Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band II
Berthold Auerbach

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Fünfzehntes Capitel.

Der Major kündigte nicht erst seinen Besuch an, er kam selbst. Er sah mit seinen kurz geschorenen schneeweißen Haaren, seinem braunrothen Gesichte ganz neu aus und sagte auch, so oft er sich in der warmen Quelle bade, käme er sich wie neugeboren vor und meine immer, daß sich eine unsichtbare Amme über ihn beuge, ihm Wellen zuspüle und ihm zulächle.

Er lachte die Bäume an, die Mauern, die Dächer, und nun gar erst die Menschengesichter.

Er freute sich, daß Erich den Burschen aus der Familien-Colonne herausgenommen und ganz allein exercirt hatte; das sei zwar hart, aber man käme in einem Tage weiter als sonst in Wochen.

Er bat Erich, ihn bald zu besuchen, denn der Altmeister sei da.

Mit großer Aengstlichkeit bewahrte der Major die Selbständigkeit seines Lebens, aber er fühlte immer eine gewisse Verpflichtung gegen den Besitzer des Landhauses, dessen Nebengebäude er bewohnte. Dazu war der Mann der Altmeister, vielgerühmt als Menschenfreund und Mann von Beredtsamkeit. Der Major wollte ihm alles Gute bringen und zuführen, was ihm begegnete, und was hatte er nun Besseres als Erich, den er unausgesetzt pries, so daß ihm, dem ohnedies das Wort schwer wurde, immer der Vorrath von Lobsprüchen ausging und zuletzt in das bekannte Remdem endete.

Am ersten Feierabend besuchte nun Erich den Major.

Fräulein Milch erzählte von dem Ruhme Erichs beim Gesangfeste und der Major sagte:

»Das ist gut! Bei unsern Festen sind Sänger immer von großer Bedeutung. Können Sie auch »In diesen heiligen Hallen« singen?«

Erich bedauerte, daß ihm die prächtige Arie zu tief läge.

»Singen Sie etwas Anderes, singen Sie Fräulein Milch etwas vor.«

Erich hatte Mühe, die freundliche Bitte abzulehnen, und Fräulein Milch wünschte mit ihm, die Kunstleistung auf einen besondern Abend zu verschieben.

So zutraulich und liebreich Fräulein Milch, ebenso unwirsch war der sogenannte Altmeister. Er hatte etwas auffällig Gönnerisches; er schien dermaßen an Lobpreis gewöhnt, daß nur eine demüthige und dankbare Natur wie der Major so glücklich und zutraulich mit ihm sein konnte.

Der Major gab sich alle Mühe, die beiden Männer zu Freunden zu machen, aber es gelang nicht. Der Altmeister benahm sich durchaus oberherrlich gegen Erich, den er nie anders als »junger Mann« nannte; er ertheilte ihm Lehren, gab ihm Mahnungen, als ob Erich nur auf ihn gewartet hätte. Erich bedurfte seiner ganzen Haltung, um dem Manne in guter Weise die Unschicklichkeit seines Verfahrens kundzugeben, denn der Altmeister war rücksichtslos genug, selbst im Beisein Rolands beständig von der Unerfahrenheit des »jungen Mannes« zu reden, der natürlich nur zu ihm gekommen war, um von ihm einen Orakelspruch zu empfangen, und die ganze Art, wie er sprach, hatte etwas Orakulöses, wobei er eine ausspendende Bewegung mit der linken Hand machte, als ob er Samen auf die Erde streue.

Erich gewann Humor genug, dieses Wesen als eine eigenthümliche Erscheinung zu betrachten; er ließ sich geduldig salben. Als er wegging, sagte der Altmeister zum Major:

»Der junge Mann hat Gedanken.«

Als Erich wieder in die Wohnung des Majors zurückkehrte, kam ein Bote aus der Villa mit der Nachricht, daß andern Tages Clodwig, Bella und Prancken zum Besuch kommen würden.

Der Major fragte, wie Erich zu Prancken stehe. Erich konnte nur erklären, daß Prancken sich freundlich und tactvoll gegen ihn benehme.

Der Major, der als Bürgerlicher vom Tambour aufgestiegen war, blieb beständig aufsässig gegen den Hochmuth der adeligen Kameraden; er ermahnte indeß Erich, gegen Prancken, der ein ganz manierlicher Mann sei, nur sei er eben adelig – über diese Barriere kam er schwer hinweg – sich erkenntlich zu benehmen, denn Prancken habe doch zu seinem Eintritte gewirkt.

Als Erich mit Roland heimwärts ging, sagte er:

»Nun, Roland, wollen wir zeigen, daß wir uns durch nichts stören lassen; mag kommen, was da will, wir setzen unsere Studien ununterbrochen fort, wir lassen von Fremden nur über unsere freien Stunden verfügen. Sieh, Roland, das ist ein Schweres im Leben. Aus Fügsamkeit gegen die Welt und aus dem Bestreben, nicht unfreundlich und undankbar zu sein, läßt man sich oft sein eigen Selbst entwenden. Dagegen wollen wir uns fest halten, Jeder muß für sich sein und dann erst in die Welt hinauskommen. Wer das nicht kann, den hat die Welt, aber er hat nicht sich selbst.«


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