Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band II
Berthold Auerbach

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Fünftes Capitel.

»Warum bist Du nicht einen Augenblick zu den ehrenwerthen Leuten heraufgekommen?« fragte Bella ihren Bruder, als Beide im Wagen saßen.

Wenn sie aus einer Gesellschaft in fremdem Hause kam, in der sie liebenswürdig gewesen, hielt diese Stimmung immer noch etwas vor; sie lächelte dann in die Luft hinein, und so war's auch jetzt; sie war im Ausklingen einer siegreichen Stimmung. Der Bruder aber kam aus einer ganz fremden Welt, er hatte heute noch mit Niemand gesprochen, als – wer hätte das je von ihm gedacht! – mit seiner eigenen Seele oder eigentlich mit der Seele Manna's.

»Ach, laß mich mit der Welt,« sagte er, »ich will sie vergessen und sie soll mich auch vergessen. Ich kenne das ja. Alles schal, öde, welk, Puppenspiel. Hast die Puppen dort eine Weile tanzen lassen, kannst sie jetzt wieder in den Schrank der Vergessenheit legen.«

»Du siehst etwas erregt aus,« sagte Bella, dem Bruder die Hand auf die Schulter legend.

»Erregt? Das ist auch wieder eine gesprächliche Spielmarke. Erregt! Wie oft habe ich nicht das Wort gehört und selbst gesagt. Was heißt erregt? Nichts. Ich bin zusammengebrochen und neu aufgebaut. Ach, Schwester, mir ist ein Wunder geschehen und alle Wunder sind mir offenbar. Ach, ich weiß nicht, aber ich werde mich schon wieder in die Weltworte finden.«

»Schön, gratulire, Du scheinst in Wahrheit verliebt.«

»Verliebt! O Gott, sage das nicht. Ach, daß ich mich noch schäme vor Dir, meiner einzigen Schwester, zu bekennen . . . Ach, ich hätte nie geglaubt, daß ich solcher Bewegung, solcher Erhebung noch fähig. O, Schwester, welch ein Mädchen!«

»Es ist nicht wahr,« sagte Bella und legte den Kopf in das schwellende Wagenkissen zurück; »es ist eine Fabel, daß wir Frauen die Räthsel der Welt seien; ihr Männer seid es weit mehr. Ueber dich, über Otto von Prancken, den Feinschmecker des Ballets, kommt nun solche Romantik. Aber gut, die beste Kraft ist die Illusionskraft.«

Prancken schwieg, und doch tanzten bei diesem Worte lustige, hochgeschürzte, schelmisch lächelnde Gestalten vor seiner Erinnerung und die zärtlichste hieß Nelly.

Der Herzschlag in seinem Busen pochte, dort wo das Buch in der Brusttasche steckte. Er war im Begriff, der Schwester zu sagen, daß er wie im Fiebertraume durch die Welt gehe, die nur ein Schattenspiel sei: da rollten Bahnzüge, beschauten sich Städte und Burgen im Strom, und Alles ist nur Schattenspiel und wird versinken.

Er konnte der Schwester seine Umwandlung nicht begreiflich machen, sie konnte es nicht fassen, faßte er selbst es ja kaum. Er beschloß, noch Alles in sich zu bewahren; und mit großer Selbstbeherrschung den Ton ändernd, sagte er lächelnd:

»Ja, Bella, die Liebesmacht hat gewissermaßen etwas Heiligendes, wenn das Wort erlaubt ist.«

Bella neckte ihn, daß er das in einem Tone sage, wie ein protestantischer Pfarrcandidat, der am Sonntag Nachmittag einem blonden in Rosa-Kattun gekleideten Pfarrerstöchterlein in der Laube des Pfarrgartens eine Liebeserklärung macht.

Otto konnte jetzt von Manna erzählen; er that es in so sanftem Tone und in so ergriffenem Ernst, daß Bella immer mehr staunte. Sie ließ ihn ruhig erzählen, aber sie klappte dabei die Finger der rechten und linken Hand ein und sagte leise vor sich hin:

»Siebenmal nußbraune Augen, dreimal Reh-Augen, verklärt ist ohne Zahl.«

Man fuhr durch einen kleinen harzduftigen Tannenwald, und Prancken sagte drein starrend:

»Seit dem Großonkel, dem Erzbischof Hubert, ist Keiner aus unserer Familie im Dienste der Kirche gestanden; ich werde . . .«

»Doch nicht Du?«

»Ich werde meinen zweiten Sohn der Kirche weihen.«

Bella, die sonst auf Alles eine rasche Erwiderung oder gewandte Fortführung hatte, antwortete nichts, und Otto empfand die Mißlichkeit, in einen neuen Ton einzulenken. Er, der Lustige, der Uebermüthige, mußte wie ein Prahler, der in eine Trinkgesellschaft gerathen war und sich als Genosse dargestellt hatte, immer weiter trinken, wenn's ihm auch nicht mundete.

»Ich möchte Dir einen Rath geben,« sagte Bella endlich.

»Ich höre gern.«

»Otto, ich glaube, daß in diesem Augenblicke Deine Stimmung wahr ist, ich will auch an ihre Dauer glauben; aber um des Himmels willen laß Dir nichts davon merken, denn man wird es als Heuchelei, als unterwürfige Werbung betrachten, damit Du diese reiche fromme Erbin gewinnst. Also, um Deiner Ehre, um Deiner Stellung willen verschließe derartige Extravaganzen. Ich spreche nicht aus mir, ich spreche aus dem Munde der Welt, verschließe derartige Verhimmelungen. Sei wie Du vor Deiner Reise warst, wenigstens vor dem Angesichte der Welt. Bist Du mir bös? Deine Mienen verziehen sich so schmerzlich.«

»O nein, Du bist gescheidt, ich folge Dir.«

Als wäre ein neues Register gezogen, fragte nun Prancken sofort:

»Wie sieht's auf der Villa aus? Ist die große Weltseele noch dort?«

Bella lächelte; der Bruder hatte wieder seinen scharfen Ton. Prancken selbst wollte ihn noch eine Zeit lang behalten, ja vielleicht immer, er ist eine gute Waffe zur Bekämpfung der Freigeisterei.

»Du meinst wol Deinen Freund?« konnte sich Bella nicht enthalten, ihren Bruder zu schrauben.

»Meinen Freund? Er war nie mein Freund, und ich habe ihn so nie genannt. Ich habe mich nur aus Gutmüthigkeit übertölpeln lassen. Es ist ein tiefer Zug in unserer Familie, wir können keinen geforderten Beistand versagen, und ich, wenn ich eine Gefälligkeit erweise, komme leicht in ein vertraulicheres Verhältniß als eigentlich angemessen ist.«

Bella übergab ihrem Bruder ein Briefchen, das sie von Fräulein Perini für ihn erhalten hatte. Prancken erbrach es und las; sein Gesicht erheiterte sich.

»Dürfte ich vielleicht das Briefchen von Fräulein Perini lesen?« sagte Bella, die Hand ausstreckend.

Otto übergab es. Es enthielt die Nachricht, daß Erich ohne Entscheidung abgereist sei.

Prancken athmete tief auf, dann aber machte er mit der Hand eine wegwerfende Bewegung. Bella fuhr fort, ihm zu berichten, wie sie eben in der Kaffeegesellschaft dafür gesorgt, daß die Weltseele – das Wort schien ihr für Erich sehr zu gefallen – sich eine andere Heimat zu suchen habe; der Landrichter werde ihm den Garaus machen. Staunend vernahm sie, daß Otto mit diesem Verfahren nicht einverstanden war. Es sei für das höhere Leben – er ließ unentschieden, ob er damit das höhere gesellschaftliche oder höhere geistige meinte – unbedingt unwürdig, sich einer Intrigue zu bedienen; er werde vielmehr offen zu Werke gehen und Herrn Sonnenkamp geradezu aufklären.

Bella war heiter und gar nicht empfindlich. Sie erklärte, wie lächerlich es sei, daß man von der Anstellung eines Hofmeisters so viel Aufhebens mache; eine solche Figur, wenn sie sich auch noch so sehr aufputze, bleibe immer untergeordnet.

Otto nahm sich vor, andern Tags Herrn Sonnenkamp zu besuchen und die Anknüpfungen Dournay's zu durchschneiden. Aber er ließ den nächsten Tag und noch einen zweiten vorübergehen, bevor er nach der Villa fuhr. Wenn fremde Werkzeuge die Sache zu nichte machen, ist's doch besser. Der Landrichter sollte Zeit haben, seinen Vorsatz auszuführen.

Am dritten Tage nach seiner Heimkehr fuhr Prancken nach der Villa. Er hielt beim Landrichter an, er wollte wissen, was dieser bereits gethan. Der Landrichter sagte so bescheiden als klug, er habe es nicht für angemessen gehalten, etwas zu thun, bevor er Herrn von Prancken gesprochen; er sei indeß bereit, sofort, wenn er seine Uniform angezogen, mit Herrn von Prancken nach Villa Eden zu fahren.

Prancken verbeugte sich verbindlich. So mußte er also doch selber in die Sache eintreten. Er lehnte das Anerbieten des Landrichters nicht ab; vielleicht ließ sich das etwas pedantische Männchen ins Vordertreffen stellen, man konnte durch ihn Fühlung gewinnen, wie und wo der Feind steht. Ein tactisches Manöver ist immer erlaubt, ja geboten. Man darf und muß den Feind packen, wie und wo man immer kann. Prancken legte sich die Methode zurecht: er wollte eine Scheinvertheidigung Erichs anwenden, um dem Landrichter besser und nachdrücklicher zum Erfolge zu helfen.

Die Beiden fuhren nach Villa Eden.


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