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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Der Frühling ging hin und die Saat wuchs auf. Heiß brannte die Sonne des Sommers, die Eisenbahnschienen des Simplon fuhren heraus aus ihrem dunklen Verließ, die Schienen des Lötschbergs und des Gotthards. Wenige Menschen mußten die Wachen noch abweisen am Gotthard droben, im Divedrotal und am Monte Moro. Auch bei Saint Maurice zeigten sich nur spärlich Menschen. Die meisten, die der Tod verschont hatte, ließ Werner hinein in die entvölkerten Täler, wenn sie die Krankensperre gesund überstanden.

Ein paar Fälle von Cholera waren rasch erstickt.

Im August kamen über den Oberalppaß gezogen fünf merkwürdige Menschen, zerfetzt und zerrissen, schuhlos, aber mit sich führend Zeichnungen und Bücher, merkwürdige Geräte und Tabellen. Die Wache wollte sie abweisen, vier Männer und eine Frau, aber sie nannten Werner Erlinspiels Namen, und so durften sie bleiben, abseits in einem einsamen Haus, bis Bescheid da war aus Brig. Vier Männer und eine Frau, und sie gaben an, aus Potsdam zu kommen. Werner ritt selbst nach Andermatt, es wurde ein festliches Wiedersehen. Nach einem Monat erst durften sie weiter nach Saas-Fee, Werner bestand streng auf der Schutzzeit.

Er schickte Anthanmaten mit, als sie nach Saas hinaufzogen, der sollte sie zu Frau Gerdis bringen – und zu Erika.

Drunten im Tale leuchtete gelb die Ernte, die erste wieder nach des Irrsternes Absturz. Es sprangen Fohlen in den Verschlägen, es blökten junge Lämmer, Kälbchen rieben ihr weiches Maul an den Eutern der Mütter.

Die Schmieden im Tal hämmerten flache, scharfe Sensen.

Sie schlugen dünne Eisenreifen und starke, feste Achsen für die Wagen, die die Ernte bergen sollten.

Werner ritt das Tal ab, von Chillon bis Gletsch und wieder zurück, er atmete den warmen Duft des Herbstes, gemischt aus Heu und reifem Korn, aus Apfel, Wein und frischem Holz.

Er sah die ersten Wassermühlen, die auf die Körner harrten, hörte das Kreischen der ersten Säge, das Beißen der ersten Äxte, die Holz wieder schlugen zum Aufbau.

Er sah die Bauern sicheln an steilen Hängen, mit Messern schneiden die ersten Reben.

Er hörte das Klappern beschlagener Hufe und dachte an neue Dinge im kommenden Jahr.

Er ritt, und es wurde dunkel schon und warm kam der Wind von Westen her. Er dachte an Gerdis und an die Nacht am Rhein, da der Föhnwind brauste, und daß er ein halbes Jahr nicht mehr oben gewesen war in Saas-Fee.

Er sah Gerdis vor sich, die dunkle, und den strahlenden kleinen Peter auf ihrem Arm, und sein Reiten wurde langsamer im Tal. Die Rhone schoß grün und brausend dahin, ein Fisch schnellte sich hoch. Sollte er hinauf, dorthin, wo die Séracs des Allalingletschers leuchteten in der Septembersonne wie großgeschnittene Aquamarine, wo das blendende Weiß der Firnhänge sich in den sommerblaudunklen Himmel warf? Wo die Wiesen dufteten, wie sie niemals duften im Tal, und die Bergbienen summen, den strengen Honig zu bergen? Wo das Bergwasser strömt, kristallen und hell, kalt wie seine Mutter, das ewige Eis?

Er ritt voran und allmählich wurde das Reiten schneller. Er dachte an nichts mehr, sah nur auf den Weg, der sich zog. Abends trabte er ein in Brig, er hatte nicht angehalten am Ausgang des Saaser Tals zu Visp. So viel war ja noch zu tun, junge Mannschaft mußte zu der alten, für den Winter mußte gesorgt werden, für Licht und Heizung und Sicherung. Waren die Bauten alle fertig? Die Wege, die Brücken? Wenn nur erst die großen Dinge beginnen konnten, das Dynamowerk bei Fiesch und das Aluminiumwerk, und vielleicht eine Drahtzieherei und ein paar Drehbänke und die Bronzegießerei, die die Potsdamer einrichten sollten.

Er ging noch lange in seinem Zimmer auf und ab, die Sterne sahen herein, die junge Sichel des Mondes.

Je mehr er aber dachte an sein Werk, desto mehr sah er Gerdis vor sich, den Knaben auf dem Arm, bis sie alles überwand und nun vor ihm stand, im rinnenden Nachtlicht der Sterne …

Da warf er sich auf sein Pferd und galoppierte hinauf, nach Saas-Fee, zu seinem Hause auf der großen Kuppe, wo im Norden die windzerzausten uralten Lärchen stehen.

 

Ende

 


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