Ludwig Bechstein
Wanderungen durch Thüringen
Ludwig Bechstein

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Blankenburg.

Um Prinz Ludwigs von Preussen einfach schönes, gusseisernes Denkmal, errichtet an der Stätte, wo er kämpfend für sein Vaterland am verhängnissvollen 10ten October 1806 in der Nähe von Saalfeld fiel, standen unter den rauschenden Pappeln, die es umgeben, ernst betrachtend die drei Freunde, als sie, der Hochstrasse nach Rudolstadt entlang schreitend, an den Ort kamen, wo im rühmlichen Kampfe ein Heldenleben verblutete.

»Hier entschied ein unglückliches Gefecht viel, sehr viel«, bemerkte Otto; »die ganze Gegend war Kriegsschauplatz, die Marschälle Lannes und Augereau führten 30,000 Franzosen gegen 13,000 Preussen und Sachsen. Der Tod des tapfern Prinzen öffnete den Weg nach Jena.« –

Manchen Blick noch sandten die weiter Wandernden der schönen Gegend, dem freundlichen Saalthale zu, das der Culm mit einem Schloss und ausgedehnter Aussicht nach Norden, Süden und Westen beherrscht, und wandten sich dann in dem Schwarzburgischen Dorfe Schwarza links, dem Städtchen Blankenburg von nur 190 Häusern und 900 Einwohnern zu, das eine höchst pittoreske Lage hat, gehoben durch die ernsten Trümmer des Schlosses Blankenburg, in frühern Zeiten Greifenstein, die den Bergscheitel krönt, der über das friedlich im Thalschoosse ruhende Städtchen aufragt. Zwei Waldflüsse, die Schwarza und Rinne, beide aus reizenden Thälern kommend, vereinigen sich hier und laden den Wanderer ein, ihrem traulichen Wellenrauschen weiter nachzugehen, um in tiefen Felsgründen, schattenden Hainen, magisch leuchtenden Waldwiesen und bei ernsten Denkmälern der Vorzeit die ganze Zauberfülle der Romantik in sich aufzunehmen, welche über diese Gegenden ausgegossen ist.

Das ächt thüringische Leben des Städtchens und die schöne Lage der Bergruine gefielen dem zeichnenden Freunde so wohl, dass er den Begleitern, die im Löwen rasteten, zurief: »Ich muss erst diese Strassen mit Frachtwägen, stampfenden Pferden, anschirrenden Fuhrleuten und Reisekarossen verschiedenen Kalibers flüchtig aufnehmen, so lange geduldet Euch! Ich wähle eine Morgenscene und denke mir den Hirten und sein Vieh dazu, das von den Eigenthümern oder ihren Kindern zur Heerde getrieben wird, wie wir es bisher täglich gewahrten. Allerlei bürgerliches Gewerbe, wie es in kleinen Städtchen sich häufig offen zur Schau stellt, muss dabei angebracht und ein stattliches Gebäu, das Rathhaus u. dergl. nicht vergessen werden, wobei ein alterthümliches Haus von Fachwerk mit dunkelbraun angemalten Balken, die in Thüringen so häufig sind, etwas dunkel im Vorgrunde stehen muss, um den Hintergrund zu heben.«

Fast so schnell, wie er sprach, skizzirte Wagner sein landschaftliches Genrebildchen, während die Gefährten ihm lächelnd über die Achseln sahen. Ernst blickte darauf, wie in der Wirklichkeit, die zerstörte Pracht des Burgbaues herab auf das Geräusch und Treiben der Kleinstadt.

Da diese an sich nichts besonders Sehenswerthes aufzuzeigen hat, so führte nun Otto die Freunde hinauf zur Ruine. Steil wand sich der Fusssteig empor, würziges Arom erfüllte die Luft, das einer fremden Zone anzugehören schien. »Umfächeln uns Düfte Italiens?« fragte Wagner; »nahen wir uns, durch Lavendelfluren wandelnd, dem hohen Apennin?« – »Ihr seht«, sprach Otto lächelnd, indem er auf mehre Aecker, an denen sie bald darauf vorbeikamen, deutete, »dass man auch in Thüringen so schönen Lavendel baut, wie in Turin – um beiläufig ein Wortspiel anzubringen.«

Die Höhe des Muschelkalkberges, auf welchem Greifensteins ausgebreitete Trümmer liegen, war erreicht; noch wölbt sich des Burgthors Bogen, durch den man eingeht, um zu noch höher gelegenen Ruinen zu gelangen. Tiefe Wälle umzogen die doppelten Ringmauern der stolzthronenden Veste, die aus dem Grün eines schattigen Buchenhaines aufragt; Trümmer eines eingestürzten Thurmes, Reste der Burgkapelle, der Zimmer, Kellerwölbungen, Spuren gewinnsüchtiger, aber erfolgloser Nachgrabungen, die auf Burgruinen höchst selten lohnen, und ein heiteres Lusthaus auf dem Mauerfundament, bieten sich dem Blicke der Besuchenden dar, und hochrankender Epheu umklammert das alternde Gemäuer, mit seinem ewigen, lebendigen Grün das todte Grau mitleid- und liebevoll überhüllend.

»Hier in dieser Burg«, sprach Otto zu den Freunden, »stand einst die Wiege eines deutschen Kaisers, dem aber kein heller Glücksstern leuchtete. Graf Günther von Schwarzburg, der ein und zwanzigste, wurde 1304 hier auf der Blankenburg geboren; sein Muth war grösser als sein Glück; wie er starb, ist bekannt, ich will uns nicht mit seiner Geschichte ermüden.«

Gern und lange gaben die Wanderer sich dem Genusse der entzückenden Aussicht hin, die der Burgberg darbietet. Saalfeld und das Saalthal, mit den in Duft verdämmernden sanften Höhenzügen des Voigtlandes, nach einer fernern, der Eingang des hochromantischen Schwarzathales, das zu Füssen liegende Städtchen mit seinen freundlich ländlichen Umgebungen und die grünen Bergwälder in naher Richtung gewährten die mannichfaltigsten Anziehungspunkte für den schaulustig umherflatternden Blick. Wagner zeichnete schöne Einzelparthien der Ruine zu dauernder Erinnerung, und Lenz liess sich, sitzend in einer halbzerbrochenen Fensteröffnung, mit Otto behaglich die warme Stirn vom Südostwinde kühlen, der die hellen Wolken des Himmels zu raschem Flug antrieb, dass ihre Schatten wechselvoll die Fluren überstreiften. Eine Flasche ächten Traubennektars, zur Erfrischung nach dem Bergsteigen, wurde aufs Wohl aller in glücklicher Sorglosigkeit Reisenden geleert und dann an einem Mauerschädel zerschmettert.

Wagner hatte seine Arbeit vollendet, den Freunden die Skizzen gezeigt und mit beiden fröhlich den Becher geleert. »Es ist hier Alles so übereinstimmend um uns, in uns, dass man bleiben möchte«, sprach der Maler. »Himmel und Land in reizender Harmonie; Sonnenschein und Wolkenschatten, Laubgrüne und Felsgestein, und irre ich nicht, so fühlt auch Ihr Euch, gleich mir, von einem ernsten und dabei gemüthsfrohen Wohlbehagen durchdrungen, das die beste Reisestimmung erzeugt. Theilten doch diese schöne Stunde Rosabella und Engelbertha mit uns! –«

Ein Blick von Lenz auf den Freund, welcher mehr aussprach, als hundert Worte vermocht hätten, bestätigte still den laut gewordenen Wunsch liebend zärtlicher Sehnsucht, und Otto freute sich in Gedanken des Tages, wo er seine lieben Gefährten einem heimlich ersehnten Glück entgegenführen werde; jetzt – sollte er zum Weiterwandern mahnen. Nein – er warf sich, so lang er war, in das grüne Gras des Burghofes, um ruhend in den nickenden Halmen die Augen empor zu richten zu der ewigen Bläue, zu der ewigen Treue, die für den Menschen so viele tausend Paradiese auf Erden schuf; und die Freunde thaten es ihm nach. »Nichts geht über die göttliche sinnende Ruhe«, begann liegend der Poet zu plaudern, »nichts über das ruhige Sinnen, das dem Gedankenreichen ein lukullisches Seelengastmahl auftischt. Es ist mehr Philosophie darin, als in zehn thesenreichen Systemen. Wir Deutsche lieben und üben es selten, wir ahnen es nur bisweilen in göttergesegneten Stunden, wenn reine Genüsse, materielle wie geistige, unsere Empfindung steigern; der sanguine, bewegliche Franzose nimmt sich so wenig Zeit dazu, wie wir; der Italiener aber, der Spanier im dolce far niente seiner kühlen Siesten hat davon eine lebendige Ahnung, und der Inder ist selig im innern Schauen. Vom Sommerwehen lind überfächelt, von duftenden Blumen umblüht, von Schmetterlingen, Libellen und glänzenden Käfern umflogen, oder in dämmernden Grotten auf schwellenden Ottomannen hingestreckt, da sprechen Natur und Leben mit Götterstimmen auf uns ein, Werkeltagsstimmung, Alltagswelttreiben verstummen und werfen sich auf ihr Angesicht, wie gemeines Volk, wenn der Grossmogul in glänzender Pracht vorüberzieht. – Ich hoffe, Ihr schlaft nicht ein, sonst wird Generalmarsch geschlagen. Da mein guter Wille mich gleichsam zu Eurer Scheherazade machte, so gebt hübsch Acht auf mein heutiges Mährchen, das man auch von einem Berg im Elsass erzählt: Da drüben am Eingang in das Schwarzathal, zu welchem wir morgen ausgehen, ragt 800 Fuss hoch der Hünenstein empor, dort wohnte in der Zeiten Ferne eine mächtige Hünenfrau, Fürstin des ganzen Gaues, deren Töchterlein einstmals in der Flur lustwandeln ging. Da fand das kleine Prinzesschen unvermuthet im Thale etwas Lebendiges, Niedliches, Hübsches, einen Bauer, der mit zwei Pferden pflügend sein Feld bestellte – und raffte Bauer, Pflug und Pferde flugs in sein Schürzchen, sprang die wenigen Schritte zum Berggipfel hinauf und stellte jubelnd, dass alle Felswände schallten, das allerliebste Spielzeug vor die gnädige Frau Mama. Die predigte aber dem kleinen Kinde gar eine grosse Lehre, indem sie sprach: »Gleich trage diesen nützlichen Mann, sein Vieh und Geräth wieder dahin, wo Du es genommen; denn wenn der Bauer nicht pflügt und säet und erntet, müssen die Riesen und was zu ihnen gehört, verhungern.«

»Wahrhaftig, eindringlichere Moral kann keine Parabel, kein Mährchen Arabiens dociren, als diese ächt deutsche Volkssage!« rief Lenz aus, und Otto setzte hinzu: »Das sage ich ja immer, dass Deutschland an seinen Sagen einen unerschöpflichen Reichthum hat, an Lehre, Warnung und Beispiel, aber dieser Reichthum ist halb mythisch, wie der der thüringischen Berge, und will gesucht sein, deshalb bin ich zum Ruthengänger danach geworden.«

Nach einer guten Weile verliessen die Wanderer die Blankenburg und stiegen in das Thal der Rinne hinab, wo Lenz mit Freuden am Bergabhange schöne Muschel-Versteinerungen fand, und im sogenannten Steingraben merkwürdige Inkrustate und Abdrücke von Blättern, die einer noch jungen Verwandlungsperiode anzugehören schienen. Otto bemerkte dabei, dass er solcher Abdrücke mehrmals auch in dem Ruinenschutte des ehemaligen Arnstädter Schlosses gefunden habe, und unter traulichem Gespräch wandelten die Freunde das enge, meist von Thonschiefer und älterm Flötzkalkgebirge gebildete Thal der Rinne aufwärts.

 


 


 << zurück weiter >>