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V

Korbin Holzer arbeitete wie ein Galeerensklave. In Cerdova hatte er vorsorglich einen Trinkbecher mit Wasser gefüllt und genau abgewogen. Er wog fast ein halbes Pfund. Ihn benutzte er jetzt dazu, das Gewicht der geförderten Goldmenge roh zu überschlagen. Am Abend des ersten Tages schätzte er seine Ausbeute an reinem Golde, die er in einem Ledersäckchen verwahrte, auf reichlich ein halbes Kilo. Die Gold-Miners-Bank in Cerdova zahlte für ein Kilo Gold sechshundertfünfzig Dollar. Er hatte mithin bereits am ersten Tage ein kleines Vermögen von mehr als dreihundert Dollar erworben! Gewiß, man erzählte sich Geschichten von Prospectors, die Tausende von Dollars an einem Tage gemacht hatten. Aber wie viele fanden nichts! Jeden Spätherbst ist die Regierung gezwungen, einen Dampfer sämtliche Häfen Alaskas anlaufen zu lassen, um die völlig mittellosen Goldgräber aufzulesen, die glücklos prospected haben, und sie nach den Staaten zu befördern.

Nach sechs Tagen schwerster Arbeit – er nahm sich kaum Zeit zum Essen – schien die goldführende Schicht an dieser Stelle erschöpft zu sein. Holzer hatte in dieser verhältnismäßig kurzen Zeit schätzungsweise zwanzig Kilo Gold gefördert!

Tonio hatte sich in diesen Tagen nicht blicken lassen. Am zehnten Tage tauchte er in der Abenddämmerung plötzlich im Lager auf.

»Nun, wie war das Geschäft?« rief er Holzer lachend schon von weitem zu.

Der berichtete strahlend über seinen Erfolg.

»Fünfzehntausend Dollar – ist das nun genug für diesen Sommer?« sagte Tonio, indem er abstieg und sein Pferd neben das Muli stellte. Eine sonderbare Frage an einen Mann, dem das Glück zum ersten Male die Hand hingehalten hat! Gewiß, Holzer war ehrlich abgearbeitet. Aber wen der Goldrausch einmal beim Kragen hat, der ist Vernunftgründen nur schwer zugänglich. Eigentlich träumte er nun erst recht von dem ›großen Funde‹. Aber in Tonios Zügen stand, soweit er sie im trügerischen Scheine des Lagerfeuers erkennen konnte, ein merkwürdiger Ernst.

»Ich komme, dich zu warnen«, sagte er, indem er sich neben Korbin auf einem Sandhaufen niederließ. »Seit gestern streift eine Bande Indianer an der anderen Cooper-River-Seite. Wenn die Kerls jemand antreffen, der ihre in dieser Gegend ohnehin ziemlich traurige Jagd durch seine Anwesenheit beunruhigt, nehmen sie das übel. Sie betrachten dieses Land als ihr Eigentum. Zwar haben sie einen höllischen Respekt vor der Regierungspolizei, aber wer erfährt schon etwas davon, wenn ein einzelner Mann aus dem Distrikt nicht nach der Küste zurückkehrt. Ich würde mich an deiner Stelle nicht mehr unnötig hier aufhalten. Geh doch heute abend mit mir hinüber in meine Behausung. Dort bist du sicher. Morgen oder übermorgen reiten wir dann zusammen nach Cerdova. Man darf auch nicht zu viel Gold bei sich führen. Das wurde schon manchem Prospector zum Verhängnis!«

In diesem Augenblick fiel in der Ferne ein Schuß. Deutlich trug der Wind den Schall von der andern Flußseite herüber.

»Das sind sie«, sagte Tonio sachlich. »Am Tage treiben sie sich in den Bergen herum, aber sie schlafen in der Nähe des Flusses, weil sie abends ihre Pferde tränken. Etwa dreißig Mann sind es. Ich rate dir, geh ihnen aus dem Wege.«

Holzers Entschluß war kurz gefaßt. Er packte seine geringen Habseligkeiten zusammen, versteckte das Grabgerät und das Zelt in der Schlucht, hängte die Büchse um, mit der er beinahe einen Bären geschossen hätte, und schwang sich auf sein Muli.

Es war bereits völlig dunkel, als die beiden den Geröllhang zum Flusse hinunterritten. Nach einer kleinen Stunde bog Tonio, der voranritt, rechts ab in ein enges Tal, das aufwärts führte. Die Nacht war sternenklar. Als sie aus dem Flußnebel heraus waren, konnte man die Umrisse der Landschaft deutlich erkennen.

Abermals nach einer halben Stunde hielt Tonio sein Pferd an. Sie standen vor einer Felsspalte, die sich deutlich als schwarzer Streifen vom silbern flimmernden Gestein abhob.

»Von hier an müssen wir unsre Tiere ein Stück führen. Ich gehe voran und leuchte.«

Er ließ ein Streichholz aufflammen und zündete eine kleine Laterne an, die er seinem Pferde um den Hals hängte. Sie beleuchtete einen schmalen, steinigen Pfad, der steil aufwärts führte. Bald aber erweiterte sich die Schlucht, und das Pferd ging ohne Führung nach links, wo es vor einem großen Felsblock stehenblieb.

»Wir sind zu Hause. Warte hier, bis ich drinnen Licht gemacht habe.«

Es dauerte ziemlich lange, bis Tonio zurückkehrte.

»Laß die Tiere vorläufig hier draußen stehen. Ich führe sie nachher in den Stall. Tritt ein. Du bist herzlich willkommen!«

Sie durchschritten einen schmalen Gang, und dann nahm sie ein großer, trockener Raum auf. Es war eine Höhle, etwa zehn Meter hoch, sieben bis acht Meter breit und ebenso tief. Im Hintergrunde standen ein eiserner Ofen und ein Feldbett, in der Mitte ein roher Tisch und ein paar Stühle.

»Ganz gemütlich hier, nicht?« lächelte Tonio, als er Holzers erstauntes Gesicht sah. »Und dazu keinem Menschen bekannt. Als ich einziehen wollte, habe ich erst eine Bärenfamilie hinausjagen müssen. Nachts ist der Eingang durch ein Gitter geschützt, eine Art eiserner Harmonikatür, die ich in Cerdova billig erstanden habe. Die Höhle hat einen zweiten schmalen Ausgang, der auf der andern Bergseite ins Freie führt. Drüben ist der Stall. Du wirst das morgen früh sehen. So, nun mach dir's bequem; der Ofen wird bald gemütlich warm sein. Man kann ein bißchen Heizung immer noch ganz gut gebrauchen. Das Abendessen ist gleich fertig. Ich will nur noch eine Büchse Bohnen im Wasserbad erhitzen.«

Korbin staunte! Was für eine Behaglichkeit in dieser Wildnis! Von der Decke herab hing eine Petroleumlampe, die ein geheimnisvolles Helldunkel in den Raum fließen ließ. Auf einem Holzregal an der Felswand standen sogar einige Bücher. Neugierig griff Holzer eins heraus. Es war eine ältere Ausgabe von Miltons Verlorenem Paradies.

Tonio besorgte indessen die Tiere und deckte den Tisch mit Zinntellern. Es gab Bohnen mit Schweinefleisch, zum Nachtisch kalifornische Pflaumen, deren köstliches Aroma als zarter Duft durch den Raum schwebte. Holzer machte eine Bemerkung darüber, daß diese Art luxuriösen Lebens in der Einöde gewiß mit allerhand Kosten verbunden sein müsse.

»Ich bin nicht reich«, sagte Tonio obenhin, »aber ich könnte reich sein. Es liegen in diesem Lande die Dollars haufenweise herum – für den nämlich, der die Gegend kennt. Ich nehme davon nur so viel, wie ich eben brauche. Der Goldrausch, so sagte mein Vater, ist eine gefährliche Krankheit, und man muß sich ängstlich vor jeder Ansteckung hüten. Nur wenigen gelingt es, den raschgewonnenen Reichtum in einem geordneten, zivilisierten Leben zu genießen. Die meisten sind ihre Dollars schon wieder los, ehe sie recht begriffen haben, was sie mit ihnen hätten anfangen können. Ich freue mich drüber, daß ich dich hier losbringe. Es hätte sicherlich kein gutes Ende genommen. Was gedenkst du nun zu unternehmen mit deinem Gelde?«

Ja, freilich, wenn Korbin Holzer das nur selber gewußt hätte!

»Fünfzehntausend Dollar sind ein schönes Stück Geld«, bemerkte er nachdenklich. »In den Staaten ein kleines Vermögen; in Deutschland bereits ein ganz stattliches. Dort kann man sich ein Leben auf einer solchen Summe aufbauen.«

Tonio fragte ihn dann, wo er seine Jugend verlebt habe, und Korbin erzählte ihm offenherzig, wie es ihm auf dem Domstift zu Brixen ergangen war.

»Nach Deutschland möchte ich auch einmal«, bemerkte Tonio versonnen. »Mein Vater stammt aus Aarau. Später sind seine Eltern nach Zürich gezogen. Es soll dort Häuser geben, die noch auf römischen Fundamenten stehen. Nun, später vielleicht. Jetzt kann ich hier noch nicht fort.«

Korbin fühlte plötzlich wieder jenes tiefe Mitleid mit dem Jungen, das er schon einmal empfunden hatte. Aber er hütete sich diesmal, es zu verraten. Eigentlich wußte er ja auch nicht, worüber er es fühlte. Es war eben da.

»Wollen wir nicht schlafen, Tonio?« suchte er abzulenken.

»Bald. Leg dich nur inzwischen nieder; ich gehe noch einmal zu den Tieren hinüber, und dann mache ich die kleine Runde um den Felsen. Die Nacht wird kühl in diesem Raume. Nimm dir noch eine Decke.«

Dann schlief Holzer rasch ein. Die seelische Anspannung der letzten Tage forderte von seinem Körper ihr Recht – er hörte den Schuß nicht, der kurz nach Mitternacht unfern des hinteren Ausgangs der Höhle fiel – er hörte auch nichts von einem zweiten und einem dritten Schusse, die eine Stunde später die Stille der Nacht zerrissen.


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