Josef Baierlein
Der Spruchbauer
Josef Baierlein

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12.

Die letzten Worte hatte Kreszenz nur im Flüsterton vorgebracht. Ihr laut pochendes Herz sagte ihr, daß sie eigentlich eine stumme Anklage gegen den Spruchbauer mit enthielten, und deshalb hatte sie dieselben verschweigen wollen. Lenes boshafter Rat ließ nämlich deutlich erkennen, daß die Ungeschicklichkeit und die schwachen Körperkräfte der Waise nur den Vorwand zu deren plötzlichen Entlassung hatten abgeben müssen; der wahre Grund bestand darin, daß Lene wegen der Gefälligkeit, welche Stephan der Kreszenz gestern erwiesen hatte, auf letztere eifersüchtig geworden war.

So dankbar Kreszenz dem jungen Mann für seinen, von einem warmen Gefühl eingegebenen Beistand auch gewesen, hatte sie doch schon im ersten Augenblick gefürchtet, die zornmütige Leidenschaftlichkeit der Haustochter könnte dadurch wieder einmal gegen sie entfacht werden. Das war nun tatsächlich eingetroffen. Aber daß Lenes 66 Abneigung gegen sie bis zum rachsüchtigen Haß ausarten und eine, wie nun geschehen, greifbare Gestalt annehmen würde, hatte sie doch nicht gedacht.

Stephan blieb nach Kreszenz' Eröffnung eine geraume Weile still und stumm. Er schaute in die Weite, als grüble er über einem schwer lösbaren Problem. Endlich begann er wieder zu reden, aber ganz langsam und nachdenklich, wie wenn er, unter dem Eindruck einer noch nicht klaren Vorstellung, erst mühsam seine Gedanken ordnen müßte.

»So, so,« sagte er, »auf die Weis' hat die Lene mit Dir dischkeriert? Also derartig? Hm, hm! Ich muß zug'steh'n, daß mir ein solchenes G'schwätz recht ungattig vorkommt.«

»G'nau so hat s' meinen Abschied g'staltet,« erwiderte das Mädchen, das sich in seinen Ideengang nicht hineinzuversetzen vermochte.

»Auf die Manier bin ja ich die eigentliche Schuld, daß D' jetzt ohne Dienst und Unterschlupf bist,« fuhr er fort. »Schau, schau – da hab' ich ja arg böse Früchten 'zeitigt mit meinem guten Willen.«

»O hätt' ich mich doch nicht erbitten lassen von Ihnen!« rief Kreszenz, bestürzt über die Wendung, welche das Gespräch zu nehmen schien. 67 »Hätt' ich doch g'schwiegen! Denn ich seh's schon, jetzt kränken S' Ihnen über der Lene ihr einfältig's G'schwätz. Leicht hat sie's auch nicht so bös g'meint.«

»Kränken?« sagte er mit einem verächtlichen Zug um den Mund. »Du glaubst, ich tät' mich kränken über etwas, das die Wiesenbauernlene tut oder red't, solang 's nur mich alleinig angeht? Nein, Kreszenz, – da bist irrig dran. Es ist schön von Dir, daß Du die z'widere Hutzel trotz ihrem Hassat auf Dich noch entschuldigen möchtest; das ist ein Beweis von Deinem grundguten G'müt. Aber meinetwegen hast das nicht nötig. Denn daß Du's nur weißt: – was die Lene sagt und tut und treibt, das ist in meinen Augen so viel wert wie ein Birnstingel. Das ist mir alles so gleichgültig wie sie selber.«

Kreszenz schaute ihn an mit verwunderten Augen. Das stimmte doch nicht zu dem, was man sich im Wiesenbauernhof erzählte, und was sie seit drei Wochen täglich, stündlich nicht nur von Knechten und Mägden, sondern aus dem Munde des Bauern selbst und seiner Familienangehörigen vernommen hatte, nämlich daß Stephan der Lene zu Gefallen ginge, und daß der Verspruch des Paares schon vor der Türe stünde. Sei man doch auch schon über das Heiratsgut und die 68 Ausfertigung ins reine gekommen. Und jetzt ließ der Hochzeiter sich so aus über seine Zukünftige? Offenbar klappte da etwas nicht. Kreszenz wußte nicht, was sie zur sonderbaren Rede des jungen Mannes sagen sollte; also sah sie ihn, wie schon bemerkt, nur verwundert an und schüttelte das Köpfchen.

Er aber deutete gleichwohl die stumme Gebärde richtig. Drum fuhr er fort:

»Gelt, jetzt bist g'rad wie aus den Wolken g'fallen? Haben s' Dir auch weis g'macht, zwischen mir und der Lene hätt' sich 'was an'bandelt? Freilich, meine Mutter und ihrige Leut' täten's ja gern sehen, und die Lene, – die lecket sich gleich gar die Finger ab darnach. Aber b'hüt mich Gott vor einem solchenen Unglück! Nein, und zehntausendmal nein! Dem Wiesenbauern seine Tochter kommt niemals als Bäuerin in meinen Hof. Das schwör' ich mit einem heiligen Eid. Mein Mutterl weiß eh schon, daß ich mich nicht zwingen laß' dazu, und die Lene kann sich meinetwegen die Gelbsucht an den Hals ärgern vor Neid über Dich und vor Eifersucht.«

Kaum hatte er die letzten Worte gesprochen, da war es ihm, als wäre ein Blitz zu seinen Füßen niedergefahren, ein Blitz innerer Erleuchtung. Denn was er sich nicht einmal selbst noch 69 gestanden, was er, seit Kreszenz' liebliche Erscheinung vor einigen Wochen unverhofft in sein Leben getreten war, still in seiner Brust getragen und als süßes Geheimnis bewahrt, was er in verzeihlicher Selbsttäuschung für Erbarmen mit der schönen Waise gehalten, – das hatte im Lichte plötzlicher Erkenntnis seine wahre Gestalt gewonnen und sich als nur wenig verschleiertes Geständnis, gleichsam ihm selber unbewußt, über seine Lippen gedrängt. Als er im Verlauf seiner leidenschaftlichen Rede und bei der widerwärtigen Vorstellung, daß er Lene als Bäuerin heimführen sollte, sogar schwur, daß dies niemals geschähe, da war es ihm gleichzeitig auch zur Gewißheit geworden, daß er nur mit Kreszenz allein sein Lebensglück finden könne, und daß sein Gefühl für die von Lene mißhandelte, zertretene Waise nicht bloß Erbarmen war, wie er sich einreden wollte, sondern heiße, brennende Liebe, eine Liebe so stark, daß alle Schwierigkeiten, welche der Unterschied des Standes und Vermögens, sowie die landläufigen Anschauungen auftürmten, machtlos vor ihr in Staub zerfielen.

Und das Bewußtsein, zu lieben, verbunden mit der Gewißheit, endlich ein Mädchen gefunden zu haben, das seiner Liebe auch wert war, machte den Spruchbauer so glückselig, daß er im ersten 70 Augenblick der Erkenntnis, wie es um sein Herz stand, ein stilles Dankgebet zum Himmel sandte, weil er heute die gewohnte Zeit des Aufstehens verschlafen hatte. Wäre er mit oder schon vor seinen Knechten in den Wald gegangen, so wäre er mit dem Mädchen nicht mehr auf dem Wege zusammengetroffen und seine Spur wäre ihm wahrscheinlich für immer verloren gegangen. Er zitterte vor dem jetzt doppelt unleidlichen Gedanken, welch ein Los ihm dann doch vielleicht an der Seite der ungeliebten Lene erblüht wäre. Zum Glücke hatte ihn eine gnädige Fügung vor solchem Schicksal bewahrt.

Im nächsten Augenblick aber, nachdem er dem Himmel Dank für seine Intervention gesagt, ertappte sich der Spruchbauer über einem ganz unsinnigen Verlangen. Er fühlte plötzlich den mächtigen Drang, Kreszenz an sein Herz zu reißen, sie auf seine Arme zu nehmen und die süße Bürde zurück ins Dorf und schnurstracks heim in seinen Bauernhof zu tragen. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn die unschuldigen, noch immer in fragender Verwunderung auf ihn gerichteten Augen des Mädchens den fast außer Rand und Band geratenen Mann nicht vor einer übereilten Handlung zurückgehalten hätten. Vielleicht wäre dann Lenes höhnischer Rat, Kreszenz solle sich 71 gleich selber von einem Bauern Bucklkraxen tragen lassen, schon zur Stunde buchstäbliche Tatsache geworden. Aber diese Augen, die holdseligen, treuherzigen Augen der Waise, brachten Stephan noch rechtzeitig zur Besinnung. Er schöpfte nur tief Atem, als hätte er soeben einen schweren Kampf gekämpft und wäre daraus als Sieger hervorgegangen. 72

 


 


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