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Mit Staunen erkannte ich Pandou (S. 170).

XIX.
Der Weise vom Ganges

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Der Gallier seinerseits machte die Runde um die äußere Einfriedigung des Tempels, die überall durch hohe Mauern gebildet war, und versicherte sich der Treue seiner Leute, das heißt der verlornen Söhne, die sich seinem Geschick angeschlossen hatten; denn von den chaldäischen Priestern, welche den Tempel bewohnten, waren sehr wenige geneigt gewesen, die Waffen zu ergreifen.

Sie hatten ein Grauen vor dem frevelhaften Vorgehen Alexanders, der die heilige Einfriedigung Baals zu stürmen gedachte, aber noch mehr Grauen hatten sie vor dem Tod, der für alle Menschen so unangenehm ist, außer dann, wenn das Leben es in noch höherem Grade ist, wie der gelehrte Aristoteles sagt. Die Weiber schrieen, gebärdeten sich verzweifelt und rauften sich die Haare aus; die Kinder weinten und machten einen abscheulichen Lärm.

Als der Gallier Festung und Soldaten besichtigt hatte, ließ er mich und Samuel rufen und sagte uns freimütig in Amaleks Gegenwart:

»Wenn ich allein hier wäre mit meiner Truppe und mit Lebensmitteln, so würde ich mit der größten Zuversicht behaupten, daß Alexander mich niemals bezwingen würde; aber das ganze Volk hier, welches schreit und verzweifelt, wird meine Leute entmutigen.«

Bei diesen Worten schmetterte dreimal Trompetenschall auf dem großen Platze.

»Gut!« sagte er, »Alexander will unterhandeln. Laßt sehen. Wenn wir alles hinaus schaffen könnten, was nicht kämpfen will, so möchte ich den Sieg beinahe garantieren.«

Wir sahen durch die Zinnen und ich erkannte mit Staunen meinen Freund Pandou, den Inder, der in Begleitung eines voransprengenden Reiters sich als Vermittler oder Abgesandten des Königs anmeldete.

Auf sein Verlangen ließ man die Zugbrücke nieder und er trat in die äußere Umfriedung des Baalstempels.

Samuel fragte ihn:

»Ei! Philosoph vom Ganges, was willst du hier am Tage der Schlacht?«

»Ich komme, um euch allen das Leben zu retten«

Und als Pendragon eine verächtliche Bewegung machte, fügte er bei:

»Dir, Gallier, bringe ich Reich und Herrschaft.«

»Oh! oh!« sagte Samuel. »Sollte Alexander zu unsern gunsten abdanken wollen?«

Ohne sich von diesem Spott anfechten zu lassen, erwiderte Pandou:

»Das Reich, das ich dir anbiete, ist nicht das Alexanders, sondern ein andres, größeres und schöneres.«

– »Und Alexander hat dich abgeordnet?«

– »Er hat es gethan, aber um euch zu melden, daß ihr alle, du Samuel, du Sosikles, du Hoherpriester Amalek mit allen euren Soldaten, euren Priestern, ihren Angehörigen Gnade bei ihm finden sollt, wenn ihr Pendragon ausliefert.«

– »Und du hast diese Mission angenommen?« sagte der Gallier lachend. »Wer du auch seist, Pandou, du bist ein kühner Mann.«

– »Tausendmal kühner, als du denkst«, erwiderte der Inder; »denn ich liebe den Tod ebensosehr als du das Leben lieben kannst, für mich ist Sterben nichts andres als eine Rückkehr in den Schoß Brahmas, den Vater alles Lebens. Aber wenn der Befehl Alexanders lautet, dich in seine Gewalt zu bringen, so ist es mein Wille, oder vielmehr Brahmas Wille dir eine Krone zu geben.«

– »Ich muß gestehen«, rief Pendragon, »daß alle Götter der Erde zu meinen gunsten zusammen arbeiten, denn seit ich den Fuß in dies Land gesetzt habe, sehe ich kein neues Gesicht, das mir nicht ein Reich anböte oder prophezeite. Es ist dies zweifellos eine Bestimmung, der ich nicht entgehen kann. Wohlan denn, Pandou, ich nehme an. Welche Krone bringst du mir?«

– »Vor allem, Sohn des Astarak, höre mich an«, fuhr der Inder fort, »und wisse, wer ich bin.

Ich komme zu dir aus dem Innern Indiens, welches das größte, das schönste und fruchtbarste Land der Erde ist. Zwei Meere umgeben es im Osten, im Westen und im Süden. Diese Meere sind weit wie der Himmel, und die Sonde der Matrosen hat noch niemals ihren Grund erreicht.

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Dir, Gallier, bringe ich Reich und Herrschaft (S. 170).

Im Norden erhebt sich eine Bergkette, einer ungeheuren Mauer von dreißigtausend Fuß ähnlich, deren Gipfel mit ewigem Schnee bedeckt ist. Diese Mauer ist der riesige Himalaya, welchen die Griechen Imaos nennen und den noch keiner der Lebenden überschritten hat.

Am Fuße dieser Berge sind die Löwen und Tiger ebenso zahlreich, wie die Fische im Meer. Sie leben in unermeßlichen Wäldern so frei und ungebändigt, wie am ersten Tage, wo Brahma, der erstgeborne der Götter, ihnen das Leben gab. Herden von Elephanten, Hirschen und Panthern fliehen vor ihnen oder bekämpfen sie.

Zwei große Flüsse, neben welchen der Euphrat und der Tigris nur Bäche sind, durchströmen die unendliche Ebene und die tiefen Wälder. Diese Flüsse sind der Indus und der Ganges, beide entspringen auf dem Himalaya. Der Indus wird gebildet von zwanzig gewaltigen Wassern und fließt in gerader Richtung dem Meere zu. Unten gegen sein linkes Ufer zu liegt eine unermeßliche Wüste, welche ihn von Gedrosien und Persien trennt. Das linke Ufer aber wird von mächtigen und kriegerischen Völkern bewohnt.«

Hier wollte ich die Schilderung des Inders unterbrechen, der mir zu unrechter Zeit das fern gelegene Land zu beschreiben schien, und ich sagte:

»Pendragon, ist das wirklich der richtige Zeitpunkt, sich mit Geographie zu beschäftigen, wenn unser aller Leben in so großer Gefahr schwebt?«

Aber der Jude Samuel ergriff mich am Arme und sagte leise:

»Schweig doch, Sosikles! Freund Pandou hat mir noch nie interessanter geschienen. Wer weiß, welcher Handel sich machen läßt in diesem Land, das er uns schildert? Irre ich mich nicht, so ist dies Ophir, wohin König Salomo einst seine Flotten schickte; Salomo war ein großer König und berühmt durch seine Weisheit.«

Pendragon hörte dem Inder zu und schien zu träumen und sich in die unbekannte Wunderwelt zu vertiefen.

»Fahre fort«, sagte er. »Sosikles ist ein geistreicher Athener, aber er schwatzt zu viel und glaubt, außerhalb seiner kleinen Stadt und ihrer vier oder fünf Burgflecken in der Umgebung gebe es nichts aus der Welt ... Ja, ja, wir Gallier, die wir das Wasser der Garonne trinken, sind bescheidener.«

Pandou fuhr unentwegt fort:

»Der andre große Strom Indiens ist der Ganges. An seinen Ufern liegen fünfzig Städte, deren kleinste alle Städte des Perserreiches, ausgenommen Babylon, weit übertrifft. Hundert Millionen Menschen bewohnen dieses unermeßliche Flußthal, das schönste und fruchtbarste Asiens. Die Paläste sind hier schöner als eure Tempel und die Tempel stehen über allen euren Wundern im Westen, welche Griechen oder Juden bestaunen (deren Augen nie etwas Rechtes gesehen haben), welche aber nie, wie unsre Tempel, auf Erden schon einen Vorgeschmack geben können von der Majestät Brahmas im Himmel.«

– »Also denn«, sagte Pendragon, den die Beredsamkeit des Inders nicht berückte und der, während er zum Fenster hinaus die Anstalten, die Alexander für den Sturm traf, betrachtete, irgend eine Kriegslist zu befürchten begann, »was willst du von mir, Pandou?«

Der Inder erwiderte frostig: »Daß du mich anhörst. Eine Krone ist wohl einen Augenblick des Schweigens wert.«

Hierauf, nachdem er sich einen Augenblick gesammelt, fuhr er fort:

»Indien, dieses große Land, welches hundert Millionen Menschen bewohnen und welches für sich allein mehr wert ist als das ganze übrige Asien, bedarf in diesem Augenblicke eines Königs.«

Bei diesen Worten mußte ich lachen.

»Wie! auf hundert Millionen Menschen gibt es nicht einen einzigen, der eine Krone annehmen will?«

»Sosikles, das Zeichen des Weisen ist, daß er seine Zunge im Zaume zu halten versteht ... Es fehlt uns nicht an Leuten, welche die Königswürde wollten, aber wir suchen den würdigsten, um ihm die Krone anzubieten.«

Er sprach mit solchem Ernst, daß ich nichts beizufügen wagte und fuhr dann weiter fort:

»Zwei Stämme bewohnen dieses fruchtbare Land: die weißen Aryas und die schwarzen Parias. Die einen sind die Kinder Wischnus (der ersten Inkarnation Brahmas), der heute der mächtigste der Götter ist; er ist der Stamm der Heiligen und der Helden. Die andern, die Parias, wurden aufgewiegelt durch den Dämon Ravana, den mächtigsten und verderblichsten aller Genien im Zerstören der wohlthätigen Werke Wischnus. Die Aryas sind weiß, weil sie zu jeder Zeit das gesegnete Volk des mächtigsten der Götter waren.«

– »Und die Parias sind Neger, weil sie verfemt sind?« fragte ich.

– »Nein«, erwiderte Samuel, »sondern weil sie die Söhne Hams sind, der seinen Vater Noah beschimpfte, während Sem und Japhet ihn ehrten.«

– »Und darum«, fuhr Pandou fort, »haben die Götter die Parias zur Sklaverei verdammt.«

Ich bemerkte:

»Aber vermutlich haben sich die Parias gegen dieses Gericht aufgelehnt?«

– »Bis zu den letztvergangenen Jahren haben sie es schweigend ertragen«, fuhr Pandou fort. »Sie bauten das Land; sie trieben jedes, auch das geringste Handwerk; kurz, sie gehorchten; aber der letzte arische König hat gegen den Willen der Götter regieren wollen. Er nahm mit Gewalt das Gut seiner Unterthanen; er tötete die arischen Männer, folterte die Frauen und ließ geißeln und pfählen, was ihm Widerstand leistete. Man griff zu den Waffen. Er wurde getötet, seine vier Söhne stritten um den Thron. Da erklärte sich Wischnu in seinem Zorne gegen uns und entfesselte den Dämon Ravana und die andern Rakschasas, seine Brüder. Die Parias empörten sich. Jetzt ist ganz Indien, das die Götter früher zu ihrem Wohnsitze wählten, der Aufenthalt der Dämonen geworden. Überall wird getötet, gewürgt, geplündert, gesengt. Zwei Millionen Männer, Weiber und Kinder sind bereits umgekommen. Um diesen Verwüstungen Einhalt zu thun, haben mich die Führer der Aryas, welche sich außer stande sehen, die Parias zu bezwingen und einträchtig zu handeln, ausersehen, einen König in den Ländern des Westens zu suchen.«

– »Und da wendest du dich an mich?« fragte Pendragon erstaunt.

– »Ja, an dich«, erwiderte Pandou.

– »Aber du kanntest mich ja nicht!«

– »Auch dachte ich anfangs nicht an dich, sondern an diesen Alexander, dessen Name seit sieben Jahren durch alle Lande hallt. Aber ich habe ihn in der Nähe gesehen, diesen Helden. Er ist übermütig bis zum Wahnsinn. Bei der geringsten Beleidigung kennt er weder Freund noch Feind mehr und schlägt blind drauf los. Ein solcher König würde dem edlen Stamme der Aryas wenig Ehre machen.«

– »Da hast du mich vorgezogen?«

– »Gewiß, und in hohem Grade. Ich habe dich seit drei Wochen beobachtet und geprüft. An Mut bist du allen Menschen überlegen, an Großmut, sagen deine Freunde, ebenso, denn du machst nie einen Vorbehalt für dich. Deine Soldaten bewundern dich wie einen Helden und einen Gott. Du bist der Mann und König, den wir brauchen.«

– »Wenn es so ist«, sagte der Gallier, »so bin ich entschlossen; ich nehme die Krone an, welche du mir bietest.«

Bei diesen Worten ertönte die Trompete des Makedoniers auf dem Platz.

»Alexander wird ungeduldig«, sagte Pandou lachend. »Ich hatte versprochen, ihm deinen Kopf zu liefern.«

– »Wie konnte er dich, einen Fremdling, zu einer solchen Sendung wählen?«

– »Gerade als Fremdling«, antwortete der Inder. »Er hat geglaubt ein Fremder würde dir weniger verdächtig sein als die Makedonier, und überdies hat keiner seiner Freunde danach gelechzt, ohne Waffen in die Höhle des Löwen zu treten. Der Empfang, den du dem Hephästion bereitet hast, schreckt alle andern ab.«

Diese Antwort brachte alle zum Lachen, besonders Pendragon, den diese Erinnerung fröhlich stimmte.

»Jetzt aber«, fragte der Inder, »was soll ich dem Könige von dir und Amalek melden?«

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