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Das lange Band.

Dem günstigen Leser Glück und Heil! –
In Frankfurt hielt ein Krämer feil
Und pries den Leuten seinen Tand:
Gewirkte Borten, Schnur und Band,
Leibgürtel, Nesteln, Litzen,
Schuhriemen, Schnallen, Spitzen.
Da trat zum Meister mit der Elle
Herein ein fahrender Geselle
Und sprach zu ihm: »Für mein Barett
Ich gern ein seiden Bändlein hätt',
Damit der Wind, der draussen fegt,
Mein Käpplein nicht von dannen trägt.«

»Gut«, sprach der Krämer zu dem Kunden
»Ein solches Band ist bald gefunden.
Hier ist das beste, was ich hab';
Ich schneid' Euch eine Elle ab.
Der Preis ist eine Kleinigkeit,
Ein Heller nur, weil Ihr es seid.«
»Ei Meister«, sprach der fremde Wicht,
»Die eine Elle langt wohl nicht.
Was kostet's, wenn Ihr mir das Band
Von einem Ohr zum andern spannt?«
Darob der Krämer waidlich lachte:
»Ist Euer Kopf so ungeschlachte?
Wohlan, gebt mir der Heller zwei,
So mess' ich Euch, wie weit es sei,
Das Band von Ohr zu Ohr,
Doch zahlet mir zuvor.«

Da warf der fremde Vogel frisch
Zwei Heller auf den Ladentisch.
Das Band ergriff er drauf behende,
Hielt sich an's rechte Ohr das Ende,
Thät listig mit den Augen zwinken
Und sprach: »Nun messt mir bis zum linken.«
Der Krämer lüpfte das Barett;
Das Ohr er gern gefunden hätt',
Da aber ward dem Meister klar,
Dass selbes abgeschnitten war,
»Ei«, rief er, »Freund, wie kann ich messen?
Du hast das linke Ohr vergessen.«
Da lachte hell der Gauch und sprach:
»Lauft nur und messt dem Ohre nach.
Zu Erfurt war's in Sachsenland,
Da schnitt mir's ab des Henker's Hand;
Dort findet Ihr's am Galgen hangen.
Messt zu, ob Eure Bändlein langen.«

Den Krämer fasste jäher Schrecken.
Er sprach: »Gesell, du willst mich necken.
Wie könnt' ich wissen denn zuvor,
Wie weit es ist zu deinem Ohr?
Ich wähnte dir es angewachsen
Und nicht am Galgenholz in Sachsen.
Wir wollen friedlich uns vergleichen;
Lass dir ein gutes Zehrgeld reichen
Und halt' dein ander Ohr recht fest,
Dass du es nicht in Frankfurt lässt.«

Da sprach der Strolch: »Es ist mir leid,
Doch will ich's thun, weil Ihr es seid,
Obwohl ich mir's zum Schaden thue.« –
Da griff der Krämer in die Truhe
Und thät den Schelm entlohnen
Mit einer Sonnenkronen.


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