Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Die Flüchtlinge setzen über den Tigris (S. 71).

VII.
Die Flucht aus dem Lager

.

Ich blieb drei Viertelstunden lang allein mit dem jungen Gallier. Dann sagte er endlich:

»Glaubst du an alle diese Prophezeiungen, Sosikles?«

– »Herr! warum sollte ich nicht daran glauben? Glück oder Unglück – haben nicht die Götter alles vorhergesehen? Können sie nicht, da sie alles vorhersehen, bisweilen die Wahrheit denen, die sie lieben, offenbaren?«

– »Die Zauberinnen meines Landes behaupten es, Sosikles; aber das sind arme alte Weiber, welche auf solche Weise einige Kupfer- oder Silbermünzen zu verdienen suchen.«

– »Vielleicht, Herr Pendragon; aber wenn man unaufhörlich wiederholt, daß die Götter Euch ein Königreich prophezeit haben und dieses alle Welt glauben macht, seht Ihr nicht ein, daß man sich um Euch bemüht, daß man Euch Waffen, Geld, Ergebenheit antragen wird, kurz alles, was käuflich ist, wie mein Freund Samuel sagt, und daß ihr schließlich wirklich zu einem Königsthron gelangen werdet? Denn niemand begehrt gegen die Götter, die erhabenen Herren der Welt und gegen die Könige, denen sie die Krone gegeben, zu kämpfen. Warum also gegen sein stärkeres Schicksal ankämpfen und sich totschlagen lassen wie ein toller Hund?«

– »Dann bist du also überzeugt«, versetzte der Gallier, »daß ich eines Tages König sein werde?«

– »Vollständig überzeugt, Herr.«

– »Und darum willst du dein Schicksal an das meinige ketten?«

– »Allerdings.«

– »Wohlan, Sosikles, ich liebe die Offenheit und werde mich deines Vertrauens würdig zeigen. Wenn ich einmal König bin, sollst du mein erster Minister sein.«

– »Und mein Freund Samuel?«

– »Mein Großschatzmeister ... Sieh', da kommt er, um uns zu benachrichtigen, daß alles bereit ist.«

Wirklich gab uns der Jude ein Zeichen, ihm zu folgen bis auf zwanzig Schritte von Drangianens Zelt entfernt.

Hierauf trat eine nicht erkennbare Gestalt vorsichtig aus dem Zelte, sah sich schweigend in der geräuschlosen Umgebung um, erkannte uns und winkte ins Innere des Zeltes. Sofort traten zwei andre Personen heraus, ein Greis, den ich ohne Mühe als den Hohenpriester Amalek erkannte, und ein junges Mädchen, dessen Blick – von den Augen nicht zu sprechen – man kaum unterscheiden konnte, so sehr war ihr Gesicht in dichte Schleier gehüllt, nach der Sitte der Mederinnen und Perserinnen.

Alle stiegen zu Pferde zugleich mit dem Juden. Pendragon auf seinem Nadjed bildete mit mir die Vorhut.

Die ersten Schildwachen ließen uns, da sie das Losungswort »Philipp und Babylon« hörten, passieren; aber der Offizier, der die Vorhut befehligte, war erstaunt, zwei Frauen aus dem Lager reiten zu sehen und wollte unsre kleine Truppe anhalten.

Jetzt trat ich vor und zeigte die fingierte Ordre Alexanders. Alles entfernte sich respektvoll, ohne uns weiter zu belästigen, und Pendragon beglückwünschte den Offizier wegen seiner Wachsamkeit. Fünftausend Schritte vom Lager entfernt, außerhalb des Bereichs der Schildwachen, verabschiedete er sich von uns und bat um das Siegel Alexanders.

»Es soll zu deiner Rechtfertigung dienen, wenn du wieder in seine Hände fällst«, sagte er. »Du kannst dann antworten, daß ich es dir mit Gewalt entrissen habe, und daß du geflohen seist aus Angst, hingerichtet zu werden.«

Amalek führte den Gallier beiseite und sprach lange mit ihm. Ich weiß nicht, was der Barbar antwortete, ich hörte bloß die letzten Worte:

»Kann ich deine Tochter nicht sehen, ehe wir uns trennen?«

– »Die Sitte der Chaldäer verbietet es«, entgegnete der Hohepriester. »Eine Frau darf nur von ihrem Vater und ihrem Gemahl gesehen werden.«

Ich hörte dies alles und Drangiane verstand es sicherlich so gut wie ich.

.

Pendragon stieß einen Ruf der Bewunderung aus (S. 71).

Ich weiß nicht, was sie dabei dachte, aber – durch einen sonderbaren Zufall – verrückte sich, im Augenblick als der Vater ihr den Rücken kehrte und sie, vom vollen Schein des Mondes beleuchtet, dem Gallier gegenüberstand, der Schleier und ließ in das reizendste und holdeste Frauenantlitz blicken, das damals in ganz Babylonien zu finden war.

Pendragon stieß einen Ruf der Bewunderung aus; wahrscheinlich hatte er in seinem Heimatlande nie ein so entzückendes Wunderbild gesehen.

Amalek durch den Schrei aufmerksam gemacht, kehrte sich nach seiner Tochter um, aber der Schleier war schon wieder zurückgefallen.

Dann zeigte uns Pendragon den Weg nach dem Tigris, den man überschreiten mußte, um nach Babylon zu gelangen.

»Haltet euch rechts«, sagte er, »um den herumstreifenden Soldaten und all dem Gesindel, das den Armeen folgt, nicht zu begegnen. Morgen werden wir siegen, und in zehn Tagen werde ich euch in Babylon aufsuchen.«

Mit diesen Worten verließ er uns.

Einige Stunden später sahen wir links über den düstern Bergen von Gordyene die Sonne aufgehen, dann in die Ebene sich senken und diese mit einem einzigen Lichterguß vollständig erleuchten. Wir kamen an ein kleines, aus Ziegelsteinen, die an der Sonne getrocknet waren, gebautes Haus, wo ein armer Mann wohnte, dessen Gewerbe es war, die Reisenden in einem Kahn über den Tigris zu führen.

Seine Frau und seine fünf kleinen Kinder kamen gleichzeitig mit ihm heraus, um uns mit ängstlicher, furchtsamer und mißtrauischer Miene zu betrachten; aber sie wurden sofort wieder ruhig, als sie unsern Train sahen, und näherten sich den Pferden.

Der alte Amalek, der seit dem Weggang Pendragons unser Anführer geworden war, fragte den Fergen, ob er von den zwei feindlichen Heeren nichts befürchte.

»Ach, Herr!« erwiderte der arme Mann, »was soll ich befürchten? Ich lebe mit meiner Familie vom Fischfang. Ihr seht meine Habe. Drei Strohsäcke zum Daraufsitzen oder Daraufliegen, je nachdem es Tag oder Nacht ist, einen Topf, um das Korn zu kochen, das unser Brot ist, und eine Pfanne, um die Fische zu sieden. Jeder von uns langt mit der rechten Hand in die Pfanne und mit der linken in den Topf, bis er gesättigt ist. Hernach trinkt man, wenn man Durst hat.«

– »Habt Ihr Wein?« fragte Amalek.

Der Fischer sah ihn ganz erstaunt an.

»Wein?« sagte er, »was ist das?«

Dann, nach einigem Nachdenken, fügte er hinzu:

»Das ist gewiß jener rote Gegenstand, den man zu Schiff nach Babylon transportiert und den die Leute trinken, um sich halb närrisch zu machen? Wenn das Wein ist, so habe ich noch keinen versucht.«

»Aber, fügte er bei und zeigte auf den Tigris, der wenige Schritte vor uns vorbeifloß, »mit diesem Freund da hat man niemals Durst. Da Baal so viel Wasser auf die Erde gesetzt hat und es nichts kostet, so hätten wir sehr Unrecht, ein andres Getränk zu suchen.«

Ich fragte dann:

»Du hast allerdings nicht viel zu verlieren, aber wenn die Soldaten hierher kämen, würden sie deiner Frau und deinen Kindern nichts zuleide thun?«

– »Nein«, antwortete der Ferge, »denn die Ebene ist so platt, daß man die Leute auf drei Stunden weit kommen sieht. Ich würde meine Frau, meine Kinder, meine Strohsäcke, meine Pfanne und meinen Topf einschiffen und an das andre Ufer oder aber flußabwärts fahren. Der Fluß ist auf seinem ganzen Weg zwanzig und oft vierzig und fünfzig Fuß tief und läuft so rasch wie ein Pferd in scharfem Trab. Ich wollte gegen die besten Schwimmer wetten, daß sie nicht im stande sind, ihm zu folgen ...«

Plötzlich unterbrach er sich und spähte weit in die Ebene hinaus, wo man, trotz der Entfernung, die beiden Lager, das makedonische zu unsrer Linken und das persische nördlich zu unsrer Rechten unterscheiden konnte – so hell und durchsichtig ist die Luft in Babylonien.

»Ei!« sagte er, »seht ihr dort die Staubwolken über der Ebene? Die Schlacht hat begonnen.«

– »Oh!« rief Drangiane, die gefalteten Hände zum Himmel erhebend, »o Baal, allmächtiger Gott, bedecke mit deinem Schild den, der mir und meinem Vater die Freiheit gegeben hat! Halte die Lanzen und Schwerter ferne von ihm!«

Amalek zog die Augenbrauen zusammen.

»Baals Wille geschehe in allen Dingen«, sprach er. »Der, den er gewählt hat, wird zu dir kommen, wär' es auch durch Donner und Blitz hindurch.«

Der Fischer legte sich der Länge nach nieder und hielt das Ohr hart gegen den Boden.

»Aha!« sagte er, »ich höre den Schall der Trompeten. Tara tantara, tara tantara, die Reiterei ist auf dem Punkte anzugreifen ..., Pa ta pan, pa ta pan, pa ta pan, pa ta pan! Jetzt sind sie im Galopp fortgesprengt.«

Auch ich legte mich auf die Erde und ich hörte das, wenn auch etwas dumpfe, so doch deutliche Geräusch der beiden Armeen. Da ich sie beide kannte, (ich hatte sie schon in Schlachtordnung gesehen) konnte ich ohne Mühe jede Abteilung an ihrem besonderen Gerassel unterscheiden und ich nannte meinen Reisegefährten eine nach der andern zu gleicher Zeit, wie ich sie erkannte.

»Das sind die verlornen Söhne, die Pendragon befehligt. Sie reiten besser als die andern, sie haben leichtere Pferde und keine volle Rüstung, sondern einfache Harnische. Es ist die Kernschar des makedonischen Heeres, oder, besser gesagt, die Hefe aus allen Nationen. Es ist auch nicht einer darunter, der nicht wegen eines Verbrechens, mindestens eines Doppelmordes halber aus seiner Heimat verbannt worden wäre, insofern also durchaus nichts Apartes, aber da sie ihr eignes Leben ebensowenig achten als das fremde, so hat sie Alexander aus allen Ländern der Welt kommen lassen und behält sie für seinen Dienst. Es sind Griechen, Parther, Samniter, Afrikaner, Römer, Gallier darunter, sogar von diesen Germanen, die in einem großen dreihundert Meilen langen und fünfhundert Meilen breiten Walde wohnen, dessen Grenze gegen Westen der Rhein ist, ein Fluß, der wie ein Sumpf in den Ozean einmündet. Noch nördlicher ist eine große weiße Insel, wo die Kaufleute Zinn und Blei holen, und im Norden dieser Insel sieht man halbnackte, baumhohe Barbaren mit rotem Bart und roten Haaren, stärker wohl als die Bären, vom Gürtel bis zum Knie herab mit einem Schurz von Tierfell bekleidet und mit wuchtigen und breiten Schwertern bewaffnet, mit denen sie auf jeden Hieb einen Arm oder ein Bein abschlagen.«

– »Oh!« rief Drangiane entsetzt, »können auf Erden so entsetzliche Barbaren existieren?«

Ich fuhr fort:

»Das sind die Kaledonier; die sind mit den Galliern verwandt, sie sprechen die gleiche Sprache, haben die gleiche Religion, die gleichen Freunde und die gleichen Feinde, ausgenommen wenn sie getrunken haben, denn dann kennen sie niemand mehr, schlagen blind darauf los wie Wahnsinnige und lassen nie von ihrem Feind, bis entweder er blutend auf dem Boden liegt oder sie selber.«

– »Wie viel sind ihrer im Heere?«

– »Nur vier, die vier Brüder. Man nennt sie die vier Bulls oder die vier Stiere, denn Bull heißt in ihrer Sprache Stier. Man sieht die vier immer bei einander, und wenn sie sich unter dem Volk befinden, so weicht alle Welt aus, um ihnen Platz zu machen, denn sie schlagen mit ihren Fäusten die Schädel ein, wie ein andrer mit dem Hammer Eier einschlagen würde. Übrigens ist die Faust ihre Lieblingswaffe. Bei ihrem häufig vorkommenden Wortwechsel versetzen sie sich Faustschläge, die einen Ochsen töten könnten, aber nichts kann ihre brüderliche Freundschaft stören.

Vorgestern ging der größte und älteste unter ihnen durch das Quartier der Thessalier und sah dort einen fetten Hammel braten. Er faßte Bratspieß und Hammel und ging stolz von dannen, als der thessalische Koch ihm nachlief, um ihm die Beute abzujagen und ihn mit dem Speere bedrohte. Der andre, entrüstet, gab den Bratspieß dem jüngern, der hinter ihm herging, und schleuderte den Thessalier mit einem Faustschlag in das Feuer, wo er, beim Zeus, an Stelle des Hammels gedampft hätte, wenn ihn nicht seine Kameraden schon ganz geröstet und beinahe braun gebraten herausgezogen hätten.

Jetzt sprangen alle Thessalier auf die beiden Bulls los, aber die beiden jüngsten, welche die zwei ältern in Gefahr sahen, kamen ihnen zu Hilfe, und alle vier marschierten in viereckiger Schlachtordnung, indem sie alle Thessalier, welche ihnen zu nahe kamen, mit Faustschlägen niederstreckten, und den gebratenen Hammel, dessen Brühe auf das Haupt des Siegers herabrieselte, wie eine Fahne umhertrugen.«

– »Was sagte Alexander zu dieser Heldenthat?« fragte der Hohepriester Amalek.

– »Der König mußte lachen. Außer, wenn im Innern des Lagers das Schwert gezogen wird, was er bei Todesstrafe verboten hat, gerät er durch diese Späße seiner Leibgarde nicht in die geringste Aufregung. Er läßt gewöhnlich diesen Leuten gern die Zügel schießen, um sie, wenn's Ernst gilt, desto fester in der Hand zu haben.«

Der Hohepriester hob seine Hände gen Himmel. »O Baal!« rief er, »welchen Banditen hast du Asien in die Hand gegeben!«

.


 << zurück weiter >>