Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band II
Berthold Auerbach

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Achtzehntes Capitel.

Schön ist's im Thal am Ufer des Stromes, wo die Wellen so hastig und doch ohne sichtbaren Ausruhr dahin gleiten; zu schauen, wie das am Tage glänzt, jeden Farbenwechsel am Himmel widerspiegelt, die auf und ab eilenden Schiffe dahin trägt, und am Abend das stille Murmeln des Stromes zu vernehmen, den der Mond durchschimmert. Schön aber auch ist's, von der Bergeshöhe zu schauen in die Lande, über die Wälder, die Rebengelände, die Dörfer und Städte und den weithin sich dehnenden Strom.

Ein neues Aufathmen war auf Wolfsgarten, wo Alles belebt und erfrischt war. Das Bild Erichs und Rolands wurde immer mehr ausgeführt und daneben ordnete Erich die Sammlungen Clodwigs und leitete seinen Zögling in die Kunde des Alterthums ein. Es wurde gesungen, gelacht, spazieren gefahren und geritten in den umgebenden Wäldern und manches lebhafte Gespräch geführt.

Wenn Bella mit Erich im Park und durch den Wald wanderte, nahm sie oft ihren Papagei mit, er saß auf ihrer Schulter und war sehr unwirsch gegen Erich, zankte, sah ihn bedenklich, vielleicht eifersüchtig an. Bella ließ den Papagei oft fliegen und sagte ihm:

»Aber heut Abend, Koko, kommst du wieder heim,« und Koko flog auf einen Baum, flog waldaus, waldein, und man konnte sicher sein, daß er am Abend wiederkehrte.

Nun aber war Koko seit zwei Tagen ausgeblieben. Clodwig bot Alles auf, um den Papagei einzufangen, er merkte nicht, wie ruhig seine Frau über den Verlust war.

Wie von selbst fügte sich's, daß Bella mit Erich ging, während Roland mit Lina sich im Walde umhertummelte; das Mädchen war glücklich, sich wie ein ausgelassener Junge gehen lassen zu dürfen.

Roland saß auch oft in der Werkstatt des Töpfers, der die Thonerde, die aus dem nahen Berge ausgegraben wurde, verarbeitete; er ließ sich die ganze Verarbeitung zeigen und sah, wie viel Mühe und Sorgfalt ein einziger Topf erheischte. Zwei Jünglinge seines Alters traten den Thon mit nackten Füßen, um ihn geschmeidig zu machen; Gesellen formten Bauverzierungen, Kacheln und Fliesen. An einer Drehscheibe saß ein schöner, kräftig gebauter junger Mann, er trat das Drehrad mit nackten Füßen, zog dann mit großer Behutsamkeit den Thon in die Höhe zum Topf, bildete den Rand und die Schnauze, hob fast zärtlich das Vollendete von der Drehscheibe auf ein Brett und stellte es in die Reihe. Nie machte er mit seinen schweren Händen einen Druck, den er nicht beabsichtigt, und immer hatte er gerade so viel Thonerde genommen, als zu dem Topfe nöthig war.

Sinnend sah Roland Allem zu.

Der junge Mann, der die Töpfe formte, war stumm, er schaute Roland manchmal gutmüthig an und arbeitete dann ruhig weiter. Der Meister lobte den Stummen, und Roland wollte ihm gern etwas leisten; er schenkte ihm sein schönes Taschenmesser, das viele Instrumente enthielt.

Der Stumme war ganz glücklich über dieses Geschenk.

Wie hatte Erich sich sonst gefreut, daß Roland nicht gleichgültig am Dasein der Mitathmenden vorüberging. Jetzt hörte er seine Mittheilungen kaum an, sein eigen Leben schien gefangen von Anderem.

Eine Nachricht, die ein schön lithographirtes Blatt nach Wolfsgarten brachte, gab viel Gesprächsstoff. Die Tochter des Weingrafen hatte sich mit dem Sohne des Hofmarschalls verlobt und man fand es unerhört, daß der junge Mann, dessen naher Tod gewiß war, sich verlobte; noch unerhörter aber erschien es, daß das Mädchen, eine frische, üppige Erscheinung, sich dazu entschlossen hatte. Lina, die die Chronik der Gegend sehr gut kannte, erzählte, daß die Tochter des Weingrafen erklärt habe, sie sei zufrieden, wenn sie eine verwittwete Baronin sei. Eine tief gepreßte Stimmung, ein Etwas, das sich nicht ganz aussprach, lag in der Art, wie Bella sich über das Verhältniß äußerte, zumal gegen Erich, als müßte er wissen, was sie zum Theil verhüllte.

Die Zeitung brachte die Nachricht, daß der Bruder des Fürsten aus Amerika zurückgekommen sei und einen schönen Mohren, einen freigekauften Sklaven, mitgebracht habe.

Während man noch beisammen saß und den Eindruck besprach, den die Anschauung der amerikanischen Republik auf einen deutschen Prinzen machen mußte, kam Roland vom Walde daher und rief:

»Ich habe ihn!«

Er hatte den Papagei an den Krallen.

»Da bist Du ja, mein freigelassener Sklave!« rief Bella. Der Papagei riß sich von Roland los, flog auf die Schulter seiner Herrin und zankte gegen Erich.

Erich gab sich ganz dem Behagen hin, daß eine so schön angelegte und reich ausgestattete Natur in den Kreis seines näheren Umgangs getreten war. Er glaubte, daß der schmetterlingsartige Flattersinn eine berechtigte Eigenthümlichkeit der Frauennatur sei, welche er nur zu derb anfaßte. Er hatte bisher in Mutter und Tante nur die strenge Gewissenhaftigkeit und Betriebsamkeit auch in geistigen Dingen kennen gelernt; hier war eine Natur, die nichts als graziöses Schaumschlürfen wollte. Warum ihr Anderes zumuthen?

Man hatte einen Ausflug nach der Römerschanze verabredet, die Wagen standen bereit vor dem Hause, da zeigte sich ein schweres Gewitter am Himmel. Clodwig sagte, man solle nun die Fahrt unterlassen, Bella aber bestand auf der Ausführung.

»Wer wird sich von einem Gewitter abhalten lassen!« rief sie. »Es ist schön, das draußen zu erleben, und der Abend um so frischer und heller.«

Die Gesellschaft mußte ihr willfahren.

Das Gewitter kam schneller, als man vermuthet hatte; Bella lachte und scherzte, während es donnerte und blitzte. In einer Dorfschenke wartete man den Regen ab, dann wurde es wieder hell.

Als man zu Fuß zurückkehrte, bat Roland, daß Graf Clodwig mit ihm gehe, den Stummen zu besuchen, auch Lina ging mit ihnen. Erich und Bella waren vorausgegangen, sie wandelten auf der Hochebene am Bergesrande dahin, in der offenen Halle setzten sie sich nieder und schauten in die Landschaft hinein. Erichs Hand ruhte, ohne daß er es wußte, auf der Hand Bella's, er wagte nicht, sie zurückzuziehen. Bella verhielt sich regungslos. Sie sprachen lange kein Wort, endlich begann Bella, ohne ihre Stellung zu verändern, ohne den Kopf zu wenden, in die Landschaft hinausblickend, von den Peinigungen des Lebens zu sprechen, wie es doch so seltsam sei, daß ein einziger Entschluß alles fernere Dasein bestimme, und daß sie sich nie habe in das Loos der Frauen finden wollen, die alle ihre Anlagen und Empfindungen ins Kleine schicken müssen.

»Ich wollte, ich wäre älter,« sagte sie in einer seltsamen Betonung.

Erich konnte nichts erwidern. Nach einer Weile setzte sie fort:

»Ich werde älter, aber nicht alt.«

Wiederum war geraume Zeit Lautlosigkeit.

Bella lenkte das Gespräch auf das innere Heiligthum der Religion und sagte schwermüthig: ohne Glaube an ein ausgleichendes anderes Leben sei das Dasein ein grausames Räthsel. Erich wollte diesen Gedanken nicht erschüttern und suchte nur zu zeigen, daß man auch Beruhigung im reinen Denken finden könne. Es war ein seltsames Widerspiel in den Beiden; sie hatten das Gefühl, daß sie etwas über alles Leben Hinausgehendes und doch das Leben selbst besprachen, und das in einer Weise und nach einer Richtung, die sie sich selbst nicht bekennen mochten.

»Sie haben mich etwas gelehrt,« sagte Bella, als Erich in seinen Darlegungen inne hielt.

»Ich . . . Sie?«

»Sie haben mich gelehrt, wie man bei starkem Selbstgefühl doch sich unterordnen, bis zur Dienstbarkeit sich unterwerfen kann.«

»Meine Stellung als Lehrer ist nicht Unterwerfung und nicht Dienstbarkeit.«

»Sie verstehen mich nicht.«

»Wie soll ich Sie verstehen?«

»Es ist nicht nöthig. Ich habe es anders gemeint. Vergessen Sie es.«

Wieder war eine lange Pause. Erich zitterte, der Hut, den er in der linken Hand hielt, fiel zur Erde, Bella bückte sich schnell und hob ihn auf, Erich bückte sich zu gleicher Zeit und ohne daß sie es wollten, streiften sich ihre Wangen.

Eine Schwarzamsel kam vom Walde daher geflogen, hielt an der steinernen Stufe der offenen Halle zu ihren Füßen still und schaute die Beiden an; ein andrer Vogel pfiff vom Baume, dessen Blätter jetzt nach dem Gewitter so golden im Abendschein glänzten. Die Schwarzamsel flog auf zum Genossen auf dem Baume, dann flogen sie miteinander waldeinwärts.

Erich stand auf, auch Bella erhob sich. Sie gingen still. Erich hörte das Rauschen von Bella's Gewändern, er schaute um, als hätte er dergleichen noch nie gehört.

»Ich habe Ihnen, glaube ich, noch gar nicht mitgetheilt, daß ich Ihrer Ansiedelung in der Nachbarschaft entgegengearbeitet habe. Hatte ich Ihnen auch Angst eingeflößt?«

Erich konnte nicht antworten, er hörte seinen Namen wiederholt wie mit einem Hülferufe durch den Wald tönen.

»Gehen Sie voraus, gehen Sie, ich finde allein zurück,« sagte Bella schnell.

Erich eilte davon. Bella ging langsam hinterdrein.

»Herr Hauptmann, Sie sollen heimkehren!« rief ihm Bertram vom Pferde herab zu.

»Was ist geschehen?« fragte Erich.

Clodwig kam mit Roland und Lina herbei.

Bertram berichtete, daß auf der Villa im Zimmer des Herr Sonnenkamp eingebrochen sei; die Diebe hätten Mancherlei entwendet, aber den feuerfesten Geldschrank hätten sie nicht erbrechen können.

Bald saßen Erich, Roland und Prancken im Wagen und fuhren nach der Villa zurück; Prancken war sehr ärgerlich, denn er hatte die Verantwortlichkeit übernommen.

Erich war von quälenden Gedanken gepeinigt. Jene haben in der Nacht die Gemächer der Villa erbrochen, was hatte er gethan? Er hatte eine ihm anvertraute Seele vergessen, mehr noch, von Freundschaft und Güte eingelassen, hatte er unter der Verhüllung verständnißreicher Gedanken und edler Empfindung das höchste anvertraute Gut, die Gattin des Freundes mit Worten, Gedanken und Blicken angetastet. Er preßte die Hand aufs Herz, in ihm pochte es, als müßte es zerspringen. Jene dort, die geprägtes Gold entwendet, trifft die Strafe des Gesetzes, und Dich – was trifft Dich? Tief gepeinigt saß er da und als er gewahrte, daß der Blick Rolands auf ihm ruhte, schlug er die Augen nieder.


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