Victor Auburtin
Skizzen
Victor Auburtin

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Gedanken in einem Myrtenhof

In dem Myrtenhof der Alhambra gehe ich seit einer Stunde auf und nieder. Der Myrtenhof in der Alhambra ist ein regelmäßiges Rechteck und besteht ganz aus weißem Marmor mit weißen Säulen rechts und links. In der Mitte befindet sich ein Wasserbecken, das ebenfalls rechteckig ist und das weit von einer Myrtenhecke eingefaßt wird.

Zwischen dem Wasserbecken und der Hecke gehe ich also, wie gesagt, seit einer Stunde auf und nieder. Und es ist nichts zu hören als meine Schritte auf dem Marmorboden und das Gurren der weißen Tauben, die hier nisten, und ihr rauschender Flügelschlag. Darüber steht die ganze Zeit der schwarzblaue Himmel, stumm, furchtbar und erschütternd.

Um es offen zu sagen, bin ich mit einem gewissen Mißtrauen in die Alhambra von Granada gegangen. Das kommt vielleicht daher, daß man bei uns in Deutschland unter Alhambra ein Etablissement zu verstehen pflegt, in dem die aus Köpenick gebürtigen Three Sisters Smith auftreten. Wenn ein Bums aber schon ganz mies ist, geben wir ihm den herben, würzigen Namen Alhambra, so daß uns dieser Name fast labbrig im Munde schmeckt. (Umgekehrt wird ein solches Institut hier in Spanien el Kursaal genannt; so tauschen die Kulturen ihre Güter gegenseitig aus.)

Ferner sagt aber auch die Kunstgeschichte über dieses Gebäude allerlei Zweideutiges; es seien da künstliche Tropfsteinhöhlen und spuckende Löwen und dergleichen, und so geschah es, daß ich auf eine schlechte Erfahrung gefaßt war, als ich eben durch das Tor der Gerechtigkeit einschritt.

Aber als ich eben durch das Tor der Gerechtigkeit einschritt, da wußte ich ja noch nicht, daß in dem Myrtenhofe diese weißen Tauben nisten; das Wichtigste erwähnt die Kunstgeschichte nie. Sie laufen eifrig die marmornen Gesimse entlang; und wenn sich zwei begegnen, so verneigen sie sich voreinander; und sie spreizen die Flügel und sind ganz Glück.

Gute Vögel, die ihr die Tempel liebt; Vögel der Aphrodite und des Heiligen Geistes, welche Stunde habe ich hier mit euch verleben dürfen!

Übrigens bin ich nicht ganz allein. Ein alter Herr sitzt unter den Säulen, raucht seine Pfeife und liest ein uneingebundenes Buch.

Wie kann man, frage ich mich kopfschüttelnd, wie kann man in diesem Myrtenhofe ein uneingebundenes Buch lesen?! Aber wie ich einmal hinter dem alten Herrn herumgehe und in sein Buch sehe, merke ich, daß es ein arabisches Buch ist; und zwar ein arabisches Gedichtbuch, denn die Buchstaben stehen nur in der Mitte der Seite. Vielleicht die Werke des Dichters Jussuf ibn Hasan, der hier gelebt hat und der den kurzen Sukh-Vers erfunden hat, ein Anapäst zwischen zwei Jamben.

Der alte Herr liest immer eine Weile, dann blickt er auf und betrachtet sinnend die Säulen; und vergleicht die Melodie des Dichters mit dem marmornen Rhythmus.

Jetzt – aber das wird fast zuviel der Herrlichkeiten –, jetzt erscheint auf der Szene eine weiße Katze. Sie schreitet mit hocherhobenem Schwanze über das Parkett des Kalifen, als verstünde sich das von selbst. Dann hockt sie sich neben das Wasserbecken und beginnt zu trinken.

Nun ist aber allgemein bekannt, daß eine Katze, wenn sie trinkt, mit der Zunge wackelt. Und durch dieses Wackeln bilden sich in dem glatten Wasser konzentrische Kreise, die immer weiter hinausziehen... weiß Gott, der äußerste Kreis, den diese Katze hier bildet, muß nach meiner Berechnung einen Radius von drei Metern mindestens haben.

Wäre ich jetzt zu Hause in Berlin, so läse ich vermutlich eine Rede des Herrn Stresemann; und was in dieser Rede steht, das wußte ich schon vorher. Da ich aber in der Alhambra von Granada bin, beobachte ich, daß eine Katze, wenn sie trinkt, einen Kreis von drei Metern Radius erzeugt. Und das wußte ich vorher noch nicht.

Nebenan ist ein Saal, der heißt Saal der zwei Schwestern; ein anderer heißt Saal der Abencerrajes. Es ist alles klar, einfach und ernst; wie dieser Himmel da oben.

Überall Springbrunnen; und das Wasser läuft in Rinnen ab, daß es durch die Säle plätschert und unter den Galerien. Welch liebenswürdige Menschen haben dieses Haus gebaut; und wie müssen sie das Leben genossen haben.

 

Gewiß, sie haben das Leben genossen. Nämlich so: Eines Tages versammelte sich der ganze Hof festlich gestimmt in diesem Saale der Abencerrajes. Doch war das Wasser des zwölfeckigen Brunnens abgestellt; und man führte zwölf gefesselte Männer herbei, alles Könige und Königssöhne; man neigte ihre Köpfe über das Becken und schnitt ihnen die Hälse durch, allen zwölf zur gleichen Zeit. Und das Blut floß eilig durch die Rinne und stieg spielend und sprudelnd an der Fontäne auf. Allgemeiner Beifall aber belohnte das wohlgelungene Divertissement.

So kann man von dem Werk auf seinen Schöpfer schließen!

Dieser zärtliche Bau ist von den furchtbarsten Geschlechtern der Geschichte errichtet worden, und in den rosenfarbenen Kammern wurde gewürgt, jahrhundertelang. An diese zierliche Säule hier klammerte sich kreischend der Prinz, den sie zur Schlachtbank zerrten, und Gehirnmasse spritzte hoch auf zu den reizenden Mustern der Kachelwand.

Ach, und wie sie die Nachtigallen geliebt haben! Tausende von Nachtigallen schlugen in dem Park da unten, und kundigen Ohres hörte der Kalif ihnen vom kühlen Balkon aus zu. »Ich hatte doch für heute etwas vor«, dachte er dabei, »was war das doch gleich? Ach richtig: ich wollte ja meine allergnädigste Frau Tante aufhängen lassen.« Und er ging, um das Versäumte nachzuholen.

Überhaupt könnte man der Meinung sein, daß alle diese Schlösser und Sehenswürdigkeiten – in Spanien wie anderswo – erst jetzt so zauberisch wurden, nachdem die diesbezüglichen Potentaten und ihr Personal abgezogen und verduftet sind.

Einmal war ich mit einem deutschen Bekannten in Aranjuez; in den modrigen Gärten mit den umgestürzten Vasen und den eingeschlafenen Götterbildern; und der großen Stille. Schon nach fünfzehn Minuten ereignete sich, was nicht zu vermeiden war, und mein Freund begann langsam zu zitieren: »Die schönen Tage von Aranjuez sind nun vorüber.«

»Nein«, sagte ich ernst, »jetzt sind die schönen Tage von Aranjuez.« Und ich zeigte auf die ungeheure Platanenterrasse am Tajo; sie war ganz einsam und flammte wie Gold von all den abgefallenen Blättern.

So hier in der Alhambra. Das eigentliche Wohngebäude hat einen Durchmesser von etwa vierzig Metern; eine bessere Wohnung in der Kaiserallee zu Wilmersdorf ist größer. Und darin nun der königliche Hof, mit den Leibköchen, den Leibeunuchen und den hundertzwanzig Leibbeischläferinnen; mit den Hofastronomen, den Hofschuhputzern und den Hofpoeten... Man kann sich den Krach ausmalen! Und den Klatsch und das Türenschlagen. Heute, an diesem seligen Wintertage, steht das Säulengebäude still und klar da, wie ein Spiegeltraum über der Wüste.

Das kommt daher, daß heute eben nur zwei Menschen hier sind. Von denen der eine die Verse des Dichters Jussuf ibn Hasan liest; und der andere sich an einer trinkenden Katze aufregt.

 


 


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