Berthold Auerbach
Spinoza
Berthold Auerbach

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16. Pantheismus

Olympia entfaltete von Tag zu Tag den Reichtum ihres Gedanken- und Gemütslebens immer freier vor Spinoza, und dieser fühlte sich aufs erfreulichste angeregt von der Spannkraft und Lebendigkeit ihres geistigen Wesens. Sie hatte nicht nur den bei Frauen besonders seltenen Mut, die rückhaltslose Wahrheit zur Berichtigung ihres Denkens zu verlangen, sondern auch den, die Ausführung dieser Forderung unverletzt und frei entgegenzunehmen. Dabei hatte sie eine Art hausmütterlicher Wirtschaftlichkeit, die alles Eingebrachte, auch das was sie zunächst nicht zu verwenden wußte, mit freundlicher Bereitwilligkeit in Verwahrung nahm. So kam es, daß sie immer zu neuen Darbringungen reizte, und manches, was der Bringer selbst vergessen hatte, holte sie bei gelegener Zeit zur Überraschung wohlverwahrt hervor und erregte dadurch ein doppelt freudiges Gefühl in dem Urheber, die Freude an dem unverschleuderten Besitze und an der treuen Hüterin desselben. So kam es, daß das Denken Spinozas leicht eine Beziehung zu Olympia nahm, daß er gegen sie noch mitteilsamer war als gegen die Freunde.

War solche Hingebung nicht Liebe?

Spinoza wußte sich frei vom Verlangen nach dem Besitze Olympias, er hatte so manches an ihr zu tadeln, und kann die Liebe an dem Gegenstande ihrer Verehrung einen Tadel finden? Er durfte es aber doch mit Recht mißbilligen, daß Olympia so oft auf Reichtum und Hochgenuß ihrer früheren Erlebnisse mit unverwüstlicher Naivität zurückdeutete; hätte mit seiner Erscheinung ein neues Leben für sie begonnen, wozu dann die Auferweckung des Toten? Mußte nicht alles Vergangene spurlos verschwinden vor der beglückenden Gegenwart? Olympia hatte sonderbarerweise geglaubt, durch ihr historisches Recht das ihr jetzt teilweise abgehende Naturrecht zu verstärken, aber gerade, daß Spinozas Tadel sich hierauf wendete, konnte als Beweis dienen, daß er nicht so ganz frei war von Verlangen nach ihrem Besitze, weil er ja nach Alleinherrschaft über sie strebte.

Spinoza und Oldenburg waren eines Tages bei Olympia.

»Der Himmel scheint uns heute nicht günstig,« sagte Oldenburg, »denn er schneidet ein so weinerliches Gesicht, daß wir wohl darauf verzichten müssen, heute einen frohen Tag auf Ihrer freundlichen Buiten (Landhaus) zu verleben.«

»Der Himmel,« wiederholte Olympia scherzend, »das war eine schöne Erfindung; sehen Sie, der Wetterprophet dort (sie deutete auf den Barometer) der gilt jetzt. Der Himmel kann nicht mehr tun, was er will, Toricelli hat ihm den Meister gezeigt. Ist es nicht zum Verzweifeln, daß wir keinen Himmel und keine Hölle mehr haben? Kopernikus und Galilei haben glücklicher als die Titanen den Himmel gestürmt. Die Sterne sind in der Nähe dunkle Körper wie die Erde, und die Erde ist in der Ferne so leuchtend als die blinkenden Sternlein; der sternbesäte Fußteppich ist weg, wo ist nun der Thron Gottes aufgestellt? Die Hölle haben wir auch nicht mehr. Da meinte man immer, drunten, weit drunten, dort braten und sieden die Gottlosen, bis Kolumbus immer nach Westen steuerte, und jetzt wissen wir, daß da unten auch Leute sind, die gerade so leben wie wir; wo bringen wir nun unsere Frommen und unsere Gottlosen unter?«

»Jufrow Olympia,« antwortete Spinoza, »waren Sie nicht am letzten Freitag ganz mit mir einverstanden, als ich Ihnen erklärte, daß die Äußerlichkeiten dieser Dinge mit Recht gefallen sind und man doch den Begriff derselben festhalten kann? Jene Erhebung des Geistes, wo man aus der Harmonie seiner selbst übergeht und eingreift in die allgemeine Harmonie, in das Wesen Gottes, nennen Sie es, wenn Sie den Ausdruck so sehr lieben, meinetwegen den Himmel und seine Seligkeit; jenes Hinausgerissensein aus sich selbst, nirgends in sich einen Halt und nirgends nach außen eine Handhabe, im Widerspruche mit den Gesetzen seiner naturgemäßen Bestimmung, von den kleinsten Schwankungen erschüttert, ohne jenes Bewußtsein der Einheit mit dem All, gibt's eine schreckensvollere Hölle?«

»Wohl,« entgegnete Olympia, »aber meine früheren Begriffe waren mir doch lieber.«

»Das glaub' ich,« sagte Oldenburg, »man kann sich solchen metaphysischen Begriffen nicht an den Hals werfen; daran ist aber Freund Spinoza nicht schuld.«

Oldenburg hatte keinen Doppelsinn in seine Worte legen wollen, und doch machten sie fast einen solchen Eindruck. Olympia errötete; eine Pause trat ein, doch schnell suchte die Betroffene den Faden des Gesprächs wieder aufzunehmen.

»Sie glauben kaum,« begann sie, »wie namenlos unglücklich ich war, da ich als Kind von zehn Jahren – ich verbitte mir, daß Sie nachrechnen, wie lange das her ist – zum ersten Male erfuhr, daß es keinen Himmel gebe, und daß sich die Erde stets im endlosen All herumdrehe; es war mir, als ob ich mein Leben auf Händen trüge und es jeden Augenblick könne fallen lassen. Über die Bewegung der Erde beruhigte mich mein Vater bald, aber den Himmel kann ich noch nicht verschmerzen. Es war doch schön, als er noch ein festes Gewölbe war, und jetzt ist das blaue Rund nichts als eine Lichtbrechung, das Blau des Himmels nichts anderes als das Blau ferner Berge, erzeugt durch die Beleuchtung von der einen und den Hintergrund dunkler Körper von der anderen Seite. O unser schöner blauer Himmel!«

Spinoza gedachte bei sich jenes Schmerzes nach dem Tode seines Oheims Immanuel; es war ein eigen ansprechendes Gefühl für ihn, daß Olympia in ihrer Weise fast gleiche Kämpfe hatte bestehen müssen wie er. Oldenburg übernahm es, für ihn zu antworten: »Ich bedaure herzlich,« sagte er, »daß Sie der reizenden Hoffnung beraubt sind, einst Ihre metallvolle Stimme im Chore der Engel ertönen zu lassen, und mit Flügelein auf dem Rücken, die in allen Farben des Regenbogens schillern, zur Kurzweil den lieben langen Tag Hosianna und Halleluja zu singen.«

»Die Botschafter des Himmels bedienen sich doch keiner solchen verbrauchten Schmeicheleien, wie die Gesandten der Hansestädte,« erwiderte Olympia rasch, und zu Spinoza gewendet fuhr sie fort: »Sehen Sie, ich kann Ihnen aus der Nähe ein Beispiel anführen, welch eine gute Herberge der alte Himmel ist. Meine Cousine Cäcilie – die heute ungewöhnlich lang in der Messe bleibt – war die Braut meines Bruders Kornelius, nun er tot ist, sieht sie mit Freuden ihre Reize wegsterben, denn ihr tägliches Gebet ist, daß es Gott gefallen möge, sie bald im Himmel mit ihrem Bräutigam zu einen. An seinem Geburtstage schreibt sie jedesmal an ihn, erzählt ihm genau ihre Schicksale vom letzten Jahre, und freut sich, daß nun wieder ein Jahr um ist an der langen Frist, bis zu ihrer endlichen Vereinigung. Es ist mir oft unheimlich, mit ihr umzugehen, es ist mir, als ob ich eine Schlafwandlerin vor mir habe, die durch einen unvorsichtigen Ruf von mir plötzlich aus ihrer sichern Höhe herabstürzen könnte.«

Cäcilie trat ein, in tiefe Trauer gehüllt, die sie seit dem Tode ihres Bräutigams nicht abgelegt hatte; aus der landesüblichen schwarzen Faille, die auf dem Scheitel befestigt, über den ganzen Körper herabhing, blickte ein blasses, edelgeformtes Gesicht hervor, auf welchem Kummer und Schmerz sich heimisch gemacht; die müden Augenlider senkten sich über die blauen Augen, deren Feuer fast erloschen war. Jener peinliche Schreck, der sich einer Gesellschaft bemächtigt, wenn eine Person, von der gerade gesprochen wurde, plötzlich in dieselbe tritt, steigerte sich hier noch durch die eigentümliche Erscheinung Cäciliens, die mit dem Rosenkranze in der Hand und der frommen Duldersmiene im Angesichte einer verklärten Büßerin ähnlich sah. Olympia ärgerte sich im stillen – was die beiden Freunde bei sich schon getadelt hatten – daß sie die Geheimnisse einer gebrochenen Seele hier so unverhohlen preisgegeben hatte. Niemand konnte das Wort finden, mit dem man das Gespräch schnell wieder auffassen konnte; selbst Oldenburg, sonst der abgesagteste Feind aller Vergrämung, konnte sich eines gewissen Schauers nicht erwehren, während er Cäcilie betrachtete. Diese fühlte indes, daß sie eine Störung veranlaßt und entfernte sich bald mit der Entschuldigung, einen Besuch vergessen zu haben.

»Ich beneide Cäcilie oft um die Seligkeit ihres Glaubens,« sagte Olympia.

»Die könnten Sie sich auch aneignen,« erwiderte Spinoza.

»Nein, ich kann nicht,« entgegnete Olympia heftig, »ich klagte mein Unglück einst meinem Oheim Bonifazius, der hier Priester bei St. Johann war; er riet mir, die Bibel zu lesen, ich tat's, und es half nichts. Er sagte mir stets, ich müßte sie mit gläubigem Sinne lesen, aber den suchte ich ja erst in ihr, und wenn ich ihn schon hätte, brauchte ich die Bibel gar nicht. Es ist mir oft so bang und schwer, wenn ich mir bewußt werde, wie ich Zusammenhang und Gang der Welt so gar nicht begreifen kann.«

»Ich glaube, Cartesius könnte Sie von Ihren Zweifeln erlösen.«

»Oldenburg, du wirst ja ein eifriger Freiwerber für deinen philosophischen Kriegsmann,« sagte Spinoza, »meinst du, Jufrow Olympia könnte sich mit der Ansicht vereinigen, daß Seele und Körper jedes für sich ein selbständiges Wesen ist, die einander nicht folgen würden, wenn nicht der unaufhörliche Beistand Gottes sie zusammenkoppelte und zum gegenseitigen Gehorsam zwänge?«

»Das wäre ja ein zusammengejochtes Paar, wie Frau Gertrui Ufmsand die unfreiwilligen Ehen nennt; die hass' ich für den Tod.«

»Sprich es unverhohlen aus, findest du denn Cartesius' Lehre so durchaus ungenügend?« fragte Oldenburg.

»Es ist nicht meine Art, die Fehler anderer aufzudecken.«

»So sage uns einfach positiv deine Lösung des ewigen Problems.«

»Das ist nicht so leicht getan; Regeln, die auf äußere Taten abzwecken, lassen sich leichter in Positionen fassen als die Denkprozesse.«

»Ich habe schon bemerkt,« sagte Oldenburg, »du setzest statt wie Cartesius cogito ergo sum (ich denke, darum bin ich) sum cogitans (ich bin denkend). Denken und Sein ist ineinander, nicht auseinander. Da ist Knall und Blitz eins, wenn auch zweierlei Sinne sie erst nacheinander fassen.«

Spinoza nickte lächelnd und erst nach langem Widerstreben erklärte er: »Der Zusammenhang, in welchen Cartesius seine beiden Substanzen durch eine verbindende dritte gebracht hat, ist nur ein äußerlicher; es kann aber nicht zwei vollkommen selbständige und unabhängige Wesen nebeneinander geben, denn wo das eine aufhört, fängt das andere an, sie treten in ein Verhältnis, in das bestimmte Verhältnis der Begrenzung und Negation zueinander, eines hebt somit die absolute Selbständigkeit des anderen auf. Es kann aber auch nicht zwei gleich vollkommene Wesen neben einander geben, denn: sind sie total oder teilweise ungleich, so ist keines derselben vollkommen, weil jedem einzelnen gewisse Vollkommenheiten des anderen abgehen; sind sie total gleich, so sind sie eines. Somit sind jene beiden Substanzen nicht von einer dritten zusammengehalten, sondern sie sind nur Äußerungsarten der einen und wir können als vollkommen und absolut selbständige Substanz nur eine denken, und die ist: Gott – Geist und Materie, Denken und Ausdehnung im All sind nur zwei besondere Äußerungsarten des einen und selben Wesens.«

»Ist also Gott?« fragte Olympia.

»Nur Gott ist, der Begriff Gottes schließt das Sein ebenso notwendig in sich, als der Begriff eines Dreiecks in sich schließt, daß die drei Winkel gleich seien zwei rechten.«

»Können wir also von Gott einen ebenso klaren Begriff haben als von einem Dreieck?«

»Fragen Sie, ob wir von Gott einen ebenso klaren Begriff haben können als von einem Dreieck, so antworte ich mit ja; fragen Sie, ob wir ein so klares Bild von ihm haben können als von einem Dreieck, so antworte ich mit nein. Denn wir können uns Gott nicht bildlich vorstellen, sondern nur denkend erkennen. Er ist die Unendlichkeit aller Eigenschaften als eines gedacht, wir erkennen ihn aber nur aus einzelnen Manifestationen, die wir auf ihn als den Mittelpunkt zurückführen; diesen Mittelpunkt selber aber als solchen können wir nicht erfassen, und ihn nicht durch eine Vorstellung vollkommen erschöpfend dartun. Die Worte: einer und einzig, mit denen man Gott als die allein bestehende Substanz bezeichnen könnte, sind immer noch aus menschlichen Vorstellungsarten genommen. Gott ist eine inkommensurable Größe, die keine Beziehung zu einer anderen haben kann, weil nichts außer ihr ist; ›einer und einzig‹, wenn auch bloß in ihrer Ausschließlichkeit gefaßt, setzen doch noch immer ein Verhältnis zu einem anderen voraus.«

»Steht also Gott auch in keinem Verhältnis zu Natur und Geschichte?«

»Nichts ist, was nicht in ihm und aus ihm ist, alles was geschieht, tut er, alles was ist, ist er; es wandelt nur die Form, das Ewige, Unendliche ist stets dasselbe.«

»O, das ist herrlich,« rief Olympia. »Die reine kindliche Freude an der Natur mit ihren versteckten lachenden Gottheiten, wie sie die Alten hatten, vermählt sich hierin so schön mit jenem Schauerlichen, Kniebeugenden, das Juden und Christen bei ihrer Naturbetrachtung haben; in uns selbst wohnt Gott, von den Purpurlippen der Rose, aus den bescheidenen Augen des Veilchens, in den schmelzenden Tönen der Nachtigall spricht derselbe Geist, der auch in mir wohnt, sie kennen und sehen und hören mich, wie ich sie sehe, wir sind eins. Ja, ich glaube, daß auch die unbelebten Gegenstände das haben, was wir ein eigenes Leben, eine Seele nennen und nicht fassen können. Ein ungeschickter Stümper kann eine Flöte verblasen, wie man es nennt, sie gibt den Ton nicht mehr rein und man merkt auch nicht die kleinste Veränderung an dem Stoffe, ihre Psyche ist verletzt; nur ein geschickter Meister kann durch bedachtsame gerechte Behandlung ihr wieder den rechten Ton entlocken, und man merkt wiederum keine Veränderung an dem Stoffe. Ach, und eine Menschenseele kann gerade so verstimmt werden, und sie freut sich, wenn ihr wieder der rechte Ton entlockt wird.«

Es war schwer, nach dieser Abschweifung, die doch schließlich ein bestimmtes Ziel hatte, auf die gerade Bahn des allgemeinen Denkens zurückzuführen. Oldenburg wollte den heute ungewöhnlich mitteilsamen Freund dabei festhalten, und nach seiner eigentümlichen Weise suchte er sich zuerst des Bundesgenossen zu versichern und ihn zu gleichem Schritthalten zu vermögen. Er wendete sich deshalb an Olympia, indem er sagte: »Frauen wollen nicht gern eine Darstellung, die nicht in Bildern gegeben ist, hierin sind sie oft den Kindern ähnlich. Wenn die Philosophie aber mit einer Kunst zu vergleichen ist, so wäre es wohl nicht die Musik, sondern eher die Plastik. Ja, lächeln Sie nur. Die Begriffe sind kalt und farblos wie der Marmor. Die Gebilde des Meißels wie des abstrakten Denkens sind nicht Porträte dieser und jener besondern Gestaltung, sie heben sich umso höher, je mehr sie typisch werden, dort der schöne Mensch, hier der wahre Mensch. Der Philosoph ist Plastiker, so paradox das klingen mag.«

Auch Olympia war bereit, wieder einzulenken, sie wendete sich aber nicht an Oldenburg, sondern an Spinoza und sagte: »Verschiedene Wege führen nach Rom, auch nach dem Rom des allein freimachenden Denkens. Jeder verarbeitet sich das Gegebene nach Gewohnheit und Bedürfnis. Ich will Ihnen beweisen, daß ich Sie verstehe. Wenn Sie sagen: wir hätten von Gott einen ebenso klaren Begriff, aber kein so klares Bild wie von einem Dreieck, so übersetzte ich mir das so: es gibt keinen reinen Ton, in jedem einzelnen Ton sind verschiedene, nicht nur im Anschlag, Anschwellen und Ausklingen. Wir könnten den reinen Ton gar nicht vernehmen, er wäre uns zu fein, und ebenso können wir uns von der reinen Idee Gottes nur einen Begriff, aber kein Bild machen.«

Lächelnd sagte endlich Spinoza: »Ich wollte nur noch ausführen, daß, obgleich wir uns eins fühlen mit dem All, die Stufen des Bewußtseins von der innewohnenden göttlichen Kraft doch unendlich verschieden sind. Vor allem müssen wir aber jenen Menschenstolz ablegen, der alles um sich her als Mittel und sich allein als Selbstzweck ansehen will, der allem nur so viel Geltung beimißt, als er Beziehungen zu ihm, dem vermeintlichen Mittelpunkte, daran entdeckt. Alles in der Welt ist Mittel und Selbstzweck zugleich.«

»Ich aber bleibe bei der Fahne meines Generalissimus,« unterbrach ihn Oldenburg, »und frage dich: ist das nicht bloß ein verfeinerter Materialismus, auf den du zurückkehrst?« –

»Wäre er vernunftgemäß, so wäre er gerechtfertigt; aber ich komme zu ganz anderem. Die allein und ausschließlich bestehende Substanz, die mir als allein vernünftig denkbar bleibt, ist nicht der rohe Klumpen, der allerdings auch nicht aus ihr ausgestoßen ist, ich materialisiere nicht den Geist, ich vergeistige nur die Materie.«

»Wie erklärst du aber mit dieser ewig einen Substanz den Uranfang des Weltdaseins?«

»Der Begriff von Ursache und Wirkung ist der uns unmittelbar inwohnende und der mit äußerer Evidenz erkannte; geh nun in der Reihe von Wirkungen und Ursachen zurück, so mußt du am Ende bei einer ersten haltmachen, diese erste kann nicht Folge einer anderen sein, sie trägt den Grund ihres Daseins in sich, ist Ursache und Wirkung in der ursprünglichsten Unmittelbarkeit, ist Gott in seiner Offenbarung als Welt. Der Anfang der Welt ist zugleich der Anfang Gottes selbst, das eine ist ohne das andere nicht denkbar, die Welt ist die einzige Äußerung des Gottesdaseins. Hat Gott die Kraft in sich, die Welt zu schaffen, so muß er sie schaffen, denn in ihm wohnt keine Kraft, die nicht unmittelbar heraustritt als Tat; eine in sich verschlossen ruhende Kraft wäre eine Unvollkommenheit, die wir Gott als den Inbegriff aller Vollkommenheiten nicht zusprechen können. Es kann weder ein zufällig oder willkürlich äußerer, noch auch ein derartiger innerer Beweggrund sein, der diese Kraft in die Wirkung übersetzte; ein äußerer nicht, denn Gott, als Inbegriff aller Vollkommenheiten, muß absolut unabhängig und darf einer äußeren Anregung nicht bloßgestellt sein; es kann aber auch kein innerer als Akt der bloßen Willkür sein, denn könnte Gott etwas so oder anders wollen, so könnte er ja auch etwas Unvollkommenes wollen, was seinem Wesen widerspricht; er kann nur das Vollkommene wollen, und sein Wille ist die Tat, somit ist alles in ihm ein Notwendiges. Gott hat die Welt in sich und ist in ihr, Gott und Welt sind gleich ewig. Freilich, die sich Gott als etwas über der Welt, im leeren Raume (den es gar nicht gibt) Schwebendes gedacht haben, denen war Gott vor der Welt, er schuf sie aus dem Nichts und schwebt noch über ihr im Himmel; aber das sah man längst ein, daß aus dem Nichts nicht ein Etwas werden kann, und man mußte sogar seine Zuflucht zu den abenteuerlichsten Emanationstheorien nehmen; da bleibt die Welt stets nur etwas, das Gott von sich losgeschält hat, das er überwacht und in das er von Zeit zu Zeit von oben hereingreift, und so werden nach dieser Vorstellungsweise die Wunder, als Taten, in denen Gott den einmal festgesetzten Gang der Natur aufhob, seine eigentlichen Kundgebungen; Wunder gab es aber nur, solange man daran glaubte, unsere Zeit hat keine mehr, und so wären wir denn von Gott verlassen? Allerdings, wenn diese Ansicht die richtige wäre, sie ist es aber nicht, denn Gott ist nicht die äußerliche, sondern die der Welt selbst inwohnende Ursache des Weltdaseins, in ihm ist alles ein Akt der freien Notwendigkeit, alles.« –

»Sehen Sie, ach sehen Sie, da fliegt ein weißer Rabe,« rief Olympia ans Fenster springend, auch Oldenburg stand auf, um zu sehen, was sie zu diesem unzeitigen Scherze veranlaßt hatte; nur Spinoza blieb sitzen, er lächelte ruhig, Olympia aber konnte sich vor Lachen kaum halten.

»O Staatsweisheit,« sagte Spinoza, »die nicht merkt, daß ich hier einer Mißheirat zwischen zwei königlichen Begriffsfamilien angeschuldigt werde; aber setz dich nur wieder, ich will dich rächen an der Spötterin. Ich habe jenen Ausdruck mit Bedacht gewählt; sagen Sie mir: was ist notwendig?«

»Ich habe die Firmelung schon längst erhalten, und sollte also nicht so geradezu mir meinen Katechismus abfragen lassen; doch – notwendig ist alles, was sein muß.«

»Nur halb gefaßt; alles, was ohne inneren Widerspruch mit seiner eigenen Natur nicht anders als sein muß, das ist notwendig; daß in Gott keine schlummernde Kraft gedacht werden kann, habe ich Ihnen soeben gezeigt, und alles, was er tut und ist, tut und ist er aus innerer Notwendigkeit, aber auch frei, denn frei ist: aus sich selbst heraus, von keinem Dinge außer oder neben ihm, bestimmt zu werden; Gott aber, außer dem Nichts ist und der nur stets aus sich selbst heraus will, handelt stets nach vollkommener Freiheit; ja selbst die Menschen sind nicht (wie man gewöhnlich glaubt) dann frei, wenn sie gegen die Gesetze ihrer Natur handeln, denn hier ist es immer nur ein Äußeres und nicht ihre eigenste Natur, der sie gehorchen; nur dann sind sie wahrhaft frei, wenn sie der Notwendigkeit, oder nennen Sie es lieber den Gesetzen ihrer Natur, folgen, denn da sind es wieder nur sie selber, denen sie gehorchen.«

»Noch stellt sich mir hier eine Frage auf,« warf Olympia ein. »Gott, der seine Gesetze oder seine Notwendigkeiten aus sich selber hat, der ist in all seinem Handeln frei, aber die Menschen, die den Grund und die Gesetze ihres Handelns von Gott erhalten haben, die handeln nach dem allgemeinen Willen und wären also nicht frei?«

»Das einzelne Wollen ist von dem allgemeinen Willen ebenso verschieden, wie der Peter und der Paul von der Menschheit: sie bestehen und handeln für sich im einzelnen frei, obgleich sie im allgemeinen unter den Begriff und die Gesetze der Menschheit fallen, von denen sie sich nicht anmaßen können, daß sie in ihnen vollkommen repräsentiert werden. Wer es so weit gebracht hat, daß sein einzelnes Wollen unmittelbar mit dem allgemeinen Vernunftgesetze eins ist, so daß er sich selber dazu bestimmt, zu was ihn Gott oder die Natur bestimmt hat, der lebt in Gott und ist der höchsten Glückseligkeit teilhaftig; aber auch nur teilhaftig. Im einzelnen, Begrenzten ist nicht das Gesamte eingeschlossen, das ist so unmöglich als die Quadratur des Kreises.«

»Dadurch aber,« fragte Oldenburg, »daß alles innerhalb der Grenzen und nach den Gesetzen des allgemeinen oder göttlichen Willens geschieht, wäre ja das Böse ebenso notwendig als das Gute, und die es üben, wären nicht zurechnungsfähig. Alle müßten daher glückselig werden. Es ist also eine Lüge, wenn es in der Schrift heißt, Gott bestrafe die Bösen? Das Böse ist somit ja auch notwendig, und warum schuf es Gott?«

»Wenn es in der Schrift also heißt, so ist es, weil sie die Menschen nicht Philosophie, sondern nur Gehorsam und rechtschaffenen Lebenswandel lehren will, und sich daher der gewöhnlichen Ausdrucksweise anbequemt. Gott schuf aber das, was wir nach unseren gewöhnlichen Begriffen Unvollkommenheiten nennen, weil er, mit einem Worte, den Stoff hatte, alles zu schaffen, von der höchsten bis zur niedrigsten Stufe der Vollkommenheit, oder eigentlicher gesprochen, weil die Gesetze seiner Natur so umfassend sind, daß sie zur Schöpfung alles dessen, was nur von einem unendlichen Verstande begriffen werden kann, ausreichten. Die Menschen können wegen ihrer Taten entschuldigt werden, und deshalb doch der Glückseligkeit ermangeln und mit vielem Kreuz und Elend heimgesucht werden. Ich antworte mit Paulus,« fuhr Spinoza mit herbem Tone fort, »Sie handeln ihrer Natur nach wie die Schlangen und müssen dennoch ausgerottet werden wie die Schlangen. Wer durch einen Hundsbiß wütend geworden ist – ist er nicht zu entschuldigen? und doch tut man recht daran, wenn man ihn brennt; wer seine Begierde nicht bezähmen und nicht aus Achtung vor dem Gesetze bezwingen kann, ist wegen seiner Schwäche zu entschuldigen, und doch kann er jener Seelenruhe, jener Erkenntnis und Liebe Gottes – die allein die wahrhaften Güter sind – sich nicht erfreuen, es liegt in der Notwendigkeit, daß er zu Grunde gehe.«

»Du sprichst von der Liebe Gottes,« fiel Oldenburg abermals ein, »von der, die wir zu ihm haben, und von der, die er uns angedeihen läßt; wenn, wie du gezeigt hast, Gott alles aus Notwendigkeit tut, so tut er nichts aus Liebe, und weil er alles tun muß, wenn er nicht sein eigenes Sein aufgeben will, kann er unsere Liebe nicht ansprechen und könnten wir sie ihm nicht bieten.«

»Das ist ein schöner Einwurf,« entgegnete Spinoza, »muß denn die Liebe etwas der Natur Widersprechendes oder Willkürliches sein, um selbst als solche gelten und Gegenliebe ernten zu können? War das keine Liebe, die dein Vater gegen dich hegte, und liebtest du ihn weniger, weil er dich seiner innersten Natur nach lieben mußte? Was man im gewöhnlichen Leben die Wunder der Liebe nennt, ist hervorgegangen aus jener inneren und somit an sich freien Bestimmung, aus jener höchsten Notwendigkeit, die in unsere Natur gesetzt ist, und das ist die wahre Liebe mit dem unauslöschlichen Stempel der Göttlichkeit. Jede äußere Tat, jede Arbeit, jedes Kunstwerk ist um so vollendeter und freier, je weniger Willkürlichkeit dabei vorwaltet, je durchsichtiger das innewohnende Gesetz geworden ist und sie als freies Naturprodukt erscheinen läßt. Die Erkenntnis dessen, was ein jedes aus sich heraus will oder eigentlich soll, das ist die Erlösung, und darum ist die Liebe zu Gott die höchste Erlösung, oder wie ich es nennen möchte, die höchste Glückseligkeit.«

Olympia war den beiden Freunden nur äußerst mühsam und ungern bis zu jenen Eisregionen der metaphysischen Betrachtung gefolgt, wo keine Blume mehr sproßt, kein Vogel mehr singt, und alles drunten in den Nebel der Allgemeinheit gehüllt ist; sie bewunderte und verehrte die Geistesmacht Spinozas, der sie bis hieher trug, und sie einen Blick in die Unendlichkeit tun ließ, aber es war ihr doch unheimlich hier über den Wolken, denn der Weg bis zu ihrer Orgel, ihren schöngereihten Büchern und ihren munteren Kanarienvögeln lag so weit fernab; da trafen sie diese Worte Spinozas wie ein Gruß aus freundlicher seliger Heimat. Jetzt bangte ihr nicht mehr vor diesem himmelstürmenden Heldengeiste, denn wer solche Worte spricht, der kennt die Liebe. Ihre Wangen glühten, ihr leuchtendes Auge blickte starr vor sich hin, ihre ganze Seele war tief erregt. Die beiden Freunde merkten es nicht, denn sie stritten über den ununterbrochenen und unauflöslichen Zusammenhang im ganzen all; endlich sah Spinoza auf Olympia, auch sie sah auf, ihre Blicke begegneten sich.

»Wo waren Sie jetzt wieder?« fragte Spinoza mit mildem Vorwurfe.

»Ach! überall,« antwortete Olympia wie erwachend.

»Aber nur nicht bei uns,« sagte Spinoza; er ahnte nicht, wie sehr diese Worte Olympia verwundeten.

»Hier habe ich wieder einen deutlichen Beweis,« triumphierte Oldenburg, »daß Körper und Seele zwei vollkommen selbständige Wesen sind; Ihre Seele schweifte weit weg in entlegene Gebiete und vergaß ganz, daß Sie eigentlich hier bei uns sind.«

»Wenn Sie alle Ereignisse des Augenblicks so schnell für Ihr Interesse einfangen, so gratuliere ich den Einwohnern der guten Stadt Bremen zu ihrem Gesandten.«

»Beruhigen Sie sich,« sagte Spinoza, »er wollte sich nur für den weißen Raben rächen, es ist ihm nicht ernst.«

»Allerdings ist mir's ernst, solche aus nächster Umgebung gegriffene Beispiele wahren am besten gegen vage Spekulation.«

»Die sogenannten praktischen Beweise haben leicht etwas Zorniges, ja Fanatisches,« entgegnete Spinoza lächelnd. »Ich habe nur gesagt, daß Geist und Körper insofern unzertrennlich und gegeneinander unselbständig sind, daß sie beide nur als verschiedene Ausdrucksweisen des einen und selben Wesens angesehen werden können; der Geist wird weder durch den Körper, noch dieser durch jenen begrenzt. Noch niemand hat erforscht, was der Körper allein ohne den Geist vermöchte und durch welche Mittel der Geist den Körper in Bewegung setzt, ja es gibt eine große Anzahl von Ideen, von denen wir bestimmt wissen, daß eine gewisse Anlage des Körpers dazu erforderlich ist. Reden und Schweigen selbst, die man als Privilegium des Geistes ansehen und aus denen man dessen unmittelbare Alleinherrschaft dartun will, beweisen nichts, denn im Schlaf und im Rausch redet man ohne freie Willensbestimmung durch den Geist; ein freies Denken, weit über unsere bloße körperliche Sphäre hinaus, findet immer statt, ohne daß dadurch eine selbständige Trennung vom Körper eintrete.«

»Eigentlich sollte ich mich nicht gegen deine Ansicht stemmen,« sagte Oldenburg, »diese Gleichberechtigung und sozusagen gleiche Göttlichkeit von Seele und Körper trifft mit einer Lieblingsidee von mir zusammen; es war mir stets zuwider, wenn ich die Phrase hören mußte: das Fleisch gelüstet wider den Geist. Dieser Helotenstand unseres Körpers mit der gottgefälligen Abtötung der Satansnatur unseres Leibes kann, konsequent durchgeführt, wie bei den Hindus, den Selbstmord nicht nur entschuldigen, sondern sogar als höchste Moralpflicht darstellen.«

»Paradox, sehr paradox,« sagte Spinoza: »der Selbstmörder bleibt unter allen Umständen ein Geistesschwächling, da er sich von äußerlichen Dingen, die sich mit seiner Natur in Widerspruch gesetzt haben, so ganz und gar niederdrücken läßt. Von der untersten Stufe des natürlichen Daseins bis höher hinauf ist das Grundbestreben eines jeglichen Wesens: sein Dasein zu erhalten; und dies auf vernunftgemäße Weise, das heißt wie uns unser wirkliches Wesen, die Natur angewiesen, zu tun, das ist Tugend. Es ist dies kein egoistisches Prinzip, denn jedes Selbsterhalten ist nicht möglich ohne die entsprechende Erhaltung anderer. Was von außen unserer Natur und dem Selbsterhaltungstriebe entspricht, ist gut, umsomehr was in unserer Natur selbst liegt; man muß natürlich hiebei stets streng im Auge behalten, daß nur die wahre Erkenntnis Gottes und unserer Natur das wahre Gut ist, und daß wir hierauf unseren Lebenszweck richten müssen. Gut und Böse an sich betrachtet ist nichts Positives an den Dingen (was ja auch gewissermaßen die Parole deines Generals ist), es sind nur verschiedene Arten des Denkens oder der Begriffe, die sich daraus bilden, weil wir die Dinge untereinander vergleichen. Ihre Lieblingsbeschäftigung z. B. Jufrow Olympia, die Musik, ist für einen Melancholischen gut, für den Traurigen böse, für den Tauben weder gut noch böse.« Olympia wollte widersprechen, aber Spinoza fuhr eifrig fort: »Wir wollen aber bei dem Ideale des Menschen, das wir uns denken, den Ausdruck Gut dennoch beibehalten für alles das, wovon wir gewiß wissen, daß es uns jenem Urbilde der menschlichen Natur nähere, und Böse, von dem wir gewiß wissen, daß es von demselben entferne. Kein Mensch, der Dieb, der Mörder, der Wollüstling, niemand will das Böse, weil es böse ist, sondern in dem Momente, da er eine Missetat begeht, hält er's als gut für seine Selbsterhaltung, für Mehrung und Verbesserung seines eigenen Wohls, und ist nur in dieser Verirrung, da er seinen Leidenschaften folgt, den Gesetzen seiner Natur untreu geworden. Der freie Mensch, d.h. der, wie er unmittelbar aus der Hand Gottes oder der Natur hervorgegangen ist, kennt die Begriffe von gut und böse noch nicht: er handelt in allem nach der unmittelbarsten Eingebung seines Naturgesetzes; erst dann, wenn der Zwiespalt zwischen Wünschen und Bedürfnissen mit den Forderungen seiner Natur eintritt, und wenn er durch den Hinzutritt anderer über diese hinaus will, tritt die Erkenntnis zwischen gut und böse und das Böse selber ein. Der Zwiespalt ist da, da er durch ein anderes, ihm von außen entgegengestelltes Wesen sich bestimmen läßt, und nicht mehr allwege in der Freiheit seiner eigenen Gesetze handelt; der Zwiespalt liegt auch darin, daß er zur Erfüllung seiner Naturgesetze einer Einigung mit dem äußeren Gegenstande bedarf. Der freie, unabhängige Mensch als der uranfängliche, kennt den Unterschied von gut und böse nicht, er handelt stets nach innerer Einheit und Freiheit; mit der Gesellschaft trat der Zwiespalt, die Sünde und die Geschichte ein. Unser höchstes Ziel muß es bleiben, uns wieder rückwärts dieser Freiheit und Selbständigkeit einzuverleiben, ohne die einmal daseiende Gesellschaft aufzuheben; im Gegenteil, nicht in der Einsamkeit, sondern im Staate, wo man nach gemeinsamer Übereinkunft lebt, sind wir frei. Wir müssen uns wieder auf jenen Standpunkt der inneren Freiheit zurückführen, wo es uns gegeben ist, die Gesetze Gottes, d.h, unserer Natur zu kennen und aus innerer Notwendigkeit ihnen zu folgen; das war auch das reine Streben Jesu Christi, die Menschheit wieder zurückzuführen zu der ursprünglichen Freiheit ihrer Gesetze, in die natürliche Einheit mit denselben. Darum war er, nach seinen Worten, nicht gekommen, um das Gesetz aufzuheben, sondern um es zu erfüllen.«

Spinoza hatte absichtlich alle Einzelheiten vermieden, die zu einer Ablenkung Veranlassung geben könnten, aber Olympia, die sich wieder gezwungen hatte, der Erörterung zu folgen, fragte jetzt: »Darf man von Ihren Ideen nicht auch verlangen, daß sie die Schmerzen der Welt heilen, Kranke und Notleidende gesund und froh machen?«

»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«

»Ich frage Sie: wie erklären Sie nach Ihrer Ansicht das Dasein des physischen Übels? das ist doch etwas Positives? Sie haben von dem lustigen Glasschleifer Peter Blyning erzählt. Was hat der gute Mensch verschuldet, daß er Klumpfüße nachschleppen muß?«

»Sie mengen die Fragen so untereinander, daß ich mir erlauben muß, sie zu trennen. Welchen Trost hat denn die gewöhnliche Ansicht für den Blyning? etwa: wen Gott liebt, den züchtigt er, oder, wir sind hier nur Kandidaten einer höheren Laufbahn – die Frage bleibt: warum gerade seine Kandidatur so sehr erschwert wird? Drüben werde ihm alles ersetzt, sagt man; bekäme er aber drüben auch gerade Füße, hier hatte er sie nicht und hier war der Schmerz um ihren Mangel. Die leichteste Art, sich diese Fragen vom Halse zu schaffen, ist zu sagen: Gottes Wege sind unerforschlich. Das heißt, nur mit anderen Worten, die Frage als Frage stehen lassen. Aber die Lösung dieser Fragen liegt auf einem ganz anderen Gebiete: alle die Begriffe von Vollkommenheit und Unvollkommenheit, von Schönheit und Häßlichkeit, sind wie die Zweckbegriffe, die wir der Natur unterschieben, nicht unmittelbar in derselben vorhanden, sondern nur von uns auf sie übertragen, da wir den Dingen Beziehungen geben, die sie an sich nicht haben. Alle diese Begriffe entstehen nur dadurch, daß wir Dinge von derselben Form und Gattung miteinander vergleichen, und dann Mängel und Fehler entdecken, wo nirgends solche sind; alles ist vollkommen, denn jedes Ding darf nur mit sich selber verglichen werden. Irrtum und Verwirrung kommt immer daraus, weil wir die Dinge gern nach Idealen messen, das heißt nach allgemeinen Ideen, die wir überkommen, oder uns gebildet haben. Das Ideal oder die reine Idee einer jeglichen Sache darf aber nur aus ihr selbst, ihrer Wesenheit und ihren Eigenschaften entnommen werden. Dann hört auch die Klage auf, daß die Welt nicht verwirkliche, was wir ihr zumuten. Jede Kraft besteht und wirkt nach ihrem Gesetze, nicht nach einem Ideale. Was nicht unmittelbar aus der notwendigen Natur der wirkenden Ursache folgt, das kommt der Natur eines Dinges nicht zu, und alles, was aus der notwendigen Natur dieser wirkenden Ursache folgt, das muß es notwendig sein. Darüber hinaus kann und darf es nicht verlangen, es hat weiter keine Berechtigung und keine Verpflichtung, und auch wir können keinen höheren Maßstab an dasselbe anlegen. Dieser Peter Blyning ist, an sich betrachtet, ebenso vollkommen als der vollendetste Adonis. Er kann ebensowenig verlangen, andere Füße zu haben, als er Flügel ansprechen kann, denn der zureichende Grund seines Daseins gilt bloß für diese Erscheinung und für keine andere. Finden Sie es unvollkommen, daß der Ochse ein Ochse und kein Adler geworden ist? Auf jeder Stufe menschlichen Daseins ist es gegeben, sich zu fühlen und zu finden in der Einheit mit sich selbst und mit dem All und heiter von ihm getragen und gehoben zu werden. Die Erkenntnis der Übereinstimmung oder des Widerspruchs mit unserer gegebenen Natur, der Glaube, daß diese Erkenntnis uns gegeben ist, die man als bloßes Naturgefühl Gewissen nennt –«

»Das Gewissen ist ein Strumpf, der sich nach dem Fuß zieht; der Wilde schlägt seinen Vater tot, wenn er alt und gebrechlich ist und hält das für Gewissenspflicht; den Juden klagt sein Gewissen an, wenn er Schweinefleisch genießt, und der Katholik schlägt sich auf die Brust, wenn er die Messe versäumt hat.« So sprach der alte van den Ende, der hier plötzlich eintrat. Spinoza antwortete mit Ruhe, daß man ein Gewissen nicht wegräsonieren könne; jenes unvermittelte, im bloßen Gefühl ruhende Gewissen, das man mit allerlei Äußerlichkeiten überkleidet habe, müsse oft Täuschung zulassen, aber jene innere, zum Bewußtsein herausgetretene Stimme, die uns deutlich erkennen läßt, wenn wir den Gesetzen unserer Natur und denen des allgemeinen Zusammenhangs entgegengehandelt haben, sei so unleugbar und zuverlässig als das Wissen von unserem Dasein selbst.

»Ja, lieber Vater,« sagte Olympia, »ich werde Herrn de Spinoza ewig dankbar sein für die vielen und großen Ideen, die er uns soeben mitgeteilt hat.« Sie erklärte nun ihrem Vater die Grundzüge des eben Besprochenen; Spinoza hatte hin und wieder einiges zu ergänzen, im allgemeinen aber empfand er eine unnennbare Freude, als er erkannte, wie Olympia so ganz in das Grundwesen seiner Anschauungsweise eingegangen war; diese Freude blieb ihm jedoch nicht lange ungetrübt, denn das Lachen des alten van den Ende verdroß ihn sehr.

»Erinnert Ihr Euch des heiligen Christoph im Narrentempel zu Mailand, von dem ich Euch einst erzählte?« sagte er, »der paßt ganz gut zu Euch, das war auch so ein Stück Gott, ha, ha, ha! das ist doch auch wieder einmal etwas Prächtiges zum Lachen.«

Spinozas ganze Seele empörte sich bei diesen Worten. Spott ist das schärfste Gift, welches die Lebenskeime eines werdenden Charakters oder einer werdenden Idee töten kann; unser Philosoph war aber schon genugsam erstarkt, um mit leichter Mühe alle die spitzen Pfeile, die van den Ende gegen seine Spekulationen losschnellte, unversehrt aufzufangen und hinwegzuschleudern.

Spinoza fühlte sich seltsam betroffen, als ihm Olympia beim Abschiede sagte: »Ich bin nun doch dem Regen dankbar, daß er uns in die vier Wände bannte. Ich glaube, daß solche Gedankenverbindungen, wie Sie uns gaben, gar nicht in der freien Natur entstehen oder laut werden könnten; Farbe, Klang und Duft würden dagegen protestieren, dazu muß man allein in sich zu Hause sein. Die griechischen Weisen kamen auch nicht dahin, weil sie im Freien lebten und lehrten. Kommen Sie morgen auf unsere Buiten, Sokrates und Pluto in grünen Büschen warten auf Sie.«

Spinoza hatte nicht Zeit zu erklären, welch einen eigentümlichen Widerhall dieser Ausspruch in ihm erweckte, denn er erinnerte sich, wie auch die Rabbinen bestimmen: »Daferne zweie miteinander gehen und über die Offenbarung (der Thora) sprechen und einer sagt: siehe, wie schön ist das Feld, wie schön ist dieser Baum – der hat eine Todesschuld begangen.«

Verlangt das höchste Denken ein Abschließen von der Außenwelt?

Die beiden Freunde verließen schweigend das Haus; vor demselben begegnete ihnen Cäcilie. »Du mußt auch sagen: wer es fassen mag, der fasse es« (Matth. 19, 12), sagte Oldenburg: Spinoza drückte ihm die Hand und trennte sich von ihm.

Er mußte jetzt, nach solchen Erörterungen, in die Synagoge gehen!


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