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Ein Fußtritt gab dem Pförtner die Sprache wieder (S. 158).

XVII.
Der Kampf im Palaste Assurs

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Es war am Abend des folgenden Tages im großen Saal des Assurpalastes, genannt nach dem mächtigsten der Könige, die über Babylon und Ninive herrschten.

Dieser Saal war von ovaler Form wie ein Theater. Von einem Ende zum andern war der Tisch gedeckt für Alexander und seine vorzüglichsten Offiziere.

Alexander lagerte auf einem Polster von außerordentlicher Pracht und hatte als einzigen Nachbar den Hephästion. Alle Gäste lagerten zu dreien, der Sitte gemäß, auf den andern Polstern. Ein einziges war leer und zwar dasjenige, das Alexander gegenüber gestellt worden war, an der andern Seite des Tisches.

Hunderte von Fackeln erleuchteten den Saal, und ihr Licht strahlte zurück aus unzähligen Kristallen und dem funkelnden Gold der Becher. Das Fest war durch Überfluß und ausgesuchte Gerichte Alexanders und Babylons würdig.

Man sah hier alles, was die Erde, die Luft und das Meer an ausgesuchtem Wildbret und seltenen Fischen dem Genusse des Menschen zu liefern vermögen.

Man trank hier die besten Weine, vom gewöhnlichen Hypokras und dem Samier an, der in Geschmack und Wohlgeruch an den Honig erinnert, bis zu dem wunderbaren Weine, den man auf den Rebhügeln von Persepolis liest und ausschließlich aufbewahrt für den geweihten Mund der Nachkommen des Kyros.

Schon war die erste Hälfte des Mahles vorüber; viele Amphoren waren leer und man fing an, sehr laut zu reden, als es einem der Gäste (ich glaube Perdikkas) einfiel, seinen Nachbar Lysimachos ganz laut zu fragen:

»Wo ist denn der Gallier? Sein Platz ist leer.«

Er zeigte auf das Polster, das Alexander gegenüber aufgestellt war. Dieser hörte ihn und sagte:

»Er ist ohne Zweifel bei der Prinzessin. Ihre Vermählung ist auf morgen festgesetzt.«

»Du hast deine Einwilligung gegeben?« fragte der dicke Perdikkas mit Staunen.

Alexander erwiderte:

»Der alte Amalek wollte es, Drangiane auch. Ich habe mein Wort gegeben.«

– »Ah, ahah! Ah, ahah!« sagte Perdikkas wieder. »Du hast es, glaube ich, auch dem armen Hephästion gegeben?«

– »Unter der Bedingung, daß Amalek damit einverstanden sei«, erwiderte Alexander. »Aber Amalek, weit entfernt einverstanden zu sein, hat zu den Waffen gegriffen, und wenn ich nicht gerade zur rechten Zeit gekommen wäre, so wäre Hephästion noch sein Gefangener ... Kurz, Pendragon ist mein Freund. Ich will, daß man es wisse, und ihn als solchen behandle.«

Diese Antwort schnitt für einen Augenblick den Höflingen, die alle das plötzliche Glück des Galliers beneideten, das Wort ab; aber der rachsüchtige Hephästion flüsterte mit gedämpfter Stimme dem Alexander ins Ohr:

»Kennst du die Prophezeiung des Sehers Anaxander?«

– »Wie lautet sie?« fragte der König, der sehr abergläubisch war. Jetzt ließ sich Hephästion erbitten, sein Geheimnis zu sagen.

»Ich fürchte«, sagte er, »du möchtest, wenn ich spreche, meine Worte einem Wunsche nach Rache zuschreiben ...«

... »Deren er unfähig ist«, sagte Perdikkas ganz leise zu Lysimachos, der seinerseits laut auflachte, denn er liebte den Hephästion ebensowenig wie der Gallier.

Aber Alexander drang in ihn.

»Nun wohl!« fuhr Hephästion fort, »damit du nicht glaubst, ich habe diese Geschichte erfunden, um einen Feind zu stürzen, so frage den Anaxander selber.«

Man ließ den Seher aufsuchen, der in einem Gasthof, nur wenig Schritte vom Assurpalast entfernt, mit einigen Freunden speiste.

Als man ihm mitteilte, daß der König ihn in einer dringenden Angelegenheit sprechen wolle, trat er mit langsamem und majestätischem Schritte ein und wartete schweigend auf die Frage des Königs.

»Sprich«, sagte Alexander, »erzähle uns die Prophezeiung, die du in betreff Pendragons ausgesprochen hast.«

Anaxander wechselte einen raschen Blick mit Hephästion. Beide hatten sich ohne Zweifel verständigt.

Dann wandte er sich an den König und sprach:

»Herr, es verhält sich damit also. Aber du weißt so gut wie ich, daß die Träume oft trügerisch sind, obschon uns die Götter doch auch oft durch dieses Mittel vor der Gefahr warnen, die uns droht ...«

– »Laß das«, unterbrach ihn Alexander ungeduldig; »an dir ist es zu sprechen, und an mir zu wissen, was ich glauben soll.«

– »Herr, Hephästion hat mich heute morgen nach seiner Gewohnheit aufgesucht, denn er versäumt es niemals, sich zu erkundigen, ob die Götter dir günstig sind, oder ob man sie durch irgendwelche Opfer versöhnen muß. Er hatte aber folgenden Traum gehabt, den ich ihm deuten sollte:

Er sah einen Widder und einen Bock. Der Widder war der schönste einer ungeheuren Herde, welche ganz Asien bedeckte. Er war mit Blumen bekränzt, wie du es in diesem Augenblicke selbst bist. Und merkwürdigerweise glaubte er zu sehen, wie der Widder plötzlich deine Gestalt annahm und sich in dich verwandelte.«

»Ah! Ah!« sagte Alexander, »das ist merkwürdig. Fahre fort. Was bedeutete denn der Bock? Doch wohl etwas ganz Außerordentliches?«

Der Seher fuhr fort:

»Der Bock ging, nach der Aussage Hephästions, ein wenig hinter dem Widder her, als führe er gegen seinen Kameraden einen unheilvollen Plan im Schilde. In dem Augenblicke, wo dieser es am wenigsten erwartete, stieß ihn der Bock von hinten in einen Abgrund, und der Blumenkranz des Widders verschwand, während der Bock plötzlich mit einer Krone von Diamanten dastand.«

– »Und«, fragte der König, betroffen von dieser Weissagung, »was war denn der Bock?«

Der Seher erwiderte:

»Ich möchte es lieber nicht sagen. Hephästion mag am besten selber sprechen.«

Dieser erwiderte, als er ausgefragt wurde, daß der gekrönte Bock, der Mörder des Widders, plötzlich die Gestalt Pendragons angenommen habe, und daß Anaxander selber dieses verderbenkündende Wunderzeichen für eine Warnung der Götter betrachtete, die den Alexander von einem verderblichen Schicksal bedroht sahen und ihn davor bewahren wollten.

Der König dachte einen Augenblick nach, dann gab er Befehl, den Pendragon zu rufen, der damals im Tempel Baals sich eingeschlossen hatte.

Der Gallier zögerte nicht im großen Saale des Assurpalastes zu erscheinen.

Alles wartete schweigend und gespannt auf die Worte, welche diese beiden Männer wechseln würden, deren einer der mächtigste König und der schrecklichste Eroberer der bekannten Welt war. Der andre hatte, ohne König zu sein, in den Augen, den Bewegungen, im Gang und im Charakter etwas, das allen Achtung einflößte. Er trat ohne Hast, aber auch frei von erkünstelter Langsamkeit vor und fragte:

»Du hast mich rufen lassen, König; was willst du von mir?«

Der Makedonier erwiderte:

»Setze dich auf dieses Polster mir gegenüber, Pendragon. Du, Medios, fülle ihm den Becher.«

Die Anwesenden beobachteten ein so tiefes Stillschweigen, daß man hätte die Fliegen summen hören können.

Pendragon leerte seinen Becher zweimal und stellte ihn wieder auf den Tisch. Dann fuhr der König fort, indem er die Augen fest auf ihn richtete.

»Man sagt mir, du wollest mich ermorden, Gallier; ist das wahr?«

Dieser hielt den Blick mit unerschütterlicher Ruhe aus.

»Es ist nicht das erste Mal, daß man dir diese Nachricht gibt«, sprach er, »und ich sehe den, der mir diesen Dienst erweist, neben dir ...«

Er wies mit dem Finger auf Hephästion, der ihm wütende Blicke zuwarf.

»Aber«, fuhr Alexander ruhig fort, »kannst du zu deiner Rechtfertigung nichts sagen?«

Pendragon stand hastig auf.

»Habe ich das Aussehen eines Verräters oder eines Mörders, Sohn Philipps?« rief er. »Ist es an dem Angeklagten zu beweisen, daß er unschuldig ist, oder am Ankläger zu beweisen, daß jener schuldig? ... Und wenn dieser Elende ...«

Er zeigte wieder auf Hephästion, aber der König unterbrach ihn schnell.

»Nicht er klagt dich an«, sprach er, »sondern der Mund der unsterblichen Götter selber ...«

– »Oder der jenes jämmerlichen Wahrsagers, den er vermutlich erkauft hat und statt der Götter und seiner selbst sprechen läßt. O König! ist das deine Liebe und dein Vertrauen zu deinen Freunden? ... Übrigens«, fügte er stolz hinzu, »ich bin nicht dein Unterthan, Sohn Philipps, sondern dein Freund und Bundesgenosse, du hast es mir selber gesagt. Wenn du mir nicht traust, so wollen wir uns trennen. Die Erde ist groß genug für dich und für mich.«

Der König sah die Gefahr. Unerschrocken, edel und großherzig, wie er selber war, konnte er dem Gallier aus dessen Stolz kein Verbrechen machen.

»Du hast recht«, sagte er und zwang sich zum Lachen, »die Erde ist groß genug für dich und für mich – aber nicht Asien. Bisher bist du mein Freund gewesen, sei es noch und für immer, Pendragon, und trennen wir uns ... Der Orient ist für mich, kehre du zum Westen zurück.«

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Pendragon faßte mit beiden Händen den Tisch (S. 159).

Die Offiziere Alexanders lachten laut auf, da sie glaubten, daß ihr Herr und Meister mit dem Barbaren seinen Spott treiben wollte, aber Pendragon erwiderte:

»König, ich nehme deine Freundschaft an ...«

Und da die Gäste fortfuhren, aber etwas gezwungen, zu lachen, setzte er hinzu: »Denn ich halte sie für aufrichtig ...«

– »Solltest du daran zweifeln?« fragte der König, der bereits nach seiner jetzigen Gewohnheit zu viel getrunken hatte und warm zu werden begann.

»Ich zweifle nicht daran«, erwiderte Pendragon, »aber die Leute, welche dich umgeben und dir schmeicheln, wollten gern mich daran zweifeln lassen.«

Ein lang andauerndes Gemurmel wurde hörbar.

Pendragon fuhr fort:

»Was den Weg betrifft, den ich nehmen werde, sei es nach dem Osten oder dem Westen, so habe ich niemand Rechenschaft darüber abzulegen. ... Und wenn es einer versuchte, mir den Weg zu versperren! ...«

Er sprach kein Wort weiter, aber er deutete durch eine Bewegung an, daß er diesen Unglücklichen mit einem Streich in das Reich des Hades schicken würde.

»Hoho! mein gallischer Hahn«, fuhr Alexander gereizt auf, »du krähst sehr laut! Hast du schon vergessen, daß du erst vor drei Wochen in mein Lager kamst und nichts hattest als deine Waffen und dein Pferd, und daß es nur von dir abgehangen hat, sogar heute noch, aus meiner Hand die Statthalterschaft eines dieser Königreiche zu erhalten ...«

– »Welche wir miteinander erobert haben, du und ich, in der Schlacht bei Arbela«, erwiderte Pendragon; »denn wenn ich an jenem Tage den Parmenio und die Hälfte des Heeres nicht gerettet hätte, wer weiß, ob du Herr des Reiches wärest oder nicht vielmehr dort unten in der Erde gebettet lägest mit soviel andern Tapfern, die gefallen sind?«

Alexander wurde rot vor Zorn, aber er bezwang sich sichtlich.

Einer seiner Nachbarn, Perdikkas, rief, um dem König gefällig zu sein:

»Welche Verwegenheit!«

Hephästion neigte sich gegen das Ohr seines Herrn, sagte ihm mit leiser Stimme einige Worte und ging auf ein Zeichen Alexanders hinaus, um seine Befehle zu erteilen. Wahrscheinlich handelte es sich darum, die Thüren des Palastes zu schließen und Pendragon zum Gefangenen zu machen.

Aller Augen waren auf diesen gerichtet. Er hatte nur Feinde und Neider im Saale. Etwa hundert von der Leibgarde waren hinter den Gästen aufgestellt, gestützt auf ihre langen Lanzen und nur auf das Zeichen ihres Herrn wartend, um loszuschlagen.

Der Gallier hatte nur sein Schwert; aber was Kühnheit, Kaltblütigkeit und Todesverachtung betrifft, so war er jedem andern überlegen. Er bemerkte das Zeichen Alexanders und erriet die Befehle, die Hephästion ausrichten sollte. »König«, sprach er, »man erwartet mich. Empfange meinen Abschiedsgruß.«

– »Bleibe bei uns diesen Abend«, antwortete Alexander.

– »Unmöglich, man erwartet mich.«

– »Aha!« rief Perdikkas.

– »Oho!« fügte Lysimachos hinzu.

Und alle andern begannen zu lachen, als ob er etwas sehr Scherzhaftes gesagt hätte.

Aber Alexander lachte nicht.

»Wo gehst du hin?« fragte er.

– »In den Tempel Baals.«

– »Zu Amalek?«

– »Ja.«

– »Bleibe hier. Du wirst ihn mit seiner Tochter erscheinen sehen.«

Pendragon sagte:

»Er wird nicht kommen!«

»Und«, fuhr der König fort, »du wirst morgen der Vermählung Hephästions und Drangianens beiwohnen.«

Bei diesen Worten rief Pendragon:

– »Sohn Philipps, bevor ich einer solchen Vermählung zusehen möchte, würde ich Hephästions Haupt vor meine Füße legen und es an einen Turm des Baalstempels anheften.«

Alexander, vom Wein und Zorn bereits erhitzt, sprang jetzt von seinem Polster auf, ergriff den Wurfspieß eines Leibwächters, der hinter ihm stand und schleuderte ihn auf Pendragon.

Aber dieser hatte die Bewegung vorhergesehen. Er faßte mit beiden Händen den Tisch, auf welchem die Platten, die Teller, die Becher und die Amphoren standen, hob ihn rasch auf, machte sich einen Schild daraus, in welchen der Wurfspieß hineinfuhr und stürzte ihn, so groß er war, auf die übrigen Gäste.

Ein unendliches Geschrei erhob sich im Saale. Der König und seine Freunde waren bedeckt mit den Überbleibseln des Festmahles. Die Brühen und die Weine tropften nieder auf die Kleider und Bärte; die Fackeln waren umgestürzt, einige waren ausgelöscht.

Alexander rief im höchsten Zorn:

»Schließt die Thüren des Palastes und haut diesen Barbaren nieder!«

Aber Pendragon war auf seiner Hut. Er zog sein Schwert und entgegnete:

»Meine Freunde Bull! hierher!«

Im gleichen Augenblick traten die vier Brüder Bull, die er, ohne es jemand zu sagen, auf meinen Rat vorsichtig an der Thüre des Saals aufgestellt hatte, miteinander ein, mit langen Speeren bewaffnet und brachen sich durch die Leibwächter hindurch einen breiten Weg bis zu Pendragon. Dann zogen sie alle fünf hinaus, alles niederwerfend, was sich ihnen in den Weg stellte und trotz der Befehle Alexanders, der von der Höhe seines Fensters aus den Pförtner mit dem Tode bedrohte, wenn er öffnete.

Zum Glück trat der ältere Bull in das Häuschen des armen Pförtners, der sich zu verbergen suchte, da er nicht wußte, welchem Herrn er gehorchen sollte und sich von allen Seiten vom Tode bedroht sah.

»Den Schlüssel her!« sagte Bull.

Der Pförtner zögerte mit der Antwort. Ein schrecklicher Fußtritt, der wahrscheinlich den armen Teufel auf Lebenszeit zum Krüppel machte, gab ihm die Sprache wieder.

»O weh!« schrie er, »o weh! Rechts in der Ecke der Thüre.«

Der ältere Bull nahm den Schlüssel und schritt mit Pendragon und seinen Brüdern hinaus; Alexander, den sein medisches Kleid, das zu einem Festmahl, nicht zum Kampfe gemacht war, behinderte, hielt eine Verfolgung nicht für ratsam. Die Nacht war schon sehr weit vorgeschritten.

Er begnügte sich, den Befehl zu geben, strenge Wache zu halten um den Turm des Baalstempels herum, dessen großes Thor sich nach dem gleichen Platz öffnete wie das des Assurpalastes ihm gegenüber. Dorthin hatte der Gallier mit seinen Kameraden seine Zuflucht genommen und er befahl, sich für den folgenden Tag auf den Sturm vorzubereiten.

Es ist nun Zeit zu sagen, was während dieser Ereignisse die Freunde Pendragons gethan hatten und was ich selber, der Verfasser dieser Geschichte, bewerkstelligt hatte.

Zu diesem Zwecke aber muß ich auf das zurückkommen, was am Abend vorher geschehen war.

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