Josef Baierlein
Der Spruchbauer
Josef Baierlein

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20.

Die ewige Weisheit des himmlischen Vaters mußte in das von Kummer und Zweifel erfüllte Herz der Bäuerin wohl süßen Trost und vortrefflichen Rat gegossen haben; denn schon am nächsten Morgen erschien sie wieder in der Wohnstube, gesund und frisch, dabei so ruhigen Gemüts, als ob gestern gar nichts vorgefallen wäre. Nur hatte sie schon zu frühester Stunde ihre besten Sonntagskleider angezogen, obwohl das Hochamt, welchem sie mit dem Bauer regelmäßig beizuwohnen pflegte, erst um neun Uhr begann.

»Gelt,« sagte sie, als sie einem fragenden Blick Stephans begegnete, »da schaust und wunderst Dich, weil ich schon so zeitig in meinem Feiertagsg'wand stecken tu'? Ich muß halt heunt mit der Kreszenz in d' Frühmess' gehen und kann nicht warten auf's Hochamt. Denn ich will mit dem Postwagerl fortfahren, wenn's um achti durch's Dorf durchkommt und vor'm Wirtshaus anhält. Dessentwegen muß die Kreszenz heunt alleinig kochen und kann auch in kein Hochamt nicht geh'n.«

124 »Fortfahr'n willst, Mutter?« fragte der Bauer. »Wohin denn, und wie ist das alsdann so g'schwind in Deinen Sinn 'kommen?«

»Ich hab' halt auch meine Geheimnisse,« gab sie zwar freundlich, jedoch mit undurchdringlicher Miene zur Antwort.

Damit mußte Stephan sich bescheiden.

»Darf ich wenigstens wissen, bis wann D' wieder heimkommen willst?« setzte er gleichwohl hinzu. »Es ist nur, damit ein's von uns aufbleibt, wenn Du 'leicht in der Nacht eintreffen tätest.«

»So Gott will, bin ich sicher schon heunt auf den Abend z'ruck.« – –

Diese unvermutete eilige Reise seiner Mutter gab dem Spruchbauer viel zu denken. Zuerst war er geneigt, sie für ganz unmotiviert zu halten; denn was hatte sie am Sonntag in der Stadt zu suchen, umsomehr da sie keinen Korb für etwaige Einkäufe mitgenommen hatte? Da fiel ihm jedoch ein, daß sie ja nicht nach der Stadt, sondern in der entgegengesetzten Richtung gefahren war, dorthin, wo Elsenfeld lag. Sollte ihre geheimnisvolle Reise vielleicht in irgendwelcher Beziehung zu der Liebe stehen, welche er für Kreszenz hegte?

Stephan täuschte sich nicht. Die Bäuerin war nach langem eifrigen Nachsinnen zu dem Entschluß gekommen, vor allem nähere Erkundigungen über ihre neue Magd an jenem Ort einzuziehen, wo 125 man ihr die genauesten Auskünfte geben konnte, nämlich in Elsenfeld. Dort hatte Kreszenz von Jugend auf gelebt, sie war jedem Menschen im Dorf bekannt, und der Ruf, welchen sie genoß, mußte in aller Leute Mund sein. War derselbe schlecht – nun dann war ihr Sohn Stephan für alle Zeiten von seiner Leidenschaft geheilt. Wie sie ihn kannte, riß sich derselbe die Liebe zu einem seiner unwürdigen Mädchen viel eher mit eigener unbarmherziger Faust aus dem schmerzhaft zuckenden Herzen, als daß er ihm die Hand zum Bund fürs Leben gereicht hätte. War aber der Ruf der Kreszenz auch in Elsenfeld ein guter – dann konnte man immerhin abwarten, wie die verworrene Angelegenheit sich etwa entwickeln würde.

Hätte jemand die Bäuerin gefragt, welche von den zwei Eventualitäten ihr erwünschter wäre, so hätte er sie ohne Zweifel in große Verlegenheit gebracht. Denn wenn auch ihre Mutterliebe vor allem Stephans Glück ersehnte, so bedeutete es für sie doch ein großes Opfer, falls sie sich, um dasselbe zu erzielen, über alle ererbten und anerzogenen bäuerlichen Vorurteile hinwegsetzen sollte. Eine arme Magd als Bäuerin ihres einzigen Sohnes, als Mitgebieterin im reichsten Bauernhof von Schattendorf – eine solche Vorstellung erschien ihr rein unfaßbar!

126 Aber wenn im verborgensten Winkel ihres Herzens etwa wirklich ein Körnchen von Mißtrauen gegen Kreszenz und die stille Hoffnung geschlummert hatte, sie würde in ihrem Geburtsort Ungünstiges, das sie aller Rücksichten gegen dieselbe enthöbe, erfahren, so wurde sie doch schnell eines Besseren belehrt.

Ganz Elsenfeld war voll Lobes für die Waise. Von der ersten Person im Dorfe, dem Pfarrer, angefangen, bis hinab zum geringsten Gemeindebürger hörte sie nur Gutes über das Mädchen. Einstimmig pries man ihre Sittsamkeit, ihre Herzensgüte, ihre Frömmigkeit und den musterhaften Ernst, mit dem sie ihre Kindespflichten vollzog. Denn obwohl sie selbst kaum noch die Kinderschuhe ausgetreten, hatte sie ihrem verwitweten Vater doch Jahre lang als kleines Hausmütterchen die Wirtschaft führen müssen und dabei trotz der vielen Arbeit nicht selten mit ihm gedarbt.

Die Lehrerstelle in Elsenfeld galt nämlich schon damals, also vor mehr denn sechzig Jahren, für einen Hungerposten, und das wollte etwas heißen zu einer Zeit, wo selbst bessere Stellen so schlecht dotiert waren, daß unsere heutige Lehrergeneration für ein derart karges Brot sich höflichst bedanken würde. Dazu kam noch der erschwerende Umstand, daß der Vater der Kreszenz während der langen Krankheit seiner Frau zur Kontrahierung 127 von Schulden gezwungen war, an denen er bis zu seinem Tode hatte zahlen müssen. Daß er unter solchen Umständen seiner verwaisten Tochter keine Reichtümer hinterlassen hatte, bedarf keines Beweises, ebensowenig, daß Kreszenz die Bauernarbeit fremd geblieben war, weil zur Schuldotation kein einziges Feldstück gehörte. Da sie deshalb als Bauernmagd nur sehr schwer einen Dienst gefunden hätte, war man in Elsenfeld über die Maßen froh, daß das Mädchen eine Unterkunft bei ihrer Firmpatin in Schattendorf bekam, sonst hätte die Waise vielleicht gar einmal die Hilfe der Gemeinde in Anspruch nehmen müssen, um irgendwo als Dienstbote unterzukriechen, und gegen solche Zumutungen sträuben sich auch die weichherzigsten Bauern bis zum äußersten. –

Als die Spruchbäuerin noch am nämlichen Sonntag wieder heimfuhr, nahm sie die Überzeugung mit, daß das von ihrem Sohne geliebte Mädchen brav war – grundbrav. Daß Kreszenz auch blutarm war, hatte sie schon vorher gewußt. 128

 


 


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