Ludwig Bechstein
Wanderungen durch Thüringen
Ludwig Bechstein

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Orlamünde.

Der Himmel prangte mit silbernem Gewölk; Wetterbäume stiegen malerisch empor und über den letzten Höhen des Thüringerwaldes, im Rücken der auf guter Chaussee weiter fahrenden Gefährten, breitete sich die graue Regenmutter aus, düster drohend, wie die ernste Miene des Jupiter Pluvius. Die Saale war nun zur Begleiterin der Reisenden für eine lange Zeit erkoren; Thüringens mächtigster Fluss, vom längsten Lauf; über sie nahm Otto das Wort: »Diese Wasser entströmen dem quellenreichen Schoosse des Fichtelgebirges; alle zum Elbgebiete gehörige Flüsse und Bäche der Nordostseite des Thüringerwaldes nimmt die Saale auf, und fliesst, wenn sie Baiern verlassen, durch die Reussischen Lande, durch eine Preussische Parzelle, wie durch eine Schwarzburg-Rudolstädtische und durch das Meiningische bei Saalfeld. Dort wird sie eine Strecke Grenzfluss der Ostseite des Waldes, und da, wo wir sie jetzt sehen, zieht sie als solcher zwischen Meiningischem und Altenburgischem Gebiete hin, dann durchschneidet sie blos das letztere, fliesst durch einen Theil des Weimarischen Landes, durch die Meiningische Grafschaft Camburg, und wird dann preussisch bis fast zum Ende ihres Laufes, der sie an Naumburg, Weissenfels, Merseburg, Halle und mehren kleinern Städten noch durch Anhalt-Bernburg an Bernburg vorüber, nochmals preussischem Gebiete zuführt und sie dann zwischen Magdeburg und Dessau mit der Elbe vereinigt.«

»Und durchfliesst sie immer so schöne Gegenden, wie diese hier?« fragte Wagner, dessen Augen sich am Anblicke der heitern Landschaften weideten, welche in mannichfacher Abwechslung sich darboten, und an den Inseln, die der Fluss umarmte.

»Nein«, war Otto's Antwort. »Nachdem sie sich durch die enge Stromthalschlucht des Frankenwaldes in den mannichfaltigsten Krümmungen hindurch gearbeitet, nachdem sie ein Schmuck dieser Gegenden gewesen und bis Weissenfels hin immer breiter, grösser, ernster und stiller geworden, ist von schönen Gegenden nicht sonderlich mehr die Rede, sie schleicht vielmehr einem Gebiete zu, dessen flache Eintönigkeit seinen Bewohnern von gebirgigem Landschaftreiz keine Idee vergönnt, das wir aber auch unbetreten lassen.«

Schon näherte man sich Orlamünde, einem Städtchen, das wie ein Adlerhorst über steilen, schroff zur Saale sich hinabsenkenden Felsen hängt und seine kleine Vorstadt Naschhausen beherrscht. Otto liess einigemal den Wagen halten, um die Freunde auf die Reize der Gegend aufmerksam zu machen. Zur Linken, an der Stadtseite, war die Aussicht durch die steile Felswand gehemmt, zur Rechten aber entfaltete sie sich um so schöner in das Saalthal und einen Theil des Orlagrundes, wo das Flüsschen, dem die Stadt den Namen verdankt, in die Saale mündet. Malerische Waldhöhen schliessen die wechselvolle Fernsicht, und hoch ragt über diese in nordöstlicher Richtung die Bergfeste Leuchtenburg bei Kahla empor. Langsam wurde sodann und ohne Aufenthalt die lange und fast einzige Strassenzeile des nicht durch Schönheit der Bauart ausgezeichneten Städtchens durchfahren. Auch die Reste des ehemaligen Grafenschlosses, schon in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts von dem thüringischen Landgrafen Friedrich dem Ernsthaften zerstört, bieten kein besonderes Interesse mehr dar. Im Weiterfahren aber berichtete Otto den Freunden, dass Orlamünde in der Reformationszeit geschichtliche Bedeutsamkeit erlangte. Der Bilderstürmer Carlstadt wandte sich von Wittenberg hierher, fand ungemeinen Anhang, erzwang sich die Pfarrstelle und trieb sein Unwesen so heftig fort, dass der Churfürst den Doctor Luther selbst nach Orlamünde sandte, die Ordnung wieder herzustellen. Allein auch dies war erfolglos; Luther fand bei Rath und Bürgerschaft den heftigsten Widerstand und verliess die Stadt, die er für »mit den Schwarmgeistern verkadert und verzaubert« erklärte. Erst später wich Carlstadt einem strengen Befehle des Churfürsten, beweint und beklagt von der ihm treulich anhängenden Bürgerschaft. –

Der gute Weg von Rudolstadt her hatte schon vor Orlamünde aufgehört und ein höchst erbärmlicher war an seine Stelle getreten, weshalb die Freunde es vorzogen, den Wagen zu verlassen und die kurze Strecke nach Kahla zu Fusse zu gehen. Sie genossen dabei den Vortheil, ungestossen und ungerüttelt sich des schönen Reisewetters – denn aller drohende Regen war hinter ihnen im Waldgebirge zurückgeblieben – und der Aussicht zu erfreuen. Immer näher kam die Leuchtenburg, und die Freunde fragten, ob Otto ihr einen Besuch zudenke? Dieser erwiederte: »Ich rathe ab; wie malerisch schön diese Veste auch aufragt, wie herrlich und umfassend das Panorama ihrer Umsicht, wie hoch hinauf die Chronisten das Alter der Burg führen, wie geschichtlich merkwürdig sie als einstiges Besitzthum des berüchtigten Thüringerlandverderbers Apel von Vitzthum erscheinen mag; ich rathe deshalb ab, weil sie jetzt Zucht-, Strafarbeits- und Irrenhaus ist, und ich der Meinung bin, wir verderben uns nicht die schöne Zeit und die harmlose Reiselust mit dem Anblicke menschlicher Versunkenheit, menschlichen Elendes. Häuser dieser Art müssen festungsähnliche Einrichtung und Bewachung haben, und solche drückt den Reisenden, eine unsichtbare Fessel, während er links und rechts Ketten sieht und klirren hört. Die frechen oder scheuen Blicke der Verbrecher, die starren oder blöden der Irren sind mir gleich entsetzlich.«

Da die Freunde beistimmten, so wurde die Leuchtenburg nur als ein die Gegend zierender malerischer Hochpunkt betrachtet und das Städtchen Kahla mit seinem sich stattlich präsentirenden Armenhause bei freundlichem Gespräch erreicht. »Wir können uns wahrlich zu unserm dauernd schönen Reisewetter Glück wünschen«, nahm Wagner noch im Gehen das Wort, »das uns vergönnt, die meisten der Gegenden, durch welche Otto uns führt, in freundlichem Lichte zu betrachten, das uns bei guter Wanderlaune erhält, und müssen dem Geschicke danken, welches uns vor Unfällen bis jetzt gnädiglich behütet.«

»Und uns unter Anderm auch Philister vom Leibe hielt!« bemerkte Lenz sarkastisch, worauf Otto mit Wagners Worten aus Göthe's Faust antwortete: »Berufe nicht die wohlbekannte Schaar! Es ist dies eine besondere Gunst der Götter, die auf Lust- und andern Reisen nicht Jedem widerfährt, und ich habe auf meinen verschiedenen Wanderungen schon mehr als Einen zu allem Gukuk gewünscht, der aufdringlich begleitend und erzählend mir lange Stunden verdarb und stahl, ohne dass ich ihn abschütteln konnte. Solch ein Kerl ist wie ein Kobold; ich könnte Euch viel erzählen, wie Bursche solcher Art mich oft gelangweilt.«

»Spare es auf, bis uns selbst Langeweile zu nahe tritt, die noch lange, wo möglich immer, fern bleibe!« ermahnte Lenz, und die Reisenden traten in das hochummauerte Kahla ein.

Als der Wagen nach kurzer Rast aus Kahla fuhr, zeigten sich schon von weitem die eigenthümlichen, schroffen und kahlen Bergformen, die das Saalthal in der Gegend von Jena bilden, und der Name des Städtchens scheint ominös anzuklingen. Schroff und schaurig setzt am rechten Saalufer der Dolenstein in das Flussbette hinab, der im J. 1780 durch einen furchtbaren Bergsturz donnernd in das Thal brach, den Fluss aus seinem Laufe trieb und eine Menge Weinberge zerstörte. Der Anblick solcher Berge, die nun nach Jena zu immer häufiger wurden, erregte im hohen Grade die scherzende Neckerei der süddeutschen Freunde Otto's. Sie stimmten Claudius' Rheinweinlied an und hoben die Strophe:

Thüringens Berge, zum Exempel, bringen
    Gewächs, sieht aus wie Wein u. s. w.

absonderlich hervor; zählten dann alle verrufenen Weinsorten, als: Schul-, Wende-, Dreimänner-, Strumpf-, Kanonen-, Armenwein und andere an den Fingern her; allein es gelang ihnen keinesweges, den Freund empfindlich zu machen, vielmehr stimmte er lachend bei und versicherte, dass sein provinzieller Patriotismus ihn noch nie so weit verleitet habe, statt guten Rhein- und Frankenweines Thüringerwein zu trinken. »Überhaupt muss ich immer darüber lachen«, äusserte er sich dabei weiter, »wenn Der oder Jener, der mir etwas am Zeug flicken möchte, mich, wie Ihr in einem Eurer Briefe bemerktet, einseitiger Vorliebe für Thüringen beschuldigt und aus solcher weitere Schlüsse zieht. Ich liebe Thüringen, weil es meine Heimath ist, liebe diese Heimath, weil sie schön ist, und freue mich ihrer, weil es ein wohlthuendes Gefühl erregt, eine schöne Heimath zu haben. Allein ich meine, in meinem Herzen sei keine Liebesgrenze, und weit über die Thüringerlandesgrenze hinaus liebt es die Menschen, die Welt. Manches fremde Land habe ich gesehen, und mich nicht minder innig seiner Naturschönheiten erfreut, nicht minder aufrichtig sein Gutes anerkannt, als Thüringens, daher ich jede Rechtfertigung auf solch einseitigen Vorwurf für überflüssig halte. Ich bin sogar der Philisterei beschuldigt worden, von Leuten, die es verdriesst, wenn es Einem in seiner Haut wohl zu Muthe ist, und lache dazu. Es gibt auch geistige Philisterei, nicht blos materielle, und gerade das kleinliche Aufstechen von Schwächen, das Sticheln und Kritteln, das Anfeinden und Fingerdeuten ist eine solche, und nur kleine Geister sind es, die es nicht über sich gewinnen können, jeden gleichzeitig Mitstrebenden unangefochten seines Weges gehen zu lassen; sie sind es, die stehen bleiben und des Andern Gang und Kleiderschnitt, Tuch und Stock, wo möglich auch Frau und Kind, nebst Soll und Haben besprechen. Habeant sibi, uns sollen sie nichts anhaben!«

An einer hohen Felswand zur Linken zieht über einen tiefen Abgrund die Strasse kurz vor dem Dorfe Rothenstein hin. »Hier ist der Schauplatz einer schönen Sage«, nahm Otto wieder das Wort. »Es war im dreissigjährigen Kriege, als ein Kroatenhaufe oben über diesen Felsen einen Trupp Schweden auseinanderjagte. Ein schwedischer Trompeter sprengt, hart verfolgt, bis zum Rande vor; er sieht keinen Ausweg; hinter sich, wie vor sich den Tod, spornt er das sträubende Ross zum Sprung in die grauenvolle Tiefe. Und der Sprung, schrecklicher noch vielleicht als der berühmte des Ritters Harras, gelingt, das treue Pferd schwimmt durch die Saale und trägt den Reiter zum jenseitigen Ufer, wo er auf der Trompete die Weise eines geistlichen Liedes wohlgemuth bläst und von dannen reitet. Schade, dass den Geretteten dennoch noch eine feindliche Falkonetkugel ereilte.«

Immer näher kam man der berühmten Universitätsstadt. Zur Rechten herüber grüsste über dem Städtlein Lobeda die einsame Lobdaburg, und der Rückblick auf das Saalthal in der Gegend zwischen den Dörfern Burgau und Winzerla gewährte ein äusserst romantisches Landschaftsbild, das über waldigen Bergen die hohe Warte der Leuchtenburg abschloss, während der Blick vorwärts einen der schönsten Theile des Saalthales überflog und den Musensitz bereits liegen sah, über welchem sich der Riesenfinger des Fuchsthurmes hob, der in tausend und aber tausend heitern Jugenderinnerungen als Ausrufungszeichen eingeschrieben steht.

An der Rasenmühle, vor der Südseite der Stadt, liess Otto anhalten; erwartende, von der Ankunft der Fremden in Kenntniss gesetzte Freunde stiegen von den Gartenterrassen des vielbesuchten Studentenwirthshauses bewillkommnend herab, während oben auf dem höchsten Punkte der reizenden Aussicht ein volles Gaudeamus erschallte. Otto stellte seine Freunde vor, liess das Geschirr in die Stadt fahren und führte Jene hinauf zum Plateau der Gesellschaftsanlage, wo sich in malerischer Abendbeleuchtung Jena von der vortheilhaftesten Seite zeigte, wo die Saale aufwärts die Gegend in voller Schönheit wie ein Prachtteppich hingebreitet lag. Flösse und Kähne belebten den Strom, stille Dörfer bargen sich in Gebüsch und Bäume, die baumreichen Wiesen des Saalthales versprachen günstige Doppelernte an Grummet und Obst, manche Ruine, manches Kirchlein trat als malerischer Einzelpunkt passend in das schöne Landschaftbild, nur die schroffen, kegelförmigen Bergeshäupter sahen starr und unheimlich, wie ausgebrannte Vulkane, in das lebenvolle, frische, romantische Saalthal herab, kahlen Philistern gleich, die argwöhnisch ein jugendfrohes Streben bewachen.

 


 


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