Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band II
Berthold Auerbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Capitel.

Auf den Rebenbergen ist es still, es sind keine Menschen mehr zwischen den grünen Reihen, »Zeilen« genannt, denn die Reben, die bisher frei wachsen durften, sind angebunden, damit die Blüthe nicht verflattere. Die unscheinbare Blüthe schimmert nicht, nur ein leiser süßer Duft zieht durch die Lüfte. Jetzt bedarf der Weinstock des ruhigen Sonnenscheins am Tage und des milden Hauches in der Nacht; die Blüthe muß zur Frucht sich gestalten, das Feuer aber und die Würze bilden erst die Herbstmonate. Hat nur erst die Blüthe sich gebeert, dann mögen Sturm und Gewitter kommen, die Frucht ist stark, ihres künftigen edlen Zieles sicher.

Hand in Hand wandelten Roland und Erich durch die Gelände, ihr Weg hatte kein Ziel zu Menschen und es war so still im Städtchen und öde in den zerstreuten Landhäusern.

Bella, Clodwig und Prancken, der Major, der Landrichter mit Frau und Tochter waren in die Bäder gereist. Nur der Doctor war auf seinem Posten verblieben, er war jetzt allein, denn seine Frau war zu der Tochter und den Enkeln übergesiedelt. Erich hatte sich, noch ehe er von der Badereise und dem Alleinsein gewußt, vorgesetzt, in der ersten Zeit jede Zerstreuung und jede Pflege der Beziehung zu dem erweiterten Kreise abzulehnen; er wollte sich ausschließlich und mit gesammelter Kraft Roland widmen. Und so waren sie nun vom ersten Augenaufschlag bis zum Schlafengehen unzertrennlich beisammen.

Nur wer Tag aus Tag ein mit der Naturumgebung lebt, kennt ihre flüchtigen Lichtreflexe, und nur wer mit einem Menschen ganz lebt, kennt und weiß, wie es plötzlich in ihm aufleuchtet, Alles neu erhellt und scharf hervortreten läßt. Wohl merkte Erich noch manchmal, daß Roland nach der Lustbarkeit und Zerstreuung des Badelebens hinausdachte, es sträubte und bäumte sich noch etwas in ihm, daß er in einem ständigen Pflichtenkreise stehen sollte, aber das war wie die Unbändigkeit eines frei erwachsenen Pferdes, das sich gegen Zügel und Zaum wehrt, bald aber damit stolziren wird.

Elemente ohne Zahl dringen auf ein Wachsthum ein, bewegen, formen und füllen dasselbe; der Mensch lenkt und leitet das sich selbst Bildende – wie sich aber das Gegebene wandelt, das steht nicht in seiner Macht.

Weiter lasen sie das Leben Franklins; Roland sollte einen ganzen Mann sehen. Die staatsmännische Thätigkeit, in die Franklin allmälig eintrat, war für den Jüngling noch nicht verständlich; aber er sollte eine Ahnung gewinnen von solch erweiterter Thätigkeit, und Niemand kann ermessen, was auch von Halbverstandenem in einer jungen Seele haftet. Das weiße Haus zu Washington trat in die Phantasie Rolands wie die Akropolis zu Athen, wie das Capitol in Rom.

Bei der Gründung des amerikanischen Freistaats, bei Feststellung der Verfassung war es schwer, die Aufmerksamkeit des Jünglings zu fesseln, aber er mußte Stand halten.

Erich wählte zur eindringlichen Kenntniß Abschnitte aus Bancrofts Geschichte von Amerika.

Daneben lasen sie das Leben des Crassus von Plutarch und den Sang des Hiawatha von Longfellow. Der Eindruck dieses Gedichtes drängte eine Weile alles Andere zurück. Hier hat die neue Welt ihre Heroenzeit und ihre Romantik in dem Indianerleben festgehalten. Das Gedicht erscheint wie jene großen National-Epen, die nicht ein einzelner Mensch, sondern ein gesammelter Volksgeist gedichtet hat. Die Pflanzung des Maises stellt sich als eine Gestaltung dar, wie sie die mythenbildende Kraft des classischen Alterthums formte. Hiawatha erfindet das Segel, er macht den Fluß fahrbar, er vernichtet die Krankheit. Den größten Eindruck aber auf Roland machte das Fasten Hiawatha's und das in dieser Kasteiung sich bildende, weltvergessene fieberisch erregte Stimmungsleben.

»Das kann doch nur der Mensch allein!« rief Roland.

»Was denn?« fragte Erich.

»Fasten, sich freiwillig Nahrung versagen.«

Aus dieser Traumwelt einer Vergangenheit, die nothwendig dem lichten Tag der Culturarbeit weichen muß, ging es wieder zur ersten Gründung des großen amerikanischen Freistaats. Wiederum trat hier Franklin ein, der nun einmal der Mittelpunkt für Roland zu werden schien, und vor ihm trat sogar Jefferson zurück, der zuerst die ewigen und unveräußerlichen Menschenrechte nicht nur verkündete, sondern auch zur Grundlage eines Staatslebens machte. Roland und Erich sahen mit einander, wie diese Robinsonade im Großen – wie Friedrich Kapp es nennt – zum Cultur-Reiche gemacht wird, aber jene traurige Schwächlichkeit und Rücksichtnahme, die nicht sofort auch die Sklaverei aufhob, bildete einen Knotenpunkt.

»Glaubst Du auch, daß die Neger Menschen sind wie wir?« fragte Roland.

»Ohne Zweifel; sie haben Sprache wie wir und können Alles denken wie wir.«

»Ich habe einmal gehört, daß sie nicht Mathematik lernen können,« warf Roland ein.

Erich ging nicht weiter auf diese Erörterung ein; er wollte keinen Schatten auf den Vater werfen, der große Plantagen besessen hatte, die von Sklaven bebaut wurden; es war genug, daß in dem Jüngling sich Fragen regten.

Nichts Besseres hätte sich für Erich und Roland finden können, als daß sie Beide zusammen etwas lernten. Der Baumeister, ein tüchtiger Mann seines Faches und glücklich, in jungen Jahren eine so schöne Aufgabe ausführen zu dürfen, war mittheilsam und lehrreich. Die Burg war, wie so viele in den Rheinlanden, just hundert Jahre vor der französischen Revolution von den in Deutschland barbarisch hausenden Soldaten Ludwigs XIV. zerstört worden. Ein alter Hauptthurm, der sogenannte Burgfried, hatte noch Ueberreste römischen Mauerwerks, Gußmauern, wie sie der Baumeister nannte.

»Was ist eine Gußmauer?« fragte Roland.

Der Baumeister erklärte, daß sie aus schichtrechtem Bauwerk von Bruchsteinen bestehe, das hüben und drüben ausgeführt wurde, und in die Mitte wurden regellos Steine geworfen und dann wahrscheinlich heißer Mörtel zur Bindung eingelassen.

Nun hatte man in der ganzen Gegend seit langer Zeit die Burg als Steinbruch benutzt und gerade die Ecken waren losgelöst, weil das die besten Steine sind. Alles war mit Gebüsch überwachsen, das Burghaus ganz verschwunden, die Burg wol selbst ehemals eine römische Arx und im Style des zehnten Jahrhunderts neu aufgebaut. Aus einer Zeichnung, die sich im Staatsarchiv vorgefunden hatte, ließ sich wenig Charakteristisches mehr erkennen, aus einzelnen Steinen und Angeln aber noch Manches von der Structur nachbilden. Der Baumeister zeigte, wie er nun das Alles bilde, und besonders froh war er, den Brunnen gefunden zu haben, aus dem man, wie sein Ausdruck lautete, »viel Schutt und Kummer« herausnahm.

Der Einblick in die geschlossene Berufsthätigkeit eines Mannes wirkte auf den Jüngling tief erwecklich und mit großer Emsigkeit folgte er dem ganzen Bauwesen. Es war sein Lieblingsgedanke, einst hier allein auf der Burg zu wohnen, und er wollte mit daran gebaut haben.

Wenn am Samstag Abend die Maurergesellen und Erdarbeiter auf der Burg abgelohnt wurden, war Roland immer zugegen. Eine Stunde früher als sonst wurde Feierabend gemacht, der Barbier aus dem Städtchen kam und rasirte die Maurer, dann wuschen sie sich am Brunnen; auch eine Bäckerfrau mit Brod war aus dem Städtchen heraufgekommen; nach und nach stellten sich nun die Arbeiter unter den Vorbau eines kleinen Häuschens, das man zum einstweiligen Schutz auferbaut. Roland stand manchmal drinnen in der Stube bei dem Werkführer und hörte die kurzen Worte:

»Du bekommst so und so viel.«

Er sah die harten Hände, die den Lohn empfingen. Manchmal stand er auch draußen bei den Arbeitern selbst oder bei Seite sie beobachtend; namentlich die Speißbuben, die gleichen Alters mit ihm waren, faßte er besonders ins Auge und dankte Allen herzlich, wenn sie ihn grüßten. Die meisten hatten einen Laib Brod in ein Tuch gewickelt unter dem Arm, wenn sie den Dörfern zugingen, wo sie wohnten; manchmal hörte man noch aus der Ferne singen.

Erich wußte, daß dieses Eindringen Rolands in fremdes Leben gegen die Grundsätze Sonnenkamps war, denn dieser pflegte zu sagen: Wer ein Schloß bauen will, darf nicht die Kärrner und Steinbrecher in den Steingruben draußen kennen.

Dennoch ließ Erich seinen Zögling unbefangen in fremdes Leben eindringen. Er sah, was in dem großen Auge Rolands sich aussprach, während er mit ihm auf einem Vorsprung der Burg saß, wo der Thymian sie umduftete und sie hinausschauten über Berg und Thal, drüber die Glocken anstimmten und den morgigen Sonntag einläuteten. Ein Blick, der auf die arbeitsamen Hände geschaut, ein Sinnen, das den Heimkehrenden nachging, bildet eine Seelenstimmung, aus der man nimmer der Mitmenschen vergessen kann.

So festigten sich moralische und intellectuelle Grundlagen in der Seele des Zöglings.

Eines Abends saßen sie wieder auf der Burg, die Sonne war bereits hinabgegangen, nur das Abendroth stand noch auf den Bergen, das Dorf mit seinen blauen Schieferdächern im Abenddufte erschien, als ob es in einem Traum schwebe, da sagte Roland:

»Ich möchte wissen, wie es in Amerika ist. Solche Burgen sind doch nicht da.«

Erich sagte Roland die Verse Goethe's vor:

Amerika, du hast es besser
Als unser Continent, das alte,
Hast keine verfallene Schlösser
Und keine Basalte,
Dich stört nicht im Innern
Zu lebendiger Zeit
Unnützes Erinnern
Und vergeblicher Streit.
Benutzt die Gegenwart mit Glück!
Und wenn nun Eure Kinder dichten,
Bewahre sie ein gut Geschick
Vor Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten.

Roland schrieb sich die Verse auf.

Noch auf manchen stillen Gängen sprach Erich ihm Gedichte von Goethe vor, in denen es ist, als ob nicht ein Mensch, sondern die Natur selbst im Worte Ausdruck gefunden hätte.

Zu Benjamin Franklin und seiner nüchtern ruhigen Betrachtung, zu Hiawatha und Crassus gesellte sich nun der durchleuchtende Geist Goethe's. Bei schicklichen Veranlassungen wußte dann Erich auch die classischen Dichter des Alterthums seinem Zögling zuzuführen. So lebten sie im ständigen Verkehr mit dem Besten, was der Menschengeist je gebildet.

Roland hatte Vieles gehört und gelernt, aber Alles in ihm war chaotisch, bruchstückweise. Erich hatte zuerst an sein lebendiges Interesse für Amerika angeknüpft. Mit großem Eifer versenkte er sich selbst in die Geschichte der neuen Welt und dieses Neuerrungene ging mit der ganzen Frische auch auf Roland über; in der Art wie er das Leben der neuen Welt, mit dem der Griechen und Römer vergleichend, seinem Zögling darstellte, erweckte er seine gespannte Aufmerksamkeit. Roland lernte wunderbar leicht und was er hörte, setzte sich alsbald in eigenthümlicher Weise in den Bestand seines Charakters um. Da Roland die Gemeinsamkeit des Unterrichts entbehren mußte, so vermochte Erich die Vortheile des rein persönlichen Unterrichts dafür einzusetzen; er fand ständig jene Keimpunkte, wo der Wissenstrieb seines Zöglings am leichtesten zu erregen war, und der Unterricht wurde nicht zur Nöthigung, sondern zu einer Sättigung für das, was die junge Seele heischte.

Erich hütete sich indeß wohl, das kühne, entschlossene Naturell Rolands in ein schwärmerisches und grüblerisches zu verwandeln; er legte zwischen den Unterricht immer gleichmäßig die Körperübungen, Fechten, Turnen, Reiten, nach der Scheibe schießen, Schwimmen und Rudern, und mit Hülfe Faßbenders lehrte er Roland auch Messungen im Freien machen.

Schwer war es indeß doch noch oft, zumal auf den Gängen ins Freie, die Aufmerksamkeit Rolands auf ein Bestimmtes zu lenken. Manna hatte ihrem Bruder ihre beiden Lieblingshunde, Rose und Distel genannt, zurückgelassen und diese Hunde vor allem nahm Roland gern mit auf den Gängen ins Freie. Manna war ehedem nicht nur die kühnste Reiterin, der Vater hatte sie auch immer mit zur Jagd genommen.

Gingen nun die Hunde mit, so fand Erich keine volle Aufmerksamkeit bei Roland, sein Auge war auf sie gerichtet, die Hunde blickten ihn an, sie wollten Aufmerksamkeit für ihr Dableiben. Erich befahl es nicht geradezu, auf manche Fragen erwiderte er, er könne sie nicht beantworten, wenn nebenbei an die Hunde gedacht und ihre Sprünge ins Auge gefaßt würden. Roland ließ nun die Hunde zu Hause . . .

Draußen liegt das Feld, dort ist das Rebengelände, da wächst die Traube und in ihr sammeln und verwandeln sich die durch die Luft dahin schwebenden und im Erdengrund ruhenden Elemente, und vor Allem ist es der wallende Strom, der eine unwägbare Kraft, einen geheimnißvollen Duft in die Frucht sendet. Sonnenschein und thauige Kühle, Regen und Gewitter, auch Hagelschauer fallen nieder und die Pflanze lebt fort ihrer Zeitigung entgegen.

Wer kann sagen, was Alles eine Menschenseele bilde und gestalte? Wer kann sagen, was Alles von dem, was Erich in Roland pflegte, aufging und gedieh zu dieser Stunde, an diesem Tage?

Roland und Erich waren jeden Morgen und jeden Abend dabei, wenn die Wiesen berieselt, wenn die Bäume und Blumen in Kübeln und Töpfen begossen wurden; sie halfen mit und dieses Fördern eines fremden Wachsthums gab ein Gefühl eigener Sättigung. Es war wie eine Empfindung der Wohlthätigkeit.

Der Park und der Garten blühte und gedieh fort, Alles ist geordnet, Alles wartet still, bis der Herr wiederkommt; in Roland wurde auch ein Garten gepflanzt und gehegt.

Die Nachtigallen im Park waren verstummt, der schwelgerische Blüthenduft war verflogen, festes Gedeihen war ringsum.

Und waren die Tage voll geistiger Belebung, so gingen Roland und Erich die stillen Nächte mit einander die Bergwege und weideten den Blick an der mondbeglänzten Landschaft, wo auf der einen Seite die Berge ihre Schatten warfen und scharf abgeschnitten das Mondlicht auf den Weingeländen ruhte und im Strome glänzte. Ein Athem stiller Wonne lag auf der Landschaft und die Wandelnden sogen ihn ein, still dahinschreitend, nur selten ein Wort sprechend. Es waren Stunden innigster Segnung, wo die Seele nichts will als athmen, schauen, mit offenen Augen träumen, der inneren Fülle und des von Außen einströmenden ruhig gedeihlichen Waltens der Natur inne werden.

Der Weinstock saugt aus der Erde, saugt aus der Luft, und in solchen Stunden zeitigt in der Seele, was sie von unnennbaren Mächten aus sich entwickelt und was von Außen in sie einströmt.

Erich fühlte sich so in sich begnügt, gehoben und vom glücklichen Gelingen erfüllt, daß diese hohe Spannung seines Wesens auch Roland empfand und Alles, was in Erich lebte, ging vor ihm und vor Roland neu erquickend auf.


 << zurück weiter >>