Josef Baierlein
Der Spruchbauer
Josef Baierlein

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8.

Hätte Lene erst eine Ahnung gehabt, welcher Widerstreit der verschiedenartigsten Gefühle sich in des Spruchbauern Brust erhob, als er, vor sich hinsinnend und durch kein Geschwätz über Nichtigkeiten mehr gestört, den soeben erlebten Auftritt vor seinem geistigen Auge noch einmal erstehen ließ, so würde sie ihre Rücksichtslosigkeit wohl schwer bereut, nach ihrer Gemütsveranlagung aber wahrscheinlicher in Grund und Boden hinein verwünscht und verflucht haben.

Stephan hatte nämlich das verwaiste Lehrerskind bisher nicht viel beachtet. Er hatte Kreszenz zwar schon einigemal gesehen, wenn er dem Wiesenbauer – wie heute wieder – bei irgendeiner Verrichtung aushalf; er bedauerte sie auch, wenn er bemerken mußte, daß das aus dem heimischen Boden in fremdes Erdreich versetzte Menschenblümchen nicht gedeihen konnte, sondern unter der rauhen Berührung törichter und boshafter Hände zu verkümmern drohte, aber über diese Empfindung des Bedauerns war er bis zur Stunde nicht 41 hinausgekommen; – ein wärmeres Gefühl war noch nicht in ihm erwacht.

In dem Augenblick aber, als Kreszenz vorhin ihren tränenfeuchten Blick zu ihm erhob und seinen Beistand gegen die schonungslose Quälerin zu erbitten schien, da hatte es ihn durchzuckt wie ein elektrischer Schlag. Das kühle Bedauern verwandelte sich in aufrichtiges Mitleid mit der Verlassenheit des Mädchens und trieb ihn sogar an, ein paar Worte zu dessen Entschuldigung zu sprechen.

Und als er sich der Verlegenheit erinnerte, von der Kreszenz ergriffen wurde bei der Beschuldigung, sie hätte ihn mit einem Spitznamen genannt, – als er sich das schöne, von glühendem Rot bedeckte Antlitz vorstellte, aus welchem ihn zwei große Kinderaugen erschrocken und dennoch so treuherzig anblickten, da fühlte er, wie seine Pulse rascher hämmerten und wie ein ihn bisher unbekanntes Empfinden, eine wohlige Sehnsucht, in seine Brust einzog.

Ja wahrhaftig, der Mann, der schon so viele Jahre ohne rechts oder links nach einem Mädchen auszuschauen, leidenschaftslos durchs Leben gegangen, er, dem man nachgesagt, daß keine der reichen, stolzen Bauerntöchter von nah und fern ihm gut genug wäre, er sehnte sich jetzt darnach, 42 nur schnell die dürftige Gestalt einer armen Waise wiederzusehen, die das harte Brot der Dienstbarkeit aß und von ihrer ganzen Umgebung nicht viel besser betrachtet und behandelt wurde als eine Bettlerin. Dessenungeachtet wäre er sehr erstaunt gewesen, wenn ihm jemand gesagt hätte, daß dieses unbekannte Gefühl die Liebe war, seine erste und deshalb starke Liebe, die im Sturm mit unwiderstehlicher Macht sein unbewachtes Herz erobert hatte. Er hätte geschworen, daß ihn das Mädchen nur erbarme, weil es trotz aller Schönheit und Jugend sich unter einem so schweren Joch abquälen müsse.

Lassen wir also den Spruchbauern bei seinem Glauben; derselben hinderte ihn aber gar nicht, von Zeit zu Zeit in der Arbeit inne zu halten und nur aus Erbarmen spähende Blicke nach der Richtung zu werfen, aus welcher Kreszenz wieder auftauchen mußte, wenn sie Bier und Brot für die Heuer auf die Wiese brachte. Seit ihrer Entfernung war schon eine halbe Stunde verflossen, und nach seiner Berechnung sollte sie bereits zurück sein. Oder hatte die Wiesenbäuerin sie etwa zurückbehalten, weil sie so lange ausblieb, und mußte gar eine andere Magd das Essen tragen? Die Ungewißheit tat ihm fast körperlich weh. Aus lauter Erbarmen seufzte er daher, wie von einer 43 Last befreit auf, als er das Mädchen endlich an der Kurve des Wegs erscheinen sah, der vom Dorf herführte. Und wieder nur aus Erbarmen schlenderte er darauf langsam seinem Fuhrwerk zu, das am Wiesenrain neben demselben Weg stand, welchen Kreszenz daherkam. Wer ihn bei diesem Gange beobachtete, mußte annehmen, er wollte seine Pferde beschwichtigen, die von Bremsenstichen gepeinigt unruhig den Leiterwagen hin und her zerrten.

Als Kreszenz näher kam, flog ein heller Schein über seine sonst unbewegten Züge und voll Erbarmens eilte er ihr entgegen.

»Da bist Du ja!« sagte er ohne weitere Einleitung; aber die Stimme des starken Mannes klang so sonderbar rauh und gepreßt, als fürchte er sich vor dem schwachen Mädchen, das aussah, als hätte es erst gestern oder heute die Kinderschuhe ausgetreten. »Gib her die zwei Körbe da! Für Dich sind sie viel zu schwer.«

Kreszenz hatte beim Anblick des Bauern gefürchtet, derselbe sei ihr entgegengegangen, um ihr abseits von den anderen die Ungebühr zu verweisen, daß sie seinen Spitznamen gebraucht hatte. Doch seine freundliche Anrede zerstreute sofort ihre heimliche Angst. Gleichwohl weigerte sie sich, 44 Stephans Aufforderung nachzukommen. Freilich waren die mit Bierflaschen und großen Brotlaiben vollgepackten Körbe sehr schwer und die Henkel schnitten tief ein in das Fleisch ihrer schwachen Arme. Wenn sie die Bürde bald losbekam, war sie schon froh. Aber sie dem jungen Bauer anzuhängen, das ging dennoch nicht an. Heiliger Gott! Welchen Lärm würde die Lene wieder machen, wenn sie sähe, daß Stephan statt ihrer die Körbe trüge! Diese Besorgnis klang auch aus der Antwort heraus, die sie vor freudiger Überraschung infolge der unerwarteten Aufforderung des Spruchbauern nur stammelnd hervorbringen konnte.

»Ach nein, Herr, ach nein!« sagte sie, und wiederum färbte eine Blutwelle ihr zartes Gesichtchen. »Sie – Sie wollten mir die Körbe abnehmen? – Das schickt sich nicht – das darf ich nicht – –«

»Warum nicht, wenn ich es von Dir verlange?«

»Ach – Sie wissen halt nicht, – die – die Lene –«

»Das weiß ich freilich, was D' meinst,« entgegnete Stephan, dem der Mut, je länger er die rührende Schönheit des Mädchens betrachtete, desto mehr zu wachsen schien. »Aber 45 dessentwegen brauchst Dich nicht z'schenieren. Wenn ich mit denen Körben ang'ruckt komm', nachet wird mich die Lene nicht fressen, und Dich alsdann auch nicht.«

Und ohne das Widerstreben des Mädchens weiter zu beachten, zog er ihr die zwei Henkelkörbe von den Armen herab und trug sie in den Händen. Während sie nun selbander über die Wiese hinschritten, sagte Kreszenz, die ihre Furcht doch nicht ganz los werden konnte:

»Fast schäm' ich mich. Denn was werden die Leut' von mir denken, wenn s' Ihnen mit dem Vieruhressen daher kommen seh'n, und ich lauf' leer daneben?«

»Laß sie halt!« tröstete er. »Das Denken kann uns nicht kränken.«

»Ach!« meinte sie, »so eine arme Dingin wie ich darf sich halt nicht drüber wegsetzen. Unsereinem wird auf Schritt und Tritt auf'paßt und jedes bißl Stolpern in übel g'nommen. Und die Lene, Herr – Herr – – aber ich weiß gar nicht, wie man Ihnen heißen muß.«

»Ja so!« half ihr der junge Mann aus der Verlegenheit. »Du bist halt erst ein paar Wochen im Dorf, und weil D' mich niemals nicht anders hast nennen hören als den Spruchbauern, drum hast D' mich heunt auch so g'heißen.«

46 »O verzeihen S',« stotterte Kreszenz, ihr schon wieder erglühendes Gesicht zu Boden senkend; »ich hab's wahrhaftig nicht besser g'wußt.«

»Was sollt' ich Dir verzeihen? Du hast mir ja nichts z'leid getan. Die Schattendorfer haben freilich 'glaubt, wunderwas für ein Tort mir g'schieht. wenn sie mir den Spitznamen aufbringen. Denn in hiesiger Gegend versteht man unter einem, der Sprüch' macht, einen verlogenen Menschen und zwischen einem solchenen Spruchbeutel und einem Spruchbauern ist ja kein großer Unterschied. Verstehst? Aber mich ficht der Namen nicht an, – nicht im geringsten. Sonst aber schreib' ich mich Stephan Niedermaier. Doch Dir stell ich's frei, wie D' mich nennen willst. Aus Deinem Mund soll mir jeder Namen recht sein.« – –

Als Kreszenz in Begleitung Stephans, der die Eßkörbe trug, die Wiese herkam, beschattete Lene, um besser nach ihr ausschauen zu können, mit der Hand die Augen.

»Kruzitürken und alle vier Elimenter! Seh' ich recht?« zischte sie vor sich hin. »Das ist wirklich der Spruchbauer und – blend't mich denn die Sonn'? – er tragt das Essen und nicht die Kreszenz; er ist halt doch ein Gischpel, der entweder ein Schräubel z'viel hat in seinem Hirnkasten, oder er hat eins z'wenig. Und wie er dem Mädel 47 'neindischkeriert! Ins G'sicht schaut er ihr 'nein, 'wie in einen Spiegel. Na wart', Kreszenz, – warte, du Hex' vom Karrenberg! Dir will ich ein Spanl stecken; der Sach', die Du anbandeln möchtest, will ich ein g'schwindes End machen.«

Um Lenes Mund legte sich ein Zug von so erbitterter grausamer Härte, daß ihr ohnehin nicht ansprechendes Antlitz plötzlich abstoßend häßlich erschien. – – 48

 


 


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