Ludwig Bechstein
Wanderungen durch Thüringen
Ludwig Bechstein

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Die Liebensteiner Höhle.

Es brach ein reiner Morgen an, der auf die schöne Gegend die Fülle blitzender Thauperlen goss. Die Reisegesellschaft fand sich bald zusammen; Andern war, um unwillkommenes Anschliessen zu vermeiden, der Plan diesmaliger Wanderung verschwiegen worden; es schien eine stillschweigende Uebereinkunft, die kurzen Stunden, die dem Beisammensein noch vergönnt waren, ohne Beimischung fremder Elemente zu verleben; jeder Einzelne sah übrigens mit einiger Befangenheit dem Wendepunkt entgegen, da vor seinem Eintreten sich noch Wichtiges entscheiden sollte, denn noch war eine laute Erklärung nicht erfolgt, doch hatte Otto den guten Glauben, dass die Freunde mit einer solchen nun nicht lange mehr zögern würden. Er leitete die Gesellschaft auf den anmuthigen Wegen des Ruinenberges empor, von denen aus sich eine herrliche Aussicht in das Thal der Werra eröffnet, und weilte mit ihr an dem schönen Bernhardsplatz, an welchem Ruhebänke zum sinnigen Verweilen, wie zum Betrachten der reizvollen Landschaft einladen. Lieblich schallte durch die Morgenstille die Musik der Herzoglichen Hautboisten vor dem Kurhause herauf. Frau Arenstein, heute ernster gestimmt erscheinend, als es sonst der Fall war, liess sich zum Ausruhen auf einer der Bänke nieder, indem sie zu ihren Töchtern sagte: »Geht nur einstweilen mit unserm Freund Otto voran, liebe Kinder.« Der Genannte verstand den Wink; er wandelte mit den erglühenden Töchtern aufwärts, er sah ihnen offen in die schönen Augen, er brachte das Gespräch auf seine, bei der Mutter noch weilenden Freunde. Rosabella lächelte durch Thränen auf zarte Fragen, Engelbertha's Wangen wurden zur liebeverkündenden Purpurrose, ihre dunkeln Augen strahlten die Gluth der Empfindung aus, die sie erfüllte. Alle Gefühle waren in Aufregung. Otto suchte diese erhöhte Stimmung, ehe sie begann peinlich zu werden, durch geeignete Anklänge in sanften Frieden des Herzens zu verwandeln.

Die Ruine trat jetzt bei einer Biegung des Weges imposant und malerisch entgegen. Ihr zuschreitend, sprach der Führer: »Auf diesem reizenden Hochpunkte fanden sich oft schon liebende und zärtliche Herzen, schloss sich mancher Bund für das Leben. Fernhergekommene gesellten sich in traulicher Annäherung nicht minder Fremden, und verwandte Seelen begegneten sich, geleitet von der allmächtig und unerklärlich waltenden Sympathie. Möge auch heute sich Schillers Wort bethätigen, wie bestätigen: »Neues Leben blüht aus den Ruinen,« und Ihnen, meine holden, jugendlichen Freundinnen, in dem malerischen, entzückende Aussichten gewährenden Trümmerhause, das wir jetzt, über jene Bogenbrücke schreitend, zu betreten gedenken, der Segen einer treuliebenden Mutter, bei der aufrichtigen und hochachtungsvollen Werbung gesitteter, gebildeter und kenntnissreicher Jünglinge, einen neuen Lebensweg, wie reizvolle Aussicht in eine schöne Zukunft eröffnen!«

Solchen treugemeinten Wünschen vermochten die bewegten, von Gefühlen überstürmten Jungfrauen nur mit hervorquellenden Thränen zu danken; Otto liess sie allein in der Ruine, wo sie einander schwesterlich in die Arme sanken, und ging den Heraufkommenden entgegen, in deren heitern Blicken er die Erfüllung allseitiger Wünsche las, und nun Zeuge einer Wonnescene wurde, auf welche der Himmel selbst segnend herabzulächeln schien.

Wie billig, unterliess er bei solch freudenreicher Bewegung alles Reden von Geschichte und Sage der Burg Liebenstein, selbst naheliegende Wortspiele; vielmehr führte er von da ab, nachdem mit besonderm Wohlgefallen ein Blick durch eines der Burgfenster auf Steinbach geworfen worden war, die geliebten Liebenden tief in den Wald hinein, auf schattigen Pfaden zu einer sehenswerthen Felsgruppe, die bei den Vornehmen unter dem Namen des Felsentheaters, beim Volk unter dem der hohlen Scheuer bekannt ist. Nicht unpassend nennt der Dichter Friedrich Mosengeil sie in seiner Schilderung des Badeortes die stille Kirche. Es ist ein Naturtempel, ganz geeignet in höher gestimmten Gemüthern, im tiefen Schweigen der Einsamkeit, unter Blättergeflüster und Wipfelrauschen Andachtgefühle zu erwecken, und an Mahlmann's unsterbliches Vater unser zu erinnern:

Du hast Deine Säulen Dir aufgebaut,
Und Deine Tempel gegründet. –

Von dieser einsiedlerisch versteckten offenen Felsenhalle, aus welcher sich das bedeutende Dorf Steinbach wieder recht freundlich erblicken lässt, leitete nun Otto die zwei liebeseligen erklärten Brautpaare und eine im Glücke der Kinder schwelgende, hoffnungsselige Mutter aus dem Walde der Thalwiese zu, um über blumengeschmückte Pfade die nicht lange Strecke zu wandern, die zwischen dem Ruinenberge und der, bald Liebensteiner, bald Altensteiner Höhle genannten grossen Naturmerkwürdigkeit liegt. Sich imposanten Felskolossen, die von grünen Matten aufstreben, nähernd, wird zugleich die Ruine zur Linken, ein Theil des Badeortes mit der Kirche im Vorgrund, und eine von dort bis nahe an Glücksbrunn gezogene Allee erblickt, so dass sich ein mannichfach heitres Landschaftbild herausstellt. Glücksbrunn, mit schönem Schloss und bedeutenden, mit Dampfmaschinen betriebenen Fabriken, war ehemals ein Hüttendorf; nahe dabei breitet sich der Flecken Schweina mit zahlreichen Häusern aus.

Auf dem Wege erzählte Otto: »Es war im Jahre 1799, während Herzog Georg bemüht war, die Umgebungen Altensteins und Liebensteins in einen grossartigen Naturpark umzuwandeln, als beim Bau der Chaussee, die wir betreten, von den Arbeitern eine in die Tiefe hinabgehende kleine Öffnung gewahrt wurde, aus der ein starker Luftzug drang. Diese ward erweitert, Bergleute mussten hineinsteigen, es wurde eine der grössten Höhlen Deutschlands entdeckt, allmählig aufgeräumt, durch einen Stollen von der Seite bequem zugänglich gemacht, gefahrdrohende Stellen wurden durch Mauerwerk unterstützt, auf und ab in den Gängen Treppenstufen angelegt, und so geschah es, dass diese Höhle von allen ihren deutschen Schwestern die comfortableste genannt zu werden verdient, denn der Besuchende wandelt in ihr sicher, trocknen Fusses, braucht nicht in ein Bergmannshabit, auch nicht auf dem Bauche zu kriechen, so wenig wie Leiter auf und Leiter ab zu klettern.«

»Du machst mich in der That sehr neugierig,« sagte Lenz: »Schon die Knochen, welche hier gefunden wurden, und die ich in Meiningen sah, haben ein grosses Interesse für diese Höhle in mir erregt. Findet man deren noch mehr?«

»Leider, nein,« musste Otto bedauernd antworten. »Im Anfang wurde des merkwürdigen Fundes zu wenig geachtet, zu viel davon verschleppt, so dass nur der kleine Rest übrig blieb, den ihr gesehen habt; später hat man zwar noch tief in das Bergesinnere streichende Höhlengänge, aber keine weitern Fossilien entdeckt. Auch mangeln der Höhle, die aus Alpen- oder Rauhkalkgestein gebildet ist, Stalaktiten, und selbst gewöhnlicher Sinter kommt nicht häufig vor.«

Vom Fahrwege abwärts leitete Otto seine Gesellschaft zu einer schattigen Stelle; dort harrte bereits die Equipage der Frau Arenstein, mit den Mänteln der Damen von dem Führer vorsorglich hinbestellt, auch war mit Licht und Fackeln der Aufseher der Höhle bereit, denn es war eben kein Sonntag, wo in der Regel, während der Badesaison, einige Vormittagsstunden die ganze Höhle durch Lämpchen erleuchtet wird. Indessen stellt sie sich bei Fackelschein noch imposanter auf die Sinne wirkend dar; das an den hohen zackigen Wölbungen gebrochene Licht, die dunkeln Schlagschatten, ihr rascher Wechsel machen einen ganz eigenthümlichen Eindruck.

Durch den vom eiskalten Luftzug durchströmten Stollen musste rasch geschritten werden, die innere Temperatur der Höhle ist durchaus gemässigt, und belästigt nie durch empfindliche Kühle. Da, wo die eigentliche Höhle betreten wird, ist eine Seitenkammer als Ort der Entdeckung bemerkenswerth. Im Innern steigt der Weg, der stets breit genug ist, dass mindestens zwei Personen bequem neben einander gehen können, und nach wenigen Schritten wird zur Rechten eine Seitengrotte sichtbar. Eine zweite an dieser Seite, gross genug, um acht Menschen zu fassen, bewahrte früher die Knochen. Immer breiter wird der wohlgebahnte Weg, höher empor steigt das Felsengewölbe, eine geräumige Halle breitet sich aus. Zur Rechten führen Stufen empor, und es zieht sich von da ein Gang ziemlich weit in die Tiefe. Zur Linken in einer Höhe von circa 30 Fuss bezeichnet ein Eisengitter den Standpunkt der Musiker, die an solchen Tagen, wo die Höhle erleuchtet wird, durch sanfte Harmonien den Genuss erhöhen; Musik ist, zumal mit einem Echo verbunden, in diesem dunkeln, unterirdischen Labyrinth, von ganz besonders magischer Wirkung. Zu jener Plattform windet sich ein Seitengang im Innern des Berges empor. Er blieb nicht unbetreten, da der Herabblick von der Plattform erst recht geeignet ist, die ganze Grösse der mächtigen Wölbung zu überschauen.

Sich wieder verengend leitet der Gang im Bogen von der Linken zur Rechten 32 Schritte lang zu einer abermaligen weiten Halle, von der ein 36 Schritte langer Seitengang nach Rechts streicht. Sechzehn halbrunde Stufen führen von diesem Gewölbe abermals zu einer Plattform empor, ein starkes Rauschen wird hörbar, eine Oeffnung, sichernd mit Steinen umfasst, zeigt sich, und in dunkler Tiefe wird das Brausen eines Bergwassers vernommen.

Auf wieder schmaler gewordenem Pfade leitete Otto die staunenden und bewundernden Freunde zu einem kleinen Seitengange, winkte den Damen zu, ihm die beabsichtigte Ueberraschung nicht zu verderben, liess, mit Licht versehen, die kleine Gesellschaft an einem, das Weiterschreiten hemmenden Eisengitter stehen, und eilte mit dem Führer hinweg. Jene schauten erwartungsvoll in die Tiefe, wo das Wasser gewaltig rauschte; jetzt zuckte drunten ein Lichtschimmer, klang ein leiser Harmonikaton, wie aus einer andern Welt; heller kam der Schein, und siehe, auf einem Nachen fuhr Otto mit dem Führer heran. Rothe Gluth blitzte auf; von Rothfeuer plötzlich magisch überflammt, stand das unterirdische Wasser, die hohe Wölbung, und es zeigte sich ein antiker Tempel an dunkler Felswand aufgebaut, bis nach dem überraschend herrlichen Moment Alles wieder in dämmerndes Dunkel schwand und die Schiffenden sich verloren. Nun vertraute Otto die Gesellschaft dem Höhlenführer an, der sie zum Wasser hinab leitete und sie den Nachen beschreiten liess. Auf der acherontischen Welle sanft zwischen Felsenmauern hingleitend, schifften sie in die hohe Wölbung ein, und blickten empor, wo Otto's Licht, der oben weilte, wie ein Stern erschien, und auf die kleine Cascade, die der die Höhle durchströmende Bach bildet. Noch einmal das pyrotechnische Experiment wiederholend, liess er in purpurne Helle die Halle sich kleiden, und erhöhte so mit einer hier äusserst effektuell angebrachten unschuldigen Spielerei das Vergnügen, wie den Eindruck. Dankend und erfreut kehrten die Schiffenden zurück; Otto erwartete sie bereits, um sie abermals eine Treppe empor zu leiten, wo noch ein sehr breiter Höhlengang an hundert Schritte weit fortläuft, in welchem man wieder zu Stellen gelangt, an denen man dem unterirdischen Wasser nahen kann. Im Bezug auf Letzteres äusserte Lenz: »Schade, dass nicht in dieser so schön zugänglichen Höhle der Proteus anguinus gefunden wird, dies räthselhafte Geschöpf, das wie ein Gespenst der Thierwelt erscheint.«

»Es wäre die Frage, ob jenes merkwürdige Thier, würde es aus seiner heimathlichen Höhle in dunkler Umgebung und in nicht allzuwenigen Exemplaren hier eingebracht, sich nicht auch hier vermehrte? Freilich würde es schwer sein, das Wegfangen zu verhüten!« äusserte Otto, und führte nun langsam Alle wieder dem Tageslichte zu.

 


 


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