Ernst Barlach
Der gestohlene Mond
Ernst Barlach

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Neunundzwanzigstes Kapitel

August war ein so guter Junge, wie man bei seinen jungen Jahren erwarten konnte. Nicht besser und nicht böser. Zum Aufkommenlassen, ja Herbeiführen eigener Regungen an jener Stelle, die etwa für ernstere seelische oder kritische Bedenken freigeblieben oder eigens geschaffen, war er nicht angeleitet. Dergleichen wurde von ihm nicht erwartet, und wenn etwa, so mußte der Versuch der Auffindung jener Plätze für bewußte Regungen mangels irgendwelches zuverlässigen Kompasses und jeder Übung in seinem Gebrauch unterbleiben. Verlobungen sind Worte und Geschehnisse wie andere. Und was die seinige mit Frieda an Umständen begleitete, tat es wie Wetter und Wind, die sich einfinden wie Selbstverständlichkeiten und es treiben wie Nacht und Tag, Morgen und Abend, deren Wechsel man hinnimmt, ohne über ihre Berechtigung zum jeweiligen Ablauf so oder anders nachzudenken. Daß der Mond aufgeht, ist so wenig verwunderlich, wie daß früh am Tage die Sonne scheint. August wußte, was alle wußten oder doch durch fleißiges Denken zur Überzeugung erhoben hatten, daß Wau der Vater sei; und daß Wau an seiner pekuniären Schuldigkeit nichts versäumen würde, bezweifelte August so wenig wie Mehlhorn- und Sandstraße mit ihrer ganzen Umgebung. Denn Wau war offensichtlich kein böser Mann und hatte sich einstweilen als guter Zahler erwiesen. Seine Achtbarkeit war durch keinerlei Infragestellung verkümmert, und soweit war alles gut und schön.

Anders war die Sache mit Frieda selbst, die es an schuldiger Zufriedenheit mit den einen wie den anderen Umständen durchaus fehlen ließ. Daß August ziemlich 157 faul, wenigstens ohne Vorwärtsstreben war, mochte von ihr gar nicht beachtet werden, daß er aber eigentlich noch kein Mann war, sondern, obgleich kein Unflat, doch seine Flegeljährigkeit als ehrbaren Dauerzustand betrachtete, machte ihrer Trostbedürftigkeit wohl hin und wieder bangen. Aber seit der Verlesung des Bostelmannschen Drohmanifestes war sie aus all ihrer bisherigen Unbedachtheit aufgescheucht und erregte damit, ohne sagen zu können warum, den Argwohn, es nicht bei dem von ihr erwarteten Geschehenlassen des Kommenden bewenden lassen zu wollen. Seitdem aber der Betriebshelfer Daß ins Revier gebrochen, war ihr der Tag verleidet und sein Licht mit einem Jammerflor verdunkelt. Machte es sich hie und da, daß sie sich von ihm bei Ausgängen betreffen ließ, so fand er sich unversehens an ihrer Seite und begleitete ihren Weg unter flotten und frechen Anspielungen auf alle Peinlichkeiten ihrer jungen Notlage, nicht ohne schlaudreiste Hinweise auf alles solches mit erhobenem Tone an Begegnende diesseits oder jenseits der Straße.

Ihre zunehmende Verstörung trieb sie ein oder anderes Mal, Zuflucht vor der Belästigung in einem fremden Hause zu suchen, worüber er dann eine geile Lache aufschlug und einen Triumphschall seiner wölfischen Lust am Zerreißen der flüchtenden Wertlosigkeit der verlorenen Spur nachsandte.

Einmal kam sie bei Onkel Vorholz, schon auf der Treppe zusammenbrechend, in die Wohnung gewankt, während Daß im Flur unten wie im Selbstgespräch, aber laut genug Glossen über die gute alte Zeit und ihre üble junge Nachfolgerin an die abgeschabten Wände und die Horchspalten ihrer geöffneten Türen richtete. Onkel Vorholz sah sich nicht eben erfreut in seinem sauer der Arbeit abgesparten Mittagsschlaf verkürzt, und als Mann, der wußte, was er seiner Meisterwürde schuldete, machte er sich, während die Daßschen Würgelaute wie Brandmale auf seinem Gemüt zischten und brenzlich rochen, nach seiner Gewohnheit straßenfein, knöpfte zu und griff zur Mütze, während auf seinem schlafheißen 158 Gesicht das Rot sich in die Totschlägertunke der Wutblässe umfärbte. Daß, unten rumorend, sah ihn niederwärts rücken und räumte vor der kommend wachsenden Möglichkeit, die das schnelle Ende aller seiner sowohl wölfischen, wildschweinhaften wie fuchsigen Lebensgeister in drohende Nähe brachte, den Flur und rückte für seine Person straßenwärts. Onkel Vorholz winkte ihn herrisch heran und ließ ihn an seiner Seite bis ans Ende der Straße einen Armensündergang machen. Hier streckte Onkel Vorholz den Arm aus und wies nach hinten. Nie wieder, sagte er als erstes und letztes Wort mit einem Glaubhaftigkeit erzwingenden und Entsetzen erpressenden unnatürlich grollenden Brustton, nie wieder auf die Mehlhornstraße und Sandgang, so lang Sie sind, oder ins Grab – sprach's, kehrte sich ab und stelzte wie eine wandelnde Wachsfigur zurück.

Daß, der Betriebshelfer, schlich wie auf Diebsbeinen seines Weges.

Von nun an wurde es zwar anders, aber eigentlich nur schlimmer. Wahls Hände bedurften dringend der lang entbehrten Tätigkeit, und sie in einem bewußten und gehaßten Quartier zu rühren, erleichterte spürbar die Last seiner Verantwortung für den einstweilen kümmerlich genug versorgten Vater. Wahl hatte Verheißungen, guten Willens voll, reichlich ausgeschüttet, solche unumstößlichen Erlasse, daß ihre Erfüllung weitaus seine Kräfte überstieg, sowohl ihre baldige wie überhaupt nach vernünftiger Überlegung jemals mögliche. Seine Geschäfte mit Lundberg hielten einen Vergleich mit dem Stall des Augias ohne Beschwerde aus, aber Wahl war kein Herkules, und die bevorstehende Reinigung mußte sich gleichfalls mit einem Aufschub wohl oder übel abfinden. Ihm blieb nur das Mehlhornquartier mitsamt Sandgang, Runder Grube, Glattem Aal als Feld der Betätigung übrig, und seine Hände waren, wie gesagt, des langen Feierns müde. Er griff zu, und sein erster Zugriff galt dem Betriebshelfer.

Daß stand, als Wahl zu ihm eintrat, mit einem Edelpelztierzüchter aus der ländlichen Nachbarschaft, der 159 seinerseits mit dem Roßschlächter Viktor Lieferungen von Fraß für seine Edeltiere besprach, in guter Unterhaltung am Kachelofen. Jeder hatte seinen wärmebedürftigsten Körperteil angelehnt, und jeder ließ in weitbogigen Schwüngen sein Schnapsglas an dem Gespräch teilnehmen. Wahl hatte vor der Tür hämisches Lachen als Begleitung geschäftlicher Formulierungen erlauscht, von der Art, die auf eine Findung guter und kluger Finessen als Anwendungsmaximen im Geschäft schließen ließ. Wehe dem Gutgläubigen, dachte Wahl, trat aber, da er nicht zu den Gutgläubigen gehörte, ein. Er wolle wiederkommen, sobald der Herr Betriebshelfer für ihn zu sprechen sei – aber da die Finessen wohl ausgiebig erörtert und erledigt waren, die Schnapsflasche aber, die auf dem Tisch stand, offenbar soeben erst gefüllt und der Erledigung harrte, so wurde seine Rücksichtnahme auf die geschäftliche Geselligkeit lärmend abgelehnt, ein Glas gefüllt und er mit Sitz und Stimme zu beliebiger Verwendung in der Gemeinschaft ausgestattet. Da der Kachelofen fettig und offenbar von bewußten Körperteilen mißbraucht und seine Wärme hauptsächlich ihnen zu verdanken schien, so bemächtigte sich Wahl hinsichtlich des Sitzes eines wackeligen und knarrenden Rohrstuhles, und des Gebrauchs seiner Stimme enthielt er sich einstweilen mit der einen Ausnahme, daß er seinen guten Willen, zur Unterhaltung beizutragen, durch Einstimmen in die Vielstimmigkeit des hin und wieder losbrechenden Gelächters bewies.

Sie schoben mit vereinten Kräften ihren fuseligen Witz auf den Gipfel einer wüsten Albernheit, dort angelangt wälzte er sich dröhnend in die zwar lachende, aber gemeine Niederung hinab, aus deren Schlamm und Pfützen er gehoben war. Wahl hielt sich an den wasserhellen Korn und wartete. Die Wasserhelle des Korns bewahrte ihre Klarheit, aber bei abnehmender Fülle der Flasche ergab sich eine zunehmende Trübung der Köpfe. Wahl hielt stand, solange er vermochte, aber ein Zugriff, wie er ihn vorgehabt, eine Bemächtigung seinerseits des Daß als eines erwünscht wüsten, aber 160 untertänigen Gefolgsmannes und Helfers, schien ihm bei vermehrter Schwächung seines Vorsatzes, je länger der Kachelofen den Trinkgesellen zur Anlehnung diente und je besser er ihnen diente, immer unausführbarer. Eingeschenkt und geleert, die Gläser blieben dieselben, aber Wahl erkannte, daß er entweder weichen oder sich zum Tonangeber des traulichen Beisammenseins aufwerfen müsse.

Er beschloß, da ein kühler Wagemut als zugehörig zum Rüstzeug seiner Unternehmungen in der Fremde noch in seinem Blut rumorte, den hier erforderlichen Ton anzuschlagen. Mochte der Pferdeschlächter dreinglotzen, wie er wollte, mochte der Pelztierzüchter seinen Denkapparat nach Gefallen abdrehen oder schärfer einstellen, Wahl vollzog einen Durchbruch durch die Gesprächsmauer der mit dem landesüblichen Fettaal und gleichfalls hier üblicher R-Losigkeit der faul auf dem Grunde liegenden Zungen aufgeschwemmten Tonwüstenei und griff nun doch mit Erfolg zu. Die Ohren, die Daß zum Hören hatte, waren für die Gleichnisse Wahls weit offen, von Onkel Vorholz und Wunderlichschen Verfehlungen hörte er gern, und daß Wau bei gutem Verlauf der Aktion zu seiner Befreiung ein dankbarer Zahler sein werde, wie Wahl großmütig versprach, war zwar eine Selbstverständlichkeit, aber eine erfreuliche. Er beleckte mit der Zunge seine Borsten, als wären sie mit Gänseschmalz bestrichen, und bekannte sich mit überzeugender Plötzlichkeit offen und ehrlich zur Standarte Waus. Gänseschmalz in der Einbildung ist gut, aber Korn in der frisch gefüllten Flasche besser, und er bedeutete mit dreister Anspielung auf Wahls Gebefreudigkeit den schlecht gefüllten Zustand der Flasche. Wahl war zwar ein Feind alles Fusels, selbst des wasserhellen, aber er spürte Wind in seinen Segeln und überwand die Mahnungen seines Magens und bessere Gewöhnung vor unstandesgemäßer Üppigkeit und erwies sich als flotter Versteher von Anspielungen. Es ging weiter nicht eben fein her, aber doch zweckdienlich. Die Vorschläge Wahls stießen auf einen nicht minder flotten Versteher wie die 161 Anspielungen des Betriebshelfers bei Wahl. – Laßt es gut sein und überlegt euch den Krempel noch einmal, warf der Pferdeschlächter Viktor dazwischen, und der Pelztierfarmer murmelte ein vorsichtig unverständlich gehaltenes Wort von Marderhunden, die das Geld für ihre guten Felle nicht mehr in Roßfleisch anlegen können, man könne auch zu weitläufig spekulieren. Aber Wahl hatte mittlerweile Tuchfühlung mit Daß bekommen, stand neben ihm am Ofen, wo er am speckigsten war, und schwang sein Glas wie ein Bombenwerfer. Hoch, sagte Daß dröhnend und lästernd, ich liebe meine Feinde in jeder Gestalt, besonders aber mit gebrochenen Rippen und Plauzen, daß ihre eigenen Mütter raten müssen, wo mal die Nase gesessen hat.

Lüd, sagte mit scharfen Blicken in irgend eine ferne Abgelegenheit der Roßschlächter, fragt doch erstmal euern Wau, was für Liebhabereien der hat und was er ausgeben will. Wie ich ihn kenn . . .

Kennen? Kennst du ihn besser als ich? Ich weiß Bescheid – und er soll zufrieden sein, gab Daß rauh zurück, trank aus und goß ein, wenn er nicht will, so ist meine Zufriedenheit gut und groß genug für ihn und mich, hörst du woll?

Wahls Besonnenheit war nicht alltäglicher Art, er erkannte, daß er dem rollenden Rad der Angelegenheit einen allzu heftigen Schwung verstattet habe, und besann sich auf die Regentschaft bei der Leitung der Vorgänge, die er sich schuldig war. Fürstengleiche Klemenz gegen jedermann zu zeigen, mit Milde und Güte zu herrschen, war ihm eingeborener Hang, auf dessen Nutzung er freilich oft hatte verzichten müssen. Aber so ins Rüpelhafte blindlings hinein durfte und konnte es nicht weitergehen. Er hatte zwar nie vertraulichen Umgang mit fürstlichen Personen gehabt, aber es stand ihm von Natur an, es ihnen in gewisser Hinsicht gleichzutun. So nahm er also die Herstellung der Distanz vor, indem er mit leichtem Übergang in den Kammerton der gnädigen Vertraulichkeit, einer mehr geflüsterten als artikulierten, fiel, jener Art von Gesprächsform, die 162 nicht mit Fragen Gefahr der ausschweifenden Antwortseligkeit des Gefragten läuft, sondern mehr als eine laufende, aber wohlwollende Instruktion gelten konnte, indem sie den Horchenden einer gnädigen Befehlserteilung würdigte. Wem so vornehm leise, fast unvernehmlich, eine vertrauliche Mitteilung vergönnt wird, der nimmt, um gut zu hören, die Haltung des ehrerbietig vornüber Gebeugten an. Dazu und dagegen etwas zu äußern, gibt die Eindringlichkeit des laufenden Vortrages keinen Anlaß, und so herrschte bald die Stille der wohl, aber untertänig empfangenen Vernehmlichkeit in dem unmenschlich-lieblos mit einer Art anrüchiger Gewöhnlichkeit ausgestatteten Gelaß, das ebensogut von einem Kannibalen bewohnt sein konnte wie von einem Betriebshelfer. Wahl deutete an, er ließ vermuten, er ermunterte, aber kam zurück auf etwas Nichtvorangegangenes, er dämpfte die Stimme bei Erwähnung von Dingen, die besonderer Obhut in der Verschwiegenheit so werter Ehrenmänner bedurften, er vertraute an und überließ es der Einsicht urteilsfähiger Mitwisser, wieweit sie von dem Anvertrauten Gebrauch machen durften. Er bat nicht um richtiges Verständnis, sondern setzte es voraus, wie denn alle solche Anweisungen kaum als Bitten, sondern mehr als dankbare Anerkennung von Empfänglichkeit auf der andern Seite maskiert zu sein pflegen.

Wozu war das Vorhandensein von Gelegenheiten da, als um sie wahrzunehmen? Wenn es aber welche gab, so wußte man, was damit zu tun sei. Was für welche denn wohl? Es müßte doch wundernehmen, wenn es deren nicht viele gab, in welcher Art und Menge er nicht die Bestimmung treffen wolle. Denn Daß sei ja ein Mann, der das Richtige von dem Falschen besser unterscheiden könne, als er sich selbst im gegebenen Falle zutraue. Es wäre ja freilich höchst erwünscht, wenn er die Erpresserin einmal unter vier Augen sprechen könne, hier oder sonstwo, wie es sich machen ließe, nicht wahr, oder was meinten die Herren, welche Frage indes nur als Höflichkeitsformel anzusehen war, denn 163 er wartete kein Anzeichen einer vorgehabten Meinungsgebung ab, sondern fuhr leise, immer leiser in seiner Darstellung des Nötigen und Wichtigen fort, dessen, was allen Einsichtigen geläufig sei, und er deutete an, daß der Kachelofen die Elite der Einsichtigen um sich versammelt habe. Sogar der Unternehmer in Marderhunden erkannte die lautere Unfehlbarkeit der Wahlschen Texte an, denen man nur grunzend zustimmen konnte. Herr Viktor begnügte sich, mit der Hand, die so unvergleichlich das Schlachtermesser zu führen wußte, seine Gedanken, sagen wir lieber: deren Ersatz und Abhub, aussprechen zu lassen, wozu seine Zunge mittlerweile zu lahm geworden war, und Daß ließ sich die Brosamen vom Tisch des Herrn Wahl herrlich munden, freilich weniger als ein schweifwedelndes Hündchen, sondern mehr als ein zahm spielender Fuchs, der es anscheinend gut meinte und die Spenderhand leckte, bis es ihm anders beliebte.

Der Sieg auf der ganzen Linie tat Wahl nur gar zu wohl. Endlich einmal nach so langer Zeit brach die Sonne des Erfolges durch die Wolkenverhangenheit seines Himmels.

Niemand bat ihn zu bedenken, wie wohl Daß seine, nämlich Wahls und Waus Sache machen werde. Sein Vorurteil über Daß' Brauchbarkeit war nun einmal günstig ausgefallen. Es konnte und durfte nicht anders als gut verlaufen, und der Beginn war erfolgverheißend.

Mit Korn, selbst dem wasserhellsten, wollte Wahl nichts weiter zu tun haben. Von der Notwendigkeit der Änderung im Verbrauch dieses Heilmittels belehrte ihn, der in solchen Dingen sehr gelehrig war, das Elend der Nacht, die dem Sieg auf der ganzen Linie folgte und die einer totalen Niederlage verzweifelt ähnlich sah. Ein dünner Schatten, spinnenwebfein, kühlte seinen Triumph aber fast unmerklich. Eins war ihm deutlich geworden: Genauigkeit oder ein Anflug von Knauserigkeit bei Erfüllung der in Waus – er sagte: Auftrag gemachten Zahlungsversprechungen würde der Sache verhängnisvoll werden können. Daß war sicher kein 164 Mann, der sich auf langes Warten einließ oder bare Aussicht für bare Münze gelten ließ. Es hieß also, für bare Münze zu sorgen, aber die Schätzung der Höhe der Daßschen Erwartungen wurde von den Erschütterungen gestört, womit der wasserhelle Korn Wahls Kopf und Magen in dieser Nacht bestürmte.

Daß hielt sich wohl leiblich dem verbotenen Gebiet fern, aber der Übeldunst seines Treibens verunreinigte Häuser und Höfe mit dem Geruch der Wunderlich-Vorholzschen Schande, da, wo sie am ärgsten beizte, bei Nachbarn und glaubenslüsternen Mitträgern der grauen Misere des eng gepferchten Lebens. Was ihnen Kopfschütteln und Bedauern verursachte, was sie auch mitleidend entschuldigten und beschönigten, war nach des Tages Last und Müh dennoch erfrischend. Gelegenheit zum Bereden, gerade wenn es die Nächsten betrifft und Gott sei Dank nicht sie selbst, ist es Dankes und Lobes wert? Denn es erregt in den versandeten Lebenstiefen aufregende Vorstellungen von der Wirklichkeit des heimlich begehrten Abenteuers, wie jedes kleine Kümmerleben in aller Niedrigkeit genau besehen doch auch ist. Die Massen strömten einst zum Henken und Rädern von Übeltätern, und niemand ist, der nicht wollüstig schaudernd wenigstens in der Vorstellung Henken und Rädern an sich erprobte. Wie ist wohl dem Armen in seiner Not zumute, von welcher Art mag das Dulden des Ärgsten sein, ist jedes brennende Begier zu wissen. Der Schöpfer sitzt in ihnen allen drin, und er will wohl dem lebenden wie toten Sein das Letzte und Äußerste des Möglichen auferlegen, daß es erfahren werde, und es ist nichts, was ungeschehen bleiben soll, Gut oder Böse, es soll alles in jeder Form durchs Dasein gleiten. Wie dann einmal das schaurigste Leiden doch nicht gewesen sein wird, wie es Wau beschlossen, das soll sich dann erweisen, wenn die Zeit dazu gekommen. Wau aber hatte es ja in der dafür tauglichen Minute in sich erlebt und vollzogen!

Nun, Daß bewies Schöpferkraft im Aufbringen wilder Auslegungen des Wirklichen. Was einfach, wenn 165 auch bedenklich genug an Taghellem, das trübte er durch Aufrühren des Morastes aus eigenem Grunde. Er besaß eine robuste Phantasie und bog die Knochen des Unwahrscheinlichen, bis sie sich knackend in die Gestalt des Möglichen fügten. Auch ließ er das Instrument eines henkerhaften Humors spielen, der etwa zum Delinquenten sagt: Siehste, du, sei getrost, wie ich dir zur Leiter hinaufhelfe, so helfe ich dir auch wieder herab. – So sagte er zu Hinz und Kunz, sie sollten doch nicht so dumme Gesichter machen, als ob sie von nichts was wüßten – und wenn sie dann versicherten, sie wüßten wirklich nicht, was da los sei, so ließ er es »schon gut« sein, schlug sich im Abgehen auf den Hintern und sagte, sie würden schon was erleben, murrte auch noch etwas Hörbares von Spitzbuben und Gelichter. Wer ihn dann wegen so handfester Aussprüche stellte, den hieß er getrost sein, Spitzbuben hätte es zu allen Zeiten gegeben, und auf härteres Drängen riet er, im Sandgang Nummer Wunderlich nachzufragen, die Saat im Wauschen Garten sei nun im Aufgehen, und keiner würde geschont. Spitzbüberei sei Spitzbüberei, und es hieße, der Frager gehöre auch zu den Drückebergern – wenn er aber sicher gehen wolle, wie gesagt: Sandgang Nummer Wunderlich. Welche Vornamen er trüge – Otto? Gerade Otto solle das Kind heißen, wenn es ein Junge würde, das ließe tief blicken.

Der rüde Spaßmacher geriet ein oder anderes Mal an Angsthasen, die bei seinen Schreckschüssen schon den Schrot um die Ohren sausen hörten. Mutter Wunderlich erlitt eine grauenvolle Begegnung mit einem dieser empörten Drückeberger, eine oder die andere Postkarte mit ungelenken, aber häßlich klingenden überdeutlichen Abschwörungen drangen bei Nummer Wunderlich ein, und der Maulwurf Grauen unterwühlte den Boden der schon kümmermorschen Erbärmlichkeit von Bau, wo in gedrängter Bangnis das Häuflein der Wunderlichs sich umeinander drückte, und die unheilverkündende Blässe auf Onkel Vorholzens Gesicht wurde bleibend. Sie ließ ihm in den Augen seiner Nächsten wie eine Schreckmaske 166 in der Schauernummer einer Jahrmarktbude. Das kann nicht gut gehen, sagten die ihret- und seinetwegen Verzweifelnden am leidlichen Ausgang ihrer Nöte.

Daß aber, der Betriebshelfer, mästete sich mit Genugtuung über gute und reichliche Arbeitsleistung in der Wauschen Sache, und seine Erwartung eines guten und reichlichen Lohnes schwoll an und gedieh auf seinen Backen zu blühendem Rot. Freilich stand sie ihm, wie Onkel Vorholz die Blässe, ebenfalls maskenhaft und hätte in der gleichen Schauernummer eine starke Kontrastwirkung gewiß erzielt.


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