden Tunnel, die die Neutralität der Schweiz garantieren. Italien, Österreich und Deutschland, der Dreibund also, braucht diese Verbindungen im Falle eines Krieges unbedingt. Der Brenner allein kann den ins Ungeheure anwachsenden Kriegsverkehr nicht bewältigen. Frankreich, gegebenenfalls auch Rußland hätten das größte Interesse daran, diese Verbindungen zu stören. Eine bewaffnete Geste – und das Unheil ist geschehen! Aber Guiseppe Balsaro weiß noch mehr.

»Darf man fragen, wie Sie in den Besitz dieser Pläne gelangt sind?«

»Darüber sage ich nichts aus. Genug: ich besitze sie!«

Der Konsul erhebt sich ebenfalls.

»Tut mir leid, Mr. Henne – solange ich nicht die Gewähr dafür habe, daß diese Pläne echt sind …«

»Sie sind echt!«

»… und der Verlust der Pläne in der Schweiz nicht bekannt ist …«

»Er ist nicht bekannt. Man kann dort keine Ahnung davon haben, daß ich eine Lichtpause machte. Außerdem ist eine Umlegung der Sprengkabel mit allerhand Schwierigkeiten verknüpft. Sie sind schon beim Bau der beiden Tunnel im Urgestein verlegt worden. Eine Sprengkapsel mit zwei Kilo Dynamit, an der richtigen Stelle eingesetzt, genügt vollständig, das Zuleitungskabel zu zerstören.«

»Und – zu welchem Preis sind Sie geneigt, die Pläne zu verkaufen?«

»Fünfzigtausend. Keinen Cent weniger.«

Signor Balsaro lächelt unmerklich.

»Bedaure – über diese Summe verfüge ich nicht. Ich müßte Anweisungen von der Botschaft in Washington einholen.«

Franz Henne blickt unsicher.

»Und – wie hoch wäre die Summe, die Sie sofort zu zahlen bereit wären?«

»Gegen die gleichzeitige Auslieferung der Pläne?«

Der Verkäufer zögert einen Augenblick, dann sagt er leise:

»Natürlich – gegen Auslieferung eines Teiles der Pläne. Man würde sich verständigen – auf das Versprechen hin, den Rest in kurzer Frist nachzuzahlen.«

»Zehn Dollar!« sagt Balsaro. »Hier haben Sie das Geld« – er greift in die Tasche und bringt einen kleinen Schein hervor – »und die Pläne können Sie ruhig behalten; ich habe kein Interesse an ihnen.«

Franz Henne ergreift mechanisch den Schein.

»Sie wollen also nicht …«

»Nein!«

»Dann also – ich kam nicht, um ein Almosen von Ihnen zu erbitten, Herr Konsul – behalten Sie Ihre zehn Dollar!«

Er läßt den Schein auf den Teppich flattern.

»Wie Sie wollen«, bemerkt Balsaro kalt. »Ich wünsche Ihnen an anderer Stelle ein besseres Geschäft.«

Franz Henne verläßt das Haus des italienischen Konsuls in gebückter Haltung. Er bemerkt nicht, daß Charlie, der Diener, ihm unauffällig folgt.

Der Konsul hebt den Fernsprecher ab.

»Mr. Häberlin? Hier Balsaro. Sie haben richtig vermutet Soeben sind mir die Sprengpläne angeboten worden. Franz Henne nannte sich der Mann. Ob er es wirklich war, weiß ich natürlich nicht. Ich habe ihn mit zehn Dollar ablaufen lassen, die er nicht einmal genommen hat. Das Wasser scheint ihm also noch nicht am Halse zu stehen. Mein Charlie sucht festzustellen, wohin er sich wendet. Vielleicht versucht er sein Glück bei Monsieur Poncelle in der Lincoln Street. Haben Sie mit dem schon gesprochen?«

»Natürlich ist er im Bilde. Wir werden bald zugreifen können.«

Balsaro lächelt ungläubig.

»In diesem Lande? Das dürfte Ihnen nicht ganz leicht fallen. Sie wissen doch, USA. liefern in solchen Fällen nicht aus.«

»Die Häberlins machen alles möglich – gerade in diesem Lande, das nicht zu unrecht das der unbegrenzten Möglichkeiten heißt«, lacht Richard Häberlin. »Wir haben schon zu lange zugesehen. Das Maß ist voll!«

»Sie lieben es, sagt man, aus einer Verhaftung eine kleine dramatische Szene zu machen, Mr. Häberlin. Haben Sie in diesem Fall ähnliche Absichten?«

»Kann ich Ihnen wirklich im Augenblick noch nicht sagen, Signor Balsaro. Aber da Sie als Italiener für bühnenwirksame Abschlüsse eine kleine Schwäche haben – ich will sehen, was sich tun läßt, und – natürlich – Sie sind dazu herzlich eingeladen. Ich denke fast, es wird eine Art gesellschaftliches Ereignis für San Francisco.«


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