Ludwig Bechstein
Wanderungen durch Thüringen
Ludwig Bechstein

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Felsenthal und Inselberg.

Am folgenden Morgen schleierte dichter Nebel das ganze Thal ein; die Damen klagten und zagten, Otto tröstete. »Es gibt einen heissen Tag, vielleicht Gewitter,« sprach er: »uns aber bringt der kühle Morgen ohne Erhitzung zeitig in eine hohe Region, und der Nebel wird bald theils in den Thalschluchten, halb Thau, halb Regen, sich präcipitiert haben, theils in malerischen Wolkenformen ein Schmuck des tiefblauen Aethers sein.«

Es wurde nun alsbald angespannt und rasch nach Gross-Tabarz gefahren; als es erreicht wurde, war der Nebel schon grösstenteils gefallen, nur im Thale rollten sich noch Wolkenschichten wie Vorhänge vor dem Naturtempel wechselnd ab und auf. Tabarz war volkbelebt, die Kirchenglocken erklangen, ein Hochzeitzug jubelte heran. Musikanten arbeiteten im Schweiss ihres Angesichts; Braut und Bräutigam schritten, Hand in Hand, ernst, gesetzt, verschämt; sittsam, doch fröhlichen Antlitzes, folgte eine Schaar blühender Brautjungfern, alle in höchst origineller, wohlkleidender, doch fremdartig erscheinender Tracht, die nur wenig gemein hat mit der andrer Thüringer Walddörfer. Verwandte folgten im höchsten Staate. Da sah man noch Dukaten an Dukaten gereiht als Halsketten prangen, vorn mit grossem goldnem Schaustück geschmückt; Goldflitter glänzten, Rosmarinsträusser dufteten. Rosmarin ist dem Thüringerwäldler bei Freuden- wie bei Trauerfesten Lieblingspflanze. Die kleinen Mädchen hatten alle auch Sträusser vor flimmernden Brustlätzen und seltsame Bänderhaite (Bändermützen) auf dem straff zum Wirbel emporgezogenen Haar, die Jungen aber sahen aus, wie Pariser Gamins, nur etwas derber und plumper; sie trugen feingenähte Blousen, Staubhemden, wie die Strassenfuhrleute sie tragen.

Glückwünschend dem Brautpaar ward dies Alles von den Reisenden angeschaut, als gutes Zeichen genommen, und dabei vielleicht eigner Hoffnungen, wie eigner Erinnerungen an solche Freudentage gedacht, dann musste ein Bote gewonnen werden, die Arensteinische Equipage möglichst sicher über die etwas schwer fahrbaren Waldberge nach Broterode zu geleiten; zu gleicher Zeit entliess Otto mit Vergnügen das Tambachische Rumpelkästlein.

Schon der Eingang in das von dem Lauchabach durchflossene Felsenthal entzückte die Fremden. Ein Forsthaus und der Schützenhof von Gross-Tabarz zieren das hier ziemlich breite Thal, in dessen ferner Tiefe schon einzelne Felsensäulen erkennbar sind. Weiter den lachenden Wiesengrund aufwärts wandernd zeigten noch technischer Industrie gewidmete Mühlwerke das Walten menschlichen Fleisses, und das näher kommende Auge entdeckte nun mehr und mehr malerische Felsmassen in Säulen und Gruppen, Die Felswand des Bärenbruchs ragt über 100 Fuss hoch mit gewaltigen Zacken und Klippen senkrecht empor; das vorwaltende Felsgestein ist Porphyr, doch findet der Mineralog auch Hornblende, Hornstein und Todtliegendes; nicht minder Granit, Kalkspath, Schieferthon und selbst Steinkohle in diesem zerklüfteten, schaurigschönen Thalgebiete.

Langsam, ruhig, schauend-geniessend wandelten die Reisenden das Thal aufwärts; Wagner zeichnete hier und da; Otto wusste zu parkartig geebneten Wegen zu geleiten, die, den engen Thalgrund verlassend, zur Rechten aufwärts führten. Von Zeit zu Zeit stehen bleibend, durch lichte Stellen des Waldgrüns blickend, hatte man sonnebestrahlte Steinsäulen und mächtig aufragende Felszacken zu bewundern; immer noch ballten sich Nebel in diesem düstern Theile des Thales zusammen, vom Haar der Tannen tropfte Thaufeuchte und netzte der Damen Hüte und Schleier. Seltne Waldblumen hoben dürstende Kronen empor, um des Himmels tränkenden Perlenschmuck auf sie niederträufeln zu lassen. Immer höher zog sich der Schlangenpfad an steiler Bergwand aufwärts. Plötzlich schienen senkrecht aufgethürmte Felskolosse den Weg abzuschneiden, doch näher kommend, wurde eine mächtig hohe höhlenartige Oeffnung sichtbar, welche als geräumige Pforte den Durchgang gestattete. Bewundernd trat die Gesellschaft und aufathmend in die erhabene Wölbung. »Diess ist der Thorstein,« sprach Otto: »des Felsenthales schönster Ein- und Ausgang. Aufwärts blickend gewahren wir nichts als Felsen, Büsche und Bäume in nächster Nähe, aber zurück uns wendend, sehen wir von dem gewaltigen Spitzbogen des Gesteins hinab und hinüber auf ragende Felspyramiden, umgrünt von Moos, von Gesträuch umbuscht, hoch über die schlanken Tannenwipfel die nackten Häupter erhebend. Geier und Bussarde umkreisen sie; aus dem tiefen Grunde drunten wird immer noch das Wellengemurmel des Waldbachs vernommen, und wunderherrlich blau ist über dem Grün der Wälder der Bogen des Aethers gewölbt.« Die jungen Mädchen blickten freudetrunken bald in das Thal, bald in liebetrunkne Augen , die nur in ihren Blicken den Himmel suchten und fanden, und nichts störte das stumme Entzücken, das die heiligwaltende Naturstille ringsum hervorrief.

Höher stieg man nun empor, immer höher, aber man sahe, dass eine der Natur befreundete mächtige Hand mitten in der Wildniss des Gebirges sichern Pfad gebahnt, auf dass dem Wandrer nicht durch des Weges Rauhigkeit der Naturgenuss geschmälert werde. Sängerstimmen schmetterten noch durch die Waldungen; neben den Tannen ragten hohe Vogelbeerbäume empor. Ein Bächlein kam plätschernd und geschwätzig vom Berg herab entgegen, bald war es nahe, bald rollte es in tiefer Schlucht heimlich rauschend, dann tanzte es wieder silberhell, von Stein zu Stein abfallend, niederwärts. Die Höhe war endlich gewonnen, ein weitgedehntes Plateau erreicht, auf diesem fusste nun erst der Gipfel des Berges, der noch hochaufragend mit mächtiger schroffer Felswand, dem Inselbergstein, in das Thal hinabblickt. Fast wollten die Damen zagen, als ihr Auge die noch zu erklimmende steile Höhe maass, doch Otto tröstete, bat ein wenig zu ruhen, jetzt nicht umzuschauen, und dann, gestützt auf die kräftigen Begleiter, nur muthig bergan zu steigen.

Der Gipfel des majestätischen Berges ward erreicht, nicht ohne Anstrengung, da eckiges Gerölle die Schritte öfter hemmte, er ward erreicht, als eben eine grosse Wolke von der entgegengesetzten Seite vom Winde über ihn hingetrieben wurde, die nun sich nach der Tiefe des Felsenthales hinabrollte, Alles einschleierte, wie feiner Nebel jede Aussicht trübte, und schon ängstigende Befürchtung, klagende Ausrufe veranlasste: »Nun werden wir nichts sehen, nun haben wir vergeblich den weiten Weg gemacht!« Doch nicht lange, so zerriss der Schleier, zeigte wie ein Fatamorgana-Bild auf Momente tief unten hellbesonnte Gefilde, Städte, Dörfer, Auen, und verhüllte sie wieder, ehe noch ein Ausruf des Erstaunens sich Luft gemacht. Wie ein graues Gespenst wurde ganz nahe den Wanderern durch den Wolkennebel das gastliche Haus sichtbar, das sie aufnahm, um zunächst Ruhe und Erquickung zu gewähren.

Als man nun heraustrat auf den 2949Nach Andern nur 2855. Fuss hohen, sanft abgerundeten Berggipfel, war die obere Luft hell und klar, nur über einzelnen Waldgründen lagerte gekräuseltes Gewölk, und dem Auge war vergönnt, das grossartigste Panorama ringsum zu überschauen, dem Herzen aber, sich an der Gottesherrlichkeit der Natur zu erfreuen. Reiner ätherischer Lufthauch umwehte, umwogte die Schauenden, höher steigerten sich in dieser geläuterten Atmosphäre Gefühle und Empfindungen, die mehr im gefühlvollen Schweigen, in leisen Händedrücken geistiger Zuneigung und Seelen-Verwandtschaft, als in lauten Worten sich verkündeten.

Den Berggipfel umwandelnd, deutete Otto die Hauptpunkte des herrlichen Inselberg-Panorama's an, und mit bewaffnetem Auge folgte seinen Fingerzeigen die begleitende Gesellschaft.

»Mit dem Norden beginnend,« sprach der Geleiter: »sehen wir die Kette des Harzgebirges den Horizont säumen , der ferne Brocken grüsst hochragend dort die thüringischen Brüder. Zahllose Ortschaften sind verstreut auf der unendlichen Fläche, deren Höhen hier nur als niedrige Hügel erscheinen. Wir können dem Laufe der Bäche und Flüsschen folgen, die sich durch grüne Wiesen hinschlängeln, und wie auf dem Tableau einer Landkarte ihre Vereinigung gewahren. Dort ist Langensalza sichtbar, weiterhin in dessen Nähe Thomasbrück; hier scheinbar an des Berges Fuss liegt Cabarz, weiterhin Langenhain, und dicht am Ende des nahen Waldgebirgs erblicken wir Schloss Tenneberg und ein Stückchen von Waltershausen. In weiter Ferne am Harz hebt der Kyffhäuser sein Haupt. Nun immer mehr dem Ostpunkt zugewandt, erblicken wir Gotha mit dem prangenden Friedenstein, in der Nähe die Sternwarte. Von Erfurt sind nur die Domthürme sichtbar, hinter ihnen steigt der Ettersberg, über den Horizont der blauen Ferne. Direkt nach Osten liegt uns jetzt das Gasthaus des Inselbergs ganz nahe, über dieses hinweg sehen wir die Zacken des Felsenthales, die Wand des Bärensprunges emporstarren, von Waldung rings umgrünt, die sich weithin über den Rücken des grossen Tenneberges erstreckt, auf dem wir herrliche Hochwiesen erblicken, und Laub- und Nadelwaldung im anmuthigsten Wechsel. Darüber hin erscheint die romantische Berggruppe der drei Gleichen, wir können Neu- und Altdietendorf, Molsdorf, Ichtershausen und noch viele andre Ortschaften gewahren, und zwei hohe Burgwarten, vielleicht Fuchsthurm und Leuchtenburg, ragen über den Saum des Gesichtskreises. Zwischen beiden dehnt sich Ohrdruf aus; wir blicken mit Antheil in die Gegend zurück, wo wir gestern weilten, entdecken Catterfeld und die lichte schlanke Steinsäule des Candelabers. Von da nun streckt sich vor uns gigantisch das Gebirge, zum grössern Theil von grauem Nebel dicht überschleiert, es braut ein Wetter in der Tiefe; nur die fernsten Höhen sehen wir inselgleich aus dem Wolkenmeer auftauchen, den Gückelhahn bei Ilmenau, und die nachbarlichen Gipfel des Schneekopfs und Beerberges, davon ja auch unser Fuss den einen beschritt.«

»Weiter nach Süden sehe ich den Fernblick erschwert durch aufsteigende Dünste und durch die Strahlen der ihrer Mittagshöhe scheinbar zueilenden Sonne. In jener Richtung haben wir am Horizont die Gleichberge bei Römhild zu suchen, und finden das langgestreckte Plateau der linken Seite des Werrathales, darauf Dreissigacker mit einer Allee recht gut erkennbar ist. Die Geba streckt sich hoch empor, und ein Stück in das Werrathal hereinblickend sind die drei Breitungen, die Todtenwart, Schwallungen und die Warte der Maienluft über Wasungen zu erkennen. Am Horizont zieht die bläuliche Kette der Rhön mit dem Kreutzberg und dem Gangolf hin, die Region der Basaltkegel beginnt, unter denen die Milzeburg durch besondre Schroffheit sich kennbar macht. Unten am Bergesfuss der freundliche und stattliche Flecken ist Brotterode, den wir hernach bergabwandelnd begrüssen, da die Equipage dort der Eigentümerinnen harrt.« –

Der weiblich ängstlichen Frage, ob der Hinabweg beschwerlich? begegnete Otto tröstlich verneinend, und fuhr weiter in seiner Demonstration der aus Vogelperspektive überschauten Gegend fort.

»Im Westen sehen wir Salzungen in offner Thalbreite des Werraflusses liegen, mit dem gastlichen Seeberg, und nahe dabei zur Rechten den Krainberg mit malerischer Ruine; nun streift der Blick wieder über unendliche Waldungen des sich überall zum Werra- und Hörseelthal absenkenden Gebirges. In blauer Ferne verschwimmen die Höhenzüge Westphalens, das Vogelgebirge; in dieser Richtung erkennen gute Augen den Herkules der Wilhelmshöhe. Der Meissner streckt seinen Sargrücken in der Gegend zwischen Kassel und Göttingen aus, und aus einer Gegend, die uns nur wenige Orte zeigt, rückkehrend, senkt sich der Blick gern auf die Wartburg nieder, welche hier zwischen dem West- und Nordpunkt malerisch nahe steht; auch die Ruine Scharfenberg und die groteske Felswand des Meissenstein bringen sich noch einmal in unsre Erinnerung. Der Wartberg, der nahe ein Riese scheint, liegt mit seinen Felstrümmern bescheiden zu unsern Füssen. Ihn überragend zeigt sein Nachbar, der Hörseelberg, den kahlgestreckten Rücken, und setzt einen Fuss nach Schönau, den andern nach Sättelstedt. Er beschliesst unsern Rundgang; wir langen wieder auf dem Punkt unsers Ausganges im Norden an.« –

Es war auch Zeit, dass dies geschah; die Umstehenden hörten plötzlich einen Donnerschlag, tief unter sich, und erblickten, dem Hause zueilend, eine im Süden stehende graue Nebelwand, die von meteorischer Flamme durchzuckt wurde. Kalter Wind begann zu wehen, entsetzt schrieen die Damen auf, als rasch hintereinander die Schlangen der Blitze wie blaue und feuerrothe Leuchtkugeln emporfuhren – und eilten in das Haus, sich erinnernd, wiederholt gelesen zu haben, dass es durchaus gefährlich sei, auf hohen Berggipfeln dem Spiele der tödtlichen elektrischen Funken zuzusehen. Dieses Schauspiel kann leicht tragisch enden. Der Donner rollte fast endlos in der Niederung fort, das Gewitter hob sich auf Sturmwindflügeln, das Haus stand von Flammen umlodert, und selbst die Herzen der Männer pochten ängstlich; man stand in der Hand des Höchsten und fühlte die eigne Ohnmacht. Doch der Engel des Herrn, der im Wetter erschien, zog mit dem flackernden Blitzesschwerte sausend vorüber, waldeinwärts ballte und rollte sich das leuchtende Gewölk, und gewährte nun, ferner gerückt, die majestätischste Naturscene, die reichlich für die Entbehrung eines, wiewohl zuweilen äusserst prachtvollen, Sonnenauf- oder Unterganges auf dieser Höhe entschädigte. »Ich war einmal, hier oben weilend, so glücklich,« erzählte Otto: »die Sonne sinken zu sehen; es war schon Herbstnähe und der Abendschein hüllte Himmel und Land in lichtes krokosfarbiges Gold. Eine Stunde später entbrannte dunkelglühend die Kugel des Vollmondes; dann folgte eine schlaflose Nacht auf elender Streu, welche Nacht von trunkenen, jauchzenden und sich prügelnden Insassen des nächst unten liegenden Ortes durchtobt wurde; ihr ein kalter, unerquicklicher Morgen, aber ein wunderbarer Sonnenaufgang, denn wie zuvor der Mond, so erschien auch die Sonne durch den Nebel der Frühe wie geschmolzenes rothglühendes Metall.«

Das Wetter hatte auf der Höhe nur wenig feuchte Spuren zurückgelassen; der Hinabweg konnte ohne Beschwerde angetreten werden. Freundlich wurde den Damen der Arm geboten, und die kleine Karavane brach auf, eben als eine andre, zahlreichere, etwas übel zugerichtete, anlangte, die einem starken Schlagregen unter dem halb und halb schützenden Gewölbe des Thorsteins mit Mühe entgangen war, und welche die Absicht kund that, auf dem Berge zu übernachten. Man wünschte ihr viel Vergnügen, und wandelte bergein. In anmuthigen Windungen zieht sich der Pfad; ein Botaniker kann sich auf ihm viel für sein Herbarium sammeln. Den Bergscheitel umkriechen nur krüppelhafte Fichten, doch wenig niedriger beginnt üppige mannichfaltige Vegetation. Lenz hatte diesesmal kein Auge für die Seltenheiten der Flora, er hielt Engelbertha's Arm fest in den seinen geschlungen, er schien die Wunder- und Glücksblume der Liebe gefunden zu haben. Die beiden jungen Paare wandelten voran, beobachtet von dem scharfspähenden Auge der Mutter, und diese wusste mit Feinheit von Otto so viel umständliche und nähere Nachricht über alle Verhältnisse seiner begleiteten Freunde auszuholen, als ihm zu geben möglich und ihr zu fernern Entschliessungen erspriesslich war. Sie sah, wie ihre Töchter mit schuldlosester Unbefangenheit den jungen Männern sich harmlos anschmiegten, wollte nicht das kindliche Vertrauen stören, wünschte es aber auch nicht gemissbraucht und geknickt, und liess sich daher von Otto gern in Bezug auf jede Befürchtung beruhigen. So mochten wohl alle Betheiligten mehr in die Zukunft, wie in die Gegenwart ihre Blicke richten, als die Gesellschaft nach dem Marsch einer Stunde in Brotterode ankam, das mit 340 Häusern in einer malerischen Weitung des Gebirges am Fusse des Inselberges liegt. Schon von weitem wurde Musik vernommen, vom Kirchthurm sah man eine grosse Fahne wehen. Es war Kirchweihe in dem langgebauten Flecken; man sah viele stattlich und eigenthümlich geputzte Landleute, darunter das Vorwalten eines städtischen Luxus. Otto erklärte diesen aus dem lebhaften Verkehr hier wohnender wohlhabender Handelsleute en gros, welche hier gefertigt werdende Metall- und Holzwaaren weit versenden. Auch ist Tabaksfabrikation ein bedeutender Nahrungszweig der Einwohner. »Junge Bursche und Männer in unsern Kleinstädten und Dörfern,« sprach Otto bei dieser Gelegenheit: »tragen fast allgemein modische Westen, kurze Jacken von dunkelm Tuch, ebensolche Mützen mit einem Lederschild, seidne Tücher, lange Beinkleider und Stiefeln. Die Pelzpardel, eine Mützenart, welche die alte gemeine deutsche Spielkarte am Unter und Ober zeigt, die bäuerisch zugeschnittnen Jacken, die kurzen Beinkleider von gelbem Leder oder Sammtmanchester, die wollenen Zwickelstrümpfe und derben Nägelschuhe, der ganze ehemalige Staat, schwinden in diesem Theile Thüringens mehr und mehr.«

Das grosse und gutgebaute Wirthshaus war durchwühlt, durchsummt, durchklungen von jungem und altem Volk und der Tanzmusik, dass es schütterte; die Reisegesellschaft sah, während der Kutscher anschirrte, dem fröhlichen, jauchzendlauten Volkstreiben zu; die Kirmsenbursche prangten mit grossen Sträussern, buntseidnen auf die Achsel befestigten Tüchern, und während eine Parthie hier jubelte und tanzte, zog eine zweite Musik heran, Paar an Paar vorüber, einem andern Hause zu. Es gab mannichfaltige Abwechselung des Putzes, und schöne, freudeglühende Mädchengesichter zu betrachten.

Aus diesem lebensfrohen Getümmel eines dem Volke wohl zu gönnenden nationellen Festes fuhr die Gesellschaft, (Otto hatte wieder einen Rosinante aufgetrieben und sass mit Lenz in einem ländlichen Cabriolet, Wagner als Glückskind bei den Damen) in das äusserst romantische Drusenthal ein, durch welches ein Bergfluss, die Lauter, mit lautem Ungestüm abwärts eilt, und in tollen Sprüngen über Granit- und Porphyrblöcke stürzt, vergrössert durch immerwährend einfallende Rinnbächlein vortrefflich bewässerter und darum herrlich grünender Wiesen. Otto machte seinen Begleiter auf die mannichfaltigen Arten vorkommenden Gesteins aufmerksam. Granit, Syenit, Gneiss, Feldspath, Quarz, Amethyst, Glimmer und Hornblende finden sich oft neben einander, auch Gabbro, Saussurit und Bronzit kommen vor.

Auf gut chaussirtem Fahrwege ging es, zunächst einem Zainhammer, dann einer Schleifmühle vorüber, nun thalein. Massen von Felsblöcken liegen umhergestreut und im Bette des Baches; weiter abwärts ragt mitten aus grüner Waldung thurmähnlich ein Felsobelisk: der Hauptstein, empor. In sanften Windungen folgt die Strasse dem Thale, bis ihr fernerer Lauf dem vorausspähenden Auge sich entzieht, und von einer Felswand verschlungen oder aufgehalten zu werden scheint, die, je näher der Reisende kommt, immer imposanter, immer pittoresker sich darstellt.

Ein Granitberg zerborst und überstreute mit gewaltigen Trümmermassen das hier enge Thal. Den Einsturz drohend, steht noch mit überhängenden zerklüfteten Klippen die rechte, von Blumen und Buschwerk reizend bekleidete Felswand. Der Bergfluss sucht tosend durch das mühsam gewühlte Bette die Bahn, und stürzt in schäumenden Wasserfällen weiter. Dort in der grotesken, aber anmuthig beleuchteten, entzückenden Wildniss rasteten die Reisenden lange, und gaben sich betrachtend, zeichnend, mittheilend, und wild mit einander kämpfende Elementarkräfte sich vergegenwärtigend, den mächtigen Eindrücken hin, welche die vorzüglichste Parthie des oft besuchten Drusenthales erregt.

 


 


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