Ludwig Bechstein
Wanderungen durch Thüringen
Ludwig Bechstein

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Liebenstein.

Bis zu den nahen Dörfern Au-Wallenburg und Herges die kleine Strecke zu Fuss im gemeinsamen Genusse der Natur wandelnd, denn dorthin waren die Wagen einstweilen vorausgesandt, wurde noch manche Merkwürdigkeit betrachtet. Schwerspathgänge treten aus der mit Glimmer untermischten Granitwand zur Rechten; das Thal erweitert sich, und in Entfernung einer kleinen halben Stunde ragt hoch in die Luft die hohe Thurmsäule der Wallenburg. Man war den Vorbergen des Waldes genaht, die sich zum Werrathal hinab allmählig verflachen. Eine andre, zum Thüringer-Walde nicht gehörende niedre Bergkette zieht längs desselben bewaldet hin. Nahe einem Eisensteinbergwerke, der Mommel, vorbei, fuhren nun die Reisenden über sanfte Anhöhen, bis in geringer Weite von Liebenstein Otto anhalten liess, und seine Gesellschaft nur eine kleine Strecke zur Rechten seitwärts führte, einem am Fusse der Ruine Liebenstein hinstreichenden schattigen Thale zu, das vorzugsweise das Thüringer-Thal heisst. An dessen Eingang stand früher eine malerische Felswand, welche aber zum Behufe des Chausseebaues theilweise verwendet, nicht mehr bedeutend ist, und in deren Nähe, mitten im Wege, ein Stein liegt, darin einige Vertiefungen sichtbar. »Diese Vertiefungen,« erzählte Otto: »nennen die Anwohner den Eselsfuss, wie die Felsen dort den Eselssprung, und haben davon die wunderliche Sage: dass der Herr Christus auf seiner Eselin den Felsen herabgeritten sei, und letztere ihre Fussstapfen dem noch da liegenden platten Steine eingedrückt habe.« – Mannichfache Feldspathe und Hornblenden finden sich hier, und überhaupt ist dort ein Terrain betreten, welches im Umkreise von wenigen Stunden dem Geognosten und Mineralogen höchst interessante Anschauungen, wie nicht minder reiche Ausbeute für den Sammeleifer gewährt.

Das Bad Liebenstein war erreicht, die Reisegesellschaft trennte sich auf kurze Zeit; die Damen suchten ihre Zimmer. Otto machte für sich und die Begleiter im Kurhause Quartier, verliess dieses aber bald mit ihnen, um unter den anmuthigen Schatten der vor dem ansehnlichen Hause stehenden Kastanien- und Lindenbäume theils Bekannte zu begrüssen, theils seine Freunde diesen vorzustellen, und ihnen Manches zu zeigen, das er den Damen bekannt voraussetzen konnte. Dies that er, nachdem man sich mit Dionysos Gaben erquickt und gestärkt hatte. Schon beim ersten Verweilen priesen die Freunde des Badeortes anmuthige Lage am Fusse des höhern Gebirgs, dessen Nähe ihm eine reine und gesunde Luft sichert. Zum Brunnenhause hinabgeführt, das, eine Rotunde in einfach edlem Styl, auf einem freien Platze steht, in der Nähe des Theaters und des Badehauses, wie der Postexpedition, wurde die Mineralquelle des Liebensteiner Wassers gekostet. »Die chemische Analyse dieses Sauerbrunnens,« sprach Otto: »vindicirt der hiesigen Quelle mehr Eisengehalt als der Pyrmonter, welcher sie auch in ihren übrigen Bestandtheilen am nächsten kommt, daher die gleiche, erfolgreiche und oft bewährte Heilkraft.«Ausführlichste Nachricht über das Bad und seine Umgebung ist in folgendem Werke zu finden: Die Mineralquelle zu Liebenstein, ein historisch-topographischer und heilkundiger Versuch von Dr. T. H. G. Schlegel, Ordensritter, Geh. Hofrathe, Hofmedicus etc. Brunnenarzte zu Liebenstein. Meiningen, Keyssnersche Hofbuchh. 1827.

»Die Quelle diente schon vor einigen Jahrhunderten den Einwohnern dieses und der Nachbarorte als oft gebrauchter Gesundbrunnen. Sie wurde zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts gefasst, und zu Ende des achtzehnten durch Herzog Georg von Sachsen-Meiningen die Anstalt ins Leben gerufen, welche bald aus Nähe und Ferne zahlreiche Kur- und andre Gäste herbeizog. Allmählig entstand für Hofhaltung, Badewirthschaft, Vergnügung und Bequemlichkeit ein Neubau nach dem andern, und neben der irdischen Sorge für ein Theater, für Marmorbäder, Logis, Promenaden u. s. w. wurde auch des Ueberirdischen gedacht, und die freundliche Kirche dort oben am Bergesabhang frei stehend und weit sichtbar errichtet. Die Ursachen, warum sich Liebenstein nicht mehr solcher Frequenz wie ehedem zu erfreuen hat, liegen ebensowohl in allgemeinen Zeitverhältnissen, als in manchen örtlichen, und es ist nicht unmöglich, dass das Bad, jetzt freilich nur mit bescheidnen Mitteln fortgepflegt, wieder einmal huldvoll vom Scepter der Mode berührt werde. Da es keine warmen Quellen hat, und eben nur ein in geeigneten Krankheitsfällen hülfreiches Stahlwasser bietet, bleibt natürlich die Sphäre der Wirkung desselben in gewissen Grenzen.«

Otto zeigte auf der von schlanken Pappeln und Linden beschatteten Promenade hinauf nach dem aus Waldesgrün hochaufragendem Ruinenschloss, das von der untergehenden Sonne hell angestrahlt, die Gegend schmückte, dann in der Richtung nach der Kirche hin auf eine pittoreske Felsgruppe, und sprach: »Morgen bin ich euer Führer, dort hinauf und dort hinüber. Ihr schenkt wohl gern noch den morgenden und auch den folgenden Tag – wenn nicht dieser Gegend, doch dem Anziehenden, was sie für euch jetzt in sich schliesst. Bald fällt der Trennung trüber Wolkenschatten auf die Herzen, sonnen wir daher uns Alle noch recht seelenfroh im heitern Lichte der Gegenwart und – der Gegenwärtigen.«

Der Platz unter den Linden hatte sich mit Badegästen und Bewohnern der Nachbarorte angefüllt, es war lebhaft, ohne beengendes Gewühl. Otto führte die Freunde dem Erdfall, oder der Grotte zu, einer der anziehendsten, reizendsten Parthien Liebensteins in nächster Nähe des Kurhauses. Amphitheatralisch steigen um den freien Raum, der mehr als tausend Menschen zu fassen im Stande ist, den hohe Bäume überschatten, bewaldete Höhen empor. Im tiefen Grunde gähnen Höhlenschlünde, quillt ein starker Bach hervor; über ihn wölbt sich auf Stufen zugänglich, eine geräumige, mehr als 100 Fuss tiefe Grotte. Hier in diesem immer kühlen Raume wird bisweilen an heissen Sommertagen gespeist, und ein festlicher Abend sieht den Erdfall bis hoch in die Baumwipfel hinauf mit flimmernden Lämpchen erleuchtet, was einen magischen Anblick gewährt.

Das Zeichen ertönte, welches die Gäste des Kurhauses zur Abendtafel rief, an dieser fanden sich die Reisegefährten wieder zusammen und besprachen den morgenden Excurs. Frau Arenstein war gütig genug, auf Lenz und Wagners Bitte, ihre Theilnahme nicht zu versagen, obgleich ihr die zu schauenden Parthien bereits alle wohl bekannt waren.

Als bereits tiefe Nacht schattete, nichts mehr hörbar war als das Plätschern der Fontaine, das Rauschen der Brunnen, waren die Gefährten noch wach; sie hatten den Freundinnen eine Ueberraschung zugedacht. Otto entwarf schnell für die Freunde ein Liedchen, gewann das Sängerchor des Ortes, und vor den Fenstern, wo Engelbertha und Rosabella ruhten, wallte süssmelodischer Nachtgesang empor:

»Flüstre linde, flüstre leise,
Liebesstimme, durch die Nacht;
Schwinge dich in sanfter Weise
Aufwärts, wo die Liebe wacht.
Gute Nacht – gute Nacht!«

»Schwebe, Lied, empor und sage,
Wer ihr Huldigung gebracht,
Und ans Herz leg' ihr die Frage:
Ob sie liebend sein gedacht? –
Gute Nacht – gute Nacht.«

»Gute Nacht! Durch Hoffnungsräume
Wandle, reich vom Glück bedacht!
Horch! Es tönt in Deine Träume:
Gute Nacht, ja gute Nacht!
Gute Nacht – gute Nacht.« –

Freundlicher Dank flüsterte mit ähnlichem Grusse von oben nieder.

 


 


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