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Bevor wir die Geschichte des Herrn Pastinazi aus Neurode betrachten, muß erst einmal ganz kurz von seinem Hunde Schuft berichtet werden. Der Leser wird gleich selber einsehen, warum.
Also Herr Pastinazi, der Buchhalter bei Tomaschek in Neurode war, hatte ursprünglich zwei Hunde gehabt, den Schuft und den Tobak. Schuft war ein kleines, krummes Luder, so eine Kreuzung aus Pinscher, Teckel, Mops, Terrier und Wachtelhund. Tobak war dagegen ein etwas stattlicherer Hund, der fast für einen kleinen Bernhardiner gelten konnte. Schuft und Tobak vertrugen sich sehr gut, sie spielten miteinander, schliefen in einem Korbe und leckten sich gegenseitig die Hintern, was bei den Hunden – namentlich den schlesischen – als ein Beweis von zartem Gemüt und von Seele gilt. Aber trotzdem scheint bei beiden die Freundschaft nur eine äußerliche gewesen zu sein, während sie sich in ihrem respektiven Inneren vielleicht allerlei Gedanken machten.
Bei Schuft war das ganz sicher. Schuft war ein armer, vergrämter Kerl, und es war nicht zu verkennen, daß er gegen den imposanteren Tobak einen heimlichen Neid hegte. Wenn beide zu Mittag in der Küche ihr Näpfchen vorgesetzt bekamen, so verzehrte Schuft seine Portion mit dem Ausdruck tiefster Bekümmernis und war offenbar sehr gekränkt darüber, daß der Tobak auch etwas bekam. Ja, er ging in seiner Eifersucht so weit, daß er das widerlichste und ekelhafteste Zeug, was man ihm versetzte, schnell auffraß, nur damit der infame Tobak nichts davon abbekäme.
Und dieses hatte nun Herrn Pastinazi auf einen sonderbaren und vielleicht nicht allzu zarten Spaß gebracht. Er pflegte nämlich auf ein Stückchen Brot Mostrich, Pfeffer und Salz zu tun und das alles zu einem Kügelchen zu formen. Diese kleine Höllenbombe legte er dem Schuft vor, der natürlich zunächst davon nichts wissen wollte. Aber wenn Herr Pastinazi dann rief. Komm, Tobak! so schlang Schuft schnell das Teufelszeug herunter, weil er dem Tobak nichts davon gönnen wollte.
Später starb dann Tobak, und Schuft blieb allein mit Herrn Pastinazi in der Welt zurück. Aber das Sonderbare war nun, daß sein Neid und seine Eifersucht auch jetzt noch nicht nachließen. Tobak lag schon jahrelang unter der Erde, und immer noch machte Herr Pastinazi das Experiment mit der Mostrichkugel. Er legte sie dem Schuft vor, rief Tobak, komm! und dann würgte der Schuft das Zeug herunter, aus Angst, der tote Tobak könne auch etwas davon abbekommen.
So weit also die Eigentümlichkeit und Geschichte des neidischen Schuft, und nun kommen wir zu Herrn Pastinazi selber. Man wird es bald weghaben, warum wir diesen Umweg machen mußten. Denn es ist erstaunlich, welche Ähnlichkeit und welch Parallelismus bisweilen zwischen den Menschen und ihren Haustieren verwalten kann.
Also Herr Pastinazi, den man sich als ein dünnes Junggesellchen von zweiundsechzig Jahren vorzustellen hat, war Buchhalter in der Holzgroßhandlung von Tomaschek zu Neurode in der Grafschaft Glatz. Es war noch ein anderer Buchhalter da, der Herr Miller, und mit diesem Miller stand sich Pastinazi nun ungefähr so ähnlich, wie sich Schuft zu dem seligen Tobak gestanden hatte. Sie arbeiteten zusammen in einem Zimmer, und Pastinazi war freundlich und höflich zu Miller, bestand aber genau auf seinem Recht. Und würde es sich auf das allerentschiedenste verbeten haben, daß dem andern irgendein Vorteil oder so eine Art Privatvergünstigung eingeräumt werde, an der er selber keinen Anteil gehabt hätte.
Wenn also beispielshalber der Prinzipal, Herr Tomaschek, in das Zimmer kam und dem Miller eine Zigarre anbot, so schnitt Pastinazi auf seinem Stuhl ein so empörtes Gesicht, daß er gleich auch eine abbekam. Dabei machte sich Pastinazi gar nichts aus dem Rauchen, sondern ihm wurde im Gegenteil immer hinterher ganz übel. Aber darauf kam es ja gar nicht an, denn Recht muß doch Recht bleiben, und was dem einen recht ist, das ist dem andern billig. Und ähnlich war es in allen Dingen, so daß der Prinzipal sich schon von selber hütete und die strengste Gerechtigkeit obwalten ließ, damit dieser sonderbare Pastinazi nicht den geringsten Grund zu etwelchen Beschwerden finden könnte. Denn offenbar lauerte er auf solchen Grund heimlich und scharf, wie der Angler am stillen Wiesenufer auf den Korken lauert, ob er nicht wackelt.
Da geschah es nun eines schönen Maimorgens, als Pastinazi ins Bureau trat, daß er beobachtete, wie Miller mit dem Herrn Tomaschek leise sprach und offenbar etwas Niederträchtiges abmachte. Gleich ahnte er nichts Gutes und beschloß, sehr auf der Hut zu sein, daß der andre ja nicht etwa wieder irgendein Vorsprünglein erwische in dem mühseligen Wettlauf des Lebens. Es ereignete sich vorläufig aber nichts, sondern eine ahnungsvolle Stille lagerte über dem Gelände, bis gegen Mittag Miller nach der Uhr sah, die Feder hinlegte und sagte: »Na, nun kann ich es mir ja allmählich gönnen.«
»Was können Sie sich gönnen?« fragte Pastinazi mit kerzengerade gespitzten Ohren.
»Sie haben doch gehört«, sagte Miller, »daß ich seit Jahren an chronischer Verstopfung leide. Gestern war ich nun beim Arzt, und der hat verordnet, daß ich jeden Vormittag in frischer Luft eine halbe Stunde Dauerlauf machen soll. Na, da habe ich mit Herrn Tomaschek gesprochen, und er hat nichts dagegen. Er hat mir sogar sein Gärtchen zur Verfügung gestellt, in dem ich täglich meinen Dauerlauf ganz bequem machen kann, ohne jemand irgendwie zu stören.«
Damit stand er auf und ging in aller Gemächlichkeit hinaus und in den Garten hinunter.
Das Gärtchen des Herrn Prinzipals lag unter den Fenstern des Bureaus, in dem die beiden Buchhalter arbeiteten, und vom Tisch aus konnte man hineingehen. Es war ein freundliches Gärtchen und so sauber und putzig, wie die Gärtchen alle in der Grafschaft Glatz zu sein pflegen. In den vier Ecken waren Fliederbüsche und in der Mitte zwei Rasenbeete, die mit Begonien eingesäumt waren. Und auf jedem Rasenbeet stand eine Gipsfigur mitten drauf, nämlich auf dem einen die Büste Seiner Majestät des Kaisers, auf dem andern der Kopf der klagenden Niobe. Zwischen den Beeten aber schlängelte sich ein kiesbestreuter, weißer Weg, der in Form einer Acht oder einer Bretzel in sich abgeschlossen war.
All diese Herrlichkeit konnte Pastinazi von seinem Platze überschauen und mußte nun mit ansehen, wie Miller – mitten in der Arbeitszeit – da unten die Pforte aufmachte und in das Edengärtlein eintrat. Dann stemmte Miller die Arme in die Hüften und begann den Weg entlang zu traben, immer die Bretzel ringsherum. Und wenn Miller die Bretzel zehnmal abgelaufen hatte, dann hielt er inne, um sich ein wenig zu verschnaufen, und lustwandelte langsam und wollüstiglich durch die Bosketts, wobei er hie und da an einer Blume roch und vor der klagenden Niobe stehenblieb, um sie in aller Gelassenheit zu betrachten.
Das alles wurde von nun an jeden Mittag aufgeführt, und acht Tage lang sah es sich Pastinazi von dem Tische aus an, an dem er unterdessen arbeiten sollte, und wurde blau und gelb. Dann packte ihn eines Mittags, als Miller gerade unten war, die Wut. Er ging in das Privatkabinett des Prinzipals nebenan, blieb da an der Tür stehen und fragte heiser und zitternd: »Ich möchte nur fragen, wie Herr Miller dazu kommt, jeden Vormittag eine halbe Stunde spazierenzulaufen, während ich hier oben sitzen und Rechnungen aufstellen muß?«
Der Prinzipal war nicht in der richtigen Laune, Pastinazis Gram zu würdigen. »Sind Sie auch krank?« fragte er. »Sie wissen doch, daß Miller an Verstopfung leidet und daß ihm der Arzt den Dauerlauf verordnet hat.«
»Ich weiß nur«, sagte Pastinazi bebend, »daß ich eine halbe Stunde mehr arbeiten muß als er und doch nicht besser bezahlt werde.«
»Zum Donnerwetter«, rief der Prinzipal, »nun wird es mir aber zu bunt mit der Neidhammelei. Sie sollen genau ebenso wie Miller in den Garten hinunter, wenn es Ihnen Spaß macht, aber nur unter der Bedingung, daß Sie ebenso Dauerlauf machen wie er.«
»Hahaha!« schrie Pastinazi, »wenns nur darauf ankommt, das werden wir gleich haben; die Finten kennen wir schon.«
Und damit stürmte er hinaus, die Treppe hinunter, riß unten die Gartentür auf, zum größten Erstaunen Millers, der mitten im besten Rennen war, und begann nun seinerseits die Wegbretzel in entgegengesetzter Richtung durchzugaloppieren, das der Kies stob.
»Verstopft sein kann jeder!« schrie er seinem Gegner zu, als sie sich in der Mitte begegneten. Und als er sich verschnaufen mußte, da ging er stracks auf den Flieder los, der just in diesen Tagen in himmlischem Maiflor stand, grabschte wild nach einer Dolde und roch voll Wut daran, indem er über die blauen Blüten hinweg heillose Blicke nach Herrn Miller abschoß.
Seit dieser Zeit hat der Buchhalter Pastinazi täglich seinen Dauerlauf gemacht bei Regen und Sonnenschein bis in den Winter hinein. Und es war ihm sehr gleichgültig, ob sich ganz Neurode über ihn lustig machte und ob die Dienstmädchen lachend aus den Fenstern in den Garten sahen, wo die beiden Buchhalter von Tomaschek ihre Bretzeln herumrasten wie die Wilden. Denn Recht muß doch Recht bleiben, und was dem einen recht ist, das ist dem andern billig. So sagte er, kniff die Fäuste in die Seiten und rannte durch die kahlen Büsche, daß ihm die Augen aus den Höhlen traten, und seine arme, alte Lunge pfiff wie eine Amsel im März.
Bis er plötzlich anfing, Blut zu spucken. Denn in der Welt ists eben anders als im Sprichwort, und was dem einen recht ist, das ist dem andern noch lange nicht billig. Miller war verstopft, und dem war der Dauerlauf recht, so daß er schlank und geschmeidig wurde; Pastinazi aber litt an Asthma, und dem bekam es schlecht. Er holte sich in aller seiner Wut und in seinem Jammer den Knacks fürs Leben, so daß ihm der Doktor sagte, er möchte sich nun mit seinen zweiundsechzig Jahren einen geruhigen Lebensabend gönnen.
Woraufhin er mit halbem Gehalt pensioniert wurde und zu Hause bleiben durfte.
Zu Hause aber fand er den Schuft vor, der immer noch so possierlich war wie früher. Und dieser Schuft war nach allem die letzte Freude, die Herrn Pastinazi blieb, und das einzige, was ihn in seinem Zusammenbruche noch so etwa aufheitern konnte. Denn immer war es noch ein Hauptspaß mit dieser Mostrichkugel.
Wenn Herr Pastinazi seine kümmerliche Krankenmahlzeit hinter sich hatte, machte er ein Kügelchen aus Brot, Senf und Pfeffer, legte es dem Schuft hin und rief: Komm, Tobak! Dann schnitt der Schuft ein gräßliches Gesicht und schlang die Pastete herunter, damit sein toter Freund nur ja nichts davon abbekäme. Und dann mußte der pensionierte Herr Pastinazi immer wieder darüber lachen, wie einfältig und, wenn man so sagen darf, wie geistlos solch Viehzeug doch gewissermaßen sein könne.