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Samuel läßt die Schätze Amaleks einschiffen (S. 181).

XX.
Die Kapitulation

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Der Hohepriester und Pendragon zogen sich für kurze Zeit zurück, um sich zu beraten.

Was sie zusammen sprachen, wird niemals erzählt werden, denn ich selber habe es nicht erfahren und mein Freund Samuel war, trotzdem daß er ein sehr feines Ohr hatte und überall seine Spione bezahlte, dennoch nicht im stande, das Geheimnis zu erraten.

Übrigens haben uns die tragischen Ereignisse, die jetzt folgten, nur allzu gut darüber aufgeklärt.

Ich meinesteils sah nur die feste Haltung des Hohenpriesters und des Galliers. Dieser war der Bittende, jener blieb unerbittlich. Endlich trennten sie sich, nachdem sie sich wie ein Vater und ein Sohn, die sich nicht mehr sehen sollten, umarmt hatten. Selbst in den Augen des Galliers sah ich etwas, das einer Thräne glich, und der stolze Gallier war doch sicherlich nicht der Mann, um über sich selbst zu weinen.

Er kam zu uns und sagte zum Inder:

»Bringe dem König die Aufträge Amaleks. Dann will ich dir die meinigen mitteilen.«

Er ging hinaus, um mit seinen Soldaten zu sprechen. Hierauf ließ Amalek, der sein mit Edelsteinen besätes Brokatkleid angezogen hatte, die vornehmen chaldäischen Priester und Drangianen kommen und in ihrer Gegenwart, mit einer Hand auf die Tochter sich stützend, mit der andern auf ein großes, massiv goldenes, am Griff mit Diamanten besetztes Zepter, das nach der Tradition dem ersten König der Chaldäer, Assur, gehört hatte, sprach er:

»Pandou, höre meinen letzten Willen. Alexander will mein Leben, den Tempel und die Schätze Baals haben und das Heiligtum entweihen. Ich füge mich; ich lege die Waffen nieder! Man wird die Thore öffnen!«

Bei diesen Worten gaben die Priester ihr Staunen und Entsetzen zu erkennen.

»Ah!« sagte Samuel ganz leise zu mir, »Amalek ist doch nicht so stolz, als ich geglaubt habe.«

Der Hohepriester fuhr fort:

»Ja, man wird die Thore öffnen und keinen Widerstand leisten; der König wird alles in Besitz nehmen! ... Alles! versteht Ihr wohl? Alles, was der rächende Blitzstrahl Baals ihm erlauben wird zu nehmen. Wenn der König den Kampf mit Baal aufnehmen will, so soll er es haben!«

Diese Worte wurden mit feierlichem und drohendem Ernst gesprochen. In der That, ich, der ich niemals an Baal geglaubt habe, ich war nicht sicher, ob dieser Gott nicht seinen Priester rächen würde.

Er sagte ferner:

»Ich mache nur eine einzige Bedingung; wenn er sie zurückweist, so werden wir die Thore des Tempels schließen und uns bis auf den Tod verteidigen.«

– »Welche?« fragte erstaunt Pandou.

– »Daß niemand Hand lege an das Leben und das Privateigentum der chaldäischen Priester.« ...

– »Alexander hat das bereits angeboten«, erwiderte der Inder.

– »Und daß man sie frei ausgehen lasse mit Weib und Kind und sich, sei es nach Babylon, sei es in die Dörfer Babyloniens, zurückziehen lasse.«

– »Zugestanden. Aber Ihr, Amalek?«

– »Ich brauche nichts und ich unterhandle nicht für meine Person«, sagte der erhabene Greis. »Wenn es Baals hoher Wille ist, so wird er mich schon zu verteidigen wissen.«

– »Aber Eure Tochter?«

– »Drangiane steht jetzt unter der Obhut ihres Gatten Pendragon, welchen die Götter begünstigen!«

Diese Antwort setzte mich in Erstaunen und beunruhigte mich zugleich, denn ich sah mich, wie Samuel, von der Kapitulation ausgeschlossen.

Als ich Gegenvorstellungen machen wollte, nahm mich der Jude auf die Seite und sagte:

»Sosikles, du bist etwas bleich. Was beunruhigt dich?« Ich antwortete barsch und in übler Laune, wie man sich denken kann:

»Oh! eine Kleinigkeit; die Furcht gehenkt zu werden, gerade wie du.«

– »Warum denn, Sosikles?«

– »Weil dieser alte Amalek, der den Großherzigen spielt, und keinen Vorbehalt macht als für seine Priester, uns der Willkür des Königs ausliefert, der für seine Person mich gern am Galgen aufknüpfen würde, um ein Exempel aufzustellen!«

Samuel lachte:

»Merkst du denn nicht«, sagte er, »daß Pendragon in dem Vertrag auch nicht erwähnt ist, ebensowenig als Drangiane? Sei ruhig. So lange Pendragon das Schwert an seiner Seite hat, haben wir nichts zu fürchten. Er ist nicht der Mann, um sich pfählen zu lassen, ohne vom Leder gezogen zu haben.«

– »Wohl, aber wenn man ihn ermordet, oder wenn er verraten wird, oder wenn der König, der sogar hier in Babylon über eine Armee von vierzigtausend Mann verfügt, dem Gallier eine Schlacht liefert, glaubst du, daß Pendragon mit seinen zweihundert Reitern, von denen vielleicht die Hälfte bereit ist, ihn im Stich zu lassen, sich lange werde verteidigen können?«

Samuel gab mir folgende weise und inhaltschwere Antwort, die Frucht der Weisheit vieler Philosophen: »Sosikles, Sosikles, wenn der Himmel einstürzte, wie viel Lerchen würden gefangen werden!«

In diesem Augenblick kehrte Pendragon zurück, begleitet von den Zurufen seiner Soldaten.

Ich vernahm nicht, was er ihnen gesagt und vorgeschlagen hatte, aber alle erhoben ein begeistertes Freudengeschrei. Übrigens lautete, nach der späteren Angabe eines der wenigen, welche diesen schrecklichen Tag überlebten, seine Ansprache ungefähr folgendermaßen:

»Freunde und Brüder, wir befinden uns alle in einer schrecklichen Gefahr ... Alle, welche euch um eure Heldenthaten beneiden, sind um Alexander geschart. Man beschuldigt, man verleumdet uns, man bedroht uns mit dem Tode.« (Oh! oh! riefen die Soldaten.)

Er fuhr fort:

»Man spricht davon, euch zu entwaffnen, mich zu ergreifen, mich, euren Anführer. (Nieder mit den Verrätern!) Man verzeiht es uns nicht, die ganze Armee und den König am Tage von Arbela gerettet zu haben. (Wahr! sehr wahr!) Man verzeiht es uns noch weniger, das Feldlager von Dareios eingenommen zu haben. ... Man beneidet uns um die kostbare Beute, die wir damals machten und um die Tausende von Dareiken, die ich damals unter euch verteilte ...« (Hoch Pendragon!)

Dann erhob er die Hand gen Himmel und fügte bei:

»Brüder, zwischen euch und mir ist alles gemeinschaftlich, nicht wahr?«

– »Ja, Pendragon, wir werden dir überallhin folgen!«

Jetzt, nachdem er die tapfern Leute durch das Erwähnen ihrer Heldenthaten und der Dareiken, die er ihnen ausgeteilt, entflammt hatte, machte er ihnen einen Vorschlag, dessen Bedeutung man alsobald einsehen wird.

Ich komme auf die Antwort zurück, welche der eingetretene Pendragon dem Abgesandten Pandou gab.

»Der Hohepriester Amalek hat für sich und die Seinen unterhandelt«, sagte er. »Jetzt ist es an mir, für meine Freunde und für mich selber zu sprechen.«

Er hob stolz das Haupt und auf sein Schwert gestützt, fuhr er fort:

»Ich bin Pendragon, der Sohn Astaraks, und stamme aus dem edelsten Blut Galliens. Ich wünsche, hoffe und fürchte nichts von Alexander. Wenn das große Thor des Baalstempels geöffnet sein wird, werden alle Chaldäer mit ihren Weibern und Kindern und Schätzen wegziehen. Das wird dauern bis zur zwölften Stunde des Tages. Bis dahin ist es allen Makedoniern und dem König selber untersagt, den Fuß in den Tempel zu setzen. ...

Im Notfall«, fügte er stolz und auf sein Schwert zeigend hinzu, »werde ich diesem Verbot Respekt verschaffen.«

– »Und dann?« fragte Pandou.

Der Gallier erwiderte:

»Dann? ... haben die Götter zu entscheiden. Ich werde den Tempel zu Pferde mit meinen zweihundert Reitern und meinem Weib Drangiane verlassen und die große Straße von Babylon auf dem rechten Ufer des Euphrat hinaufziehen; und wenn jemand, wäre selbst es Alexander (und dann erst recht, wenn es Alexander ist) mir den Weg zu vertreten versucht, so sollst du wissen, Freund Pandou, daß es nicht einen einzigen Feigling in meiner Schar gibt, und die Babylonier werden einen schönen Tanz hören. Beim Teutates! ich werde dann ein Ragout für die Raben zubereiten und in diesem Ragout wird auch das Fleisch des Königs sein!«

– »Wohlan«, sagte Pandou, zu dem makedonischen Reiter sich wendend, der ihn begleitet hatte, »du hast die Antwort gehört, Kassandros, bringe sie deinem Herrn. Ich selber bleibe bei Pendragon.«

Der erstaunte Kassandros gehorchte.

Amalek wandte sich jetzt gegen Samuel und mich und sagte:

»Folgt mir mit Pendragon und Pandou.«

Als wir uns in ein geheimes Zimmer zurückgezogen hatten, das in die dicke Mauer eingelassen war, sagte er:

»Du, Samuel, wirst die Fortschaffung dieser Kisten überwachen ...«

Der Jude hob die nächste auf und sagte:

»Sie ist sehr schwer, man möchte glauben, es seien Dareiken darin.«

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Ein makedonischer Offizier erschien (S.180).

»Stille!« erwiderte der Hohepriester. »Es ist mein Privatschatz. Meine Sklaven werden ihn durch die unterirdischen Gewölbe nach dem Euphrat schaffen. Man wird ihn wie eine gewöhnliche Ware auf den Kauffahrteischiffen, welche ich seit drei Wochen im Hafen bereit halte, einschiffen. Es ist die Mitgift Drangianens. Was aber den Schatz des Baal betrifft, so wird es an ihm sein, denselben zu verteidigen und mit seiner allmächtigen Hand das Haupt der Räuber und Mörder zu treffen.«

– »Und Ihr, Herr?«

– »Ich bleibe.«

– »Vater, komm mit uns!« rief Drangiane.

– »Ich bleibe«, sprach der Hohepriester, »denn es ist meine Pflicht, mit dem Tempel zu fallen, wenn der Tempel fallen soll! ...«

Dann trat er zu uns und sprach zu Pendragon:

»Ich hatte diese Nacht einen Traum, und ich weiß, daß die Träume die Stimme der Götter sind. Baal rief mich zu sich, und mein Urahn Assur, der Erste und Größte meines Stammes, zeigte mir neben sich, zu den Füßen Baals, einen Sitz. ... Du, Sosikles, wirst Pendragon als Führer dienen.«

Dann gab er mir einen Auftrag, dessen Wirkung man bald erkennen wird.

Indessen ließ sich ein zweiter Trompetenstoß auf dem großen Platze vernehmen.

»Es scheint«, sagte Pendragon, »daß Alexander eine andre Antwort erwartete und uns andre Vorschläge machen will.«

Wirklich erschien ein makedonischer Offizier und sagte zu dem Gallier:

»Alle eure Bitten sind bewilligt.«

– »Gut«, antwortete jener.

– »Aber«, fuhr der Makedonier fort, »Alexander hat mich beauftragt, dir zu melden – er wendete sich hier gegen Pendragon – daß er gewillt ist, dich zu begnadigen ...«

»Ah! ah!«

– »Vorausgesetzt, daß du, allein und ohne Waffen, dich in seine Hände lieferst.«

– »Und wenn ich mich weigere?«

– »Dann wird er dich ans Kreuz schlagen lassen.«

Bei diesem Worte, das ihm die Strafe der Sklaven in Aussicht stellte, erwiderte Pendragon mit schrecklicher Stimme:

»Kehre um, Elender!«

Dieser gehorchte erschrocken, ohne zu wissen warum.

Zum Unglück für ihn, der zuoberst auf der großen Treppe stand, versetzte ihm Pendragon einen Fußtritt, daß er die sechzig Stufen hinunterkollerte.

Und als er übel zugerichtet, sich aufrichtete, setzte Pendragon hinzu:

»Da hast du meine Antwort. Bringe sie deinem Herrn und sage ihm, wenn ich ihn treffe, würde ich ihm das gleiche Los bereiten.«

Der arme Makedonier, der sehr ungern sich dieser unverschämten Botschaft unterzogen hatte, beeilte sich ohne Zweifel nicht gerade, diese Antwort zu überbringen; er trat zum großen Eingangsthor hinaus unter dem Hohngeschrei und Gelächter der verlornen Söhne, seiner alten Kameraden.

»Und nun«, sagte Pendragon, der das Kommando übernommen hatte, »ist es an euch, Chaldäer, hinauszugehen.«

Und wirklich öffnete sich das Thor und alle Bewohner des Tempels gingen hinaus, weinend und ihr Kostbarstes mit sich tragend. Es waren ihrer ungefähr fünfzehnhundert, Männer, Frauen, Kinder. Alle warfen sich, bevor sie den Tempel verließen, vor Amalek nieder, der die Hände über sie hielt und von ihnen für immer Abschied nahm.

Während dieser Zeit ließen die Diener des Priesters die Glocken läuten. Assur und Nabopolassar erschallten durch die Luft und Semiramis ließ, noch kräftiger als sie, ihren tiefen Baß hören, der den stärksten Donner übertönt hätte und die Stimme des erzürnten Baal selber zu sein schien.

Von der Höhe des großen Turms, den ich bestiegen hatte, sah ich alle Bewohner Babylons sich zur Erde beugen, die einen auf den Straßen, die andern auf den Terrassen ihrer Häuser Baal um Mitleid anflehend und ohne Zweifel auch seinen Zorn herabwünschend gegen diesen gottlosen Alexander, der sein Heiligstes zu entweihen im Begriff stand.

Endlich nahte die zwölfte Stunde des Tages. Alle Priester waren mit ihren Familien und ihren Schätzen ausgezogen. Samuel war schon längst mit den Sklaven weggegangen, um die Schätze Amaleks einschiffen zu lassen.

Der Hohepriester blieb allein zurück mit seiner Tochter Drangiane, mit Pendragon und dessen Soldaten. Ich selber sollte, obschon sehr ungern, mit ihnen als einer der Ihrigen abziehen.

Da schloß der Priester Amalek seine Tochter und den Gallier in seine Arme und sprach:

»Laßt mich allein!«

Sie mußten gehorchen. Wir stiegen alle zu Pferde, auch die Prinzessin Drangiane, welche sich an ihren Vater hing und ihn mitführen wollte, aber er war nicht zu bewegen und sprach:

»Dieser hier (er zeigte auf Pendragon) ist von jetzt an dein Gatte und Meister. Baal will, daß du ihm folgest und ihm allerorten gehorchest!«

Sie kehrte sich weinend ab und Pendragon gab das Zeichen zum Aufbruch.

Aber nichts war schwieriger, als aus dem Tempel zu kommen. Hier begann ich, Sosikles, Sohn des Meriones, der bei Chäroneia als Kämpfer für die Freiheit von Athen fiel, und Nachkomme des unerschrockenen Polystratos, der einer der Sieger bei Marathon war – ja, hier begann ich es zu bereuen, daß ich im Vertrauen auf das Orakel diesem tollkühnen Barbaren gefolgt war, der es wagte, beinahe allein, mit den Waffen in der Hand, dem Alexander von Makedonien, dem Besieger Asiens und dem mächtigsten aller Sterblichen zu trotzen.

Pendragon saß ruhig und stolz, wie der große Indra, dessen Gestalt er nach Aussage Pandous hatte, auf seinem Nadjed, der die Siegesgewißheit seines Herrn gegenüber der ganzen Welt zu teilen schien, und hinter ihm, zwischen den vier Brüdern Bull, die wie vier eherne Säulen standen, kam Drangiane.

Hinter jenen dann kam die übrige Schar, sechs Mann hoch aufgestellt. Ich war in der Mitte, denn, wenn es gefährlich ist, sich beim Angriff im Vordertreffen zu befinden, so ist es meiner Ansicht nach nicht weniger gefährlich, in der Nachhut zu sein, daher war ich in der Mitte.

Wie man bald sehen wird, hing von meiner Sicherheit zum großen Teil die meiner Gefährten ab.

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