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XVI

Toni Valler entschloß sich nur schwer dazu, den Zwillingen persönlich gegenüberzutreten. Der Gedanke, mit dem Mörder ihrer Eltern und Geschwister über gleichgültige Dinge reden zu müssen, immer in der heimlichen Spannung, die Worte so zu setzen, daß kein Verdacht auf ihre wahren Gefühle und Absichten aus ihnen aufspringen konnte, war ihrer offenen Natur im tiefsten Grunde zuwider. Aber die Entwicklung der Ereignisse duldete kein Ausweichen. Schließlich gab Mr. Hoods Meinung den Ausschlag:

»Sie müssen selbst einen Eindruck von den Leuten bekommen, Miß Valler«, sagte er nachdenklich. »Wenn der Mensch nicht von Beweisen leben kann, muß er seinen Wirklichkeitshunger an Gefühlen und subjektiven Eindrücken zu stillen suchen. Die Tatsachen sprechen hinterher um so deutlicher. Die Gelegenheit, die uns hier der Zufall darbietet, ist zu verlockend, als daß wir sie ausschlagen dürften.«

»Ich fürchte nur, wir tappen in eine plumpe Falle, die in aller Eile von den beiden aufgestellt worden ist, Mr. Hood«, sagte sie bedrückt. »Es geht alles so glatt, daß ich gar nicht mehr so recht an einen Zufall glauben mag.«

»Und wenn es keiner wäre?« fragte Mr. Hood zurück. »Es gibt Verbrecher genug, die mit der Gefahr der Entdeckung spielen – und so einer scheint mir der Mörder zu sein. Was wissen wir bisher eigentlich über das Motiv der Tat? Im Grunde nichts! Daß einer der Mörder das Gold nahm, das er fand – nun ja, für den oberflächlichen Beobachter mag das Motiv genug sein. Aber hat sich in Ihnen, rückschauend, nicht auch das Gefühl verstärkt, daß der ›Schweizer‹ der unbedingt Überlegene war? Trat er nicht als Befehlender auf? Er war's, der den Zeitpunkt des Treffens, ›am längsten Tage‹, bestimmte. Er schuf sich diesen Termin, um den Mitwisser der Tat unauffällig aus dem Wege zu räumen – und ist nicht denkbar, daß hinter dieser Vorsichtsmaßregel ein ganz anderer Beweggrund gestanden hat als das Gold? Das müssen wir immer im Auge behalten, um so mehr, als bisher von irgendwelcher finanziellen Schwierigkeit der Häberlins nichts, aber auch gar nichts zu beobachten ist. Sie verkehren in guter Gesellschaft, sind beim französischen Botschafter, Monsieur Poncelle, eingeführt – und dort verkehren nun einmal keine armen Schlucker. Mir scheint, als arbeiteten die beiden in irgendeinem geheimen Auftrage in den Staaten. Hatte eigentlich Ihr Vater noch Beziehungen zu seiner Heimat?«

Auf Tonis Stirn erschien eine grüblerische Falte.

»Das ist's, Mr. Hood, worüber ich oft schon fast schmerzhaft nachgedacht habe. Mein Vater war von einem Geheimnis umgeben, dessen Einzelheiten nur meine Mutter kannte. Sie sagte oft zu uns Kindern: ›Ihr müßt lernen, fleißig lernen! Drüben sieht die Welt anders aus als in unsern einsamen Bergen, und wenn ihr erwachsen seid, müßt ihr euch im alten Europa genau so zurechtfinden wie hier!‹ Dann erzählte sie uns von ihrem Studium in Zürich, von Rom, Paris und Berlin. Wir sollten auch einmal dort studieren – obwohl ich mir noch heute kein klares Bild davon machen kann, was man dazu können oder wissen muß …«

Korbin lächelte nachsichtig.

»Sie überschätzen die Weisheit der Alten Welt erheblich, Miß Valler. Ein bißchen Griechisch und Lateinisch, etwas Mathematik – neuerdings geht es übrigens auch ohne Griechisch ab, und da können Sie ganz froh darüber sein, denn das ist ein ganz gemeiner Brocken – ich glaube, Sie könnten nach einem halben Jahre Ihre Reifeprüfung machen und fröhlich drauflos studieren, wozu Sie Neigung haben – aber ich unterbrach Sie …«

»Ja, mein Vater … er hat mir ein großes Vermögen hinterlassen. Sie wissen schon darum, Mr. Hood?«

»Ich weiß mir, daß Mr. O'Shennan, der Distriktssheriff, ein Testament eröffnet hat, und daß Sie naturgemäß als einzige Erbin …«

»Nun also, Sie müssen das natürlich erfahren, und eigentlich wollte ich schon gestern mit Ihnen darüber sprechen, aber da hatte ich den Kopf voll von Mr. Holzers Vorschlag, mich mit den Brüdern Häberlin persönlich bekannt zu machen. Vorige Woche wurde ich auf das Nachlaßgericht bestellt, wo mir der letzte Wille meines Vaters eröffnet wurde. Es ist das alles so traurig – meine Geschwister sind tot, und ich erbe nun allein. Es hängt noch von einigen Formalitäten ab, aber dann – ja, ich erfuhr also zu meinem Erstaunen, daß mein Vater ein großes Vermögen in Europa angelegt hat – in allerhand Wertpapieren, von denen ich nichts verstehe, und die von der Schweizer Nationalbank verwaltet werden – mehr als siebenhunderttausend Goldfranken – und daneben sind noch eine ganze Menge bergbauliche Rechte auf seinen Namen eingetragen, die bereits zum Verkaufe stehen. Eine Gesellschaft will die Ausbeutung übernehmen. Der Anwalt meines Vaters verhandelt über den Preis. Ich könnte ja nun diese Verhandlungen abbrechen, aber ich weiß wirklich nicht, was richtig ist und was ich tun soll. Man bietet mir eine phantastische Summe – und die Verhandlungen für die Gesellschaft führen – ich erfuhr es gestern abend durch den Anwalt – die Gebrüder Häberlin.«

»Wer?«

»Die Gebrüder Häberlin als Beauftragte der C.M.C., der ›Cerdova Miners Company‹.«

»Das – ist ja ganz was Neues!« staunte Korbin. »Da fällt mir ein, daß die beiden von ihrer Tätigkeit in den Staaten eigentlich noch kein Wort gesprochen haben. Georg macht kein Hehl daraus, daß er im Cerdova-Distrikt Gesteinsproben fachmännisch untersucht und Goldvorkommen auf ihre bergmännische Abbauwürdigkeit geprüft hat. Aber er suchte wohl den Eindruck zu erwecken, als habe er das nur so ganz nebenher und gewissermaßen aus persönlicher Liebhaberei getan, mehr zur Bereicherung seiner Welt- und Länderkenntnis als zur Füllung seines Geldsackes. Dann wäre das Angebot an Mr. Hood doch vielleicht kein Scheingebot gewesen?«

Mr. Hood lachte nervös.

»Schade! Vielleicht wäre ich auf meine alten Tage noch ein reicher Mann geworden, wenn das Geschäft zustande gekommen wäre. Nun, ich werde bei der Leitung der C.M.C. bald Näheres über die beiden erfahren!«


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