Ludwig Bechstein
Wanderungen durch Thüringen
Ludwig Bechstein

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Schwarzburg und das Schwarzathal.

»Was sind nur das für Leute, deren uns schon mehre hin und her auf einsamen Waldwegen begegnet sind, und was tragen sie in den Schachteln, die über einander gethürmt auf ihren hölzernen Reifen stehen? und warum umgibt sie ein Dunstkreis, wie der Beistand der Ohnmachten, Hoffmannischer Liquor?« fragte Lenz, als die Freunde am andern Morgen bereits Paulinzelle eine Strecke hinter sich hatten, langsam bergan stiegen, und ein Mann wie der beschriebene, mit ernstem Gruss an ihnen, vom Berge herab kommend, vorüberschritt.

»Das ist eine Frage, Liebster«, erwiederte Otto, »die mich verführen könnte, weitläufig zu werden. Dieser Mann ist ein sogenannter Balsamsträger, insgemein Königsseer genannt; sein Gewerbe hängt eng mit einem Industriezweige des Thüringerwaldes zusammen, das einst dem Lande Tausende einbrachte, jetzt aber im Sinken ist und nach Jahren nur in der Tradition fortleben wird, da in Büchern nur Weniges davon und darüber zu lesen. Nicht nur in Königssee, auf das wir zusteuern, sondern in mehren andern Orten des Waldes, namentlich Breitenbach und Oberweissbach, erhob sich in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts wunderbar schnell ein Medicamentenhandel, der zur blühendsten Ausdehnung gelangte. Ein Breitenbacher Apotheker, Mylius, kam auf den Einfall, Schwefelbalsam zu fertigen und auf dem Walde hausiren tragen zu lassen; ein anderer kluger Kopf, dessen Andenken unter dem Namen Junker Hans, nicht der von Rippach, noch lebt, kochte Wachholdersaft, destillirte Öl von Tannenzapfen, und lernte die Kunst, edle Aquavite zu brennen. Das Geschäft stieg zu immer grösserm Flor, die Laboranten, diess war der Titel der neuen Mediatoren, sandten nun auf den Rücken ihrer Commissionare, der Balsamsträger, Olitätenhändler, in alle Welt alle erdenklichen Essenzen und Tincturen, Pillen und Pulver, Salze und Tropfen; für jeglich Gepress ein Polychrest, und bald gewährte der neue Erwerbszweig den Einwohnern von zwölf Schwarzburgischen Dörfern im Amte Königssee reichlichen Verdienst. Solch ein Mann war und ist eine ambulante Materialkammer, ein allzeitfertiger Defectarius; von Haus zu Haus spricht er ein, in jedem ist doch mindestens ein verdorbener Magen, ein Augenübel, ein Verstopfter, ein Katarrh, eine Unregelmässigkeit, und da muss Dieser Essentia amara, Jener Schneeberger Schnupftabak, ein Dritter Merkurialpillen, diese Brustpulver und jene Aloetropfen nothwendig kaufen. Gedruckte Etiketten geben über den Gebrauch volle Auskunft, und wenn es Euch irgendwo fehlen sollte, so schaffe ich Euch für wenige Pfennige ein gerechtes Haupt- und Flusspulver, das den verlorenen Verstand wiederbringt – das verlorene Gehör, wollte ich sagen. Solcher Handel ging nun eine Zeitlang ungeheuer; ganz Thüringen, Sachsen, Westphalen, Hannover, Holland, die Schweiz, Preussen und Pommern, Baiern und Oesterreich durchzogen die Balsamträger vom Thüringer-Walde mit guten Pässen des Amtes zu Königssee, und waren oft in entlegenen Hütten, wo Arzt und Apotheke fern, Boten des Heils, wie vom Himmel gesandt. Auf den Märkten standen sie mit offenen Buden, von Käufern umdrängt, denn nach Hülfe geht, wer Hülfe bedürftig ist; in der Asche sucht man, nach einem thüringischen Sprichwort, das Feuer. Viele wurden reich durch das Laborantenwesen, und die Handelsreisenden schliffen sich ab in der Fremde, sammelten Erfahrung und Lebensklugheit und trugen heimkehrend auf den leeren Reffen den nützlichsten aller Kobolde, den Luxus, in ihre Waldeinsiedeleien. Natürlich gehörte nächst einiger Kenntniss der Waaren auch Suada dazu, sie anpreisend los zu werden, daher in Hamburg das Sprichwort lebt: He is so klook, as wenn he ut den Thüringerwald keem.«

»Und warum verfiel dieser blühende Handel?« fragten die Wanderer, die jetzt auf dem Gipfel des waldigen Sandberges, der Schönen Eiche, standen, und sich anschickten, den steilen Pfad nach Königssee hinabzuschreiten.

»Er verfiel«, antwortete Otto, »weil sich die Intelligenz hob. Die Regierungen verboten, eine nach der andern, das Hausiren mit Medicamenten, welches wohlapprobirte und examinirte Aerzte und Pharmaceuten beeinträchtigte; auch begann allmälig im Volke der Glaube an die Unfehlbarkeit der Panacene zu schwinden und mit ihm der beste Grundpfeiler dieses Handels. Er blühet nun unter tausend Beschränkungen gemässigt fort, die heilsame Pflanze des Waldes vegetirt im Garten und hat ihr bestes Arom verloren. Dass sie Manchem zu Gift ward, der sie mit Unverstand brauchte, dazu konnte sie nichts; auch aus ihren Nektarien tranken die Bienen Honig.«

»Du siehst doch Alles mit besonderem Auge an«, sprach Lenz, »und Deine Neigung gestattete wohl noch auf lange Zeit einen Handel, den die Weisheit der Staatsgewalt verbieten und beschränken muss

»Kann ich anders?« fragte Otto entgegnend. »Ich gebe mich, wie ich bin. Es gibt ein Auge der Liebe und ein Auge des Hasses. Der Blick des ersten fällt verklärend selbst auf das minder Schöne, wie ein Sonnenstrahl, der einen rauhen Felsen schmückend umfliesst; der Blick des andern fällt schneidend wie ein Dolch auf das Schöne und verwundet es grausam. Es gibt Menschen, die immer und immer mit dem ›bösen Blick‹ behaftet sind; ich freue mich, für Vieles den Blick der Liebe zu haben.«

Das kleine Städtchen Königssee, das in alter und neuer Zeit sehr oft grosses Brandunglück erlitt, war bald erreicht. In einen wasserreichen Thalkessel eingebaut, gewinnt die Sage Wahrscheinlichkeit, dass die Stadt an eines See's Stätte stehe. Sein Ursprung verliert sich im grauen Alterthume; im Mittelalter war es bekannt durch seinen unweisen Rath, ein lustiges Narren-Gericht; wir wollen ihm in der Gegenwart einen um so weisern wünschen. Zum langen Aufenthalte bot Königssee keine Anziehungspunkte, daher es Otto vorzog, mit den Freunden, ehe sie ihre Strasse weiter verfolgten, eine kleine Strecke westlich zu gehen und ihnen die grotesken Rauhkalkfelsen des Pfaffensteins zu zeigen, durch welche ein schmaler Fusspfad sich windet. Dann wurde eine Höhle besucht, die Mönchskapelle, die sich in einer über dem Dorfe Garsitz aufgegipfelten Felsparthie, zackig und zerklüftet, befindet und, bei 8 Schritt Breite, gegen 40 Schritte tief ist. Lenz fand in ihr einige Tropfsteingebilde.

Bald sahen sich die Wanderer wieder in dem nettgebauten Städtchen, von dem frühen Ausfluge zurückgekehrt. Ein ländliches Frühstück wurde nicht verschmäht, um zum neuen Marsch zu kräftigen; ein schöner Tag stand bevor, die herrliche Gegend Schwarzburgs sollte, wie eine vollendete Schönheit dem Auge des Malers, alle ihre Reize entfalten.

Ueber mehre Dörfer führte der belebte Weg; bald rasselte ein Fuhrwerk vor oder nach, bald begegneten uns Lustreisende, bald fröhliche, muntere Mädchen, gesprächige Bursche in wohlgefälliger Tracht. Am Katzenberge, über den die Strasse läuft, zeigte sich ein schöner Alabasterbruch, und in der Waldung des Tännigs entdeckte der Botaniker manche nicht gewöhnliche Pflanze. Abwärts stiegen die Wanderer den Bergpfad, Bachesrauschen grüsste aus der Thaltiefe und es lichtete sich das Dickicht des Forstes, der Blick ward frei – aber gefesselt von einer der malerischesten Ansichten, standen die Wanderer staunend da. Hoch thronend auf der Spitze einer Felszunge, die sich in den reizend grünen Thalgrund, von hohen Waldbergen rings umschlossen, hineinstreckte, sahen sie ein stattliches Schloss von der Bauart späterer Zeiten, mit einem Thurm und altertümlichen Nebengebäuden, prangen. Es war Schwarzburg, das Pilgerziel unzähliger Reisenden, die Stammburg zweier blühenden Fürstenhäuser, Wiege und Sarg, da auch das Fürstlich Rudolstädtische Erbbegräbniss sich im Schlosse befindet. Unten am Fusse des Berges, vorzugsweise das Thal genannt, lagert das 50 Häuser grosse Dorf gleichen Namens, dessen Bewohner sich die »Männer von Schwarzburg« nennen. Wagner rief entzückt aus: »Wahrhaftig, das Schloss dort steht wie eine Königin in malerisch drappirten Gewändern von verschiedenartigem Grün. Unten umfliesst der rauschende Bach als Silbersaum das schimmernde Kleid, und weithin leuchtet das weisse Haupt unter der dunkeln Krone!«

»Lasst uns eingehen in jenen stattlichen Bau; gewiss enthält er des Sehenswerthen Mancherlei, und wäre das nicht, so muss sich dem dort oben Stehenden das Thal reizend mannichfaltig ausnehmen!« sprach Lenz, und Otto bestätigte: »Ich führe euch zu Beiden; folgt mir nur hinauf!«

Bald durchwandelten die Freunde Hof und Hallen des Schlosses Schwarzburg, betrachteten im erstem die schöne Säulenkolonade von vaterländischem Gestein, und stiegen die blanke Marmortreppe empor, um auf den langen Gallerien eine ausgezeichnete Geweihesammlung in den Schwarzburger Forsten erlegter Hirsche zu besehen. Ein gefälliger und bereitwilliger Kastellan unterliess nicht, auf manches schöne und seltne Geräth oder Bildwerk in den Zimmern aufmerksam zu machen, bei einer hübschen Sammlung von nahe an dritthalbhundert Stück Pferdebildern anzuführen, dass dieselben von dem Fürsten Ludwig Günther eigenhändig gemalt worden, und endlich an einem der Fenster zum Genuss der wildromantisch-schönen Aussicht einzuladen, die auf vielfache Weise das Auge angenehm beschäftigt. »Wahrlich, wie ich mir den Blick von diesem Hochpunkt dachte, so finde ich ihn!« rief Lenz aus. »Seht wie schroff diese Felsen sich zur Tiefe hinabsenken und ihren nackten Fuss badend in die Silberwellen des Flüsschens setzen!« In mannichfacher Abwechslung des Laubgrüns prangend, hob sich gegenüber mitten aus dem Düster der entlegnern Tannenforsten ein Theil des Thiergartens, und auf der Wiese tief unten scherzte unbefangen junges Wild.

»Was tausend!« rief Wagner: »Was wühlt sich denn dort so schwarz und klumpig aus dem Dickig hervor, das sind doch keine jungen Rehe oder Bären? Ich kann's nicht recht erkennen!«

»Etwas ist's, das man nicht alle Tage sieht,« bemerkte Lenz auf Wagners Frage: »eine Bache mit einem Rudel Frischlingen. Seht nur wie gehäbig sich das alte Mutterschwein im sumpfigen Rasen der schattigen Waldwiese wälzt, und die Jungen possierlich um sie her springen!«

»Schwarzwildpret ist ein köstliches Essen!« sprach Otto mit dem tragikomischen Seufzer eines Gourmands, dem nach einer leckern Speise der Mund wässert, und die Freunde, die ihn wohl verstanden, lachten ihn aus.

Die Gesellschaft musste sich von der reizenden Aussicht auf Wald und Wild, Bach und Bache losreissen und dem Führer zum sogenannten Kaisersaale folgen, der, von oben durch eine hohe Kuppel sein Licht empfangend, an allen Wänden die Bildnisse aller römischen Kaiser enthält. Von Julius Cäsar an bis auf Karl VI., prangen da die Mehrer des Reichs, unter ihnen auch Günther, der berühmte Schwarzburger. »Die Kaiserbilder sind herzlich schlecht,« urtheilte Wagner: »doch lässt sich Vieles bei ihnen denken. Fast jeder dieser Männer half ein ziemliches Stück Weltgeschichte machen, das ist doch etwas der Mühe Werthes, wenn auch nicht jedem sein Stück gerieth.«

Die Freunde verliessen das Schloss und suchten den Zeugwart auf, damit er ihnen die Rüstkammer zeige, welche in einem besondern Gebäude, tiefer als das Schloss gelegen, ihre sehenswerthen Räume öffnet. Die Schwarzburger Sammlung alter Waffen, Rüstungen und Heergeräthe ist neben der auf Wartburg die reichste und wohlgeordnetste in Thüringen. Manches Stück wurde besonders betrachtet. Ein Willkommenbecher von künstlicher Arbeit, aus welchem während des Trinkens krachende Schüsse fuhren, die den Trinkenden nicht stören durften; das Schwert Kaiser Günthers, ein Helm, Koller und Schwertgurt Gustav Adolphs und dergleichen zog billige Aufmerksamkeit auf sich. Herrliche Gewehre zeugten von der Jagdliebe der Regenten Schwarzburgs, und wie hätte es anders sein können in einem so forstenreichen Lande, das in alle Weise der Ausübung des edlen Waidwerks günstig war. Man muss von hohen Berggipfeln die ausgedehnten Strecken des Thüringer Waldes überschauen, auf denen oft viele Meilen weit nichts als Waldhöhen, Waldthäler und kräuterreiche Waldwiesen erblickt werden, um sich zu überzeugen, dass hier ein Jagd- und Jägerland, dass hier die Heimath manch edlen Wildes. In diesen Wäldern erschallt im Beginn des Lenzes das Balzgeschrei des Auerhahns an östlichen Bergabhängen, und der Birkhahn kollert und pullert liebesehnsüchtig seinen Ruf, der wie »Frau! Frau!« klingt; durch diese Wälder dröhnt dumpf um Egydi der Hirsche Brunstbrüllen, so heiss und gewaltig fast, wie das Gebrüll des Königs der Wüste, wenn ihn hungert. In die Erdhöhlen dieser tiefen Niederungen gräbt der Dachs die Kessel seiner Baue, und um die Felsklippen streicht listig Meister Reinecke, um ein Häschen oder einen Vogel zu belauern. – Befriedigt vom Anblick der zahllosen alterthümlichen Armaturen, Gewehre und Kanonen verliessen die Freunde das Zeughaus und wandten sich dem Wirthshause zu. Es waren mehre Reisende darin; wie wandernde Sommervögel schwärmen ihre Schaaren um das romantische Gebirgsschloss; es wird fast nicht leer in der schönen Jahreszeit. Ab und zu strömen die heitern Gäste, und vertheilen sich dann nach allen Richtungen des Waldes hin; der Meisten ersehntes und lohnendes Ziel oder Wanderpunkt ist dann gewöhnlich Paulinzelle.

Der »weisse Hirsch« hatte ein schmackhaftes ländliches Mittagsmahl, guten Wein und heitre Unterhaltung gewährt; noch eine Tasse Kaffee und dann den Wanderstab zur Hand. Es waren heute nur noch vier Stunden zu wandern, man konnte gemächlich heiter sich des herrlichen Tages freuen und grüsste bald den Felsgipfel des steilen Tripstein, von dem aus gesehen, Schloss und Dorf und Thal sich als ein vollendet reizendes, in allen Theilen harmonisches Naturgemälde darstellen. Wagner sprach sich entzückt darüber aus: »Es gibt Landschaften,« äusserte er: »die man mit einem Blick festzaubern möchte in den Spiegel unvergänglicher Erinnerung, bei deren Anblick man weder in Nähe noch Ferne auch das Mindeste vermisst. Eine solche ist die, welche sich vor unserm Auge hier ausbreitet, alles Einklang in den verschiedenen Abstufungen des Grün; im Braun der Stämme, im Grau und Schwarz der Felsen, und darüber das tiefe herrliche Blau des Himmels, wiedergespiegelt vom Bach, dessen Wellengeräusch anmuthig bis herauf zur Steinbank dringt, auf welcher wir rasten. Ich liebe solche geschlossene Landschaften, um welche die ewige Bildnerin Natur selbst einen Rahmen zog; es gibt prachtvollere, wie diese, aber an heimlicher Anmuth sucht auch diese ihres Gleichen.«

»Oft schon kam mir der Gedanke als Wunsch,« nahm Otto das Wort: »dass irgend ein Mittel erfunden werden möge, jedes schöne Naturbild ohne mühsames Nachzeichnen sogleich farbig und vollendet so zu fixiren, wie es sich in Verkleinerungsspiegeln oder in der Camera clara darstellt; ein Wunsch der freilich hyperphantastisch und unmöglich erscheint; es müsste eben ein chemischer Stoff sein, welcher Farbe und Zeichnung der durch optische Gläser auf ihn geworfenen Landschaftsbilder annähme, und festhielte.«

»Nicht übel,« sagte Lenz lächelnd: »erfinde solches Kunststück, theurer Chemiker, dann drehen dir die Landschafter den Hals um, denn diese Kunst brächte sie sicher um alles Brod.«

»Vor meiner Hand wird unsers Freundes Hals sicher sein,« scherzte Wagner: »und ich warte billig bis zu meinem sanftseligen Tode diese nützliche Erfindung ab.«

Heiter gestimmt stiegen nun die Reisegefährten in das berühmte, höchst pittoreske Schwarzathal herab und erreichten einen herrlichen Punkt der Hochstrasse, von dem aus malerisch über dem Tannenforst noch einmal das Schloss Schwarzburg sichtbar ward. Eine Eremitenzelle, unter aufgipfelnder Schieferfelswand, schien zur Ruhe einzuladen, unter die Baumsäulen ihrer Vorhalle stellten sich rastend und bewundernd-schauend die Freunde, tief unten brausste der Bergfluss, leuchtete smaragdgrün eine Thalwiese. Abwärts führte der Weg, durch trauliches Waldesdunkel, zwischen Lärchen und Föhren hin, reizend-einsam; schroff sinken die Felshöhen von beiden Seiten nach dem engen Flussbett hinab. Der Flossrechen ward erreicht, tief im Grunde, zu einer kleinen Wiese erweiterte sich das Thal, ein Häuschen von rohen Fichtenstämmen ruhte traulich im Frieden, wie eine Waldeinsiedelei, eine Quelle springt frisch und erquickend in der Nähe. Ernst schauen von der Wand des Fuchsenstein schräg angelagerte Felszacken herab. Die Freunde nahmen sich Zeit, sie eilten nicht, sie ruhten; Wagner zeichnete, Otto zeigte Lenz die Spuren von früher bedeutenden Goldwäschen in der lebendig dahin rollenden Schwarza.

Dann in freundlichen Gesprächen weiter wandernd wurde das Thal abwärts durchschritten, durch das einst mühsam der Bergstrom seine Krümmungen wühlte und sein Bette auswusch, der jetzt zum Flüsschen geworden, den Reiz dieser wildromantischen Parthien erhöht. Höher gipfeln sich die Bergwände empor, enger treten sie aneinander, sie verschlingen den Fahrweg, den Fluss, die Fernsicht, dann plötzlich bei einer neuen Krümmung scheinen sie zurück zu treten, wie Coulissen eines Gigantentheaters bei der Verwandlung. Ab und auf ziehen Wanderer die Strasse, die an manchen Gebirgsweg in den Alpen Tyrols erinnert; zuweilen schallt Geräusch vom Geröll der Steinbrüche, und man sieht Arbeiter auf steilen und schwindlichen Höhen klettern. – Und immer enger wird, nachdem mehr als eine seiner vielen Krümmungen mit immer neuen Gestaltungen der Bergwände zurückgelegt ist, das Schwarzathal, stärker brausst der Fluss; die Wandrer standen am felssteinernen Wehr.

»Hier hat,« sprach Otto zu seinen Gefährten: »der Strom nur mit höchster Anstrengung den Titanentrotz des Felsenbergs überwunden, und sein starkes Brausen über die schwarzen Schieferklumpen ist ein dauernder Nachhall jenes Donnertosens, mit welchem er einst sich gewaltig die freie Bahn erzwang. Seht hier unter dem hellen Wasser die dunkeln Höhlungen, in diesen trieb der Strom Steine um, die den Schiefer rings abschliffen, bis sie so weit Raum hatten, dass angeschwellte Fluth sie mit fortreissen konnte. Noch immer könnt ihr solche Steine kreiseln sehen.«

»Auch diese schöne Parthie zu zeichnen, müsst ihr mir Zeit lassen!« rief Wagner aus, indem er sein Scizzenbuch bereits am passendsten Standpunkt aufschlug. – »Man möchte sich badend in dieses klare frische Bergwasser stürzen,« wünschte Lenz gegen Otto: »wäre es nur tiefer, eine heimliche Stelle wollten wir bald auffinden. Es muss eine Götterlust sein, die blanken raschen Wellen so über sich hinschlüpfen zu lassen!« »Gewiss,« bestätigte der Geleiter: »und ich wünschte euch an eine solche Stelle zu bringen; übrigens ist das Wasser sehr kalt, und mag ohne grosse Vorsicht zum Bade nicht gewählt werden.«

Als die Freunde weiter schritten, gewahrten sie wieder ein kleines ländliches Häuschen am Ufer rechts, und es wurde ihnen der steil empor gegipfelte Kirchenfelsen sichtbar, der imposant, wie der König dieser Bergnatur, dem Wanderer in den Weg tritt. Fast senkrecht thürmen sich die gewaltigen Massen des quarzreichen Thonschiefers empor, wie kolossale Quadern, wie schräge Mauern, die den Einsturz drohen, und enden in beträchtlicher Höhe mit Zacken, die schiefen Thürmen gleichen. Es ist die schönste Stelle des Thales. Von jeder Seite nun erscheint dieser malerische Fels verändert, und nimmt sich in seiner düster, nur sparsam umbuschten Nacktheit sehr schön aus gegen die grösstentheils fichten- und tannenbewaldeten Berghöhen seiner Umgebung. Hier ist das Thal am engsten, sind die Berge am höchsten, und in immer wechselnden Bogenwindungen ziehen Fluss und Strasse dem Ausgang desselben zu. Bald war, nachdem die Freunde an den pittoresken Parthien des Kirchfelsens sich satt gesehen, die Stelle erreicht, wo rechts der Brausdorfer Grund, der ebenfalls malerische Felsbildungen und liebliche kleine Cascadellen darbietet, in das Schwarzathal einmündet. Dort verflachen sich die Berge zur Rechten, während sie zur Linken noch steil absteigen; die Kunststrasse zieht immer an dieser Seite hin. Nur allmählig wird die Schwarza breiter; wie eine Dame, die einen echoffanten Weg gemacht, streckt sie sich behaglich auf das Sopha grüner Wiesen, und lässt sich von der Pappelallee fächeln, die ihr als freundlicher Begleiter zur Seite zieht. Sie hat noch ein breites Wehr zu überrauschen und eine Mühle zu treiben, dann aber zieht sie ruhig ihren noch kurzen Lauf entlang, um eine Stunde weiter der befreundeten Saale in die Arme zu sinken.

Die Wandrer hatten am Ausgang des fels- und waldreichen Schwarzathales, höchst befriedigt von dem Genuss seiner Naturschönheiten sich noch einmal dankend zurück gewandt; eine Anhöhe, über welche die Strasse steigt, bot dazu den passenden Punkt. Hinter ihnen lagerten in grossartiger Ruhe die Berge, vor ihnen wurde schon der Blick auf die Blankenburger Gegend frei, verweilte aber zunächst auf einem stattlichen Gasthaus ohnweit der Papiermühle, und Otto säumte nicht, ein besonders köstliches Bier anzupreisen, das dort zu haben sei, worauf Lenz erwiederte: »Wir haben nun zwei Stunden lang dem Wasser, nehmlich dem dort unten rauschenden, gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, es freut mich, dass sich die Scenerie verwandelt, lasst uns nicht säumen, das gepriesene Heiligthum der Ceres thuringica zu beschreiten! Sit aditus benedictus!«

»Ich führe euch,« sprach Otto im Gehen: jetzt mitten in einen Edelstein. Jenes Gasthaus zum Schwarzburger Hof führt in der ganzen Umgegend den Namen Chrysopras. Früher, da hier in der Nähe eine Eisensteingrube betrieben wurde, war es Zechenhaus, jetzt ist ein Zechhaus daraus geworden. Den seltsamen Namen verdankt es einem Geologen, Bergrath Dantz, welcher in der Nähe Berlins eine Chrysoprasgrube entdeckte.

»Wirklich?« fragte Lenz, »bereicherte jener Mann das pretiöse Berlin mit Pretiosen? Seltsam, dass hier in Thüringen sein Haus den Namen des dortigen Fundobjekts empfing!«

Von traulich über ihren Häuptern rauschenden Bäumen umschattet, rasteten die Wandrer geraume Zeit, ehe sie weiter gingen, um im nahen Blankenburg ein Fuhrwerk, das sie nach Rudolstadt bringen sollte, aufzutreiben.

 


 


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