Victor Auburtin
Skizzen
Victor Auburtin

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Paris

Ich habe mir eine Rebhuhnpastete mit in mein kleines Hotelzimmer genommen und esse sie an dem Fenster, das nach dem stillen Hofe zu geht. Diese Pastete soll zusammen mit einer Flasche Burgunderwein mein Frühstück sein an dem heimlichen Pariser Tag.

Die Mittagsonne fällt senkrecht in den Hof und zieht einen breiten hellen Streifen, der durch vier Stockwerke in die Tiefe geht. Diese Konstellation haben sich vier Katzen ausgenutzt, vier jener großen, braunen Pariser Katzen. In den sonnigen Fenstern der vier Stockwerke sitzt je eine Katze und wärmt sich; vier Katzen senkrecht übereinander.

Das sieht sehr komisch aus, aber den Katzen scheint das gleichgültig zu sein, und sie kümmern sich um die Komik gar nicht. Sie sonnen sich ernst und gründlich und sind vier schöne runde Geschöpfe, die die guten Gaben der Gestirne und der Weltgesetze gelassen für sich in Anspruch nehmen.

 

In den anderen Fenstern des Hofes, die kühl und schattig sind, regt es sich hier und da. In dem einen schnurrt eine Nähmaschine los, und daran sitzt ein blasses Mädchen, das schwarze Haare hat und die Augen der großen babylonischen Hure. Hinter einem anderen Fenster nebenan sitzt tagaus tagein in seinen Büchern vergraben ein Priester und schreibt. Er schreibt einen Kommentar zu Bossuets Leichenrede auf den großen Condé, der das Schwert Frankreichs in zwanzig Schlachten gezogen hat.

Nach verzehrter Pastete gehe ich hinunter und auf die enge Straße hinaus, um so einen Spaziergang zu machen. Und da sehe ich wieder jene blinde Frau, die neben meinem Hotel an dem Durchgang sitzt und Blumen verkauft.

Diese blinde Frau sitzt ganz aufrecht da, hat über die Knie ein kleines Brettchen gelegt, auf dem einige billige Blumen liegen, und an der Brust ein Schild, auf dem geschrieben steht: Pensez à l'aveugle s.v.p. Sie hat graue wirre Haare und die großen tragischen Gesichtszüge der Schauspielerin Eleonora Duse.

Wie es nun gekommen ist, daß ich dieser Frau niemals eine Blume abgekauft und ihr auch sonst nie ein Geldstück geschenkt habe, das weiß ich nicht. Vielleicht geschah es nur deshalb, daß mich eine Schuld und die verwirrenden Fäden eines Schicksals mit dieser Stadt verbinden sollten.

Denn wenn ich jetzt an Paris denke, so steht vor meinem Auge die bettelnde Duse, und in meinem Herzen rauscht es auf, und meine Augen beginnen zu brennen in Scham und Sehnsucht.

Selbst in den Winkeln deines Elends bist du schön, edelste und trauteste der Städte.

 


 


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