Berthold Auerbach
Spinoza
Berthold Auerbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13. Der neue Alliierte

Olympia saß am Fenster und schaute in den Fensterspiegel, den sogenannten Spion, der ein ständiges Zeichen holländischer Gemächlichkeit und Schaulust ist. Ein junger Mann stand neben der Jungfrau. Er war von mittlerer Größe, sein längliches Gesicht, das, besonders im Profil betrachtet, schön genannt werden konnte, hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Olympias, nur war in seinem Blick nichts von jener unruhigen Flamme zu entdecken, die aus den Augen Olympias leuchtete. Die linke Hand war auf den vergoldeten Griff seines Galanteriedegens gestützt und mit der Rechten streichelte er seinen blonden Stutzbart; bisweilen drückte er auch seine Augenwimpern zusammen und musterte seinen Anzug nach allen Seiten, es war nichts daran zu tadeln: die weiße Halskrause war in der richtigen Lage, der schwarze Mantel vom feinsten venetianischen Samt warf majestätische Falten und die aus Mattgold gewirkte Troddel spielte bei jeder Bewegung anmutig auf der Brust, die bauschigen atlassenen Beinkleider waren an den Knieen kunstreich geknüpft, die seidenen Strümpfe, die Schuhe mit goldenen Schnallen, alles war untadelhaft.

»Sehen Sie,« sagte Olympia und der Schöngekleidete blickte freundlich auf, »sehen Sie den jungen Mann dort, der so nachdenklich die Straße heraufkommt?«

Schnell hatte der Angeredete ein rotsaffianes Futteral aus der Tasche, aus dem er ein mit Brillanten eingelegtes Perspektiv nahm.

»Meinen Sie den dort?« sagte er dann, »er ist von mittlerer Statur und hat einen bräunlichen Teint: ist das nicht ein Jude?«

»Allerdings,« erwiderte Olympia, »er stammt aus einem vornehmen spanischen Geschlechte. Mein Vater hält große Stücke auf ihn, und ich – ich liebe ihn als einen meiner besten Freunde. Gerade weil er als Jude geboren ist, dem sich die ganze Welt feindlich gegenüberstellt, hat er sich zu einer Vorurteilslosigkeit und Gewissenhaftigkeit des Denkens, zu einem unbeugsamen Gerechtigkeitssinn erhoben, die man bewundern muß, und oft zu eigener innerer Beschämung.«

»Was sagen Sie aber zu meiner physiognomischen Routine?« fuhr der Fremde fort, indem er seinen Knebelbart um den Zeigefinger wickelte und den Blick wohlgefällig über die Fensterscheibe streifen ließ, die ihm sein Bild zurückstrahlte. »Ich finde die Juden auch recht interessant, sie sind so eine Art historischer Reliquie; und den Sinn für das Historische verdanke ich ja ihnen. Ich betrachte die Juden als Splitter eines asiatischen Stammes, die uns durch ihre seltsamen Formen bisweilen unterhalten können.«

»Hatten Sie in Hamburg viel Umgang mit Juden?« fragte Olympia.

»Sie scherzen,« war die Antwort, »aber ich kenne die Juden doch gründlich. En detail mag es manchen ehrlichen Mann unter ihnen geben. Ich hatte in meiner Vaterstadt einen alten Schmul, dem ich meine abgelegte Garderobe verkaufte! ich hatte manchen Spaß mit ihm, er ließ sich alles gefallen, wenn er nur einen guten Massematten machte, aber so geldgierig er auch war, so habe ich doch verschiedene Beweise seiner Ehrlichkeit; en gros betrachtet sind aber alle Juden Beutelschneider und eine schmutzige, widerliche Rasse, die leider, mein seliger Vater hat es oft gesagt, auch den Handel unserer Stadt an sich reißen wird. Denken Sie nur, ich hatte zu Hause einen Freund, der die noble Passion hatte, in ein Judenmädchen verliebt zu sein, und das so sehr, daß er an eine wirkliche Verbindung mit seiner schönen Rahel dachte. Es ist mir noch jetzt unbegreiflich, wie ein Mann von guter Familie nur den Gedanken ertragen kann, den Mausche und den Itzig zu Schwägern zu haben, die alle nach Knoblauch riechen. Das Mädchen scheint allerdings über die Bildungsstufe der gänseschmalztriefenden Locken hinaus gewesen zu sein. Eines Morgens war mein Freund draußen in Kuxhaven; man zog einen Leichnam aus dem Wasser, er erkannte ihn, es war Rahel; man mußte ihn gewaltsam zurückhalten, daß er nicht augenblicklich sich selbst ein Leid antat. Ich hatte inniges Mitleid mit dem Schmerze meines Freundes, er schwur hoch und heilig, nie einer anderen anzugehören, aber man kennt ja diese Schwüre: er war schneller geheilt, als man vermutete; nach einem Jahre war er glücklicher Gatte einer Senatorstochter, und wenn man ihn an seine frühere Schwärmerei erinnert, lächelt er nur still. – Gewiß, Jufrow Olympia scherzt oder gefällt sich in der Paradoxie, wenn sie einen Juden mit dem beneidenswerten Titel ihres besten Freundes beehrt.« Olympia hatte sich während dieser Rede an ihre Orgel gestellt und leise darauf präludiert, sie blickte ruhig nach dem Fremden um, der jedes seiner Worte nachdrucksvoll betonte und dabei mit Zeigefinger und Daumen, die er in einen Ring geschlossen hatte, gemessen taktierte.

»Sie haben ja große Lebenserfahrung gesammelt,« sagte sie endlich, »aber Sie vergessen, daß Sie in Holland sind, wo man die Religionen nicht in herrschende und beherrschte einteilt. Ich glaube, Amsterdam darf sich's zum Ruhm anrechnen, die einzige Stadt in der Welt zu sein, welche die Religionsfreiheit so weit ausdehnt, daß sie auch den Übertritt vom Christentum zum Judentum gestattet. Sie müssen den Herrn de Spinoza kennen lernen, glauben Sie mir, es ist ein merkwürdiger Mensch. Sie haben doch sonst kein böses Herz, begegnen Sie ihm freundlich, mir zu liebe: doch still! er kommt.«

Spinoza trat ein.

»Da ist nun endlich Herr Kerkering,« sagte Olympia, »von dem ich Ihnen schon erzählt habe, daß er vor Jahren mein Schüler war und durch den Tod seines Vaters bis jetzt abgehalten wurde, zu uns zurückzukehren.«

»Sie werden gewiß meinen Entschluß vollkommen billigen, Herr de Spinoza,« fiel Kerkering ein, »daß ich mich wieder zu Jufrow Olympia gewendet habe, um von ihren Honiglippen die Weisheit des Altertums zu hören.«

»Eine mißratene Artigkeit,« entgegnete Olympia, »Sie sagen ich hätte gelbe Lippen und rücken mir mein Alter vor.« Kerkering stutzte, Spinoza half ihm aus der Verlegenheit, indem er sagte: »Sie haben wahrscheinlich vergessen, Herr Kerkering, daß Jufrow Olympia gleich dem höchsten Wesen verlangt, man solle kein Bildnis von ihr machen aus allem was im Himmel und auf der Erde ist.«

»O Sie Ketzer!« sagte Olympia und ihr feuriges Auge schien es in der Tat auf ein Autodafé abgesehen zu haben. »Sie werden wohl gestatten,« fuhr sie nach einer Pause fort, »daß Herr Kerkering an unseren lateinischen Unterhaltungen, Unterricht darf ich es nicht mehr nennen, teilnimmt?«

Spinoza bejahte, und während er sprach, trat Oldenburg ein. Er musterte Kerkering, den ihm Olympia vorgestellt, mit einem flüchtigen Blicke.

»Ich hätte mir's denken sollen,« sagte er, zu Spinoza gewendet, »daß ich dich hier treffe, und hätte mir den Weg nach deinem Hause ersparen können.«

»Du?« fragte Olympia, »o das herzige Du!« Wie glücklich sind doch die Männer, daß sie die, denen sie zugetan sind, ohne Umstände mit dem traulichen Worte benennen dürfen. Die Römer wußten gar nicht, was sie daran hatten, daß sie einander nur mit Du anreden konnten. Ich bin stolz darauf, daß Sie beide sich so bald und so nahe befreundet haben, denn ich war ja die Mittlerin.«

»Zwei Größen, die einer dritten gleichen, gleichen sich untereinander,« scherzte Spinoza.

»Einer vierten nicht auch?« fragte Olympia. »Wir sind hier als die Repräsentanten von den vier großen Mächten, wir wollen eine Quadrupelallianz schließen. Sie Herr von Spinoza müssen den Moses vertreten, Sie Herr Oldenburg Ihren Calvin, Herr Kerkering, muß für seinen Luther einstehen und ich – ich will den Papst repräsentieren –, er kann's nicht zurückweisen, denn ich heiße ja Olympia Maria Honoria. Herr Kerkering, geben Sie den beiden Herren die Hand, wir unter uns haben uns schon längst geeint; wir vier wollen den Kreis bilden, der alle Religionsunterschiede in sich aufnimmt und versöhnt.«

»Ich fürchte, das ist das umgekehrte Problem von der Quadratur des Kreises,« sagte Oldenburg und setzte hinzu: »Sie gehen ja noch weiter als Hugo Grotius, der auch von einem ewigen Frieden der Religionen träumte und nur die Juden bei seiner projektierten Union vergessen hatte.«

Olympia faßte die Hand Kerkerings und legte sie in die Hände der beiden Freunde, –

»Ewige Extravaganzen und Gewaltsamkeiten!« sagte Oldenburg zu Spinoza, als er mit ihm wegging. »Frauen können es nicht lassen, Bündnisse zu knüpfen; sind sie verheiratet, wollen sie anderen schnell auch ein gleiches Glück bereiten, haben sie einen Freund, muß der andere auch mit ihm befreundet sein, und ginge es noch so gewaltsam. Was soll uns dieser Kerkering, den sie doch nur wie einen Automaten behandelt?«

»Du solltest nicht so unwillig über solche Verknüpfungen sein,« entgegnete Spinoza, »denn hier hätte ja dein Herr und Meister Cartesius wieder ein Beispiel, daß ohne unaufhörliche äußere Vermittlung eines höheren Dritten keine wirkliche Existenz gedacht werden könne und alles in sich zerfallen müßte.«


 << zurück weiter >>