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Fräulein Alliot

Zu der Zeit, da der Polenkönig Stanislaus Leszinski in Luneville residierte, trug sich eine Geschichte zu, die unterschiedlichen Gerichten Gelegenheit gab, ein wundernswertes Zeugnis von Scharfsinn abzulegen.

Der Haushofmeister des Königs nämlich, Alliot, ein aus Luneville gebürtiger, sehr angesehener aber nicht besonders begüterter Mann, war Vater von sechs Söhnen und zwei Töchtern; die ältere war dreiundzwanzig Jahre alt, aber trotz ihrer Anmut und Liebenswürdigkeit noch nicht verheiratet. Ein Freund der Familie, der sich eifrig für ihr Wohl mühte, suchte für Fräulein Alliot eine vorteilhafte Verbindung. Er wandte sich an Herrn de Pont, Rat am obersten Gerichtshof von Nancy, und schlug ihm die junge Schöne für seinen Sohn vor. De Pont war aber nicht geneigt, darauf einzugehen: das Fräulein war ihm nicht reich genug.

Bald darauf starb der Rat. Der eifrige Freund machte nun einen Versuch bei dem Sohne selbst, der noch nicht zwanzig Jahre alt war; doch auch dieser bezeugte keine Lust, die ihm vorgeschlagene Ehe einzugehen. Aber seine Angehörigen ließen es sich angelegen sein, den jungen Mann zu anderer Gesinnung zu bringen: Seiner Mutter, seinem Oheim und seinem Schwager hätte die Verbindung mit der angesehenen Familie Alliot geschmeichelt. Ihren Anstrengungen gelang es endlich, den jungen Menschen zu bewegen, nach Luneville zu gehen, um Fräulein Alliot wenigstens kennen zu lernen.

Aber auch Fräulein Alliot empfand durchaus kein Vergnügen bei dem Gedanken an eine Verbindung mit einem jungen Mann, den sie nicht kannte und nie gesehen hatte. Als sie hörte, daß de Pont ihretwegen nach Luneville kommen werde, machte sie ihrem Vater aus ihren Empfindungen keinen Hehl; der aber erklärte ihr, sie müsse den Freier sehen und, wenn er um sie anhalte, die Seine werden. Als sie sich weiterhin widerspenstig zeigte, drohte er ihr mit seinem Zorn und sperrte sie in ihr Zimmer und von der Außenwelt ab. Auch die Mutter war durchaus auf seiten des Herrn Alliot, sie sparte keine Liebkosung, um die Tochter zur Vernunft zu bringen, und drohte ihr am Ende, sie zu enterben und sie ihr ganzes Leben lang eingesperrt zu lassen. Aber die Tochter beharrte bei ihrem Widerstand.

Der betrübte Vater teilte dem König seinen Kummer mit. Stanislaus ließ die junge Dame zu sich kommen, hörte sie zuerst gütig an und versuchte sie dann zu trösten und zu überreden. Aber auch er vermochte nichts über die Eigensinnige, am Ende wurde er empfindlich und schickte sie mit den Worten fort: »Es gibt für Sie keinen anderen Ausweg, mein Fräulein, als Ihren Eltern zu gehorchen.«

Die Schöne brachte mit Tränen zehn weitere Tage in ihrer Haft zu, da fand endlich die gefürchtete Zusammenkunft statt. Der Anblick des jungen Mannes machte auf ihren stolzen Sinn keinen Eindruck, er entzündete keine Liebe, und dem unfreiwilligen Freier ging es mit ihr nicht besser. Sie schien niedergeschlagen und nahm eine geringschätzige Miene an; er blieb kühl und gleichgültig.

Kaum nach Nancy zurückgekehrt, ohne eine Werbung vorgebracht zu haben, wurde er aufs neue von seinen Verwandten gedrängt; voller Verdruß wollte er Lothringen ganz verlassen, um der verwünschten Heirat zu entgehen. Man gab sich alle Mühe, ihn von seinem Vorsatz abzubringen. Seine Mutter teilte ihm im Auftrage des Königs mit: wenn er in seinem Ungehorsam beharre, solle er das Amt seines Vaters verlieren und keine Hoffnung haben, ein anderes zu erhalten; ja, mit ewiger Verbannung und Entziehung der väterlichen Erbschaft wurde ihm gedroht. Der junge de Pont wurde am Ende mürbe und ließ sich bewegen, nach Luneville zurückzukehren. Fräulein Alliot geriet in Verzweiflung. Sie machte einen Selbstmordversuch, was ihre Familie nicht daran hinderte, auf der Verbindung mit dem reichen Werber zu bestehen. Einem Geistlichen gelang es endlich, das junge Mädchen zu überreden, so daß es sich in sein Geschick fügte.

Der Tag der Trauung kam heran. Der Erzbischof von Besançon, der König Stanislaus selbst beehrten das Fest mit ihrer Gegenwart. De Pont trat mit Fassung in die Kirche, Fräulein Alliot dagegen schwach und zitternd; kaum vermochte sie ein »Ja« zu stammeln. Die Hochzeit wurde mit königlichem Prunk auf dem Schlosse gefeiert; um Mitternacht kehrte man in das Alliot'sche Haus zurück. Man ließ, trotz allen Weinens der jungen Frau, das Ehepaar im Schlafgemach allein. Es war die seltsamste Brautnacht, die man sich denken kann. Die jungen Eheleute blieben sich fern, seufzten, klagten über die Tyrannei ihrer Eltern und Verwandten, am Ende verließ de Pont Zimmer und Haus und kam erst am nächsten Mittag wieder.

Alles was die beiderseitigen Familien auch versuchten, um die jungen Leute zu veranlassen, die Ehe wirklich zu vollziehen, schlug fehl; es ward auch nicht anders, als die junge Frau oder richtiger: Fräulein Alliot ihrem Gatten nach Nancy folgen mußte. Um dem Zusammenleben zu entgehen, entfloh sie am Ende zur Superiorin der Predigernonnen von Nancy und bat sie, sich ihrer zu erbarmen und sie ins Kloster aufzunehmen. Die Superiorin frug bei Herrn Alliot an, ob er seine Erlaubnis dazu gäbe, und am Ende entschloß sich dieser, seine Tochter wieder nach Hause zu nehmen.

Von dem Augenblick an hörte jede Verbindung zwischen ihr und ihrem Ehemann auf. Sie sah ihn nicht mehr, sie hörte nichts mehr von ihm – bis zum 3. Januar 1760, an welchem Tage Frau de Pont vor die Behörde von Toul zitiert wurde, weil ihr Gatte beantragt hatte, die Ehe für nichtig zu erklären. Nichts konnte ihr willkommener sein; sie unterstützte ihrerseits das Gesuch de Ponts. Beide erklärten eidlich, daß die Ehe nicht vollzogen sei, – wodurch allein eine Nichtigkeitserklärung möglich gemacht wurde – und da endlich die Familien müde geworden waren, den Bund erzwingen zu wollen, ging der Prozeß, so rasch es bei dem damaligen Gerichtsverfahren möglich war, seinem Ende entgegen. Da trat ein Umstand ein, der ihn sehr in die Länge ziehen sollte.

Frau de Pont, die spröde Schöne, verliebte sich zum erstenmal.

Bei einem der Feste, die König Stanislaus gab, sah sie den jungen, ritterlichen Chevalier de Beauveau. Die Blicke trafen sich, und die Herzen schlossen einen Bund. Die Familie der jungen Frau hatte gegen den Chevalier nicht das mindeste einzuwenden: sobald die Ehetrennung verkündet worden war, sollte die neue Heirat stattfinden.

Aber die Liebenden wurden des Harrens müde. Sie betrachteten sich schon als Eheleute: ihre Heirat war ja gewiß! – Das frühere Fräulein Alliot bewahrte nicht den keuschen Stolz, den sie de Pont gegenüber bewiesen hatte.

Nach einigen Monaten mußte die junge Frau ihrem Vater das Geständnis ablegen, daß sie sich Mutter fühle. Herr Alliot war vernünftig genug, jetzt nicht mehr mit Enterbung und Vaterfluch zu drohen; er empfahl die größte Vorsicht, um jedes Aufsehen zu vermeiden. Drum trieb er seine Tochter an, unter irgendeinem Vorwand nach Paris zu reisen, um dort ihre Stunde zu erwarten. Es geschah; sie mietete sich in einem stillen Quartier ein. Beauveau, davon unterrichtet und mit allem einverstanden, folgte ihr heimlich und wurde ihr Tröster und Schützer in der Hauptstadt.

Sie gebar einen Knaben, der in das Pfarregister der Madelaine unter dem Namen Basile Aimable, unehelicher Sohn von Ferdinand Jérôme de Beauveau und von Fräulein Marie Louise Alliot eingetragen wurde. Der Chevalier unterzeichnete den Taufschein als Vater.

Beauveau war offenbar nicht so vorsichtig gewesen wie der alte Alliot. Man entdeckte den Aufenthalt der jungen Frau, und kurze Zeit schon nach ihrer Niederkunft drang um Mitternacht ein Gerichtsbeamter bei ihr ein, welcher sie – trotz allen Protestierens von seiten Beauveaus – zu Protokoll vernahm und folgende Erklärung von ihr unterschreiben ließ:

Ich heiße Louise Marie Alliot und bin die Tochter des Herrn Alliot, welcher der Oberhaushofmeister des Königs Stanislaus ist. Ich bin nicht die wahre Ehegattin des Herrn de Pont, denn uns hat nichts als die Heiratszeremonie verbunden. Diese Ehe ist keine Ehe; übrigens schwebt in bezug auf sie ein Prozeß vor den Behörden von Toul.

Der Beamte entfernte sich, und Beauveau, der ahnte, was diese Protokollierung bedeuten solle, schrieb sofort folgende Urkunde:

Ich, Ferdinand Jérôme de Beauveau, verspreche vor Gott und den Menschen, und bei allem, was einem Menschen von Religion und Ehre heilig ist, daß ich Fräulein Marie Louise Alliot heiraten will, sobald die Behörden, wie rechtens, ihre angebliche Ehe mit dem Herrn de Pont für nichtig und ungültig erklärt haben. In der innigsten Überzeugung, der wir beide sind, daß sie frei ist, und nach der genausten Wahrheit haben wir in der Kirche der heiligen Maria Magdalena zu Paris unter meinem und ihrem Namen ein Kind männlichen Geschlechts taufen lassen, dem der Name Basile Aimable beigelegt wurde. Ich erkläre, daß dieses Kind das meine ist, so wie ich es auch in den Registern der Pfarrei habe verzeichnen lassen. Ich nehme noch einmal Gott zum Zeugen und alle, welche diese Urkunde lesen werden, daß es mein Wille ist, durch die Verheiratung mit der Mutter dieses Kind zu legitimieren und ihm den ihm gebührenden Stand in der Welt zu geben, wie die Gesetze der Ehre es mir gebieten, die Religion, und meine Liebe für die Mutter und für den Sohn.

So geschehen zu Paris, am 24. Januar 1760.

Der Chevalier de Beauveau.

Die Familie Beauveaus hatte aber alles Interesse daran, zu verhindern, daß Basile Aimable als eheliches Kind des Chevalier anerkannt würde. Im Hause Beauveau gab es nämlich ein Majorat, das von Sohn auf Sohn überging. War Basile Aimable legitimiert, so hatte er Anspruch auf ein sehr beträchtliches Vermögen. Drum gaben sich die Verwandten des Chevalier alle Mühe, sein Kind einer fremden Familie aufzuhalsen. Sie selbst traten nicht hervor, aber sie wußten sich zuverlässige Helfer zu verschaffen:

Larralde, ein Bürger von Paris, hatte sechs Freunde, bieder wie er selbst. Diese sechs und ihn kränkte es tief, daß ein armes, heimlich einer Ehefrau geborenes Kind der Rechte, die seine Abstammung ihm gab, verlustig gehen sollte. Sie wandten sich daher schon am Tage nach der Taufe Basiles an einen Notar und gaben vor demselben zu Protokoll: Sie hielten es für ihre Christenpflicht, sich eines armen, bei Abwesenheit des Vaters zur Welt gekommenen Knaben anzunehmen; man habe Basile Aimable fälschlich als uneheliches Kind in das Taufregister eingetragen, in Wirklichkeit sei er der Sproß einer kirchlich eingesegneten Ehe. Sie stellten darum den Antrag, daß der Bürger Larralde zum Vormund des Minderjährigen bestellt werde und den Auftrag erhielte, dem Kinde die Rechte, auf die ihm seine Geburt Anspruch gebe, zu erstreiten.

Und Larralde wurde wirklich vom Gerichte zum Vormund ernannt. Als er die Bestallung in der Tasche hatte, kümmerte er sich keinen Augenblick um seinen Schutzbefohlenen, er ließ ihn nicht in sein Haus bringen, sich ihn nicht einmal zeigen; er lernte ihn überhaupt nicht kennen. Er flog nach Toul, wo eben die letzten Verhandlungen in dem Prozeß des jungen de Pont und seiner Gattin stattgefunden hatten. In einigen Tagen sollte das Urteil erfolgen.

Larralde ließ sich vernehmen und erklärte vor Gericht, Herr de Pont und seine Frau hätten mit dem Tribunale ihr Spiel getrieben und trieben es noch: Ihre Ehe wäre in Wirklichkeit vollzogen worden, und sie hätten nur bei der Taufe ihres Kindes nicht den Namen des wirklichen Vaters angegeben, und so das Gericht betrogen.

Das geistliche Gericht von Toul, das über die Ehetrennung zu entscheiden hatte, frug bei dem Zivilgericht an, wie es mit Larraldes Berechtigung als Vormund stünde, und welches die gesetzmäßige Stellung des Kindes sei.

Larralde spielte nun ein doppeltes Spiel. Den geistlichen Richtern, die über die Gültigkeit der Ehe zu entscheiden hatten, sagte er: »Ihr müßt erklären, Herr de Pont sei nach Gesetz und Recht der Ehemann, weil er Vater ist: die Prüfung der Paterschaft steht euch ja nicht zu.«

Zu den bürgerlichen Richtern aber sprach er: »Ihr müßt Herrn de Pont für den Vater des Kindes erklären: er ist ja der Ehemann; und das Kind Basile Aimable ist sein Sohn, weil es während der Ehe geboren wurde.«

De Pont sowohl als die Geliebte Beauveaus erhoben nun, da sie beide bezweifelten, sich vor den Gerichten in Toul ein günstiges Urteil erstreiten zu können, beim Parlament in Nancy Klage gegen Larralde und verlangten, daß ihm die Eigenschaft und die Rechte eines Vormunds entzogen würden. Der Gerichtshof daselbst willfahrte ihrem Antrag; ferner verbot er dem ehemaligen Fräulein Alliot und dem Herrn de Pont, den Vorladungen des Pariser Gerichtes zu folgen, an das Larralde seinerseits sich nun gewandt hatte. So waren jetzt vier verschiedene Gerichtshöfe mit einer und derselben Angelegenheit befaßt.

Das Gericht in Paris nun, um sicher zu gehen, daß die weiteren Verhandlungen vor ihm geführt würden, ordnete die Verhaftnahme der Frau de Ponts an. Diese hörte noch zu rechter Zeit, was ihr bevorstand: sie floh in die Schweiz. Von dort aus richtete sie ein schriftliches Gesuch an den obersten Gerichtshof von Paris: man möge sie doch vor den Nachstellungen Larraldes sichern.

Nun zog das oberste Gericht die Untersuchung der ganzen Angelegenheit an sich und lud sämtliche Beteiligte vor seine Schranken. Beredt trugen der Chevalier de Beauveau und seine Geliebte den Richtern ihre Geschichte vor, sie deckten die geheimen Motive Larraldes und seiner Hintermänner auf und baten, der Gerichtshof möge der Wahrheit und dem gesunden Menschenverstand zum Siege verhelfen und zwei Menschen, die sich innig liebten, eine dauernde Verbindung ermöglichen.

Am 17. Juni 1761 wurde das Urteil gefällt. Larralde wurde seiner Stellung als Vormund enthoben und zu einer Geldstrafe verurteilt; über die Gültigkeit der Ehe aber sollte das geistliche Gericht von Toul, das zuerst mit der Sache befaßt gewesen war, entscheiden.

Dieses nun erklärte die Ehe zwischen Herrn de Pont und Fräulein Alliot für zu Recht bestehend: es sei den beiden ein Kind geboren worden, was beweise, daß die Vermählung wirklich vollzogen worden sei.

Also blieb Basile der Sohn, die Geliebte Beauveaus die Frau des Herrn de Pont.

Der Respekt vor dem Gerichtshofe ging jedoch bei dem Chevalier sowohl als bei Frau de Pont bedauerlicherweise nicht so weit, daß sie auch ihr privates Leben diesem weisen Urteil gemäß einrichteten: sie blieben zusammen, und Herr de Pont trat ihnen willig den Sohn ab, auf den er so wenig Anspruch machen konnte.

Kollwitz


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