Ernst Barlach
Der gestohlene Mond
Ernst Barlach

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Drittes Kapitel

Wau in der Würde eines Mannes von einiger Erfahrung Respekt zu verschaffen, würde nicht schwer fallen – er besaß Erfahrungen mancher Jahre, die ihm eine unheilbare Zerrüttung seiner Ehe zugeteilt hatte, und 17 diese Erfahrung war der sicherste Besitz seiner jüngeren Jahre geworden. Er war zwar noch Ehemann, aber der Mann einer immer abwesenden Frau, die ihre Krankheit erträglich, ja fast unmerklich fand in dem Heim eines Arztes, der ihre reichen Gaben als Helferin und Vertraute für ihn vorteilhaft und für sie selbst segensreich ausbildete und so ihr Leben, in dem er den Anschein einer Heilung erzielte, sachte und klug dahin lenkte, wo es seiner Last ledig schien. Daß die Richtung dieses Heilweges immer weiter von dem ehelichen abwich, war freilich unvermeidlich, denn die wenigen Versuche, ihn bei günstigen Anlässen wieder in den ehelichen einmünden zu lassen, als träfen sich beide unvermutet zu gemeinsamem und dauerndem Verlauf, hatten immer nur die alten Unmöglichkeiten aufgedeckt. Wau hatte gelitten und erfahren, was durch Leiden zu erfahren ist, er hatte gelernt, da er mehr zum Geben als zum Erraffen angelegt war, gut sein zu lassen, was böse schien. Er verübelte dem Leben nichts und nahm es doch nicht leicht. Tröstungen, die ihm gefällig sein wollten, ließ er zwar nicht unbeachtet, doch dienten sie ihm lediglich als Balsam, mit dem sich eine gesunde Haut wohl einmal erfrischen läßt, ohne seiner zu bedürfen. – Ja, er befand sich in dem Zustand der Trostlosigkeit leidlich aufgehoben und ließ es sein Bewenden haben mit mancherlei Dingen, die all und jeder zum Guten und Nötigen rechnet, und das fehlende, »Glück« benannte Rätselvolle in seinem Versteck auszukundschaften, sich müde und mager danach zu laufen, trieb ihn keine zwickende Vorstellung von unbestimmten oder viel verheißenden Möglichkeiten. Man würde Wau nicht gerecht werden können, wollte man denken, es handele sich hier um sein auszupinselndes Charakterbild, sein Ganzes, als hieße es, ihn, aus diesen und noch weiteren raren oder wunderlichen und erratbaren oder auch nachweisbaren Teilen zusammengesintert, wie eine runde Summe, mit der sich hantieren läßt, in den Auf- und Abstieg der Vorgänge einzusetzen. Denn die Erforschung eines Charakters ist eine Aufgabe, die gar nicht gestellt 18 wurde, wobei überhaupt unerklärlich scheint, was und wer ein Charakter ist, ob er im Laufe der Begebenheiten einer wurde, ob er fertig als solcher in die Begebenheiten hineinstolperte, schlecht und recht bestehend als derselbe, mit dem nachher nichts weiter war als vorher, so daß er zur Hintertür der Geschehnisse entlassen werden kann als entweder untadelig und von imposanter Unerschütterlichkeit oder als schillernd und mäßig achtbar, aber desto größere Gebiete, ja vielleicht das Ganze der menschlichen Eigenheiten fassend, also gleichsam einen Teil für das Ganze bildend – oder endlich, ob er verdarb und die Eigenschaft als Charakter überhaupt verlor und in die Grenzenlosigkeit einging, die alles umfaßt, enthält, gebiert, gestaltet, entläßt und gestaltlos empfängt, über nichts von allem Derartigen soll gehandelt werden, nichts, was zu einem guten und gerechten Bündel von Romankapiteln gehört, wird verheißen.

So kann auch ein anderer sonst wichtiger Umstand bei der Betrachtung eines Stück Lebens außer acht bleiben, die Erwähnung des Berufs, den sich Wau – schon stellt ein falsches Wort sich ein: erwählt. Nichts wäre unrichtiger, als von Waus Hingabe an die ihn einschließende Beamtenfachschaft zu sprechen, nichts von Berufung, Ehrgeiz und Strebsamkeit, nichts von Keuchen und Hasten auf der vorgeschriebenen Laufbahn! Es war ihm gegangen wie manchem Jüngling vor und mit ihm, dem eine Gelegenheit den Blick auf ein schmuckes und sauberen Anschein gebendes, Zuverlässigkeit und Treue voraussetzendes, nicht eben gar zu genau reglementiertes Vertun von Zeit und Weile gegönnt, wobei das Ausbrechendürfen aus den Hürden der Schule von Einflüsterungen einer Stimme angepriesen wurde, die den wächsernen Willen so manches Jünglings vor und mit ihm eingeschmolzen und geformt hat, wie sie es mit so manchem nach ihm nicht anders tun wird. Hätte man ihm damals eine geordnete Laufbahn als Pirat einigermaßen praktikabel und zugleich als respektabel angepriesen und seine Vorbildung für 19 ausreichend erklärt, er wäre gewiß ins Piratengeschäft gegangen. So zog er einige Jahre in grünem, knappsitzendem Uniformrock durch die Normalstraßen der Stadt, hatte eine dünne Stange von Degen längs der Beine baumeln und befleißigte sich jeder sonstigen Sauberkeit und frischen Anstands. Jetzt bekleidete er längst ein Spezialamt, für das er erst versuchsweise verwandt und, schnell bewährt, als die einzige in der Gegend verwendbare Kraft erkannt oder doch erklärt worden war. Degen und Uniformrock waren nunmehr unverwendbar, und Herr Schneidermeister Altrog besorgte das Nötige für den äußeren Aufputz. Da alles dieses als unvorhanden und längst gewesen neben dem Langen und Breiten von Waus Gegenwärtigem gelten kann, so verdient es, wenn überhaupt wahrgenommen, gänzlich vergessen zu werden.

Vielleicht könnte man noch schnell einige rührende Züge von Waus Wirtschafterin anbringen. Aber der Verdacht entsteht, ob nicht gerade die rechte Auswahl verfehlt und die Aussage über besagte Person nicht als Preisgabe grotesker und lächerlicher Seiten empfunden würde. Auch die Chronik über Tun und Lassen von Fräulein Viereck würde ins Romanhafte ausarten, es genügt festzustellen, daß Wau auch in Hinsicht ihrer rührenden und gelegentlich seltsam beliebigen Pflichtäußerungen das Schicksal nichts entgelten ließ, was es ihm durch Fräulein Viereck angetan. Fräulein Viereck war unüberbietbar ehrlich und treu. An Essen und Trinken und Eifer in Förderung von Waus sonstiger leiblicher Pflege ließ sie es mit Absicht nicht fehlen; obgleich sie aber von Haus aus zu anderem bestimmt gewesen war, so rang sie doch in dieser Hinsicht mit manchem Fehlversuch nach dem ersten Grade, und gelegentlich glückte ihr auch, das Richtige oder wenigstens das Bessere zu treffen. Aber Wau verübelte es dem Schicksal und Fräulein Viereck gemeinsam ja nicht, daß es im ganzen bei Versuch und Streben blieb, und verzehrte manches Mittagsmahl stillschweigend, wo ein vorsichtiger Hinweis auf das wiederum verfehlte Bessere 20 angebracht gewesen wäre. Nur ein- oder zweimal in längeren Jahren stellte er ein Mißlingen fest. Wenn er dann ein Gericht ungegessen ließ und die schlichte Angabe seiner Ungenießbarkeit achtungsvoll genug gemacht hatte, so sagte Fräulein Viereck wohl leichthin: Mir schmeckts – und ließ es sich weiter schmecken, woran dann auch Wau nicht wie an etwas Ungehörigem Anstoß nahm. Die Ungehörigkeiten, die im Bestand der Dinge allzusehr hausten, waren von einer Art, daß sie mit Fräulein Vierecks Sphäre des Häuslichen und des Tages Behagen oder Ungemächlichkeit nichts zu schaffen hatten. Wodurch sie aber in Waus Gemüt zu solchen wurden, von ihm wahrgenommen, und, einmal erkannt, nicht wieder von ihm wichen, sondern sich vom Sein aller Dinge sonst abhoben, am Himmel seiner Seele aufstiegen und immer schonungsloser über ihn walteten, ja wuchteten, daran trug die reine bloße und unabdingliche Ursachlosigkeit des Geschehens überhaupt die Schuld, das kam vom Sollen aus der ausgemachten Unergründlichkeit und verhaftete, verfugte sich in Waus Natur, daß sie sich an ihr wandelte. Mehr, als da zu sein, versuchte es erst und vollbrachte es dann so, daß Wau mit ihm, diesem ursachlosen Geschehen, verschmolz, an ihm und mit ihm anstatt seines eigenen Lebens gewann, sich an ihm steigerte und an ihm verdarb, was denn also Waus gutes und großes Schicksal genannt werden muß.


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