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Mordlust

Gesche Margaretha Gottfried

Die Witwe Gottfried war eine pausbäckige, für ihre vierzig Jahre noch recht hübsche Frau, und wundernswert erschien es, wie sie, trotz der schweren Schicksalsschläge, von denen sie betroffen, so völlig sich ihren frommen Glauben und ihre freundliche Gemütsart bewahrt hatte. Durch ihr vieles Unglück war sie in Bremen stadtbekannt geworden: hatte sie doch in vierzehn Jahren nicht weniger als dreizehn Särge bei ihrem Gegenüber, dem Tischler Bolte, bestellen müssen, und alle für liebe, teuere Angehörige. Das Mitleid mit der schwergeprüften Frau war allgemein. Manche erinnerten sich ihrer noch mit Rührung als holdseliger Jungfrau, deren Schönheit die Augen vieler achtbarer Männer auf sich gezogen. Einige meinten zwar, daß sie, in den heiligen Ehestand getreten, sich nicht ganz untadelig bewiesen und schon bei Lebzeiten des ersten Mannes mit dem zweiten in trautem Verkehr gestanden. Aber die solches vermuteten, wußten auch zugleich: jener hatte ihr durch sein wüstes Leben Anlaß zur Sünde gegeben; ja, weil er seine Schuld gegenüber dem reinen Weibe wohl erkannte, diesen Umgang gewissermaßen als Ersatz für seine eigene Lasterhaftigkeit zugelassen und nicht ungern gesehen. Wie dem auch sei – hatte sie gefehlt, so war das reichlich ausgewogen worden durch ihre Leiden und ihr ganzes späteres Leben. Bescheiden gegen Höhere, gegen Untergebene die Leutseligkeit selbst, war sie überall beliebt und gern gesehen. Ihre Dienstboten hingen mit rührender Treue an ihr. Bewerber näherten sich, wie einst der Jungfrau, so jetzt noch der Witwe; viele Familien hätten die gemütvolle Frau mit ihren feinen Sitten, ihrem hübschen Vermögen, gern in ihren Schoß aufgenommen. Aber sie pflegte alle Anträge freundlich abzulehnen: sie habe es ihrem seligen Gottfried versprochen, nicht wieder zu heiraten.

Also alleinstehend besuchte sie in christlichem Wohltätigkeitssinn die Lager der Kranken, pflegte sie liebevoll und teilte an die Armen Spenden weit über ihre Kräfte aus. Kein Wunder drum, daß der damals – in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts – berühmteste Bremer Pastor, daß Dräseke selbst sich gedrungen fühlte, von der Kanzel herab für die »christlich starke Dulderin« öffentlich Fürbitte einzulegen, auf daß der Herr sie vor weiterem Ungemach bewahren möge.

 

Frau Gottfried wohnte in einem ihr gehörigen hübschen Hause in der Pelzergasse. Die Zimmer, die sie selbst inne hatte, waren mit Teppichen, Blumen, Kupferstichen und all den Kleinigkeiten, welche den Aufenthalt angenehm machen, hübsch ausgestattet. Auch eine Bibliothek, hauptsächlich aus religiösen Erbauungsbüchern bestehend, fehlte nicht. Diese Wohnung wollte Frau Gottfried beibehalten, aber das Haus suchte sie zu verkaufen. Lange fand sich niemand, der es erstehen wollte. Das Anwesen, in dem so zahlreiche Todesfälle aufeinander gefolgt waren, schien vielen Leuten eine Stätte, die Unglück bringen müsse; und vollends schreckte die Bedingung ab, die Witwe Gottfried als Mieterin im Hause zu behalten; denn so beliebt und angenehm sie auch war: in ihrer Nähe schien das Unheil zu lauern.

Ein junger Radmachermeister namens Rumpf spottete des Aberglaubens und brachte im Jahre 1825 das Haus an sich. Zu Anfang schien er allen Grund zu haben, mit seinem Entschluß zufrieden zu sein. Man konnte sich kein angenehmeres Verhältnis denken als das zwischen dem Käufer und seinen Angehörigen und der früheren Hausbesitzerin. Die freundliche Witwe, welche für niemand in der Welt zu sorgen hatte, lebte nur für die Rumpfsche Familie. Aber kaum acht Wochen, nachdem diese eingezogen war, starb die Gattin im Wochenbette. Sie hatte die Entbindung glücklich überstanden, als Durchfall und heftiges Erbrechen sich einstellten, welche den Tod zur Folge hatten.

Niemand konnte sich trostloser und liebevoller zeigen als Frau Gottfried. Sie war nicht vom Krankenlager der Armen gewichen. Die Sterbende sah, als der Tod an sie herantrat, nur darin einen Trost, daß sie eine solche Pflegerin für ihr verwaistes Kind, für ihren lieben Mann im Hause wußte. Sie ließ ihr das teuere Vermächtnis, für beide zu sorgen. Frau Gottfried erfüllte redlich den Willen der Toten. Sie pflegte das Kind, sie besorgte die Wirtschaft, die Küche, sie munterte durch ihre Unterhaltung und religiösen Zusprüche den tiefbetrübten Mann auf. »Tante Gottfried«, so hieß sie in der Familie.

Aber das Unglück, das Rumpfs Freunde prophezeit hatten, rückte darum doch sichtbar näher. Bald erkrankte die für den Säugling in Dienst genommene Amme, desgleichen die Hausmagd. Bei beiden stellte sich ebenfalls Durchfall und Erbrechen ein. Die Amme erklärte, in dem Hause könne sie nicht gesund werden, und ging in ihre Heimat zurück.

Nun erbrachen sich Gesellen und Lehrlinge. Einer der letzteren lief auch fort. Rumpf selbst fing, wenige Monate nach dem Tode seiner Frau, an demselben Übel zu leiden an. Als strenger und tätiger Mann glaubte er nicht an das Unwohlsein bei den sonst kerngesunden Burschen, er meinte, sie wollten sich nur über ihn lustig machen und spielten Komödie. Er fuhr mit harter Züchtigung unter sie; aber ohne Erfolg.

Das eigene Unbehagen des Meisters ward immer größer. Was für Speisen er auch zu sich nahm, sie erregten ihm das fürchterlichste Erbrechen. Seine frühere blühende Gesundheit sank von Tag zu Tag. Zuerst wollte er sich selbst kurieren, er hielt seine Krankheit für die Folgen einer Magenerkältung. Aber weder die eigenen, noch die Mittel des Arztes schlugen an.

Eine niederdrückende Schwäche hatte sich seines Körpers bemeistert. Der kräftige, rüstige Mann war mutlos und träge geworden. Er scheute die geringste körperliche und geistige Anstrengung. Zehen und Fingerspitzen hatten das Gefühl verloren, und ihn quälte die entsetzlichste Angst, daß er wahnsinnig werden könnte.

Gleich als suche er einen verborgenen Schatz durchstreifte er sein Haus vom Keller bis zum höchsten Boden. Er meinte, in der Örtlichkeit den geheimen Grund zu entdecken, warum er und so viele vor ihm krank geworden. Rumpf dachte an eine verderbliche Zugluft, und darum verschloß und öffnete er abwechselnd alle Türen; alle Ritzen verstopfte er. Vielleicht dunstete der Fußboden, irgendein vermoderter Stoff konnte in ihm Gift erzeugen. Er lüftete die Dielen. Alles vergebens.

Fast schien ihm jetzt selbst, daß es wirklich geheimnisvolle Mächte gäbe, welche die Sinne der Menschen verrückten und ihren Körper heimlich verwüsteten. »Tante Gottfried« war dem armen Leidenden der einzige Trost. Sie pflegte ihn mit mehr als mütterlicher Sorgfalt. Jeden Morgen war sie als erste da, um sich zu erkundigen, wie er geruht, und wenn sie hörte, daß er wieder eine schmerzenvolle Nacht durchwacht, wünschte sie ihm etwas von dem sanften Schlafe, womit Gott sie erquicke.

 

So ging das geraume Zeit. Einmal – es war schon im Jahre 1828 – ließ sich Rumpf für seine Haushaltung ein Schwein schlachten. Von einem ausgesuchten Stücke, welches ihm der Metzger brachte, genoß er etwas und verschloß das übrige in einen Schrank. Das Fleisch war ihm ausnahmsweise sehr wohl bekommen; also wollte er am folgenden Tage den Rest verzehren. Wie er aber den Schrank wieder öffnete, bemerkte er, daß der Speck nicht mehr in seiner alten Lage war. Rumpf hatte die Schwarte nach unten gelegt; jetzt fand er sie oben. Als er den Speck umkehrte, entdeckte er zu seinem Erstaunen weißliche Körner darauf. Er erinnerte sich, daß er vor etwa einem Jahr auf dem Salat einmal ähnliche Körner erblickt und, da er sie für Zucker gehalten und süßen Salat nicht liebte, nichts davon gekostet hatte; ferner, daß er vor einiger Zeit nach dem Genuß einer Fleischbrühe sich übel befunden, in welcher er auch so etwas Weißes als Bodensatz bemerkte.

Er rief Tante Gottfried. Diese erklärte die Körner für Fett.

Aber jetzt stieg eine Ahnung in dem Unglücklichen auf, er schwieg und rief in der Stille seinen Hausarzt. Die weiße Substanz wurde abgestreift, durch einen geschickten Chemiker untersucht, und es fand sich darin eine nicht unbedeutende Beimischung von Arsenik.

Dies geschah am 5. März. Gleich am folgenden Tag wurde dem Kriminalgericht Anzeige gemacht; in der Stadt verbreiteten sich die abenteuerlichsten Gerüchte. Die Behörde begab sich in das Rumpfsche Haus; Frau Gottfried wurde krank im Bette gefunden. Nach einem Verhör ließ man sie indessen beim Eintritt des Abenddunkels ins Stadthaus abführen.

 

Hier versuchte sie anfänglich zu leugnen; aber Kraft und Mut sanken ihr, da nun der ehrbare Schein, der sie durch so lange Jahre aufrecht erhalten, hingeschwunden war. Mit Erstaunen und Entsetzen zogen die Wärterfrauen der wohlgebildeten Frau Gottfried, als sie dieselbe der Vorschrift zufolge entkleiden mußten, dreizehn Mieder aus, die sie übereinander trug. Ihre lieblichen roten Wangen waren Schminke, und nachdem alles, was durch Toilettenkünste erzielt worden, entfernt war, stand an der Stelle der blühenden, stattlichen Dame vor den erschreckten Weibern ein blasses, angstvoll verzerrtes Gerippe. Daß man ihr die äußere Larve abriß, dies mehr als alles andere ward die Ursache ihres geistigen Zusammenbruches. Sie verlor die Spannkraft, die Macht zur Lüge. Sie bekannte, aber nicht gestachelt durch die Qual des Gewissens; sie gestand nicht mit einem Male, es war ein fortgesetztes zweijähriges Bekennen, und auch durch dies Bekennen zog sich ein fortgesetztes neues Lügengewebe. Keine großgeartete Lüge war es, die sie hätte vom Untergang retten können, sondern ein kleinliches Ableugnen, um, nachdem das Gräßlichste heraus war, noch hier und dort einen Anhalt, eine kleine Entschuldigung zu gewinnen; letzte Versuche, mit sich schön zu tun und Mitleid und Interesse zu erregen.

Das ungeheure Leichentuch, unter dem ihre Opfer ruhten, deckte sie nicht mit einem Male auf, aber sie hatte doch nach den ersten Verhören schon genug bekannt, um das Leben zehnfach verwirkt zu haben; die Untersuchung wurde deshalb nicht mit der Eile geführt, die bei anderen Verbrechen nötig ist, wo Spuren, die verloren gehen könnten, verfolgt werden müssen.

Man hegte vielmehr das Scheusal aus wissenschaftlichen Gründen sorgsam so lange, bis ihr ganzer Lebenslauf – trotz all ihrer Winkelzüge und kleinen Täuschungsversuche – einigermaßen klar vor Augen lag.

 

Frau Gottfried war die Tochter eines den unteren Ständen angehörigen, aber angesehenen Bremer Frauenschneiders namens Timm. Im Jahre 1785 war sie ihm mit einem Zwillingsbruder geboren worden.

Der Sohn, auf den Namen Johann Christoph getauft, machte den Eltern wenig Freude. Auf der Wanderschaft geriet er in liederliche Gesellschaft, wurde verführt, krank, kostete den Eltern viel Geld und ließ sich endlich als Husar im Napoleonschen Heere anwerben.

Das Mädchen aber, Gesche Margaretha, wurde die Wonne und der Augapfel beider Eltern. Von der zartesten Gestalt und feinsten Bildung war sie, und von früh an lag etwas Ätherisches über ihrem ganzen Wesen. Anmutig und lieblich im Benehmen, mit einem freundlichen, hübschen, offenen Gesicht, war die Kleine überall gern gesehen und wurde von den Erwachsenen geliebkost und gehätschelt.

Schon sehr früh mußte Gesche die Schule besuchen. Ihre Gespielinnen hatten Taschengeld, das sie zu Näschereien benutzten. Gesches Eltern gaben ohne Not keinen Groten her. Gesche half sich selbst. Wenn sie von der Mutter ausgeschickt wurde, um Weißbrot zu holen, brachte sie unter den größeren einige kleinere und erübrigte sich dadurch manches Kupfer- und Nickelstück. Damals war sie sieben Jahre alt.

Der Betrug wurde nicht entdeckt. Das war eine Aufmunterung. Gesche ging zu eigentlichen Diebstählen über. Sie entnahm der Tasche ihrer Mutter einen, zwei, zwölf Groten. Der Verlust blieb zwar nicht unbemerkt; welche Mutter sollte aber einen Verdacht werfen auf so ein liebliches, offenes Kind, auf den »Engel von Tochter«, wie beide Eltern ihre Gesche nannten? Das verschlossene, menschenscheue Wesen Johann Christophs lenkte den Argwohn weit eher auf sich; und Gesche schwieg zur Verdächtigung ihres Bruders.

 

Fünf Jahre setzte sie diese Diebereien fort, ohne daß ein Verdacht auf sie fiel, fünf Jahre heuchelte sie bei diesen kleinen Sünden ein unschuldiges Wesen und ward, nach wie vor, geliebt, gestreichelt und belohnt. Elf Jahre alt, vergriff sie sich an fremdem Eigentum und entwendete einer alten Mamsell, die bei Timms zur Miete wohnte, eine bedeutendere Summe. Der Diebstahl wurde entdeckt, die Täterin nicht. Alles ward vergebens durchsucht, der Vater dachte schon an seinen Sohn, da rief die Mutter: »Warte nur, Vater, ich will schon hinter die Wahrheit kommen!« Sie ging fort, kam nach einer halben Stunde nach Hause zurück und sprach mit zuversichtlicher Miene: »Ich habe den Dieb gesehen! Einer klugen Frau in der Neustadt habe ich's geklagt. Die holte einen Spiegel, und wie ich hineinsehe, steht der Dieb da und guckt über meine Schulter.« Die Mutter hatte ihre Tochter dabei scharf ins Auge gefaßt, wenigstens kam es der so vor; »das ist dein Gesicht gewesen,« dachte sie und hat nie mehr im elterlichen Hause etwas zu entwenden gewagt. Aber eigentlich war doch nichts herausgekommen, sie stand vor der Welt so rein da als vorher, und war nach wie vor der »Engel« ihrer Eltern.

In ihrem zwölften Jahre ward Gesche aus der Schule genommen und mußte im Hause, an Stelle der abgeschafften Dienstmagd, alle Arbeiten verrichten, zugleich auch für den Vater nähen.

Die Tochter zeigte sich in allem so genügsam, daß sie sich über die kleinsten Dinge freuen konnte, sie war entzückt über das Kuchenbrot, das ihr als Geburtstagsgeschenk gegeben wurde, und sagte alle Gebete, welche die Mutter sie gelehrt, mit buchstäblicher Treue. Sie trug die Almosen für Vater und Mutter aus, und schon früh ward ihr eingeprägt, wie hohen Wert solche Wohltätigkeit hätte, und daß die Danksagung der Armen göttlichen Lohn verheiße.

Ihr Sonntagsvergnügen war, mit einigen Freundinnen in einem Nachbarhaus Komödien zu agieren. Sie spielte am besten und bekam drum auch die ersten Rollen; sie war die Schönste, und man schmückte sie mit Bändern und Steinen.

Und so karg auch die Eltern waren, sie taten doch für die weitere Ausbildung ihrer Tochter mehr, als damals in ihrem Stande Sitte war. Gesche – oder Gesina, wie sie sich jetzt zu nennen liebte – lernte französisch; das heißt, sie erhielt Unterricht in dieser Sprache. Da es ihr aber zu langweilig wurde, ließ sie sich ihre Arbeiten von einem Freunde anfertigen, korrigierte aber sorgsam immer ein paar Fehler hinein.

 

Wie ihre Schönheit, so wuchs die Liebe ihrer Eltern zu der vorzüglichen Tochter, die Vater und Mutter auch nicht den geringsten Kummer verursachte, während der Bruder ein ausschweifendes Leben in Hamburg und Paris führte, Schulden machte, und bereits anfing, als verlorener Sohn zu gelten.

 

Um die Sechzehnjährige schon hatten sich vier Freier beworben, aber der Vater wies sie ab.

Als sie eines Abends, von einer Freundin begleitet, zum erstenmal im wirklichen Theater war, drängte sich in der Loge des zweiten Ranges, wo sie saß, ein dicker vornehmer Herr an Gesina, der sie mit Artigkeiten überschüttete, und auch nachher, wiewohl umsonst, dem schönen Mädchen nachstellte. In der Person eines Nachbarn, dem Sohn des reichen Miltenberg, erwuchs ihr aber ein Beschützer, welcher sich während der Aufführung zwischen den galanten Herrn und das hübsche Mädchen drängte und sie dann aus dem Theater nach Hause begleitete.

Von da an ging Miltenberg immer vor des alten Timm Hause vorüber, wenn Gesina mit dem Besen davor kehrte; und Gesina fand, daß das Wasser im Miltenbergschen Brunnen das beste in der Straße sei, und holte es daher von dort. Auch kaufte sie im Sattlerladen, wenn der junge Miltenberg bediente, manche Kleinigkeit, und Miltenberg geleitete sie stets hinaus. Auf ihrer Seite war mehr Eitelkeit als Liebe im Spiel. Miltenberg konnte nicht gerade als die Idealgestalt für ein junges Mädchen gelten, noch war er sehr zum Beschützer der Unschuld geeignet. Verzärtelter einziger Sohn seines wohlhabenden Vaters, hatte er schon vor seiner ersten Ehe ein wüstes Leben geführt. Eine ältliche Dirne hatte ihn in ihre Netze zu locken gewußt und, nachdem sie Madame Miltenberg war, keinen Grund gesehen, noch länger die Larve des Anstandes vor dem Gesicht zu behalten. Dem Trunk ergeben, widerwärtig in jeder Beziehung, machte sie dem jüngeren und schwächlicheren Gatten das Leben unerträglich und sog seine Kräfte aus. Von gewaltigem Körperbau, hatte sie ihn nicht selten in trunkenem Zustande untergekriegt und mißhandelt, sogar auf offener Straße.

Der Tod des frechen Weibes hatte nun zwar den armen Menschen aus den schmählichen Eheketten erlöst, aber mit seiner Gesundheit schien auch seine sittliche Kraft bis auf den Grund zerstört. Er schleppte sich hin in Faulheit und Liederlichkeit und suchte in Weinstuben und bei gemeinen Weibern Trost oder Vergessenheit. Sein Vater, der nicht nur das stattlichste Anwesen in der Straße, sondern auch eine hervorragende Gemäldesammlung besaß und ihretwegen freundschaftlich selbst mit Senatoren verkehren durfte, konnte das Lasterleben des Sohnes nicht länger mit ansehen. Wie der Mensch, so ging auch die Wirtschaft und das Geschäft zugrunde. Vater und Sohn gerieten oft in heftigen Streit, und endlich erklärte der Alte dem Jungen: das einzige, wodurch er ihn versöhnen könne, sei eine anständige Heirat, und die einzige anständige Heirat, die ihm gefiele, sei die mit Timms wohlgeratener Tochter.

Der Sohn hatte durchaus nichts einzuwenden, nur fürchtete er sich davor, da sein ausschweifendes Leben den Leuten bekannt sein mußte, selbst den Antrag zu stellen. Ein Magister mußte den Vermittler abgeben. »Fein schwarz gekleidet, damals jung und von sehr ehrbarem Ansehen«, wie sich Frau Gottfried, bei ihrem lebhaften Gedächtnis für alles Äußerliche, noch im Gefängnis entsann, so erschien der Brautwerber beim alten Timm und brachte in zierlich-steifen Worten seinen Antrag vor. Der künftige Reichtum des einzigen Erben, das große Miltenbergsche Haus, für das schon einmal zwanzigtausend Taler geboten wären, und worauf nur tausend hypothekarisch hafteten, das köstliche Mobiliar, die Gemäldesammlung, worunter Stücke von dreihundert Talern an Wert, glänzten dergestalt als Lichtpunkte in der Rede, daß Vater und Mutter Timm vor Freude zitterten und auch nicht an die Möglichkeit einer abschlägigen Antwort dachten. Die Tochter ward hereingerufen, um von ihrem Glück zu hören.

Timms Freunde schüttelten bedenklich den Kopf und hielten es für eine große Torheit, daß er das tugendhafte, schöne Mädchen um des Geldes willen mit dem wüsten, leichtsinnigen Menschen zusammenkuppele. Die Mutter erwiderte: wenn die jungen Leute nur Brot hätten; alles übrige würde sich schon finden.

Die Trauung ward im März 1806 in Miltenbergs Haus, in der großen Hinterstube mit den Ölgemälden, feierlich begangen.

Diese Ehe mußte dem Selbstgefühl der jungen Frau überaus schmeicheln. Sie war die Wiederherstellerin der Ordnung, des Friedens zwischen Vater und Sohn. Beide erkannten das freudig an, erschöpften sich in Dankesbezeugungen und opferten täglich auf dem Altare ihrer Eitelkeit. Miltenberg, so oft durch die Schande seiner ersten Ehe vor den Leuten beschämt, setzte seinen Stolz darein, die junge schöne zweite Frau zu einer vornehmen Dame zu machen. Er fühlte sich um so mehr verpflichtet, sie äußerlich hoch zu stellen, da er ihrer Jugendfrische nur einen entnervten Körper und abgestumpften Geist entgegensetzen konnte; besonders, da er nicht einmal so viel Macht über sich selbst besaß, um, zufrieden mit dem Besitz des schönen Weibes, seiner früheren Lebensart und den gewohnten Ausschweifungen zu entsagen.

Die junge Frau konnte nichts für diesen Mann empfinden; er verreiste und kam schlaff und gleichgültig wieder. Als Ersatz für Liebe brachte er ihr Geschenke und eine Verehrung, die ihr Herz nicht wärmte.

Ihre Eltern selbst erkannten zu spät, was ihrer Tochter fehle. Sie bemühten sich, es sie vergessen zu machen, indem sie selbst ihre Miltenbergerin, wie sie Gesche jetzt stolz zu nennen pflegten, zu lärmenden Lustbarkeiten geleiteten.

Der junge Miltenberg hatte von ungefähr beim Glase Wein mit einem lebensfrohen jungen Weinreisenden namens Gottfried Freundschaft geschlossen. Dieser war bei einem solchen Fest der gefällige, liebenswürdige Nachbar von Madame Miltenberg; nachher wurde er ihr Tänzer, ihr einziger Tänzer während des ganzen Balls. Die Mutter flüsterte ihr warnend zu: »Ich glaube, dein Mann ist unzufrieden mit dir!« Und der Vater kam am anderen Morgen zur Tochter und machte ihr die heftigsten Vorwürfe: »Du hast deinen Mann ganz vernachlässigt. Solange ich lebe, gehst du nicht wieder in eine solche Gesellschaft! Eine Frau muß nicht ihren Mann zurücksetzen, wie du gestern tatest.« Aber der Mann selbst war ja ganz zufrieden gewesen, und in brüderlicher Herzlichkeit, Arm in Arm mit dem Freunde nach Hause gegangen. Was konnte der Vater dagegen einwenden?

Sie gingen schon am selben Tage wieder auf den Tanzboden, die gleiche Gesellschaft fand sich zusammen, Miltenberg führte seiner Frau den Freund als Partner zu, und das Spiel von gestern ward fortgesetzt, nur daß Madame Miltenberg – nach dem Selbstbekenntnis, das sie im Gefängnis niederschrieb – »sich vor den Leuten genierte«, und ihrem Tänzer zu verstehen gab, daß »auch er sich genieren möge«.

Von diesem Tage an galt ihr Sehnen Gottfried. Ihre Sucht, vornehmer, gebildeter, besser zu erscheinen, ihr Hang zu Putz und prächtigen Kleidern bekam einen neuen, mächtigen Antrieb. Sie erschrak über ihre häufige Blässe, erinnerte sich der Schauspielerkünste ihrer frühen Jugend, und von jetzt ab wechselten ihre Wangen die Farbe nicht mehr. Miltenberg sah die nähere Bekanntschaft Gottfrieds mit seiner Frau offenbar gern und begünstigte sie; er freute sich, ungestört seinen Vergnügungen nachgehen zu können, indes Gottfried seiner Frau die Zeit vertrieb. Und dann war Miltenberg ein Freund des Weins, und Gottfried setzte so manche Flasche auf den Tisch.

Aber bei alledem hielt er sich sehr zurück. Gerade das aber entfachte immer mehr die Glut im Herzen der jungen Frau. Ihr heftiges Verlangen ging in stillen Schmerz über, in einen Unmut, der ihr ganzes Wesen durchdrang. Ihren Angehörigen, die es merkten, log sie vor, es sei die Furcht, kinderlos zu bleiben.

Endlich wurde die Miltenbergin guter Hoffnung und genas im Herbst 1807 einer Tochter, die – durch die Schuld des Vaters – Anzeichen einer Krankheit aufwies.

Als dann in den folgenden Monaten Gottfried noch immer zögerte, trat allmählich ein anderer Weinhändler und Freund Miltenbergs an seine Stelle. Kassow war verheiratet, Vater mehrerer Kinder, nicht schön, und hatte dazu noch einen dicken Bauch. Aber das Begehren war in Gesche durch die heftige Neigung zu Gottfried nun einmal erweckt worden. Aufgeregt, ohne allen inneren Halt, hätte sich die getäuschte und verlangende Frau vielleicht einem jeden in die Arme geworfen, der sie ihr entgegenbreitete; wohlverstanden: einem jeden, dessen Neigung ihrer Eitelkeit schmeichelte, dessen Stellung sie über ihre Sphäre erhob. Die Miltenbergs, wenn auch wohlhabend, gehörten eben doch dem Handwerkerstande an, Kassow aber war wie Gottfried Kaufmann!

Lange schützte Gesche wider ihren Willen die selbstgefertigte Tugend- und Anstandsmaske; erst nach geraumer Zeit – eine Totgeburt lag dazwischen – kam es zu sträflichem Umgang. Übrigens war es etwa von da an, daß Gesche, über ihre immer zunehmende Magerkeit erschreckend, anfing, für eine natürlich wachsende Körperfülle zu sorgen, indem sie, in angemessenen Zwischenräumen, ein Mieder mehr anzog, bis sie schließlich, wie wir wissen, es auf dreizehn brachte.

 

Kassow mußte auf längere Zeit Bremen verlassen, als gerade Gottfried von einer ausgedehnten Geschäftsreise zurückkam. Der alte Miltenberg hatte inzwischen sein Haus auf den Sohn übertragen. Es wurden darin Zimmer an einzelne Herren vermietet; der Zufall wollte, daß Gottfried bald nach der Rückkehr aus seiner bisherigen Wohnung ausziehen mußte, und Miltenberg nahm ihn in sein Haus auf, ja er gab ihm die Vorderstube, welche bis da seine Frau bewohnt hatte; natürlich mit der vollen Einwilligung derselben. Gottfried kam ohne schlechte Absicht. Ihm schmeichelte nur die Aufmerksamkeit der schönen jungen Frau; zudem liebte er auch, auf fremde Kosten zu zehren und zugleich ein gemütliches, häusliches Leben zu führen, ohne dafür viel auszugeben. Das fand er bei Miltenbergs; er ward in den Schoß der Familie aufgenommen, verbrachte seine Abende dort, aß an ihrem Tische und gab die Wirtshäuser auf. Durch Aufmerksamkeiten gegen die schöne Frau – er brachte ihr Serenaden, schmückte ihr Blumenbrett, bestellte den kleinen Garten – suchte er die Freundlichkeiten wettzumachen.

Gottfried war von weicher, etwas schwärmerischer Natur. Er spielte Gitarre und besaß eine Bibliothek, die Lafontaine, Klopstock und Kotzebue enthielt; ja, er hatte sich sogar selbst als Schriftsteller hervorgetan und zwei Liedersammlungen, »Blumenkränze geselliger Freuden« und »Blumenlese«, herausgegeben. Die junge Frau hielt es in Anbetracht dieser Umstände für dienlich, in Schwermut zu verfallen; sie klagte über ihren rohen Mann, der sie stets verlasse, und der ihrem Gemüt nichts gebe. Gottfried schenkte ihr sein Mitleid und sang abends vor ihrem Fenster: »Beglückt, beglückt, wer die Geliebte findet«, »Wen ich liebe, weiß nur ich«, »Süßer Traum, wie bald bist du entschwunden«, »Meine nicht, es ist vergebens« und »Das Grab ist tief und stille«. Einsame Spaziergänger folgten, ein erster Kuß an einem alten steinernen Kreuze, und von da an hatte sie gewonnen Spiel.

Da kam Kassow aus Berlin zurück, brachte der Geliebten ein recht wertvolles Geschenk mit und forderte seine alten Rechte, welche sie ihm aus fortgeschrittener Lasterhaftigkeit oder aus Furcht nicht versagte. Ihr mußte es vor allem darauf ankommen, daß weder Gottfried von ihrem vertrauten Umgang mit Kassow, noch Kassow etwas von dem mit Gottfried erfahre. Beides gelang ihrer Verschmitztheit und Verstellungskunst bis zum Tode beider Männer.

Kassow hatte sich auch bei den alten Timms einzunisten gewußt, er brachte dann und wann eine Flasche Wein hin und lieh ihnen Geld, um die Schulden ihres ausschweifenden Sohnes zu bezahlen. Wohl hob die alte Timm drohend den Finger: »Hör mal, Miltenbergin, das geht nicht mit der Freundschaft von Kassow!« Aber es geschah im Scherz und ohne den geringsten Argwohn. Die Eltern hielten nach wie vor ihre Tochter für ein Musterbild der Tugend und fingen nun auch an, sie zu beklagen und ihr tiefstes Mitleid zu schenken, als jene es jetzt für dienlich hielt, ihren Mann aufs äußerste zu verleumden.

Daß bei seiner Scheu vor der Arbeit das Vermögen verfiel, war ihnen bekannt. Seine Trinkgelage – seine Spielwut – seine Liederlichkeit – all das war nur zu stadtkundig. Aber Gesche log jetzt auch, daß er sie aufs grausamste mißhandle, wenn sie nicht stets für die feinste Tafel sorge, wiewohl er es ihr doch so sehr an Geld fehlen lasse; um seiner Roheit zu entfliehen, habe sie einmal eine ganze Nacht in einem Kutschkasten zubringen müssen; sie habe unsägliches zu leiden, aber sie sei fest entschlossen, still und gelassen alles zu dulden.

Das so auch bei den zwei Freunden angeregte Mitleid trug ihr reiche Frucht. Eltern und Liebhaber beschenkten sie. Und während sie selbst Wirtschaftsstücke heimlich verkaufte, um sich schön zu kleiden und – was sie liebte – reiche Geschenke machen zu können, klagte sie Miltenberg auch wegen dieser Verschleuderung an. In Wirklichkeit war der Mann, so lasterhaft sein Leben sonst sein mochte, gegen sie stets der freundliche, gefälligste Gatte.

Von da bis zur Beraubung ihres Mannes war nur ein Schritt. Sie ließ unter einem Vorwande durch den Schlosser den Schreibtisch des Gatten öffnen und entwandte zehn Taler. Die Tat wurde nicht entdeckt. Miltenbergs Kasse war nur klein. Ihr Mieter Th... mußte viel Geld haben. Mit einem kleinen Schlüssel öffnete sie sein Pult und hielt zu ihrem Schrecken einen Beutel mit neunzig Talern in Händen. Sie hätte wohl die Hälfte zurückgetan, fürchtete aber, der Schlüssel möchte brechen. Bei der Entdeckung, der Untersuchung bewährte sie ihre Meisterschaft in der Verstellungskunst.

Sie bedurfte immer neuen Geldes zur Befriedigung ihrer eitlen Regungen. Im Jahre 1812 lieh sie von einem Bekannten eine Summe, angeblich um ihren armen Bruder in der Fremde zu unterstützen. Es ward vergeudet, und als es wieder gezahlt werden sollte, mußte ihr Mann dafür aufkommen, der ihr verzieh. – Sie bog sich einen Dietrich zurecht, erbrach das Pult ihres eigenen Geliebten Gottfried und nahm etliche zwanzig Taler daraus. Gottfried geriet in große Erregung; die Miltenbergin aber war am aufgebrachtesten, sie wollte nicht ruhen, bis der schändliche Dieb entdeckt wäre; ein Lehrling und eine Wärterin schienen ihr der Tat verdächtig.

Es kam nichts heraus.

Drei Kinder hatte sie noch geboren; eines starb bald, ein zweites trug Kassows Züge, während das jüngste Gottfried glich. Allmählich zog sich Kassow mehr und mehr zurück.

 

Gesches Leidenschaft zu Gottfried steigerte sich zu wilder Gier. Miltenberg wankte als ein siecher Schatten umher. Dieser elende Mann war das einzige Hindernis des heißersehnten Glückes, das ihre Phantasie im dauernden, ungestörten Besitze Gottfrieds erblickte. Die Miltenbergin fing an, ihren Ehemann zu hassen. Er ward bei den Eltern aufs neue verleumdet. Unter verschämten Tränen vertraute sie ihnen die Schande, die wahrscheinlich auch die Todesursache ihrer kleinen Johanna gewesen, und gab zu verstehen, daß es auf Erden kein zweites so unglückliches Geschöpf wie sie gäbe. Die tiefgerührten Eltern sahen ihre Tochter im Geiste bereits mit zerrütteter Gesundheit am Bettelstabe; sie klagten sich selbst als die Stifter dieser Ehe, als die Urheber des namenlosen Unglücks an. Timm drang darauf, daß seine Tochter nun ein Schlafzimmer für sich allein erhielt. Zugleich überlegte er, wie es zu verhindern wäre, daß Miltenberg neue Schulden mache und auf sein Haus eintragen lasse. Der Gatte, in seiner physischen und moralischen Schwäche, ließ sich alles gefallen, und schon sollte mit seinem Vater eine Vereinbarung getroffen werden, als der alte Miltenberg im Jahre 1813 plötzlich starb. Gesche ging im Dunkeln zur Leiche hinauf, drückte ihr die Hand und hatte nicht die mindeste Furcht, so daß alle sich verwunderten.

Eine Wahrsagerin hatte ihr um diese Zeit die Verheißung gegeben: ihre ganze Familie werde aussterben, und sie allein übrig bleiben und dann ein sehr gutes Leben führen. Immer mehr faßte der Gedanke in ihr Wurzel, ihr Mann müsse sterben. Sie wünschte seinen Tod, sie war entschlossen, nachzuhelfen. Da fiel ihr ein, daß ihre Mutter früher zur Vertilgung der Ratten und Mäuse Gift gelegt, und daß wohl auch Menschen daran sterben könnten.

Sie klagte der Mutter, daß sie in ihrem Schlafzimmer oben Mäuse hätte: ob sie wohl Rat dafür wüßte? Die Mutter brachte kleine Stücke Schwarzbrot, auf die Arsenik gestreut war, und legte sie in die Kammer. »Sei vorsichtig! um Gottes willen, daß nur ja keines von den Kindern hinaufgeht, 's ist Gift!« – Einige Tage nachher kratzte Gesina mit einem Messer das Gift von den Butterbroten, doch so, daß es aussah, als hätten die Mäuse von dem Brot genagt, und legte den Arsenik, in Papier gewickelt, in ihre Kommode. Die Mutter will einmal hinauf, sehen, ob die Mäuse dagewesen sind. Schnell sagt Gesche: »Sie haben alles aufgegessen« und bittet um noch etwas von dem Brot, das sie auch erhält.

Mehrere Wochen noch kämpfte sie mit sich. »Endlich, an einem Morgen, fasse ich den schrecklichen Entschluß und gebe meinem Mann auf seinem Frühstück etwas davon ...« Miltenberg ging aus, kam blaß nach Hause, legte sich zu Bett, bekam Durchfall, fürchterliches Erbrechen, stand zwar am nächsten Tage wieder auf, mußte jedoch wieder das Bett aufsuchen. So kränkelte er acht Tage. An einem Stocke wankt er einmal die Treppe herunter, zeigt seiner Frau einen Wagen, den er selbst verfertigt, und spricht: »Wenn ich sterbe, verkaufe den und laß mich davon beerdigen.«

Vier Tage vor seinem Tode »gab sie es ihm« noch einmal in einer Suppe.

 

»Ich gab es ihm«, so drückte sich Gesche vor Gericht immer aus, das Wort »Gift« vermied sie nach Möglichkeit.

 

Die letzten vier Tage konnte sie sich nicht mehr dem Bette des Sterbenden nähern. Nicht aus Rührung, oder weil sie Gewissensbisse hatte; es war ihr nur immer, als ahne er ihre Tat. An der Tür blieb sie stehen. Einmal glaubte sie, er werde aus dem Bette springen und sie schlagen.

Als Gottfried mehrere Tage vor Miltenbergs Tode nach Oldenburg reisen mußte, sagte der Kranke zu ihm: »Gottfried, lebendig findest du mich nicht wieder, wenn du zurückkommst. Ich weiß, du hast mit meiner Frau zu tun gehabt; ich vergebe dir gern. Versprich mir, sie nicht zu verlassen, und nimm dich der Kinder an.«

An seinem letzten Tage, dem 1. Oktober 1813, hatte der Unglückliche entsetzlich zu leiden. In seinem Schmerze krümmte und wälzte er sich, flog oft in die Höhe und schrie wie rasend. Die Frau ließ sich am Sterbebette nicht sehen. Etwa eine Stunde vor dem Tode rief man sie, sie kam nicht. Er verschied unter lautem Brüllen. Da erst trat Madame Miltenberg als untröstliche Witwe an das Lager des Verblichenen.

 

Kein Mitleid, keine Reue, keine Gewissensbisse: Aber sie hatte gelernt, wie man mit Gift tötet, und daß man die Portionen größer machen müsse, wenn man schnell zum Ziele kommen wolle.

Nur eines fürchtete sie: daß die Mutter fragen könnte, »hast du ihm etwas gegeben?« – denn der Körper des Toten war aufgedunsen und mit Flecken übersät. Aber die alte Timm merkte nichts. Ein anderes bereitete ihr nach langen Jahren im Gefängnis noch Verdruß: daß der Selige den schönsten Totenwagen hätte bekommen können, und er erhielt den niedrigsten! –

 

»Jetzt will ich mich deiner annehmen! Du hast nach deiner Eltern Willen geheiratet,« so sprach Timm nach dem Begräbnis zur Tochter. Im schlechtesten Rocke, den ältesten Hut auf dem Kopf, so ging er mit einer Schrift bei allen Gläubigern umher und verglich sich mit ihnen. Das bare Geld, das er bot, und seine Versicherung, wie schlecht es mit dem Nachlaß bestellt sei, wirkten; er konnte eines Tages sich erschöpft auf einen Stuhl niederwerfen und sprechen: »Miltenbergin, nun bist du schuldenrein!« Er ordnete ihre Wirtschaft, verschaffte ihr tüchtige Gesellen, kaufte Vorräte fürs Geschäft, und sie betrieb es zuerst mit Eifer. Freilich hatte Vater Timm eine unredliche Handlung begangen: die Witwe Miltenbergs war nicht insolvent, im Gegenteil, sie war wohlhabend.

 

Von jetzt an teilte sie ungestörter ihre Liebe zwischen Gottfried und dem wieder erscheinenden Kassow. Die Napoleon'sche Zeit ging völlig spurlos an ihr vorüber. Als man sie im Gefängnis einmal danach befragte, war das einzige, dessen sie sich entsann, ihre Freude, als ihr die Einquartierungskommission fünfunddreißig Taler zurückerstattete.

Ihr ältester Geselle, ein geschickter junger Mann, hielt um die Hand der Witwe an. Alles sprach für ihn, die Kinder liebten ihn. Sie lehnte höflich den Antrag ab, und der Geselle verließ bald nachher die Werkstatt, doch um wiederzukommen. Seine Treue schmeichelte der Eitelkeit der Miltenbergin – weiter wollte sie hier nichts –, und der Antrag ward im Vertrauen Bekannten und Freunden mitgeteilt, auch Gottfried, der darauf geantwortet haben soll – wenigstens behauptet es späterhin die eitle Verbrecherin –: »Wenn ich das erlebte, daß du dich verheiratest – eine Kugel ginge durch meinen Kopf!« Die Mutter aber sagte ihr: »Nicht wahr, du liebst Gottfried? Mit unserem Willen wird daraus nie etwas.« – Hier lag das erste Motiv zum Elternmorde.

Gottfried, wie liebevoll er auch war, wie nahe sie es ihm auch legte, hatte offenbar durchaus noch nicht die Absicht, um ihre Hand zu bitten. Miltenberg war ihm nicht mehr im Wege, also mußte ein anderes Hindernis bestehen: das waren ihre Kinder und ihre Eltern! Ihre Phantasie spiegelte ihr vor: Wären deine Eltern nicht dagegen, brauchtest du das Geld nicht mit deinen Kindern zu teilen, besäßest du auch das Vermögen, das sie vom Großvater zu erwarten haben – dann würdest du Gottfrieds Frau!

Sie betrachtete ihre Eltern, trotz des Übermaßes von Güte, womit sie die Tochter überschütteten, als lästiges Hemmnis. Auf die Kinder warf sie verdrießliche Blicke. Tagelang schickte sie dieselben aus dem Hause, damit Gottfried nicht an ihr Dasein erinnert werde. Die Kleinen überbrachten ihr im Jahre 1815 an ihrem Geburtstage mit rührender Feierlichkeit und mit den herzlichsten Wünschen ihre Geschenke und die der Großeltern, die sie mit Tränen empfing – ohne darum aufzuhören, mit ihrem blutigen Plane zu spielen. Sie fühlte, daß es zur Tat nur noch eines Impulses bedürfe. Sie wünschte selbsttrügerisch, vom Schicksal einen Wink zu erhalten, durch irgend etwas von außen her zum Werk veranlaßt zu werden. Sie wandte sich wieder an die Kartenlegerinnen und befragte wenigstens vier derselben nacheinander. Da sie ihnen die geheimen Wünsche ihres Herzens andeutete und ihnen so das Wort in den Mund legte, erhielt sie von allen dieselbe Auskunft: ihre ganze Familie werde aussterben, und sie allein übrig bleiben. Gesche ließ es sich angelegen sein, diese Prophezeiungen unter den Leuten bekannt zu machen. Wenn es dann so kam, so geschah nichts anderes, als was die klugen Frauen längst vorausgesagt; und die Möglichkeit, daß ein Verdacht sie treffen könne, wurde mindestens weiter entfernt.

Jetzt fest entschlossen, erwartete sie nur eine günstige Gelegenheit, um zur Tat zu schreiten. Es war ihr sehr willkommen, daß die Eltern öfters selbst ihres Todes gedachten, daß die Mutter, den Kopf auf Vaters Schulter gelegt, den Wunsch aussprach: »Alter, das wünsche ich mir vom lieben Gott, daß ich, wenn du einmal stirbst, dich nicht acht Tage überlebe.«

Gesche bereitete auch in ihren eigenen Reden auf die Zukunft vor. Ihre immer heitere Miene war oft umwölkt, sie gebrauchte Bibelsprüche und fromme Redensarten: »Wir müssen die dunkeln Wege der Vorsehung in Demut verehren,« (später ward das ihre Lieblingsfloskel bei allen Vergiftungen) und »Was Gott tut, das ist wohlgetan.« Ihren Freundinnen gegenüber beklagte sie das unglückliche Schicksal, das ihr bevorstehe; denn es sei ihr prophezeit: sie werde alle ihre Kinder verlieren.

 

Die alte Timm erkrankte. Eine Hoffnung für die Miltenbergin, daß sie diesmal das Gift sparen könne. Aber trotz ihrer vierzehntägigen Pflege starb die Mutter nicht. Timm hatte inzwischen sein Haus an den Tischler Bolte verkauft. Während der Unruhe des Umziehens in eine neue Wohnung läßt sich die schwache Alte in das Haus der Tochter tragen, um dort ihre Gesundheit wieder zu erlangen. Liebevoll, mit kindlichster Herzlichkeit wird sie in dem schönen, neu tapezierten Zimmer untergebracht, das ihr viel zu prächtig dünkt. Mutter und Tochter scherzen darüber. »Mutter, du mußt denken, du seist im Kindbett,« und die Alte lächelt herzlich.

Drei Tage nachher will die Miltenbergin (so wenigstens stellt sie es vor Gericht dar) einige Kleider für die Mutter aus deren Hause holen, da sieht sie ein Papier, auf dem »Rattengift« steht. Es war ihr: »als sei es mir absichtlich in den Weg gelegt worden«; »die Nacht konnte ich nicht schlafen wegen des Gedankens: wenn du nun keine Eltern hättest, so könnte dich doch niemand hindern!«

Nach drei Tagen besserte sich der Zustand der Mutter. Die Unruhe der Tochter wuchs. Sie ging hinüber zum Schrank und holte sich ein bischen von dem Gift, verwendete es aber nicht. Wiederum verstrichen so acht Tage. Die Mutter wurde jetzt sichtlich wohler. Da trat einmal ihr Enkel Heinrich mit der Frage an das Bett: »Großmutter, ist es wahr, daß dem Kinde, welches nicht gut an seinen Eltern tut, die Hand aus der Erde wächst?« Der Miltenbergin schnitt das Wort durch die Seele; aber noch an demselben Tage rührte sie den Arsenik in ein Glas Limonade, das Lieblingsgetränk der Alten.

Die Verbrecherin bekannte später: »Denken Sie, während ich das Gift hineinmache, gibt mir der liebe Gott ein herzliches, lautes Lachen, daß ich erst selbst erschrak. Aber gleich besann ich mich: dies hätte der liebe Gott gefügt, zum Beweise, daß Mutter nun bald so im Himmel lachen werde.«

Schon tags darauf verlangte die Mutter nach dem Abendmahl und erhielt es. Sie ordnete ihre kleinen Angelegenheiten. Dem Manne drückte sie die Hand: »Wenn ich noch etwas erflehen darf: daß du mir bald folgst.« Der alte Timm antwortete: »In zwei Monaten bin ich bei dir,« und er verließ das Zimmer. Zur Miltenbergin sprach die Mutter darauf: »Wenn dein Bruder als ein Krüppel kommt, pflege ihn,« und sie hob beide Arme gen Himmel: »Ach, könnte ich doch alle meine Kinder mitnehmen!« Erschöpft ruhte sie, schien am nächsten Morgen ganz wohl, verschied aber in der Frühe, noch ehe der alte Timm von drüben kam. Er fand die Tochter in voller Ruhe bei der Leiche.

 

Den Tag nach der Beerdigung befand sich Gesche in dem Hinterzimmer mit der fünfvierteljährigen Johanna, ihrer jüngsten Tochter, allein. Sie reichte der Kleinen ein Stück Kuchen von der Begräbnisfeier, auf das Arsenik mit Butter fest geschmiert war. Das Kind wurde alsbald unwohl; »als es elf schlägt, sehe ich in die Wiege – ach Gott! da war sie tot!« Ihr Schreck galt aber nur der Überraschung, weil das gefährliche Stück so leicht von der Hand gegangen war. Es verlangte sie danach, fortzufahren.

 

Adeline, ihr ältestes Kind, war seit acht Tagen krank gewesen; aber es täuschte die Hoffnung der Mutter, daß es von selbst sterben werde. Als sie die Tochter unerwartet genesen sah, gab sie ihr auch von dem Butterkuchen mit Gift, und das Kind starb nach einigen Tagen, im Todeskampfe sich an die Mutter klammernd.

Der alte Timm, der fast täglich das Grab seiner Frau besuchte, hatte so den Schmerz, auch dem Leichenbegängnis zweier Enkel folgen zu müssen. »Bei deines dritten Kindes Tod ist dein Vater nicht mehr da,« sagte er zu seiner Tochter, und sie nahm das als Wink des Schicksals, nun ihn an die Reihe zu bringen. An einem Sonntagabend – zwei Wochen nach Adelinens Tode – gab sie ihm gehörig zubereitete Suppe. »Wenn du mich so pflegst, wirst du deinen Vater noch lange behalten,« sagte der Alte, indem er die Suppe verzehrte. Sie brachte den Vater nach Hause und blieb die Nacht in den Kleidern, in der Erwartung, jeden Augenblick gerufen zu werden. Um vier Uhr morgens wird auch wirklich ans Haustor geklopft, ein Bote meldet, der alte Timm sei niedergefallen und verlange nach der Tochter.

Der Vater wünschte, daß seine Miltenbergin nicht mehr von ihm gehe; er litt entsetzlich. Sie entsann sich, daß Wasser und Wein ihre Johanna ruhig gemacht. Sie geht die Flasche holen. Wie sie wiederkommt, liegt der Vater auf der Erde; nachdem er eine Tasse Wein getrunken, redet er irre und phantasiert von der seligen Frau, die er auf seinem Bette sitzen sieht. Er ordnet dann noch mehreres an und stirbt rasch.

 

Diese vier Vergiftungen erfolgten, ohne daß irgend jemand einen Verdacht hatte. Kleine Kinder sterben häufig. Die alten Leute hatten längst ihr Ende erwartet.

 

Ein einziges Kind, der fünfjährige Heinrich, war noch übrig. »Mutter, warum nimmt dir der liebe Gott alle deine Kinder?« fragte sie der Kleine. Das war ein Dolchstoß in ihr Herz, aber zugleich eine Mahnung, auch an die Wegräumung dieses letzten Hindernisses zu schreiten.

Sie gibt ihm Gift. Er richtet sich am zweiten Tage ängstlich in die Höhe. Da ergreift sie – zum ersten Male – Angst. Sie heißt ihre treu ergebene Magd Beta, geschwind Milch zu bringen. »Ach, wenn in dem Augenblicke eine fremde Person bei mir gewesen wäre, so hätte ich mich ja verraten! Denn Milch soll ja Gegengift sein!« – Der kleine Heinrich phantasierte auf seinem Krankenlager: »O Mutter, wie lacht Adeline! Da steht sie auf dem Ofen ... da steht mein Vater ... bald bin ich im Himmel!«

Unter unsäglichen Schmerzen starb der Knabe. Vom Mai bis September 1815 hatte die Miltenbergin so beide Eltern und ihre drei Kinder vergiftet.

Nun wurden diese vielen Todesfälle, nacheinander in so kurzer Zeit erfolgt, doch auffällig. Ihre Tränen, ihre frommen Sprüche, daß man die dunkeln Wege der Vorsehung anbeten müsse, konnten nicht allen Verdacht abwenden. Das Gerücht verbreitete sich, bei den Todesfällen im Miltenbergschen Hause könne es nicht mit rechten Dingen zugehen. Ihre Freundinnen hinterbrachten das mit teilnehmendem Kummer der Witwe und baten sie, um jede schändliche Nachrede unmöglich zu machen, die letzte Leiche sezieren zu lassen. Sie ward denn auch in Gegenwart vieler Zeugen von einem Arzt untersucht, und derselbe gab die Versicherung: der Knabe sei an einer Darmverschlingung gestorben. Jeder Schatten eines Verdachtes mußte daraufhin weichen.

 

Von jetzt an – wohl um den lieben Gott zu versöhnen, vielleicht auch, um so auf Gottfrieds weiche Seele Eindruck zu machen, – begann die Witwe in großem Umfang Wohltätigkeit zu üben. Sie ließ nicht die Armen zu sich kommen, sie suchte sie auf. Kranken und Wöchnerinnen bereitete sie Speisen und bot sich als Pflegerin an. Wenn sie den Namen einer Bedürftigen hörte, so eilte sie, ihr beizuspringen. Der Ruf eines hilfreichen Engels konnte ihr nicht entgehen. Den armen Schwestern ihres Vaters schenkte sie ein Stück Land, welches zu dem Erbteil gehörte, das ihr zufiel.

Denn das Geld an sich war eigentlich nie das Ziel ihrer Wünsche. Sie war nichts weniger als habsüchtig. Sie brauchte es nur zu eitler Vergeudung, für ihre Geschenke und Wohltaten. Darum nahm sie Anleihen auf, besonders bei Kassow, und wußte ihn durch einen Kunstgriff zu immer fortgesetzter Freigebigkeit zu bestimmen: sie ahne ihren baldigen Tod, der nach ihren unsäglichen Leiden nicht ausbleiben könne. Kinder habe sie nicht, und was er ihr schenke oder leihe, gebe er seinen eigenen Kindern, denn sie sei willens, dieselben zu ihren Erben einzusetzen.

 

Im Mai 1816 tauchte unerwartet ihr Bruder in Bremen auf, eine Erscheinung, welche auch in anderen Häusern keine freudige Überraschung hervorgebracht hätte. Der verlorene Sohn, der in Münster sich im Jahre 1812 hatte anwerben lassen, war für tot gehalten worden. Die Schwester hatte seine Habseligkeiten verkauft, und ein Erbteil konnte er, bei den vielen Aufwendungen zu seinem Besten, kaum noch fordern. Nun klopfte er, zerlumpt, krüppelhaft, anscheinend den Tod in den Gliedern, an das Haus der Miltenbergin. Die Heuchlerin fiel zum ersten Male aus der Rolle. Sie erschrak, und wäre es nicht wegen der Leute gewesen, sie hätte ihm den Eintritt wohl verwehrt. In einer schlechten Kammer brachte sie ihn unter. Abgesehen davon, daß sie sich dieser Verwandtschaft schämte, daß sie in ihr ein neues Hindernis in der Heirat mit Gottfried sah, hegte sie die Furcht, daß ihr Bruder doch etwas vom Erbe verlangen möchte. Rasch war ihr Entschluß gefaßt.

Am Freitag oder Sonnabend war der Bruder angekommen, am Sonntag mittag wurde er mit einem Gericht Schellfisch vergiftet. Nachmittags ward er in einem Wirtshaus furchtbar krank und konnte sich kaum nach Hause schleppen. Die Schwester mußte ihn, der Jugendbekannten wegen, die sich bei seinem Krankenbette einfanden, anscheinend sorgsam pflegen. Aber trotz seiner schweren Krankheit mußte der Bruder sich doch aus seinem schlechten Zimmer in die höchste Bodenkammer schleppen lassen. Der Grund zu dieser Grausamkeit: auch der Bruder hatte geäußert, mit seinem Willen solle sie den Gottfried nicht heiraten, und letzteren erwartete sie täglich zurück! – Der Kranke phantasierte von seinem Pferde und seinem Liebchen, redete seinen Leutnant an, wenn die Schwester bei ihm stand, rief » Vive l'Empereur!« und war am Abend des 1. Juni tot.

Wer sollte sich wundern, daß ein invalider Krüppel, dem die Füße in Rußland erfroren waren, und der, voll kranker Säfte, vielleicht ein Lazarettfieber mitbrachte, daß der französische Husar, dem trotz seines Passes kein Dorfschulze ein Nachtlager geben wollte, den der patriotische Haß genötigt, auf offenem Felde zu schlafen, seit er die deutschen Grenzen betreten, – daß solch ein verlorener Mensch bei der Heimkehr krank wurde und starb? – Die Witwe übte außerdem die Vorsicht, bei den vielen Krankheitsfällen in ihrem Hause mit Ärzten und Krankenwärterinnen zu wechseln.

Die Eltern waren tot, die Kinder weggeschafft, der Bruder ins Grab geschickt – was hielt Gottfried jetzt noch ab, sie zu heiraten? – Vielleicht den Kaufmann die Tatsache, daß sie auch jetzt noch ein Handwerk betrieb? Es gab ein gutes Brot, aber es forderte eine Tätigkeit, welche sie allmählich anwiderte. Sie gab das Geschäft auf, und damit ihre beste Einnahmequelle und zugleich den letzten äußeren Halt.

Gottfried kam von einer Reise zurück. Leidenschaftlich empfing ihn die Witwe, mit deutlichen Worten forderte sie ihn zur Eingehung der Ehe auf. Er wich aus. Wie die Gekränkte dachte, ergibt sich aus einer ihrer vertraulichen Äußerungen ihrem Verteidiger gegenüber: sie stellte es als etwas ihr selbst Unbegreifliches hin, daß sie Gottfried, der damals krank wurde, nicht vergiftet habe. »Denken Sie, ich hatte Gift in der Kommode, und doch fiel es mir nicht ein, ihm etwas zu geben!«

Sie wollte die Hoffnung nicht lassen. Der kranke Gottfried ward mit aller Aufopferung gepflegt; bei augenblicklichen Geldverlegenheiten zahlte sie für ihn. Er genas und schien endlich dem Netze, das sie um ihn spannte, zu erliegen. Sie fühlte sich wieder von ihm schwanger. Nun mußte doch Gottfried, der gutmütige, redliche Gottfried, auf ihre Wünsche eingehen! Aber ihrem Jammer über den ihr drohenden Verlust der allgemeinen Achtung begegnete er nur mit dem Rate, »unten im Lande«, wo sie Bekannte habe, heimlich Wochen zu halten.

Jetzt flammte ein Haß gegen den in ihr auf, dem sie solche Opfer umsonst gebracht. Nicht mehr um seine Person war es ihr zu tun – ihre Sinnlichkeit war befriedigt oder erwartete keine weitere Befriedigung – wenn sie sich weiterhin um seine Hand bemühte, galt es lediglich seiner Stellung, seinem Vermögen. Dazu trat die Furcht, durch ihre Niederkunft, die sie vergeblich durch Abtreibungsversuche zu vermeiden suchte, um die sorgsam behütete bürgerliche Ehre zu kommen.

Sie wandte sich an seine vertrautesten Freunde. Die Überredungskünste derselben wirkten; Gottfried und Frau Miltenberg machten ihre Verlobung bekannt.

Sie hatten schon die ersten Besuche miteinander abgestattet, als er wieder zurücktrat: »Ich kann und will sie nicht zur Frau haben,« sagte er zu seinen Freunden, und ließ sich am Ende doch wieder überreden.

Schon waren sie zweimal aufgeboten worden, als die Angst sie folterte, er könne etwas von ihren Taten wissen und sie deshalb nicht heiraten wollen. Auch kam ihr die sehr natürliche Überzeugung: er liebt dich nicht, er nimmt dich nur gezwungen; du würdest unglücklich mit ihm.

 

Am Montag nach dem zweiten Aufgebot gab sie ihm vergiftete Mandelmilch. Erbrechen und Diarrhöe erfolgten. Das Übel griff mit Riesenschritten um sich. Schnell – darauf hatte sie gerechnet – ward ein Prediger geholt, um die Trauung mit dem Sterbenden zu vollziehen. Nach der Kopulation mußte sie Gottfried versprechen, sich nicht wieder zu verheiraten. Er sagte, dann sterbe er ruhig. Von seinen fürchterlichen Schmerzen erlöste ihn der Tod drei Tage nach der Trauung.

 

Der ungeheuere Schmerz der neu Verwitweten erregte allgemeinstes Mitleid. »Was Sie an Gottfried verloren, werden Sie an Ihrem Kinde wiederfinden,« suchte der Arzt sie zu trösten.

Das Kind wurde tot geboren. Das war ihr wohl recht, aber um so mehr grämte sie eine wirkliche Enttäuschung: sie hatte Gottfried für reich gehalten, in Wahrheit aber hatte sein Prinzipal sechshundert Taler von ihm zu fordern, und die Witwe mußte mit der goldenen Uhr, der kleinen Bibliothek, einigen Kupferstichen und der Gitarre – den einzigen Erbstücken, die sie erhielt – auch diese Schulden mit übernehmen. Aber sie brauchte Geld, bares; sie erzählte jedem in Vertrauen, ihr seliger Gottfried habe über dreitausend Taler Schulden, die sie tilgen müsse; außerdem dichtete sie ihm, wie schon früher ihrem Vater, eine uneheliche Tochter an, für die zu sorgen die Ehre des teueren Verstorbenen ihr gebiete.

 

Die noch immer großen und durch den Schmerz erhöhten Reize der Witwe fanden bald wieder Bewunderer. Auch ihr vermeintlicher Wohlstand lockte noch immer Bewerber an. In vielfache Berührung tritt sie namentlich zu einem angesehenen Manne, dem Herrn X... – sein Name wird uns verschwiegen –, der bald als Liebhaber, Bewunderer, Beschützer, bald als Gläubiger auftritt. Er erscheint als Freund in der Not, Ratgeber und Tröster. Das Geld, dessen die Witwe für die Begräbniskosten bedurfte, schoß er ihr vor; auch später erhielt sie von ihm gewisse Summen für die und jene dringenden Ausgaben. Aber als sehr gewiegter Finanzier hatte er bei seinen großmütigen Handlungen ein scharfes Auge auf die pekuniären Verhältnisse seiner Freundin, und während er zu Anfang kaum eine Verschreibung annahm, sie mit Geschenken überhäufte, rechnete er ihr bald vor, daß sie ihren Besitz übermäßig belaste, und gab um seiner Neigung willen keineswegs seine Forderungen an die schöne Schuldnerin auf. Wenn sie wirklich in innigen Beziehungen zu X... gestanden hatte, so war diese Liebschaft gewiß für sie nicht wenig demütigend, da der Liebhaber klug und schlau und überdies ein Gläubiger war, der sie von Haus und Hof treiben konnte. Aber er war vor ihrem Gift sicher. Sie konnte ihn wohl töten; aber ihre Schuldscheine wären dann in die Hände seiner Erben gefallen.

Immerhin gewöhnte sich Frau Gottfried an dies merkwürdige Verhältnis; sie erhielt von X... Theaterbillets und Einladungen zum Essen. Wie sie selber in ihrer im Gefängnis niedergeschriebenen Biographie es ausdrückt: sie lebte wieder auf, fing sogar an, X... zu lieben, sie vergaß ihre Verbrechen und glaubte, die Glücklichste auf der Welt zu sein.

Drum schlug sie drei ehrenvolle Heiratsanträge aus, stets unter dem Vorwand, daß sie dem seligen Gottfried versprochen, sich nicht wieder zu vermählen. Im übrigen war die Verbindung mit X ... ihr deswegen angenehm, weil er ihr in ihrem Umgange vollkommen freie Hand ließ. Sie hatte viele Mieter, und einer derselben, der Kommissionär Johann Mosees, trat, wie sie schreibt, »in des seligen Gottfried Fußtapfen«. Er pflegte den Garten, sang, und ging mit ihr spazieren. Und dabei war er sehr religiös! »Da wurde sein jüngster Bruder konfirmiert. Ach, das war eine schöne Zeit! Acht Tage zuvor betete er jeden Nachmittag mit ihm.«

Sie suchte auch alte Jugendbekanntschaften wieder auf und ließ sich von ihren Freundinnen als unvergleichliche Dulderin bewundern: »Der liebe Gott legt mir ein schweres Joch auf, aber er macht mich auch stark!« sagte sie. Einer Freundin wollte sie kaum Dräsekes Predigten leihen, aus Furcht, diese könne das kostbare Buch verlieren; »denn das ist es, was mich einzig erhält«. Sie hatte aber nie ein Blatt darin gelesen. Aber in allem Ernste glaubte sie durch Wohltätigkeit alle auf ihrer Seele lastenden Mordtaten wieder gut zu machen. Im Jahre 1819 war der Ruf, der sie zu einem Engel des Lichtes, zum Vorbild frommer Duldung und tätiger Liebe erhob, schon in der ganzen Stadt verbreitet. Ein ehrenhafter Witwer hielt in fast romanhafter Weise um sie an. Als ein solches Glück für die Familie wurde die Heirat betrachtet, daß die eigene Tochter des Mannes die liebe Witwe bat, sie möge doch die Hand ihres Vaters nicht ausschlagen. Sie tat es doch, mit den rührenden Worten: »Sie sind für mich viel zu gut!«

So vergingen sechs Jahre seit Gottfrieds Tod. Ihre Vermögensverhältnisse wurden immer verwickelter. Herr X... sah ihr völlig in die Karten, dazu wurde er nun auch fast der Anlaß zu einem ihrem Rufe unvorteilhaften Gerede. Sie hätte sich drum gern allmählich von ihm losgemacht; aber ihre drückenden Geldsorgen ließen es nicht zu. Sie blieb abhängig von ihm bis zu ihrer Entdeckung.

Mosees aber wurde ihr Herzensfreund, die langjährige Dienerin Beta ihre Vertraute, soweit sie sich eben aussprechen konnte. Aber ihre nüchterne Natur hatte jetzt ein Verlangen nach etwas Herzenswarmem; hie und da beschlich sie Furcht und Grauen, wenn sie des Vergangenen, besonders, wenn sie der Kinder dachte. »Ich konnte es nicht sehen, wenn Kindern von ihren Eltern Geschenke eingekauft wurden ... Wenn die Kinder aus der Schule kamen, mußte ich immer wegschauen.«

 

Als ihre Beta sich mit dem Küfer Schmidt verheiratet hatte, folgte sie, um sich zu zerstreuen, gern einer Einladung nach Stade zu einer verheirateten Freundin, die dort den ersten Kreisen angehörte. Frau Gottfried mußte in der fremden Stadt der vornehmen Rolle gemäß, die man sie spielen ließ, auftreten, und fand plötzlich zu ihrem Schrecken ihre Kasse erschöpft. Schnell weiß sie Rat. In einem günstigen Augenblick dreht sie den Bart eines Schlüssels in ihrem Kommodenschlosse ab und wirft den Schlüssel weg. Sie macht Lärm: Ihr Geld ist ihr gestohlen worden! Die Kommode wird geöffnet: Es ist richtig, es liegt kein Geld darin. Eine Magd, mit der die Herrschaft unzufrieden war, kam in Verdacht, entlief, ward später ergriffen und während einer langwierigen Untersuchung in Haft behalten. Die Richter kamen ins Haus zur Feststellung des Diebstahls. Frau Gottfried sollte ihre Angaben beschwören und tat es. An Geld gebrach es ihr nun nicht mehr, und als sie endlich nach Bremen zurückkehrte, begleiteten sie die dringendsten Einladungen, wiederzukommen.

In der Vaterstadt erwarteten sie die alten Erinnerungen und neue Sorgen. Herr X ... drängte, und sie schuldete ihm bereits mehrere tausend Taler. Ihre Immobilien schienen dem Liebhaber und Gläubiger zu keiner weiteren Sicherheit genügend. Da meldete sich in ihren Nöten ein neuer Freier, Herr Zimmermann, ein Modewarenhändler von rechtlichem Charakter, der einem einträglichen Geschäfte vorstand.

Der Antrag war ihr sehr willkommen. Aber heiraten konnte sie den Mann nicht; sie dürfte überhaupt – da ihr ganzes Leben so zur Komödie geworden, daß sie keinen dauernden Beobachter brauchen konnte – nicht mehr daran denken, eine eheliche Verbindung einzugehen. Aber sie hatte ja auch ihren Gottfried nicht eigentlich geheiratet, sondern nur die kurze Ehe mit ihm zu benützen gesucht, um alle möglichen Vorteile zu erlangen. Ähnlich wollte sie es auch mit dem neuen Bewerber halten. Vorerst lehnte sie den Antrag so bescheiden ab, daß er wiederholt werden mußte. Sie teilte ihn X... mit, der ihr wider Erwarten zu der Ehe riet. Sogleich nutzte sie das, ihn um ein Darlehen von dreihundert Taler zu bitten, um ihr Leinenzeug zur Hochzeit instand zu setzen. Sie erhielt das Geld, und das war der erste Vorteil, den sie aus dem Antrage zog. Zugleich aber versprach ihr X..., seine Kapitalien nicht zu kündigen, wie er gedroht, damit der Kredit ihres Bräutigams nicht leide: das war der zweite Vorteil.

Das errungene Geld wurde angewandt, um sich in den Augen der alten und wackern Eltern Zimmermanns den Anschein von Wohlhabenheit und Reichtum zu geben. Nun wurde das Versprechen, nicht wieder zu heiraten, welches sie Gottfried gegeben, als letzte Schanze gegen den Stürmenden errichtet, wobei er einiges Blut lassen sollte. Sie hatte gerade zweihundert Taler Schulden zu bezahlen, und mit Freuden streckte Zimmermann, der diese Leihgabe als einen Prüfstein seiner Liebe ansah, der reichen Frau das Geld vor. Auch als des seligen Gottfried Prinzipal sie um die Rückzahlung der sechshundert Taler anging, war Zimmermann aus demselben Grunde gern bereit, das Geld vorzuschießen. Dies der dritte bare Vorteil. Sie fiel dem hocherfreuten Freier darauf um den Hals, und der Bund war geschlossen.

Gesche kam das Verlöbnis aber auch gelegen, weil sie sich mit einer Freundin, Maria Heckendorf, aussöhnen wollte, welche ihr den Umgang mit X... nicht vergeben hatte. Was konnte Maria noch sagen, als ihre Freundin die Braut eines Mannes wurde, der, wie Gesche versicherte, obgleich Modewarenhändler, nichts lieber las als »die Stunden der Andacht«, der fromme Eltern hatte, mit denen zusammen sie zum heiligen Abendmahl gehen wollte. – Ihr guter Ruf, an dem ihr so viel lag, war wiederhergestellt.

 

So schien, wenn nicht alles, was sie wünschte, doch viel erreicht, als Freunde den Bräutigam dringend vor der Ehe mit Frau Gottfried warnten. Man machte nun auch ihn auf ihr Verhältnis mit X... aufmerksam und stellte ihm vor, wie sehr unheilbringend ihre Nähe bislang gewesen. Frau Gottfried befürchtete mit Grund, daß er wanke. Mit schneller Entschlossenheit spielte sie, als Zimmermann ihr von diesen üblen Nachreden sprach, die tief Verletzte, erklärte sich weinend für ein Opfer der dunklen unerforschlichen Wege der Vorsehung und sagte, sie sei entschlossen, keinen Glücklicheren mehr an ihr Los zu knüpfen: sie trete von der Verlobung zurück. Natürlich wollte der wackere Zimmermann nun nichts davon wissen. Es kam wieder zur Versöhnung; aber Gesche fürchtete, er könne auch noch ein zweites Mal zaudern, besonders, wenn er von ihren großen Schulden höre; er würde vielleicht gar zurücktreten und seine Darlehen wieder haben wollen. Das mußte verhütet werden.

Sich auch mit diesem Verlobten auf dessen Totenbett trauen zu lassen, kam ihr nicht in den Sinn. Er hatte zu wenig Vermögen, die Enttäuschung bei der Verheiratung mit Gottfried war ihr noch zu sehr in Erinnerung, auch hätte eine Wiederholung der Geschichte bedenkliche Gerüchte erzeugen können. Sie wollte ihn nur einfach vergiften und sehen, was bei der Gelegenheit etwa noch für sie abfiele.

Zimmermann sollte indessen keines schnellen Todes sterben. Das hätte Verdacht erregen können, auch hatte sie sich auf die Rolle vorbereitet, während einer langen schmerzlichen Krankheit ihn mit aufopfernder Liebe und Treue zu pflegen. Dabei konnten Vermächtnisse für sie abfallen: welche der durch Erfahrung Gewitzigten lieber waren als ganze Erbschaften. Zimmermann bekam daher Ende April 1823 nur eine mäßige Portion Mäusebutter auf Zwieback. Um dieselbe Zeit erhielt aber auch ihre Freundin Maria Heckendorf eine ziemliche Dosis, weil diese sich früher so vorlaut über ihr Verhältnis zu X... geäußert hatte; schließlich gab das auch Gelegenheit, an Marias Krankenlager zu beweisen, wie sie sich einer Freundin annehme, von der sie gekränkt worden war.

Das Mäusegift wirkte bei beiden Personen sehr schnell. Die unglückliche Maria erkrankte heftig. Aber das Gift bewirkte bei der in bedrängten Verhältnissen und von ihrer Hände Arbeit Lebenden nur eine Lähmung der Hände und Füße; sie blieb am Leben.

Auch Zimmermanns starke Gesundheit widerstand erst. Nach acht Tagen konnte er schon wieder seine Pflegerin in ihrer Wohnung besuchen. Sie mußte ihn ernsthafter anfassen. Er erhielt ein gebratenes Küchlein mit Pflaumen, die ihn niederwarfen und nicht wieder aufkommen ließen. »Willst du Erbin meines Vermögens sein?« fragte der Totkranke die Verbrecherin. Sie erinnerte ihn an seinen Bruder. Er antwortete: »So sollst du, was ich dir geliehen, als Geschenk annehmen.«

Am 1. Juni 1823 gab Zimmermann unter entsetzlichen Beängstigungen in den Armen seiner Braut den Geist auf. Deren Schmerz erschien natürlich grenzenlos, und jetzt geschah es, daß sie den Prediger des Kirchspiels, welcher die meisten Hörer hatte, um eine öffentliche Fürbitte für sich ersuchte. Man erfuhr erst später, daß diese Fürbitte von ihr angeregt worden war, und die Sache erregte damals nur neues Mitleid mit der Armen.

Zweihundert und dann sechshundert Taler waren der bare Ertrag der Vergiftung. Zudem besorgte sie auf Wunsch der Erben und zu ihrer Zerstreuung den Ausverkauf des Zimmermannschen Modewarenlagers. Die noch immer anmutige und so sehr vom Unglück verfolgte Witwe am Ladentisch stehen zu sehen, das lockte einen bedeutenden Zulauf von Käufern und Käuferinnen an. Die besten Geschäfte machte sie dabei für sich selbst, indem sie nicht unbedeutende Beträge unterschlug.

 

Mit der gewonnenen Beute ging sie zur Erholung nach Hannover, wo die liebenswürdige Witwe, von einem väterlichen Verwandten empfangen, abermals in Kreise geriet, die weit über ihrer Sphäre in Bremen waren. Verwandte und Freunde taten alles, ihr den Aufenthalt angenehm zu machen, und ihr sanftes gemütvolles Wesen, ins richtige Licht gesetzt durch glänzende Toiletten aus Zimmermanns Lager, verschafften ihr allgemein Zuneigung und das Ansehen einer Dame von Stande.

Ihr Vetter Temme, im Dienste des Herzogs von Cambridge, mußte bei dessen Ankunft aus dem Palais Monplaisir in seine Stadtwohnung ziehen. Da diese zu klein war, schätzte ein Freund Temmes, Herr Kleine, ein wohlhabender Beamter, es sich zur Ehre, die kindlich-naive, heitere, sanfte, gemütvolle Frau in seine Wohnung aufzunehmen, – sie, die ihre nach solchem Schicksal so natürliche Schwermut mit feinfühliger Rücksicht auf die Gesellschaft zu unterdrücken wußte, die vornehm, freigebig und die Güte selbst war.

Man freute sich, wie die Musik die Leidende rühren konnte. Als ein junger Herr die Arie sang:

Eingehüllt in Dunkel sind die Wege,
Gott, die du uns führst!

ergriff sie tiefste Wehmut. Sie wollte nie ein tröstlicheres Lied gehört haben, keines, das so auf ihr Schicksal paßte; sie bat um eine Abschrift.

An ihre Freundin Marie, die von ihr Vergiftete, schrieb sie die herzlichsten Trostbriefe: Nichts könne ihr so die Freude ihres Aufenthalts in Hannover verkümmern als die Nachricht, daß sie ihre Marie noch immer leidend wisse. Sie bat dringend, wenn das ihren Zustand lindern könne, noch mehr Bäder zu nehmen, gern wolle sie dieselben bezahlen. »Verzage doch nicht,« so heißt es im Briefe, »Dein religiöser Sinn ahnet gewiß die dunklen Wege der Vorsehung, die doch immer unser Bestes will. Wir Kurzsichtigen, sehen wir nicht oft ein, daß alles zu unserm Besten geschieht? Laß uns Ihm glaubend vertrauen. Er ist unser Vater.« Zum Schluß, nachdem sie die liebste Freundin aufgefordert, ihr bei der Rückreise entgegenzukommen, sagt sie noch: »Du bist überzeugt, ich meine es gut, was ich schreibe, ist aufrichtig gemeint.«

 

Wieder in Bremen, hatte sie Ärger über Ärger. Da wurden Schulden eingefordert, die sie durch den Akkord ihres Vaters für getilgt hielt; X ... drohte, und Kassow, der schon bei der Verlobung mit Zimmermann erkannt, wie es nur ein leeres Versprechen der Gottfried gewesen, daß sie seine Kinder zu Erben einsetzen werde, wollte seine Vorschüsse wieder haben und hätte gern auch seine Geschenke zurückgenommen. Jener Magister, welcher die Ehe mit Miltenberg zustande gebracht, mußte für ihn mit Frau Gottfried unterhandeln. Die Briefe, die sie in dieser Angelegenheit schrieb, sind merkwürdige Proben dafür, wie sie verstand, ihre Ansprüche zu verteidigen. Es heißt darin: »Gott wird mich jetzt stärken; auf alles bin ich gefaßt. Mit gutem Gewissen erscheine ich, wo Sie es wünschen, die Wahrheit soll und darf der Mensch reden ... Ich bin nicht reich – aber ehrlich und redlich durchs Leben gehen, ist mein Vorsatz! ... O wie leicht irrt man in der Beurteilung des menschlichen Herzens! – Wie empfindlich der Schmerz ist, von anderen verkannt zu sein, und sich bei dem besten Willen höhnisch beurteilt zu sehen! Sie haben eine Wunde geschlagen, die nie zu heilen ist ... So unedel, wie Sie mich schildern, bin ich nicht; bloß unglücklich. Wer hat mehr Tränen der Verzweiflung geweint als ich – und lebe dennoch! Glück gibt es nicht auf dieser Welt voll Mängel und Trübsal. Wer aber wahrhaft glaubt, wird und soll nicht untergehen ... Mit Beschämung wird gewiß mancher Verleumder bereuen, mir wehe getan zu haben. Reue bleibt nicht aus ... Dem Reinen ist alles rein. Gott ist Zeuge meiner unglücklichen Lage. Ach, Herr Magister, welch ein schönes Gefühl, nach dem Tode meiner Lieben so zu handeln, wie ich tat! – Da ich am Sonntag zum heiligen Abendmahl gehe, werden Sie die Kürze meines Briefes verzeihen, indem mein Geist mit der heiligen Handlung zu sehr beschäftigt ist. So gewiß ich dieses Mahl empfange, rede ich die Wahrheit.« So schrieb die Giftmischerin – nur um der Bezahlung von fünfhundert Talern zu entgehen!

Aber dies Drehen und Wenden half ihr nichts. Von jetzt ab war ihr Leben eine fortgesetzte Angst vor ihren Gläubigern und eine ununterbrochene Kette von Versuchen, um Geld aufzunehmen, um die dringendsten Mahner zu beschwichtigen und Zeit zu gewinnen.

 

Der alte Herr Kleine streckte ihr bei einem abermaligen Aufenthalt in Hannover achthundert Taler zur schleunigen Abtragung dringender Schulden vor, aber auch das half ihr wenig. Sie brauchte bald darauf in augenblicklicher Verlegenheit dringend drei Louisdor. Sie selbst wollte sich nicht mehr an X... wenden. Eine langjährige Freundin, die Musiklehrerin Anna Meyerholtz, ward von ihr ersucht, bei ihm um diese kleine Summe zu bitten. Umsonst – X... wollte nichts mehr geben. Die Meyerholtz selbst lebte in dürftigen Umständen, von ihrem geringen Einkommen mußte sie noch einen blinden, achtzigjährigen Vater ernähren. Aber sie hatte früher Wohltaten von der Gottfried erfahren, so erbot sie sich in ihrer Herzensgüte, von den seit Jahren zusammengesparten Begräbniskosten für den zu erwartenden Tod des alten Vaters ihr auf kurze Zeit die nötige Summe zu leihen.

Der Gedanke, der Frau Gottfrieds Hirn durchzuckte, wurde binnen vierundzwanzig Stunden zur Tat. Statt von dieser aufopfernden Liebe gerührt zu werden, beschloß sie, die hilfsbereite Freundin zu vergiften und ihres sauer ersparten Geldes sich durch Diebstahl zu bemächtigen.

Warum mußte das geschehen, da ihr doch die Freundin das Geld zugesagt hatte? –

Im Anfang hatte sie gemordet, um ihrer Sinnenlust ungehemmt frönen zu können; dann, um sich ein behagliches Dasein zu sichern. Aber nun? – Die Untersuchung hat die Motive zu dieser und zu mancher der folgenden Taten nicht völlig aufklären können. Das Vergiften hatte längst alles Schreckliche für sie verloren. Die Arbeit und Spannung dabei wurde allgemach ihre liebste Unterhaltung. Ihr fehlte ja schon seit langem alle und jede Tätigkeit. Sie selbst sagt: »Mir war gar nicht schlimm bei dem Vergiften zumute. Ich konnte das Gift ohne die mindesten Gewissensbisse und mit völliger Seelenruhe geben. Es war mir, als wenn eine Stimme zu mir sagte, ich müsse es tun. Ich hatte gewissermaßen Wohlgefallen daran. Ich schlief ruhig, und alle diese ungerechten Handlungen drückten mich nicht. Man schaudert doch sonst vor dem Bösen, allein das war nicht bei mir der Fall. Ich konnte mit Lust Böses tun.«

Gift in kleineren Dosen hatte sie grundlos früher schon gegeben; so einer entfernten Verwandten, die sie nicht recht mochte; ferner der sechsjährigen Tochter des in ihrem Hause wohnenden Lehrers Sp..., weil dessen Frau ihr zuwider war; endlich ihrem lieben Freunde, dem frommen Mosees, damit sie während dessen Unwohlsein seine Speisekammer bestehlen konnte!

Die Musiklehrerin erhielt im Hause der Gottfried Mäusebutter auf Zwieback geschmiert. Schon auf der Straße befiel sie heftiges Erbrechen. Zu Bett gebracht, schrie sie, als wenn sie von einem Schwert durchstoßen würde, packte die Umstehenden an, schleuderte sie von sich und starb, furchtbar entstellt. – Natürlich war Frau Gottfried die treueste Krankenpflegerin gewesen. Als eine gemeinschaftliche Bekannte ausrief: »Herr Jesus, die hat gewiß etwas eingekriegt,« schüttelte sie ruhig den Kopf und tadelte die andere, daß sie sich von ihrem lebhaften Gefühl hinreißen lasse. »Möchten Sie dem alten Vater den Schmerz antun?«

Als der Arzt die Leiche öffnen wollte, kam er zu spät. Die Gottfried hatte für schleunige Einsargung gesorgt. Niemand hegte Verdacht. Dagegen plünderte, von dem blinden Greis, dem achtzigjährigen Vater der Ermordeten nicht gehindert, die Gottfried deren Schränke, während sie vorgab, für den armen, nun seiner letzten Stütze Beraubten den Haushalt zu führen.

 

Im Jahre 1825 vergiftete sie, doch ohne tödliche Folge, den schon erwähnten Lehrer Sp..., wie schon früher dessen Kind, nur weil sie seine Frau nicht mochte.

Ihr lieber Mietsmann Mosees kränkelte an dem ihm von ihr beigebrachten Gifte. Als er im Begriff schien, sie heiraten zu wollen, hielt sie es an der Zeit, ihn ernstlich zu vergiften. Unter Küssen und Tränen gab sie ihm die stärkste Dosis, und er starb, vor Schmerz rasend, nachdem sie sich versichert, daß er ihr ein bedeutendes Legat ausgesetzt hatte. Zum ersten Male schien sie beim Leichenbegängnisse dieses Opfers ihre Maske abzunehmen. Nach der Aussage von Zeugen verbarg sie nicht die kälteste Gleichgültigkeit, und zu einer neben ihr stehenden Frau sagte sie während der Leichenrede: das sei nun die einundzwanzigste oder zweiundzwanzigste Leiche, bei der sie zugegen sei; es komme ihr gerade so vor, wie eine Hochzeit.

 

In ihren Bekenntnissen über jene Zeit schreibt sie, sie sei damals in einem unbehaglichen Seelenzustand und am liebsten allein gewesen. Vorzüglich tat es ihr leid, daß sie bei ihrem Tode den Armen nichts hinterlassen könne, wie andere, um ihre Sünden gutzumachen. Aber nie sei sie auf den Gedanken gekommen, etwa Selbstmord zu begehen; »im Gegenteil, ich mochte gern leben. Überhaupt habe ich immer ein sehr zufriedenes Herz gehabt! Die kleinste Aufmerksamkeit machte mich so sehr froh.«

Sie versuchte sich jetzt fortwährend in kleinen Vergiftungen, die schwerlich alle zur Kenntnis der Richter gekommen sind. Um der unbedeutendsten Ursache willen griff sie zu ihrer Mäusebutter. So wurde angegiftet: ihre Magd, das Kindermädchen des Lehrers Sp..., die Magd einer ihrer Mieterinnen. Schon verfolgte sie nicht mehr einzelne, vielmehr gab sie dem, den der Zufall ihr gerade zuführte. »Zuweilen war ich monatelang von dem Triebe frei; dann aber kam wieder eine Periode, wo ich mit dem Gedanken aufwachte: wenn der oder die kommen sollte, da solltest du etwas geben!«

Sie konnte oft, wenn sie einmal zum Nachdenken kam, sich darüber wundern, daß alles unentdeckt blieb. Zugleich hatte sie es aber in der teuflischen Heuchelei soweit gebracht, daß sie ihre gequälten Opfer noch neckte. Seit Jahren vergiftete sie fort und fort, jedoch mit geringen Dosen, ihre Freundin Marie Heckendorf. Einst konnte sie, als von den Flecken die Rede war, welche infolge des häufigen Giftgenusses im Gesichte derselben entstanden, den Finger heben und im Tone warnender Liebe fragen: sie genösse doch wohl nicht heimlich starke Getränke?

Mancherlei immer dringender werdende Mahnungen zwangen die Witwe Gottfried, ihr Haus zu verkaufen; es dauernd aufzugeben, daran dachte sie aber keineswegs. Durch verschiedene Vergiftungen des Käufers, des Radmachers Rumpf, hoffte sie, bald wieder in seinen Besitz zu kommen. Es galt hier eine Arbeit mit großem Ziel, und mit voller Kraft ging sie ans Werk. Die Methode, die sie bei Gottfried, Zimmermann und Mosees angewandt, schien ihr auch hier geeignet.

Wollte sie aber Rumpf als Bräutigam gewinnen, damit er ihr auf dem Totenbette seine Habe, oder wenigstens den Teil davon verschrieb, den sie wünschte, so mußte sie zuvor, da er unglücklicherweise schon verheiratet war, seine Frau beiseite schaffen.

Frau Rumpf starb am fünfzehnten Tage nach ihrer Entbindung, wie niemand zweifelte, infolge der Niederkunft, in der Tat aber am Genuß einer sorglich zubereiteten Hafersuppe; als diese zu langsam wirkte, gab die Gottfried der Unglücklichen drei Tage vor dem Tode noch einmal Gift.

Wer hätte gegen die aufopferungsvolle Pflegerin Verdacht schöpfen sollen, obwohl bald darauf auch, wie angegeben, Gesellen, Magd und Amme, von ihr – aus Mutwillen oder aus kleinen Nebenanlässen – mit schwachen Dosen bedacht, qualvoll litten? – Nach einigen Wochen spielte sie dem Witwer gegenüber auf eine Wiederverheiratung an. Der wies den Antrag spaßend, aber bestimmt zurück; er erklärte, er werde nicht wieder heiraten, zuallerletzt eine Witwe. Nun mußte auch er erkranken, und verdankte nur dem Umstande, daß er sich nicht, wie die früheren Opfer, durch ihr einschmeichelndes Wesen zu Versprechungen und Vermächtnissen bewegen ließ, die Fristung seines Lebens; freilich auch die größere Dauer der Qualen.

 

Der Gottfried mochte diese Geschichte mit Rumpf zu lange währen; jedenfalls gewährte sie ihrem rastlosen Wesen nicht Beschäftigung genug. Sie vergiftete inzwischen ihre treue Beta Cornelius, die jetzt verehlichte Schmidt, während der Abwesenheit von deren Manne. Das Motiv: fünfzig Taler, welche Schmidt seiner Frau für die Kosten ihrer bevorstehenden Entbindung zurückgelassen hatte. Frau Gottfried brauchte das Geld. Die Wöchnerin mußte die letzte Mäusebutter, die sie noch in Vorrat hatte, verzehren, aber Betas gesunde Natur widerstand lange. Noch gebar sie einen Knaben; noch mußte die Todkranke ihre dreijährige Tochter vor sich sterben sehen, da das Kind von der vergifteten Kirschsuppe zu essen bekommen hatte. Neue Mäusebutter, die sich die Gottfried schnell zu verschaffen wußte, vollendete endlich die Zerstörung des kräftigen Körpers ihrer Beta. Kein Todesfall schien sie später auf gleiche Weise zu bedrücken, als dieser und der ihres Sohnes Heinrich: »Ach, ich bekenne,« schrieb sie, »zwei Menschen getrennt zu haben, die sehr glücklich waren, und die beide ihr Leben für mich würden hergegeben haben.«

Dieser Raubmord, bei dem sie nur etwa fünfundzwanzig Taler gewonnen haben will, genügte nicht, sie aus der Verlegenheit zu reißen. Der alte Herr Kleine in Hannover drängte wegen der geliehenen achthundert Taler. Sie konnte nur mit Mühe eine viel geringere Summe aufnehmen, um ihn einstweilen zu befriedigen. Darum faßte sie den Plan, nach Hannover zu reisen und dort den Vater Kleine und womöglich auch seine Kinder zu vergiften, um so allen weiteren Mahnungen zu entgehen. Mehr wollte sie nicht; sie ging eigentlich niemals habsüchtig auf Gewinn aus, sie wollte in der Regel nur aus einer augenblicklichen Verlegenheit gerettet sein und frisch Atem schöpfen. Die Zukunft kümmerte sie wenig.

Sie schickte Briefe über Briefe voller Zärtlichkeit an den lieben Vater Kleine, der ihr einziger Freund wäre und ihr in allen Angelegenheiten seinen Rat schenken müsse, denn sie könne nichts tun, was er nicht billige. Dann trat sie mit einer vollen Kruke Mäusebutter ihre letzte Reise zu dem Guten an.

Der Alte und seine Familie nahmen Frau Gottfried wie eine Tochter auf. Ihr ganzes Sinnen und Trachten war, ihr den Aufenthalt angenehm zu machen. Am 17. Juli reichte sie Herrn Kleine beim Frühstück den Schinken, und genau eine Woche später gab er unter unsagbaren Schmerzen seinen Geist auf. Das ärztliche Gutachten gab als Ursache seines Todes die Gallenruhr an.

Am Tage darauf erkrankte die ganze Kleinesche Familie infolge des Genusses einer Hafersuppe. Glücklicherweise mußten sich alle so stark erbrechen, daß die Wirkungen des Giftes nicht erheblich waren.

Über den Todesfall schrieb die Gottfried nach Hause: »Wenn Sie es doch gesehen hätten, wie der Selige mich mit seinen Kindern vor sein Sterbebett kommen ließ, mich bat, bei diesen zu bleiben, und Luise, die Tochter, nie zu vergessen! Wir haben uns in seiner Gegenwart ewige Freundschaft gelobt. Ich kann sagen, an ihm wohl einen zweiten Vater verloren zu haben. Wen habe ich jetzt? – Es ist schrecklich, mein Los auf der Welt! Alles, was ich liebe, wird mir genommen!«

Durch Kleines Tod gewann sie nicht nur Aufschub, denn niemand dachte natürlich daran, die fünfhundert Taler, die sie ihm noch schuldete, jetzt zurückzufordern – sie log auch, sie habe dem Verstorbenen fünf Louisdor zum aufbewahren gegeben. Obwohl dies auffiel, da man weder die Goldstücke noch eine Notiz darüber fand, und Kleine der sorgsamste Mann in Geldangelegenheiten war, erhielt sie dieselben, ohne den geringsten Verdacht zu erregen. Ferner stahl sie einem Fräulein Stockhausen einen Doppellouisd'or und Luise Kleine Wäsche und anderes.

 

Aus Hannover, von wo man sie mit Tränen und den innigsten Liebesbeteuerungen hatte abreisen lassen, brachte sie viele Geschenke an ihre Hausgenossen mit, bestahl aber alle dafür und setzte zugleich die Vergiftung des immer noch leidenden Rumpf fort. Wenn der arme Mann beim Erbrechen würgte, hielt Tante Gottfried ihm teilnehmend den heißen Kopf, sie wischte mit ihrem Tuche ihm den Angstschweiß ab und vergoß Tränen, daß sie nicht an seiner Statt leiden könne. Und wenn er erschöpft ruhte, steckte sie ihm Brieflein und Stammbuchblätter zu mit Gedenksprüchen erbaulichen Inhalts, wie etwa folgender: »Schuldlos sein ist des Leidenden höchste Würde, und der Edle, welcher mit heiterem Antlitz unter das Geschick sich beugt, ist ein Anblick, über den der Himmel sich freut.«

Auch bei anderen Personen nahm sie in sinnloser Weise ihre Tätigkeit wieder auf. Ihre Freundin Marie, die noch fortwährend an dem früher gegebenen Gift krankte, hatte einen Pflegesohn, einen elfjährigen Jungen. Als Marie die Gottfried besuchte, freute sich diese über den Johanniskopf des Knaben, aber sie reichte ihm im selben Augenblicke vergiftetes Butterbrot und frug bedeutungsvoll ihre Freundin: »Was meinst du, Marie, wenn du den einmal verlieren müßtest?« – Der Knabe erkrankte, aber erholte sich wieder, und nach drei Wochen war sein erster Gang zur guten Tante Gottfried. Jetzt empfing er gekochte Pflaumen mit Mäusebutter, aber kam auch diesmal mit dem Leben davon. – Ein junges Mädchen, welches ihr zum Geburtstag gratulierte, erhielt zum Dank gleichfalls Mäusebutter: Die Gottfried vergeudete und verspritzte das Gift wie eine Rasende, die mit ihrem Vorrat von Kraft zu Ende kommen will.

Bei Rumpf half ihr alles nichts, er wollte sie weder heiraten, noch ihrer im Testament gedenken; ja, er schien beinahe einen Widerwillen gegen sie zu fassen. Sie fürchtete, er ahne mehr, als er solle. So wollte sie ihm denn, schon um sich zu rächen, energisch zu Leibe gehen, mit der stillen Hoffnung, daß nach seinem Tode das Haus auf irgendeine Weise ihr doch wieder zufallen könne.

Aber der vergiftete Speck wurde entdeckt, und am 6. März 1828, ihrem vierundvierzigsten Geburtstage, wurde Frau Gottfried verhaftet. Die Laufbahn ihrer Verbrechen ward – von den zahlreichen Vergiftungen abgesehen, deren Opfer am Leben geblieben waren – mit dem fünfzehnten Giftmorde mit tödlichem Ausgang beschlossen. Außerdem belasteten die Gottfried: wiederholter Ehebruch, Meineid, Diebstahl, Einbruch, Unterschlagung und der Versuch der Abtreibung.

 

Die entsetzliche Angst durchschütterte sie im Gefängnis, die Angst vor der weltlichen Strafe, nicht etwa vor einem göttlichen Richter. So kühn, so verwegen sie in ihren Taten auch gewesen: sie war es nicht durch die Gewalt der Leidenschaft geworden; sie war es nur, weil sie sich allmählich in den Glauben eingelullt, daß ihr Treiben nie enthüllt werden könne. Sie suchte sich selbst zu belügen, sich die Möglichkeit vorzuspiegeln, daß es nicht zu dem Ärgsten, nicht zur Todesstrafe kommen werde. Darum mühte sie sich, vor den Richtern mit sich selbst schön zu tun und sich als unfreiwillig Handelnde, von bösen Dämonen Verführte darzustellen. Die Hoffnung hielt sie aufrecht, daß die vornehmen Herren Richter, gegen welche sie so demütig war, ihr die schärfste Strafe ersparen würden. Sie bat und stellte anheim, ob man sie nicht zur Abbüßung ihrer so großen Verbrechen im Gefängnis belassen und ihr Magddienste in demselben auftragen wolle. – Die lange Dauer der Untersuchung war ihr ein Trost; sie war vergnügt und zufrieden, als sie hörte, daß der Prozeß sich jahrelang hinziehen werde. Ihre fürchterlichste Angst war, daß doch plötzlich die Tür rasseln möchte und die Henker einließe, die sie zum Richtplatz abholen wollten. Ja, die kluge, gebildet-sein-wollende Frau, die nicht zitterte, wenn in ihrer Gegenwart die Leichen der von ihr Gemordeten ausgegraben wurden, gab sich allen Ernstes dem Gedanken hin, daß man sie mit diesen Leichen zusammenbinden, in eines der Gräber werfen, mit kochendem Wasser überschütten und dann lebendig begraben werde! Als wilde Tiere in Bremen gezeigt wurden, glaubte sie zuweilen, man könne sie den Bestien lebendig zum Fraß vorwerfen.

Diese Furcht kann echt gewesen sein; vielleicht auch war sie nur gespielt, weil die Gottfried an ihrer Zurechnungsfähigkeit Zweifel erregen wollte.

Um zumindest eine seelische Unfreiheit bei ihren Handlungen glaubhaft zu machen, redete sie mit der größten Liebe, ja Zärtlichkeit von all ihren Opfern; sie zerfloß in Tränen, wenn sie ihrer gedachte, und dichtete den teuren Menschen gute Eigenschaften an, damit es immer unwahrscheinlicher werde, daß sie dieselben bei gesunden Sinnen habe vergiften können. Selbst ihren ersten Mann, der erweislich ein Taugenichts und Wüstling gewesen, konnte sie nicht genug rühmen. – Es brauchte darum der langwierigen und sorgsamen Untersuchung, um die selbstischen Beweggründe zu den einzelnen Verbrechen ans Licht zu ziehen. – Auch Visionen wollte die Gottfried im Gefängnis haben: Da sitzt der alte Kleine in einer Wolke über dem Kirchturm und droht ihr. Am häufigsten erblickt sie den blinden achtzigjährigen Herrn Meyerholtz, dem sie die Tochter, die einzige Stütze, geraubt – ohne die Barmherzigkeit zu üben, auch den Alten selbst zu vergiften – und den armen Küfer Schmidt und sein Kind, die beide traurig auf einer Wiese sitzen. Das Totenantlitz des alten Kleine in Hannover verläßt sie fast nirgends, seine Söhne rennen ihr nach, und der eine faßt sie bei den Haaren und schleudert sie auf den Schinderkarren. Einmal ist sie in der Kirche, aber wie sie sich niedersetzen will, stehen alle Leute auf und gehen weg. Zimmermann, ihren Bräutigam, sieht sie in einem schönen Laden totenblaß stehen. Als sie eintritt, reicht er ihr ein ganz schmutziges Gesangbuch mit den Worten: »Suche hierin deinen Trost, mein Gesangbuch ist verloren.« Ihr erster Mann, Miltenberg, erscheint als eine Art Heiland an der Hand von Pastor Dräseke und spricht: »Ich will dich erretten und selig machen, und du sollst mich preisen!«

Diese Visionen suchten sie meist nachts heim. Sie sprang aus dem Bette und bat himmelhoch, daß man Wächter in ihrer Zelle belasse. Auch mußte die Frau des Gefängniswärters ihr Gardinen vor das Fenster machen, weil die Gespenster immer von außen zu ihr kämen.

Es kann sich bei all diesen Dingen um wirkliche Halluzinationen gehandelt haben; aber abgesehen von den übrigen Gründen, die ihr Wahnvorstellungen als rätlich erscheinen lassen konnten, ist der Gedanke, daß die Eitelkeit bei dem Wunsch nach Gardinen mitspielte, durchaus nicht von der Hand zu weisen. Denn ihrer Eitelkeit hat sie auch sonst im Gefängnis, so weit möglich, Rechnung getragen. So schätzte sie es als die größte Humanität, daß man ihr vergönnt hatte, statt der gewöhnlichen Gefängniskleidung ihren seidnen Schlumper zu tragen, den sie auch – trotz aller Flicken – während all der Jahre der Gefangenschaft beibehielt. Sie schlief ohne Laken, um dieses des Morgens sauber über ihr Bett zu breiten, für den Fall, daß Besuch käme.

 

Ein Umstand hätte das Gericht zur Schonung der Gottfried vielleicht veranlassen können: daß sie bei den letzten, zum Teil grundlos erfolgten Vergiftungen offenbar wirklich unter einem Zwange, durch Gift zu töten oder doch Schmerzen zuzufügen, gestanden hatte. Aber daß dieser Trieb die Herrschaft über sie erlangt, daran trug sie selbst durch ihre ersten, mit freiem Willen vollführten Taten schuld.

Erst im Verlauf ihrer Sündenbahn wurde der Drang, zu vergiften, stark, bis er sie überwältigte. Es war nicht so, daß ein Unentrinnbares, daß dunkle, dämonische Mächte ihre Lebensbahn bestimmten. Und was diese Frau so grauenhaft macht, das ist gerade der Mangel an allem Dämonischen, ist das Fehlen jener großen, das ganze Sein vergewaltigenden Leidenschaft, die über Leichen zum Ziele treibt. Denn auch bei den ersten Mordtaten – damals, als sie Gottfried erringen wollte – ist kaum etwas von Leidenschaft zu spüren. Sie hätte sonst nicht von Anfang an den Geliebten hintergehen können.

 

Am 17. September 1830, im dritten Jahre ihrer Gefangenschaft, erfolgte durch das Bremer Obergericht die Verurteilung der Gottfried zum Tode durch das Schwert.

Ihre Gesundheit, geschwächt durch die stete Furcht vor einem plötzlichen Tode, hatte sich in der letzten Zeit wieder erholt. Völlig unvorbereitet ward sie in der Frühe des 18. Septembers zur Urteilsverkündigung abgeholt. Beim Eintreten fiel ihr falkenartig spähendes Auge auf ein Gefäß, dessen Inhalt sie sogleich erriet. Es war Essig, für den Fall einer Ohnmacht. Sie wußte nun, ehe ein Wort gesprochen wurde, was ihr bevorstand. Nachdem sie den Spruch gehört, erklärte sie, daß sie dies Urteil und noch weit mehr verdient habe, weshalb sie es mit Dank annehme.

Dennoch legte sie Berufung ein.

Das Gericht befürchtete einen Selbstmord, und deshalb wurde sie von nun an unter die dauernde Bewachung von fünf Frauen, die miteinander abwechselten, gestellt. Da versuchte sie, durch den Hungertod dem Schafott zu entgehen. Vergebens stellte ihr Pastor Dräseke vor, daß sich dieser Vorsatz nicht mit ihrer angeblichen Religiosität vereinen lasse. Aber die Natur half sich selbst. Wenn der Hunger aufs höchste gestiegen war, verlangte sie doch etwas Fleischbrühe und Apfelmus.

Die fünf Frauen erzählen, in der letzten Zeit sei die Gottfried sichtlich immer »gallichter«, »häßlicher«, »unartiger« geworden. Sie betete nie und beklagte nie ihre Sünden. Die heuchlerisch-demütige Kreatur ward jetzt, da sie sah, daß alle Verstellung ihr nichts half, frech gegen die Beamten und Richter: Die Bewachung habe ihr ein Gallenfieber zugezogen; es fehle nur, daß man sie auch noch fessele! Es sei unausstehlich, wie viele Besuche man zu ihr lasse usw. Nur noch den fünf Frauen gegenüber heuchelte sie. Sie gab jeder einzelnen den Vorzug vor den anderen und schmähte auf die Abwesenden.

 

Sie hoffte aufs bestimmteste, noch vor ihrer Hinrichtung aus Schwäche zu sterben, und verordnete für diesen Fall, daß man ihr den Mund zubinde, damit er nicht so häßlich offen stehe. Bei allen Todesgedanken aber hatte sie doch das feinste Ohr für das, was im Gefängnis vorfiel; sie horchte an den Mauern, kannte die Gefangenensprache, interessierte sich aufs lebhafteste für die männlichen Sträflinge und hätte gern bei ihren Liebschaften die Kupplerin gespielt.

Ein besonderes Interesse erregte ihr die Gefangensetzung einer anderen Frau, die des Giftmordes an ihrem Gatten beschuldigt war. Sie versuchte durch die Wand deren Antworten bei der Vernehmung zu hören, und äußerte dann: »Die teufelt sich davon los! Wenn ich so hätte sprechen können, so wäre ich auch freigekommen!«

 

Am 14. April 1831 wurde ihr das am 6. April zu Lübeck ergangene Urteil des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands, welches das Bremer Urteil bestätigte, vorgelesen. Keine sonderliche Bewegung ward an ihr sichtbar; doch vergoß sie viele Tränen und sagte: ihr Leben sei das wenigste, was sie für so viele Verbrechen geben könne.

Fest und entschieden erklärte sie, als ihr Verteidiger sie darauf aufmerksam machte, daß sie beim Senate um Begnadigung einkommen könne, sie wolle nicht darum bitten, sie gebe gern ihr Leben hin.

Noch war ihr Vertrauen darauf gerichtet, aus Schwäche vor der Hinrichtung zu sterben. Zusammengekauert lag sie im Bette, stumpfsinnig den Tod erwartend. Vom Lesen und Beten mochte sie nichts hören; sie sei zu schwach dazu, und kurz erklärte sie allen, die sie befragten: »Gottes Barmherzigkeit sei größer als alle Sünden, und niemand könne mehr tun, als sein Leben hingeben, zumal, wenn er es gern opfere wie sie.

Als die Hoffnung, aus Schwäche zu sterben, sich nicht zu erfüllen schien, beschäftigte sie sich mit den Äußerlichkeiten der Hinrichtung. Sie nahm nach vielem Aufschub endlich das Abendmahl, doch nur auf das Drängen von Pastor Dräseke. Ihre Toilette war ihr viel wichtiger. Als man ihr im Gefängnis einige Tage vor der Exekution zum ersten Male einen Spiegel gebracht, erschrak sie heftig darüber, wie sie jetzt aussehe und wie sie gealtert habe. Sie lieh eine Haube von der Gefangenenwärterin, und da sie ihr nicht weiß genug war, bat sie die Frau, sie vorher in ihrem Garten noch etwas zu bleichen.

 

Am 19. April erfuhr sie, daß sie am nächsten Morgen hingerichtet werde. Sie erkundigte sich genau nach Ort und Stunde und versicherte, sie habe alles gestanden und keinen weiter vergiftet, als wer auf der Liste stände; ihr Herz sei ganz rein.

Morgens um fünf Uhr erschien der Geistliche und fand sie noch schlafend. Als man sie weckte, war sie nichts weniger als erfreut über den Besuch, forderte Wein zum Trinken und Einreiben, Kaffee und andere Kleinigkeiten, ohne sich um den Prediger sonderlich zu kümmern.

Ihr Anzug beschäftigte sie fast ausschließlich in der letzten Stunde. Drum ließ sie den Geistlichen, der einen zweiten Besuch machen wollte, nicht zu sich. Die neuen Schuhe von grober Arbeit, die man ihr hingestellt, wehrte sie mit Abscheu von sich und gab sich erst zufrieden, als eine Frau ihr ein Paar leichte Zeugschuhe brachte; die schwarzen Strümpfe, die ihr geliefert wurden, zog sie über ihre alten grauen an, um ihre Waden dadurch mehr hervorzuheben.

Noch kam ein furchtbarer Augenblick für das eitle Weib. Man wußte, wie sie sich gegen das übliche Totenkleid – ein weites, weißes Gewand mit schwarzer Einfassung – sträuben würde. Deshalb ward es erst herbeigebracht, als die Gottfried schon, von zwei Gerichtsdienern unterfaßt, zum letzten Gang bereit stand. Ihre Augen verdrehten sich auf furchtbare Weise, als sie das Kleid zu Gesicht bekam, sie seufzte tief, als man es ihr über den Kopf warf, faßte sich aber doch und zupfte es zurecht.

Ihr weißes Tuch vors Gesicht drückend wankte sie die Treppe hinunter.

In guter Haltung saß sie während des ganzen Weges zur Richtstatt auf dem Leiterwagen, den sie ohne große Unterstützung bestiegen. Ihre Hände hatte sie schon beim Anfang von dem Stricke, der lose darum geschlungen worden, befreit, und hielt während der ganzen Fahrt krampfhaft die Hand des neben ihr sitzenden Polizeidieners.

 

Auf dem Marktplatze war das Schafott aufgeschlagen, elf Fuß hoch, schwarz behangen. Ihm gegenüber stand die Tribüne zur Hegung des hochnotpeinlichen Halsgerichts. Auf sie hinaufgehoben, hörte sie, dem Gerichte gegenüber, mit sichtbarer Angst, doch ohne Tränen, die Vorlesung des Todesurteils an. Nachdem von dem Senator der Stab über ihrem Haupte gebrochen, und sie dem Scharfrichter übergeben worden war, reichte sie den Richtern zum Abschied die Hand, nahm einen guten Schluck Wein und wankte dem Schafott zu. Zierlich raffte sie beim Ersteigen der Treppe das Gewand. Als sie oben den für sie bestimmten Lehnstuhl sah, – so wird uns von ihrem Verteidiger berichtet – »stierte ihr Blick wild, ein satanisches Leben, ein Feuer der Hölle blitzte stechend aus dem sonst erloschenen Augapfel.«

Da der zur Aufrechthaltung des Kopfes bestimmte Riemen nicht passen wollte, vergingen noch einige Minuten. Die Knechte stießen den kraftlos übersinkenden Kopf wiederholt durch Stöße unter das Kinn empor, bis ein kräftiger Hieb das Haupt vom Körper trennte.

 

Bei der Sektion des Leichnams ergab sich eine vollkommen regelmäßige Struktur aller edlen Körperteile und zugleich die völlige Gesundheit der Verbrecherin. Ihre Schwäche war lediglich die Folge des versuchten Hungertodes. Nur die Brustknochen waren durch das gewaltsame Schnüren emporgetrieben worden.

Hogarth


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