Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band II
Berthold Auerbach

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Viertes Capitel.

Nur schwer gelang es Erich, seinen Zögling, dem die Reise im Sinne lag, beim Unterricht festzuhalten.

Der Tag der Reise ins Kloster war da; es war ein heller Sonnentag.

Erich bat, daß er zurückbleiben dürfe; Sonnenkamp stimmte sofort bei mit der Hinzufügung, es würde auch Erich angenehm sein, einmal einige Tage in Ruhe und allein sein zu können.

Prancken kam mit seiner Schwester vorgefahren und Bella sagte Erich, daß Clodwig ihn ersuchen lasse, er möge ihm in diesen Tagen Gesellschaft leisten. Roland bat nochmals dringend, daß Erich mitreise, er sagte unverhohlen:

»Manna wird sich sehr ärgern, wenn Du nicht mitkommst, sie muß Dich doch auch sehen.«

Sonnenkamp lächelte seltsam bei dieser Zurede und Prancken wendete sich ab, um seine Mienen zu verbergen.

Mit Heftigkeit nahm Roland Abschied von Erich; er versprach indeß, Manna viel von ihm zu erzählen.

In drei Wagen fuhr man nach dem Dampfschiffe; Prancken saß bei Frau Ceres, Sonnenkamp bei Fräulein Perini und Bella, im dritten Wagen Roland mit den Dienern.

Man fuhr eine Strecke stromauf nach dem Schiffe, und als dies an der Villa rasch vorüberschoß, stand Erich auf dem schönen überschatteten Hügel, wo man den Ausblick stromabwärts hat, da, wo die Berge sich in einander schieben, als müßte der Strom sich zum See stauen. Roland grüßte, den Hut schwenkend, vom Schiffe, Erich grüßte vom Ufer in gleicher Weise und sprach vor sich hin: »Fahr' wohl, meine junge Seele.«

Das Schiff sauste vorüber, die Wellen plätscherten am Ufer und bewegten den schönen Kahn hin und her, dann war Alles still.

Das Schiff schoß stromab, die Reisegesellschaft war äußerst wohlgemuth. Prancken befleißigte sich einer ausgesuchten Zuvorkommenheit gegen Frau Ceres, die mit schönen Shawls zugedeckt auf dem Verdecke saß.

Roland hatte Greif mitgenommen, Alles auf dem Schiffe staunte über den schönen Knaben mit dem löwengleichen Hunde; Manche sprachen ihre Bewunderung sogar laut aus.

Eine Strecke fuhr der Weingraf und sein Sohn, der Weincavalier, mit. Der alte Herr war ein hochgewachsener, vornehm aussehender Mann, er trug ein rothes Bändchen im Knopfloch. Vater und Sohn waren erfreut, Prancken hier zu treffen, und besonders glücklich, Frau Bella begrüßen zu dürfen. Gegen Sonnenkamp und dessen Familie schienen heut die Altangesessenen ihre Zurückhaltung in eine Annäherung verwandeln zu wollen, Sonnenkamp aber verhielt sich ablehnend. Er wollte nicht, daß sie jetzt, wo sie seine Ehrenstellung sahen, sich ihm näherten. Er war sichtlich erleichtert, als der Weingraf und sein Sohn auf der zweiten Station, wo eine große Wasserheilanstalt war, ausstiegen. Am Landungsplatze stand der Hofmarschall mit seinem kranken Sohne, die Beiden erwartend. Bella wurde von der Excellenz besonders ehrerbietig begrüßt. Im Weiterfahren erzählte sie Herrn Sonnenkamp, wie es so viel als sicher sei, daß die Tochter des reichen Weinhändlers den kranken Sohn des Hofmarschalls heiraten werde.

Der Tag war hell, kaum ein Lüftchen regte sich auf dem schnell dahin fahrenden Schiffe. Roland hörte manchmal, wie einem neu Einsteigenden halblaut zugeflüstert wurde: Das ist der reiche Amerikaner, der besitzt zehn Millionen Thaler.

Für die Gesellschaft Sonnenkamps war auf dem Verdeck ein besonderer Tisch hergerichtet, den Joseph mit Blumen und schimmernden Weinkühlern schmücken ließ; Diener Sonnenkamps in ihrer kaffeebraunen Livree bedienten die Gesellschaft.

Bei Tische sagte Roland in fragendem Tone:

»Vater, die Leute sagen, Du besitzest zehn Millionen.«

»Die Menschen haben mein Geld nicht gezählt,« erwiderte Sonnenkamp lächelnd, »jedenfalls werden wir immer so viel haben, daß wir uns ein Mittagessen bestellen können wie heute.«

Da der Knabe von dieser Antwort nicht befriedigt schien, fügte Sonnenkamp noch hinzu:

»Mein Sohn, man ist stets nur verhältnißmäßig reich.«

»Merken Sie sich das Wort, man ist stets nur verhältnißmäßig reich,« wiederholte Prancken. »Das ist ein bedeutsames Wort, ein klassisches.«

Sonnenkamp hörte es trotz seiner Menschenverachtung doch gern, wenn man einem seiner Aussprüche noch einen besonderen Accent hinzufügte.

»Ach, reisen ist so schön, so lustig, wenn nur auch Erich bei uns wäre!« rief Roland.

Niemand antwortete. Der Knabe schien heute überaus redselig, und als der Champagner knallte und Bella auf das Wohl Manna's anstieß, sagte er zu Prancken:

»Sie sollten Manna heiraten.«

Die Frauen sahen die beiden Männer lächelnd an.

Roland wurde immer mehr der Mittelpunkt des Gesprächs und des Scherzes, er wurde immer redseliger, immer toller gemacht; zuletzt willfahrte er Prancken, den Candidaten Knopf nachzuahmen. Er strich sich die Haare zurück, schnupfte aus der linken Hand, die er als Dose hielt, und klopfte immer an die Dose, er hatte plötzlich eine andere Stimme und ein anderes Gesicht, in hölzerner steifer Weise declamirte er die vierte Conjugation und erklärte den pythagoräischen Lehrsatz und noch allerlei Kunterbuntes durcheinander.

»Können Sie auch Herrn Dournay nachahmen? fragte Prancken.

Roland verstummte; eine Erstarrung trat in sein Gesicht, als ob er ein Ungeheuer erblickt hätte; eine Ernüchterung kam plötzlich über ihn und er sah Prancken mit einem grimmigen Blicke an.

»Ich ahme nie mehr den Candidaten Knopf nach, nie mehr.«

Der Knabe, der vom Weine und vom Reden überreizt war, wurde plötzlich still und verschwand bald nachher, so daß die Diener ihn suchen mußten. Man fand ihn auf dem Vorderdeck bei dem Hunde, er hatte große Thränen in den Augen; er ließ sich ruhig zu seinen Angehörigen bringen, aber er war und blieb nun wortkarg.

Das Schiff glitt dahin, die Rebenberge glänzten in der glitzernden Mittagssonne und bald hieß es: Nur noch zwei Stationen, dann sind wir beim Kloster.

Roland ging wieder zu seinem Hunde und sagte:

»Greif, jetzt kommen wir zu Manna. Sei lustig!«

Es war noch heller Mittag, als man bei den Hängeweiden am Ufer ans Land stieg und in die erquickliche Kühle des Parks eintrat, der das Kloster umgab. Die Diener waren am jenseitigen Ufer im großen Gasthause verblieben.

Sonnenkamp hatte seine Ankunft voraus angekündigt, es war aber Niemand da, der ihn erwartete.

»Manna nicht da?« fragte er, als er ans Ufer kam, und eine Wildheit, die er sonst wohl zu verbergen wußte, zeigte sich auf seinem Gesichte.

Frau Ceres wendete nur ruhig den Kopf nach ihm, er war geschmeidig und sanft.

»Wenn das gute Kind nur nicht krank ist,« setzte er mit einer Stimme hinzu, die einem büßenden Einsiedler wohl angestanden hätte.

Man ging nach dem Kloster, es war verschlossen, nur die Kirche war offen, und hier lag, während draußen der helle Sonnenschein funkelte, eine Nonne verhüllten Antlitzes im Gebete. Die Ankömmlinge, die auf die Schwelle getreten waren, kehrten still wieder zurück; sie klingelten am Kloster, die Pförtnerin öffnete.

Sonnenkamp sagte, sie wünschten Fräulein Hermanna Sonnenkamp zu sprechen und fragte zugleich, ob sie gesund sei; die Pförtnerin erwiderte, daß Manna sich wohl befinde, und wenn sie die Eltern seien, so lasse die Oberin bitten, ins Sprechzimmer zu kommen. Sonnenkamp bat Bella, Pranken und Fräulein Perini im Garten zu verweilen; er wollte, daß auch Roland bei ihnen bleibe, aber dieser sagte:

»Nein, ich will mit!«

Die Mutter faßte ihn an der Hand und jetzt sprach sie das erste Wort:

»Ja wohl, Du bleibst bei mir.«

Die Eltern und Roland traten zur Oberin ein, die sie mit Freundlichkeit und edler Haltung empfing. Sie bat eine Schwester, die eben bei ihr war, sie nun allein zu lassen, dann forderte sie die Ankömmlinge auf, sich zu setzen. Es war kühl und behaglich in dem großen Zimmer, darin auf Goldgrund gemalte Heiligenbilder hingen.

»Was ist mit unserer Tochter? Wir dachten, sie würde uns erwarten,« sagte Sonnenkamp endlich schwer aufathmend.

»Ihr Kind, das wir auch unser Kind nennen dürfen – denn wir lieben sie nicht minder wie Sie – ist wohl und gesund; sie ist auch sonst immer sanft und geduldig, manchmal indeß hat sie einen unbegreiflichen Eigensinn, ja fast Starrsinn.«

Ein rascher Blick aus den Augen Sonnenkamps traf seine Frau, sie aber sah ihn an und zuckte nur leise mit der Oberlippe.

Die Oberin fuhr ruhig fort:

»Unsere gute Manna will ihre Eltern erst dann sehen, wenn sie im Voraus versprechen, daß sie noch den Winter bei uns im Kloster bleiben dürfe; sie behauptet, sie fühle sich noch nicht stark genug, um in die Welt einzutreten.

»Und Sie haben ihr diese Bedingung gewährt?« fragte Sonnenkamp und fuhr mit der linken Hand durch seine weiße Halsbinde, sich dieselbe lockernd.

»Wir haben ihr nichts zu gewähren, Sie sind die Eltern, Sie haben unbedingte Macht über Ihr Kind.«

»Ja wohl,« polterte Sonnenkamp, »ja wohl, wenn man ihr Gedanken einflößt . . . Doch bitte; ich habe Sie unterbrochen.«

»Durchaus nicht. Ich bin zu Ende, Sie haben zu entscheiden, ob Sie die Bedingung voraus gewähren, Sie haben die volle elterliche Macht. Ich werde eine Schwester rufen, die Sie nach der Zelle Manna's geleitet; sie ist unverschlossen. Ich habe nur den Wunsch des Kindes kundgegeben, nun handeln Sie nach Ihrem Ermessen.«

»Ja, das will ich, und keine Stunde soll sie länger hier bleiben!«

»Wenn auch die Mutter etwas drein reden darf . . .« begann Frau Ceres.

Sonnenkamp sah sie an, wie wenn ein stummes Geräthe plötzlich zu sprechen anfinge, und Frau Ceres sprach nicht zu ihm, sondern zur Oberin:

»Ich als Mutter erkläre, daß wir ihr keinen Zwang anthun; ich gewähre ihr diese Bedingung.«

Sonnenkamp stand rasch auf, krampfhaft faßte er die Stuhllehne, es arbeitete heftig in ihm; aber in überaus höflichem Tone sagte er:

»Roland, geh' nun zu Herrn von Prancken.«

Roland mußte das Kloster verlassen, sein Herz bebte. Dort oben ist seine Schwester – was wird mit ihr geschehen? Warum darf er nicht zu ihr, sie umarmen, sie küssen und ihr wie ehedem die schwarzen Locken auflösen? Er trat ins Freie, aber er ging nicht zu Prancken, er ging in die offene Kirche. Dort kniete er nach der religiösen Gewöhnung nieder, der Wunsch nach Frieden war der einzige Gedanke, der durch seine Seele ging.

Er sah auf und erblickte das große Bild des Heiligen in der Kirche – und wunderbar! dieses Bild glich Erich.

Lange starrte der Knabe drein, endlich legte er das Haupt in die Hände und – glückselige Jugend – er schlief ein.


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