Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band II
Berthold Auerbach

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Zwölftes Capitel.

Dieselbe Sonne, die auf Wolfsgarten schien, wo Bella heftig mit sich kämpfte, dieselbe Sonne, die durch die herabgelassenen grünen Rollvorhänge im Gerichtszimmer auf die Bank der Angeklagten schien, schimmerte auch durch die Jalousien in die stille Wohnstube der Professorin in der Universitätsstadt. In der Clavierecke beim Blumenfenster saß die Mutter Erichs bei stiller Arbeit und dachte ihres Sohnes. Er hatte ihr getreulich Bericht erstattet, dann aber um Entschuldigung gebeten, wenn seine Briefe unregelmäßig und hastig seien; er müsse eine Zeit lang sich selbst vergessen und Alles, was ihm gehöre. Anfangs war mehrmals von Clodwig und Bella die Rede gewesen und wie er sich bei den Freunden so heimisch fühle; dann wurde Bella gar nicht mehr erwähnt.

Seit dem Besuche, den Clodwig und Bella in der Universitätsstadt gemacht, gewannen die Briefe Erichs für die Mutter eine neue Betrachtnahme. Tante Claudine, die nur selten sprach, hatte die Mutter daran erinnert, wie Bella ein Jugendbild Erichs mit ungewöhnlichem Interesse betrachtet habe; die Mutter, die das auch gefunden, hatte darin nur das Interesse der Künstlerin gesehen, da das Bild von einem berühmten Künstler gemalt und Bella als Portraitmalerin von nicht gewöhnlicher Bedeutung bekannt war. Nun aber, wenn Erich von Wolfsgarten schrieb, hatte sie immer seltsame Wendungen gefunden, und wenn er Wolfsgarten gar nicht erwähnte, war ihr dies noch auffälliger.

Die beiden Frauen lebten in den Wohnräumen fast so still und lautlos, wie die Blumen, die unter ihren Augen wohlgediehen; seit dem Besuche von Clodwig und Bella war es, als wäre von der alten Ruhe etwas genommen. Hatte Bella solch einen Einfluß gehabt und etwas von der stillen Ruhe mitgenommen?

Es war am Mittag, da brachte der Briefbote einen Brief von Clodwig. Die Buchstaben waren fein und geordnet, kein Strich mit Hast, aber auch keiner mit besonderer Beflissenheit geführt, Alles floß gleichmäßig und die Zeilen waren so gut auseinander gehalten und doch ohne Raumverschwendung. Schon das Anschauen des Briefes erweckte Wohlgefallen und ebenso bestimmt und ruhig war Inhalt und Form des Ausdrucks. Er sagte, daß die Professorin ihn zu Dank verpflichten würde, wenn sie der Einladung zu einem mehrwöchentlichen Besuche Folge leisten wollte. Er berief sich auf die freundliche Beziehung zu ihrem verewigten Gatten und die schöne Erneuerung derselben in dem Verhältniß zu Erich. Zuletzt wies er auf ihre beiderseitige persönliche Bekanntschaft hin, indem er hinzufügte, er habe in seinem langen Leben noch nie eine herzliche Anmuthung empfunden, die nicht auch erwidert wurde; er bitte daher, ihn nicht noch in seinen alten Tagen zu beschämen.

Darunter hatte Bella mit großen Zügen und in hastiger Schrift die Bitte geschrieben, daß die Professorin und Claudine ihr die Ehre eines Besuches gönnen sollten; sie sagte, sie schreibe nur wenige Worte, in der festen Zuversicht, daß es ihr vergönnt sei, in traulichem Gespräche sich zu ergehen.

Der Doctor erbot seinen ärztlichen Beistand und fügte hinzu, daß es seinem jungen Freunde Erich Wahrung und Richtung sein werde, wieder dem Blicke seiner Mutter zu begegnen.

Dieses Wort gab der Professorin viel zu denken; sie war entschlossen, der Einladung Folge zu leisten. Da klopfte es wieder, die Depesche Sonnenkamps wurde gebracht.

Noch hatte die Professorin sie kaum gelesen, als ein schwerer Schritt die Treppe herauf kam. Der Major trat ein.

Die Professorin erschrak, sie erkannte ihn nicht, sie sah nur den gerötheten Kopf mit dem kurzen schneeweißen Haar und das Ordensband auf seiner Brust. Im ersten Augenblick war's ihr, als ob ein Gerichtsbote käme, der irgend etwas Erich Gefährdendes auszuführen hätte. Der Major machte es auch nicht besonders geschickt, indem er sofort sagte:

»Frau Professorin, ich komme als Execution. Aber ich soll Sie nicht aus dem Paradies treiben, sondern im Garten Eden einsperren.«

Er hatte sich das so ausgedacht während der Fahrt und mit stummer Lippe vor sich hin gesagt; jetzt kam es so ungeschickt heraus, daß die gute Frau sich vor Zittern kaum aufrichten konnte.

Der Major rief:

»Bleiben Sie nur sitzen, mit mir macht man keine Umstände, das wissen alle Menschen. Ich störe keinen Menschen in seiner Ruhe; mir ist's am liebsten, man bleibt sitzen, wenn ich komme. Geht's Ihnen nicht auch so? Da hat man die Sicherheit, daß man nicht stört.«

»Kommen Sie von meinem Sohn?«

»Ja, auch von ihm. Sehen Sie, ich bin gerade Keiner von den Besten, aber auch Keiner von den Schlechtesten; Eines kann ich mich rühmen, nie in meinem Leben habe ich einen Menschen beneidet, aber wie Sie da gesagt haben: mein Sohn – darum hab' ich Sie beneidet. Und nun gar, wenn ich einen solchen Sohn hätte wie Sie!«

Der Major übergab Briefe von Sonnenkamp und der Cabinetsräthin; er wünschte, daß sie sofort gelesen würden, denn sie ersparten ihm das Reden.

Die Professorin las, hieß ihn nochmals willkommen und rief die Schwägerin.

Die Jalousien nach der Straße wurden geöffnet, der volle Lichtstrom drang herein und beschien heitere Gesichter.

»Was wollen wir thun?« fragte Tante Claudine.

»Da ist von Wille keine Rede mehr; wir folgen der Einladung.«

»Zu wem?«

»Natürlich zu Herrn Sonnenkamp.«

»Recht so,« schmunzelte der Major.

Es war noch Mancherlei vorzubereiten, ehe man abreisen konnte. Der Major versprach, daß Joseph nachkommen und Alles bringen sollte; kein Zwirnsfaden solle vergessen werden. Er zog sich zurück, um in einigen Stunden wiederzukommen, er hatte ja hier Bundesbrüder zu begrüßen.

Am Mittag fuhr der Major mit den beiden Frauen dem Rheine zu, und er war so stolz und glückselig, als hätte er die Kriegskasse des Feindes erobert.


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