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I

Als die Glücksritter aus aller Welt im Goldrausch nach Alaska zogen, im Jahre achtundneunzig also, waren Valdez und Cerdova schmutzige Indianersiedelungen am Prinz-William-Sund, in denen die Ankunft eines Weißen aus den Staaten immer mit einer gewissen Aufregung für den ganzen Ort verbunden war. Einmal im Jahre legte hier ein Regierungsboot an und brachte allerhand begehrte Waren zum Tausch gegen Otternfelle mit. Im Winter starben die Menschen reihenweise an Skorbut, und die ersten Landmesser aus den Staaten, die eine kartographische Aufnahme des eben erst von Rußland für eine lächerliche Summe erworbenen Gebietes machen sollten, sprachen von Valdez und Cerdova in nichts weniger als schmeichelhaften Wendungen.

Heute – man war im Herbst des Jahres 1907 – herrschte an den reichgegliederten Ufern des Sundes ein anderes Leben! Regelmäßig verkehrten drei Schiffe von Seattle her in seinen Gewässern, die ›Washington‹, die ›City of Townsend‹ und die ›Saratoga‹. Selbst die kleineren Siedelungen zwischen Valdez und Cerdova wurden von Regierungsdampfern und Gesellschaftsbooten gelegentlich angelaufen, um Fracht und Passagiere auszuschiffen oder mitzunehmen. Zwar gingen die ›Prospectors‹, die Goldsucher, nach wie vor hinauf in die Yukonlandschaft und den Dawson-Distrikt, aber neuerdings waren Gerüchte aufgeschwirrt, die von Goldfunden am Cooper-River und in der Umgebung des Mourit Blackburn wissen wollten. Gespannte Erwartung lag auf allen Gemütern. Würde es von Cerdova oder von Valdez aus auch einmal einen ›Run‹ in die Berge geben? Nun, man war jedenfalls auf alle Möglichkeiten vorbereitet! In Valdez gab es schlechthin ›alles‹ zu kaufen: Mulis, Goldgräber-Ausrüstungen, Gewehre, Munition und Proviant für eine Reise ins Innere von beliebiger Dauer!

Der September ging zu Ende, und die Stadt leerte sich. Wer sollte auch den Winter über hierbleiben? Es gab freilich waghalsige Burschen genug, die schon im Winter den Fluß hinaufgingen, um im Frühjahr bei Beginn der Schneeschmelze als erste an Ort und Stelle zu sein. Aber den meisten dieser Männer bekam ihr Optimismus schlecht. Mit erfrorenen Gliedern kamen sie heim, und gar mancher von ihnen fand sein Grab in den Schneewehen der Steilhänge oder unter dem Eise des Flusses.

Zwei Männer saßen beim Whisky in einer niedrigen Stube und sprachen vom ›Geschäft‹.

»Valdez ist, Sie mögen sagen, was Sie wollen, das elendeste Nest zwischen der Mündung des Yukon und der Weite des Stillen Ozeans. Im Winter wohnen nur ein paar Kneipenwirte und tausend hungrige Hunde drin. Ich mag jedenfalls nicht hierbleiben!«

»Und doch, Mr. Henne – Sie haben hier ein Dach überm Kopf und Holz genug, die erstarrten Glieder aufzutauen. Wenn Sie Ihr Glück am Mount Blackburn versuchen wollen – wie gesagt, ich halte das für eine Schnapsidee, aber Sie scheinen sich nun einmal drauf versteift zu haben – können Sie schon im März losziehen. Der Cooper-River ist dann die beste Straße in die Berge, und Prospectors, die etwa denselben Gedanken haben sollten, werden nicht wagen, vor Mai aufzubrechen.«

Der Mann, der so sprach, war ein alter Goldsucher, der im Kampfe mit den Tücken des Landes grau geworden war. Er lebte – nicht fürstlich, nein, das konnte man nicht behaupten, aber jedermann an der Küste wußte, daß Mr. Gruber genug Dollars beiseitegebracht hatte, um auch in den Staaten ein behagliches, sorgenfreies Leben führen zu können. Der Alte konnte sich nun einmal nicht von dem Lande trennen, das ihm den ›Rausch‹ geschenkt hatte – jene schwellende, alle Sinne umnebelnde Hoffnung auf den seltsamen Glanz goldführenden Sandes beim Einfallen schrägen Morgenlichtes.

Mr. Henne nippte an seinem Glase.

»Ich will aber nun einmal nicht in Valdez bleiben. Der Winter in den Bergen, Mr. Gruber, ist nicht so schlimm, wie sich die Leute erzählen. Ich bin vor einem Jahre mit Mr. Valler im Dezember am Mount Blackburn gewesen. Es gibt da ein paar alte Blockhäuser, in denen es sich ganz gemütlich hausen läßt. Ist da so 'ne Vermessungskommission unter Mr. Cattle aus Cerdova lange oben gewesen und hat bis spät in den Winter hinein gearbeitet. Keine Lawinen – alles fest, verharschter Schnee, so bequem zu befahren wie 'ne Landstraße in Kalifornien, und hungrige Bären genug, die einem geradewegs ins Rohr laufen.«

»Sie wollen allein gehen?«

»Nein. Habe am Yukon im Frühjahr einen Mann kennengelernt, der die Gegend um den Mount Blackburn ebenfalls für aussichtsreich hält. Noch strömt alles nach dem Yukon – und Sie wissen ja selber am besten, daß dort kein Kilo Sand ungesiebt geblieben ist. Na ja, der Dawson-Distrikt ist groß. Wenn einer Glück hat, kann er immer noch ein Vermögen machen. Einer von Tausend – wie gesagt, die Chance ist mir zu dürftig. In der Gegend des Mount Blackburn hat bisher nur einer Schürfrechte eintragen lassen – eben dieser Mr. Valler; und der Mann versteht was vom Golde, oder ich will keinen Whisky mehr anrühren. Er verhandelt bereits mit der ›Cerdova-Miners-Company‹ um den Verkauf eines Claims. Viel ist nicht aus ihm herauszukriegen. Aber ich weiß, was ich weiß!«

Des Alten Augen bekamen einen lebhafteren Glanz.

»Sie meinen also wirklich – am Mount Blackburn? Bin vor fünf Jahren selber, einmal den Cooper-River bis zur Gabelung hochgegangen – leider ganz ohne Erfolg. Im Flusse sind kaum Spuren von Gold – kleinste Trümmer – es lohnt nicht …. Das Mac'Kitiy-Claim ist ja wohl auch erschöpft. Man spricht davon, es aufzulassen.«

»Das ist die Ostseite. Mr. Valler hat das Gestein an der Westseite untersucht. Er ist der Meinung …«

»Wer ist dieser Valler eigentlich?«

»Weiß es auch nicht genau. Ein Studierter. Soll ein Schweizer sein. Er wohnt nicht weit von der großen Flußgabel, ziemlich hoch oben auf dem Plateau. Schon viele Jahre übrigens. Wovon er lebt? – Nun, er wird's ja wissen, und uns geht's nichts an. Kennt jedenfalls in der Umgebung seines Hauses eine ganze Menge Fundstellen, über die andere weggelaufen sind, ohne zu stolpern.«

»Und wann gehen Sie in die Berge?«

Mr. Henne erhob sich schwerfällig.

»Morgen früh. Ich nehme nur ein Muli zum Tragen mit. Wir werden Neuschnee haben. Aber der Weg den Fluß hoch ist ja nicht zu verfehlen; ich kenne ihn von früher her genau. Haben Sie Lust, sich anzuschließen? Ein Mann mit Ihren Erfahrungen ist immer willkommen.«

Mr. Gruber schien zu schwanken.

»Ich möchte schon«, sagte er zögernd, »aber in meinem Alter – man sitzt im Winter doch lieber in einer warmen Stube. Könnte mich schon reizen – hm – die Westseite des Mount Blackburn, sagen Sie? Man hat dort zwei tiefeingeschnittene Täler, die bis hinauf in die Gletscher führen, und dort mag wohl Gold im Gestein sein. Aber im Winter …«

»Ich habe nicht die Absicht, im Sande zu buddeln wie die Kinder am Strande in Florida; will Gesteinsproben nehmen und – na ja, Sie wissen doch, die ›Cerdova-Miners-Company‹ will da oben anfangen, und wenn ihr ein zuverlässiges Claim angeboten wird – man braucht sich schließlich nicht die Finger zu zerschinden, um Dollars zu scheffeln. Ich will nicht prospectenl«

Mr. Gruber senkte resigniert sein graues Haupt.

»Ich bin eben noch einer von den Alten, Mr. Henne. Vom Bergbau halte ich nicht viel. Macht auch längst nicht den Spaß, als wenn man – hm – Sie kennen das Gefühl? Ging mir schon daheim so – beim Pilzesuchen. Hab' das Zeug nie gegessen; aber wenn man so einen herrlichen festen Kerl dastehen sah, packte einen ordentlich das Jagdfieber. Als Junge habe ich oft geträumt, ich stände inmitten wunderbarer Steinpilze und hätte den Sack vergessen, sie zu sammeln. Ein schauderhaft schöner Traum. Man hat die Arme voller Beute – und muß die vielen andern stehenlassen, weil – nun ja – derselbe Traum verfolgt mich heute noch; nur sind die Pilze zu gleißenden Nuggets geworden. Weiß noch wie heute, wie ich in einem Nebental des Yukon das Heidekraut mit dem Fuß umstieß, und in den Wurzeln glänzte das Gold – Goldschein im Sande – mehr was fürs Gefühl, wissen Sie – bin reich genug, und ausgerechnet im Winter …«

Mr. Henne lachte.

»Das ist's ja gerade, was mir noch fehlt. Ich nehme Gold, wo ich welches finde. Schade. Ihre Erfahrung wäre mir fifty-fifty wert gewesen, Mr. Gruber. Nun, was nicht sein soll …«

Dieses Gespräch wurde am dritten Oktober des Jahres 1907 geführt im ›Roten Reiter‹ zu Valdez. Mr. Henne ritt am nächsten Tage in aller Herrgottsfrühe in die Berge.


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