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Die Soldaten ruhten im Schatten (S. 131).

XV.
Gefahr draußen und drinnen

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Mittag war vorüber. Das ganze Heer hatte Halt gemacht und seine Zelte aufgeschlagen, um sich gegen die glühende Zurückstrahlung der Sonne auf dem babylonischen Sande zu schützen. Wo man hinblickte, tranken die Offiziere und die Soldaten, nachlässig auf ihre hölzernen Tische sich stützend, oder schliefen, wie Eidechsen im Schatten ausgestreckt. Alexander selber saß unter dem Zelte Hephästions und mit Rosen bekränzt in einem langen Purpurrocke, der nach medischer Sitte mit Gold verbrämt war, trank er mit seinen Freunden bis zur Stunde des Aufbruchs.

Indessen schien es mir, als sei er unter dem Eindruck einer geheimen Unruhe. Er fragte endlich laut den Hephästion:

»Warum ist dieser Gallier mir nicht entgegengekommen? Wer kann ihn abhalten? Hat er meinen Befehl nicht bekommen?«

– »Dein Befehl ist abgegangen«, sagte Hephästion, »aber du kennst ja die Frechheit und Unverschämtheit des Galliers. Vielleicht hat jener es gewagt, sich ungehorsam zu zeigen.«

»Wenn er es gewagt hätte ...«, sprach er, »so würde dieser Tag sein letzter sein.«

Aber im gleichen Augenblick erhob sich im Lager ein nicht enden wollender Ruf des Willkommens, und alle Soldaten schrieen:

»Pendragon! Pendragon ist da!«

In der That sahen wir in gestrecktem Galopp fünf Reiter heransprengen, welchen eine Staubwolke folgte.

Der erste von ihnen war der Gallier, die vier andern waren die Brüder Bull.

Über Alexanders Gesicht flog ein Lächeln und er erhob sich, um Pendragon zu bewillkommnen.

»Du kommst ein wenig spät!« sagte er.

– »Ich bin aufgehalten worden«, antwortete Pendragon und sah dabei den Hephästion an, der diesen Blick stolz erwiderte.

– »Setze dich zu mir und sag' uns, was dich aufgehalten hat«, sprach der König. »Hephästion, rücke ein wenig weg und mache einem Freunde Platz.«

– »Ich werde niemals neben einem Verräter Platz nehmen«, sagte Pendragon.

– »Neben einem Verräter? Was willst du damit sagen?« fragte der König erstaunt. »Wer ist hier ein Verräter?«

– »Derjenige, der dir zur Rechten sitzt«, erwiderte der Gallier, mit dem Finger auf Hephästion weisend.

»Dieser Gallier hat ohne Zweifel schon getrunken oder die Sonnenhitze hat ihm das Hirn verbrannt ...«

Da rief der Gallier mit einer Donnerstimme:

»Hephästion, hier ist der Beweis deines Verbrechens, und du Sohn, des Philipp, lies selber!«

Zugleich übergab er dem Könige den Befehl zum Meuchelmord, welchen der Günstling ausgestellt hatte.

Alexander las den Brief Hephästions und seine Augenbrauen zogen sich drohend zusammen. Er verhielt sich einen Augenblick schweigend, dann sagte er:

»Du hast das Verbot gelesen, das ich den verlornen Söhnen gab, dir zu folgen?«

– »Ich habe es gelesen.«

– »Und den Befehl Hephästions, dich zu ermorden?«

– »Auch den habe ich gelesen!«

– »Und du bist dennoch, ohne zu zögern, vor mir erschienen?«

Pendragon lächelte.

»Herr«, sagte er, »ich zögere nie. Ich hatte Vertrauen zum Sohne Philipps, wie er Vertrauen haben kann zum Sohne Astaraks.«

– »Und du hattest recht«, sagte Alexander, indem er ihn zum zweitenmal umarmte. »Die Löwen legen den Löwen keine Fallen. Jetzt setze dich an Hephästions Stelle.«

Jetzt aber erhob sich mit flammendem Auge, wie es dem Schuldbewußtsein nicht eigen zu sein pflegt, Hephästion.

– »König!« rief er, »muß dein bester Freund um die Gunst bitten, die man sonst von freien Stücken dem gemeinsten Verbrecher erweist?«

– »Um welche Gunst?« fragte der König und runzelte die Stirn.

– »Daß man ihm die Beweise seiner Schuld zeigt.«

Mit abgewandtem, verächtlichem Blick reichte ihm Alexander den Brief.

Hephästion überflog ihn; seine Stirnader schwoll; er preßte das Schriftstück krampfhaft mit der Hand und sprach mit bebender Stimme:

– »Und dieser Feigheit konntest du, großer König, deinen Freund für fähig halten?« Plötzlich durchzuckte es ihn wie ein Blitz.

– »Dexippos!« rief er mit schallender Stimme ins Zelt hinein.

Ein Augenblick der Stille trat ein, während dessen Pendragon mit ruhigem Blick seinen Gegner maß, dieser aber sein zorniges Auge bald nach dem König, bald nach Pendragon schweifen ließ.

Jetzt erschien der Erwartete; er zuckte zusammen als er den Gallier sah, aber schnell gefaßt, fragte er halb im Tone des Waffengefährten, halb im Tone des Untergebenen:

– »Was soll geschehen?«

– »Frage vielmehr: was ist geschehen!« herrschte ihn Hephästion an, »aber du weißt es ja besser als wir alle!«

– Mit diesen Worten übergab er ihm den Brief und fragte mit lauter klarer Stimme, wie ein Richter den Angeklagten fragt:

– »Wer hat dies geschrieben?«

– »Ich selber«, antwortete gefaßt und ohne zu zögern der Gefragte.

Überrascht drehte sich der König nach ihm um, und fragte rasch, dem Hephästion das Wort abschneidend:

– »Und in wessen Auftrag?«

– »Es geschah ohne irgend einen Auftrag, auf eignen Antrieb und ohne Wissen eines andern.«

– »Verwegener!« rief jetzt Hephästion, durch die Kaltblütigkeit des Sprechers außer sich gebracht, und seine Hand faßte den Schwertgriff.

Eine Handbewegung Alexanders gebot Ruhe; verwundert blickte der Gallier auf den neuen Gegner, einen Mann, der eher zu offenem Handeln als zu geheimem Ränkespiel angelegt zu sein schien.

»Ein sonderbarer Vertrauter, der seinen Gönner zum Verbrecher stempelt!« sagte der König in bitterem Tone.

– »Ich hätte nach geschehener That mich als schuldig bekannt; ich liebe die dunklen, geheimen Wege sonst nicht; aber diesmal gab es kein andres Mittel als die List.«

– »Und was that dir der Gallier zuleide?« fragte der König wieder, erstaunt über solche Offenheit.

– »Mir? – nichts! meinem Gönner – alles! Ich haßte den Fremden, ich hasse ihn noch! Ich glaubte zu sehen, wie er dich, o König, umgarnte, und in dem Maße bei dir gewann, wie Hephästion verlor – und diesen Gedanken konnte mein makedonisches Blut nicht ertragen, und da ich Hephästions Schreibereien besorge ...«

– »So glaubtest du Vertrauen mit Verrat heimzahlen zu sollen«, ergänzte der König.

– »Verrat am Feind! ja – um unsre, um meines Freundes, um deine Ehre, o König, zu retten. Ich habe Strafe verwirkt, ich weiß es«, antwortete Dexippos, und es klang mehr wie Selbstgefühl als wie Reue.

– »Und die Strafe soll dir auch werden. Ich schwöre dir, Pendragon, du sollst zufrieden sein mit Alexander.«

– »Er ist um andrer willen zum Verräter geworden«, sagte der Gallier, »laß Gnade walten, o König!«

Halbbewundernd, halb ingrimmig schaute Hephästion auf seinen Gegner, und jetzt drängten sich wieder alle bittern Gefühle – die Eifersucht der Freundschaft und der Liebe, der Haß gegen den Eindringling, den Günstling, den Überlegenen in sein Herz.

– »Wir Makedonier brauchen deiner Fürbitte nicht«, rief er in verächtlichem Tone und entfernte sich.

– »Du sorgst dafür«, rief Alexander dem Weggehenden nach, »daß dein Vertrauensmann in sichern Gewahrsam gebracht werde.«

– »Meine Pflicht wird mich in besserer Hut halten als er und dein Wächter«, sprach Dexippos und ging langsam ins Zelt zurück.

Alle die großen Helden standen bei dieser unerwarteten Wendung der Dinge da, wie vom Zeus angedonnert.

Ich selber, Sosikles, der Schüler des Aristoteles, der ich gelernt habe, niemals die Dinge Herr über mich werden zu lassen, und alle in die gehörige Kategorie zu bringen weiß, verlor einen Augenblick, ich gestehe es offen, meinen gewöhnlichen Gleichmut und wußte nicht, ob ich die vier Männer belächeln oder bewundern sollte. Und der König, dieser Göttersohn? Nun, er zeigte eine wahrhaft göttliche Ruhe und begann wiederum, anscheinend gänzlich unerschüttert, die Unterhaltung mit dem barbarischen Pendragon.

»Und jetzt, Gallier«, hub er an, »erzähle uns deine Abenteuer seit deiner Ankunft in Babylon. Ist die Stadt wirklich so prächtig, wie man sagt? Ist sie wirklich die Hauptstadt Asiens? Sind ihre Türme, ihre Paläste schöner als alles, was wir in Griechenland und hier im Lande der Perser gesehen haben? Sind sie schöner als die Tempel deiner Heimat, des barbarischen Galliens?«

Pendragon erwiderte mit Würde:

»Meine Heimat hat keine Tempel wie diese, unsre Tempel sind die Wälder. Wie sollten wir es wagen, steinerne Tempel, das Werk der Menschen, an die Stelle der Eichenwälder zu setzen, welche das Werk der Götter sind? Überall im Lande der Eichen ist der Gallier in der Nähe der Gottheit.«

– »Und habt ihr keine Altäre?«

– »Wir haben dafür Dolmen, das heißt Felsen, die über andre Felsen aufgehäuft sind, meist auf dem Gipfel der Berge; dort bringen wir unsre Menschenopfer.«

– »Jede Nation hat ihre Gebräuche«, sagte Ptolemäos Lagi (damals der Anführer der Reiter, nach Alexanders Tode König der Ägypter). »Die Gallier opfern Menschen und wir opfern Schafe. Was ist besser?«

– »Wir opfern Feinde, die sich wehren können«, entgegnete Pendragon, »und nicht die sanftesten und nützlichsten Tiere.«

Alexander nahm wieder das Wort:

»Laß deine Wälder ruhen und sage uns, was du von Babylon hältst?«

– »Ich halte dafür«, erwiderte der Barbar, »daß es nie eine größere Stadt auf Erden geben wird, noch eine solche, die mehr Häuser, Männer, Frauen, Kinder, Tiere, Tempel, Geräte, Gold, Kleinodien, Wein, Fleisch, Mehl und Gut aller Art enthält ...«

»Da sind die Babylonier«, unterbrach ihn Ptolemäos, »die glücklichsten Menschen, denn sie haben alle die Güter des Lebens im Überfluß.«

– »Nein«, erwiderte der Gallier, »denn sie leben in beständiger Furcht, sie zu verlieren.«

– »Ah!« sagte Alexander, »dieser Barbar könnte recht haben.«

Während dieser und andrer Reden begann die Sonne zu sinken und der König gab das Zeichen zum Aufbruch.

Im gleichen Augenblick als die Trompeten erklangen, vermischt mit dem Schall der Hörner, der Trommeln und Cymbeln näherte sich mir ein Bettler unter der Menge und bat mich um ein Almosen. Während ich etwas kleine Münze suchte, um den Ruf der chaldäischen Priester aufrecht zu erhalten, deren Kleid ich trug, sagte der Bettler mit heller Stimme, aber so, daß er nur von mir gehört werden konnte, zu mir:

»Erkennst du mich nicht, Sosikles?«

Jetzt betrachtete ich aufmerksam seine schwarzen und glänzenden Augen, seine gegen das Kinn vorspringende Nase, sein von List und Bosheit durchzucktes Gesicht und ich antwortete im gleichen Tone:

»Bist du's, Samuel?«

– »Ich bin's. Es wird heute oder morgen in Babylon Blut vergossen werden.«

Diese Nachricht machte mich zittern. Ich hatte viel Schlachten und Stürme gesehen, und ich darf sagen, daß ich den Tod nicht mehr fürchte als die andern Söhne des Deukalion und der Pyrrha; aber der Gedanke an eine Stadt von zwei Millionen Einwohnern, die nach einem erbitterten Kampf, wie sich erwarten ließ, mit Feuer und Schwert verwüstet werden sollte, rief mir die schreckliche Belagerung von Tyros in Erinnerung, wo wir ein Drittel der Bürger getötet und den Rest zu Sklaven gemacht hatten, nachdem die ganze Stadt in Brand aufgegangen war ...

Was war das Verbrechen dieser Unglücklichen? ...

Sie hatten Alexander nicht als ihren Herrn anerkennen wollen! O großer Zeus, König der Götter und der Menschen! wenn du alle diese Verbrechen siehst, welche begangen werden, um den Stolz eines Menschen zu befriedigen, was machst du mit deinem Blitz?

Ich fragte den Juden:

»Warum soll dieses Blut denn vergossen werden?«

Ohne auf meine Frage zu antworten, sagte er mir die paar Worte:

»Laß Pendragon kommen.«

Der Gallier, von mir benachrichtigt, machte sich von der Schar der Feldherren, die Alexander umgaben, los, und während er sich mit uns aus dem Gewühl entfernte, sagte Samuel zu ihm:

»Hephästion ist wütend!«

– »Ich weiß es«, sprach Pendragon lachend und seinen Schnurrbart streichend. ..... »er hat vielleicht guten Grund dazu. Übrigens, was mich betrifft, dieses hier (er zeigte auf sein Schwert, das er in der Hand hielt) würde hinreichen, um ihm die Lust zur Versöhnung einzuflößen.«

– »O, leichtsinniger Barbar, wie alle Eures Landes«, sagte Samuel, »Ihr glaubt, die Partie gewonnen zu haben? keineswegs, Ihr habt sie verloren!«

– »Wie? verloren?«

– »Ja, verloren. Eben jetzt ist Drangiane, Eure Verlobte, auf dem Punkte, in die Hände Hephästions zu fallen, der sie sich von seinem Freund Alexander zur Ehe erbeten hat, und da Alexander ihm nichts verweigert, hat er einen Schwur gethan, sie ihm zu geben und nichts hält den Willen des Königs auf.«

Pendragon lachte, und sein Schwert schüttelnd, sprach er:

»Das wird ihn aufhalten, und wenn Makedonien und Persien, der Euphrat und Asien sich mir entgegenstellten! ... und Amalek?«

Samuel zuckte mit den Achseln.

»Amalek ist ein alter Priester, der seine Tochter zärtlich liebt, der sich, wenns nötig ist, für sie töten läßt, aber der niemals die Waffen getragen hat. Die Priester, die ihn umgeben, kennen das Kriegshandwerk nicht besser als er, und haben nicht dasselbe Interesse sich zu verteidigen. Überdies sind die Bürger von Babylon friedliebender Natur. Sie haben Angst, ihre Stadt geplündert, ihre Verkaufsläden und Buden verbrannt zu sehen. Die Massenmorde, die Alexander in allen Städten, welche die Waffen gegen ihn ergriffen, veranstaltet hat, flößen ihnen eine schreckliche Angst ein.«

Pendragon unterbrach ihn:

»Von wem hast du diese Neuigkeiten?«

– »Zunächst von Amalek, der mich sendet, um dich zurückzurufen nach Babylon, und der seine einzige Hoffnung auf dich setzt. ... Dann habe ich noch andre Freunde. Wir Handelsleute sind durch unsre Interessen gezwungen, viel zu reisen und uns mit der großen Politik abzugeben. Mancher Held, der tötet, plündert und siegt und dadurch unsterblichen Ruhm erwirbt, verdankt alle seine Großthaten nur dem Geld eines Juden, den er mißhandelt, der ihn aber beherrscht.«

Pendragon, der ihn kaum hörte, unterbrach ihn plötzlich:

»Wo ist Hephästion?«

Der Jude lachte.

»Wenn ich's wüßte«, sprach er, »würde ich es dir nicht sagen.«

– »Du würdest mir's nicht sagen? Warum, Jude?«

– »Um dir eine Dummheit zu ersparen, Herr!«

– »Eine Dummheit!« rief Pendragon erzürnt. »Mäßige deine Worte, Samuel!«

– »Eine Narrheit, wenn du lieber willst«, erwiderte Samuel. »Was willst du mit Hephästion?«

– »Ihn suchen.«

– »Gut.«

– »Ihm den Hals abschneiden ...«

– »Vortrefflich!«

– »Und dadurch ihn verhindern Drangiane zu heiraten.«

– »Unübertrefflich!« rief Samuel. »Ich hatte es erraten. Ihr habt, o Herr, mit einem Schlag das Mittel erraten, um Drangianen nicht zu heiraten und Euch, ehe der Tag sich neigt, niederhauen zu lassen.«

– »Wenigstens«, sagte Pendragon, »hätte ich dann mich an meinem Feinde gerächt.«

– »Das ist wahrscheinlich«, entgegnete Samuel, »vorausgesetzt, daß er nicht auf seiner Hut ist, was er sicher ist, und daß er Euch nicht hinter Alexander und der ganzen makedonischen Phalanx versteckt erwarte ... Denn, was wird Euch Euer Mut nützen? ... Nicht hier, auf offenem Feld, angesichts des ganzen Heeres, wird der Kampf geführt werden, und zum Beweise hat Hephästion, der das Lager vor zwei Stunden verlassen hat, in Babylon bereits seinen Einzug gehalten mit einer auserlesenen Schar und wird sich nächstens in Besitz Drangianens setzen.«

Bei diesen Worten rief Pendragon, rot vor Wut:

»Du wußtest dies, Samuel, und hast mir nichts gesagt?«

– »Herr! Ihr habt mir keine Zeit gelassen, mich auszusprechen.«

Jetzt näherte sich der Gallier dem König.

»König«, sprach er, »du weißt jetzt, ob du dem Sohn des Astarak vertrauen darfst?«

– »Ja, gewiß«, sagte Alexander huldvoll. »Ich bin dein Freund, wie du der meinige bist.«

– »König, laß mich wieder ziehen und nach Babylon zurückkehren.«

– »Was gibt es?«

– »Einer meiner Freunde schwebt in der größten Gefahr!«

– »Geh, Pendragon. Ich erwarte dich morgen zur Mahlzeit im Palaste Assurs.«

Im Augenblick verschwand der Gallier aus dem Gesichtskreis, und die vier Brüder Bull, die einsahen, daß er unmöglich einzuholen sei, ließen ihre Pferde langsamer gehen.

Was mich betrifft, der ich auf einem guten, soliden, friedlichen und sanften Landgaul ritt, wie es sich für einen alten chaldäischen Priester (um als solcher zu erscheinen hatte ich ja eine weiße Perücke über meine schwarzen Haare gelegt und hütete mich sehr den kühnen Reiter zu spielen), wie es sich also für mich schickte, so holte ich sie ohne Mühe am Eingang in die Stadt ein, und was ich jetzt erzählen will, sah ich nicht mit eignen Augen, sondern hundert Augenzeugen haben mir es berichtet.

Beim Schall von Nadjeds Hufen, die auf dem Ziegelsteinpflaster der großen Straße widerhallten, erhob sich von allen Seiten ein gewaltiges Geschrei: »Er ist da! er ist da! der Retter! der edle Pendragon! der Vater der Babylonier!«

Zugleich wich jeder aus, um ihm Platz zu machen. Er selber, mit dem Kopfe grüßend und über Nadjed geneigt, schwang sein Schwert und rief: »Wo ist Hephästion?«

Alle antworteten:

»Dort unten! dort unten! Er will die Pforte des Baalstempels sprengen.«

Die Ereignisse hatten sich nämlich also gestaltet:

In dem Augenblick, wo der schöne Hephästion aus dem Angesicht des Königs sich entfernte, erzürnt, weil er seinen Feind mehr als je in Gunst glaubte, wählte er eine Schar von zwei- oder dreihundert Makedoniern aus der Zahl der ihm am meisten Ergebenen aus und beschloß, Drangianen in Abwesenheit des Galliers zu entführen.

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Hephästion will die Pforte des Baalstempels sprengen (S. 141).

Er dachte, da der König ihm die Tochter Amaleks zur Ehe und zugleich die Statthalterschaft Babyloniens als Mitgift versprochen hatte, so werde er, besonders nach dem letzten Vorgange, über einen kleinen Gewaltakt nicht allzu ungehalten sein; der alte Amalek aber werde ohne Zweifel sich auch zufrieden geben mit einer Entführung, die ihn zum Schwiegervater des mächtigsten Mannes im Heere nächst Alexander mache, eines Mannes, der vielleicht, wenn jener in der Schlacht getötet werden sollte, seinem Herrn in der Gewalt nachfolgen könnte.

Was Drangiane betrifft, die nach Art der reichen Chaldäerinnen in vollständiger Unwissenheit erzogen und durch ihren Vater sowie durch die Lehren der Baalsreligion an einen duldenden Gehorsam gewöhnt war, so konnte sie nichts thun, als sich ihrem Geschick unterwerfen.

Es genügte also, sich für einige Stunden ihrer zu bemächtigen, die Hochzeitfeier auf der Stelle nach makedonischer Art zu veranstalten, und – Hephästion sah sich am Ziel seiner Wünsche.

Das war der Plan des kühnen Lieblings Alexanders, sein Ausgang aber war folgender:

Kaum war Hephästion mit seiner Schar nach Babylon gelangt, so zeigte er sich vor der großen Pforte der Tempelmauer und wollte den Eingang erzwingen, aber Amalek, der seinen Plan erraten hatte, erklärte von der Höhe des Turmes herab, der Fallbrücke und Graben beherrschte, daß nichts ihn dazu bringen werde, Kriegsleute einzulassen, und daß Baal eine solche Tempelschändung streng bestrafen werde.

Hephästion entgegnete wütend:

»Im Namen des Königs, dessen Stellvertreter ich bin, befehle ich dir zu öffnen, wenn du nicht willst, daß dir der Kopf abgeschlagen und an die Zinnen der Mauer geheftet werde.«

Amalek erwiderte:

»Ich fürchte Baal mehr als dich und selbst als Alexander. Wo könnte ich den Pfeilen und dem Zorne Baals entfliehen, wenn ich seinen Tempel seinen Feinden überlieferte?«

Der Makedonier rief:

»Ihr alten Freunde, bringt Balken und stoßt die Thüre ein.«

Die Soldaten gingen in ein benachbartes Haus, rissen einen Teil desselben nieder, wählten den größten Balken und ließen ihn mit vereinten, angestrengten Kräften gegen die große Pforte anprallen.

Aber diese war von massivem, zehn Zoll dickem Eisen und von ungeheurer Schwere. Der Stoß dröhnte donnerähnlich, aber war wirkungslos. Mehrere Babylonier meinten, Baal habe seinen Blitz geschleudert.

Aber Baal, der seinen Dienern eine andere Hilfe verschaffte, nahm keinen persönlichen Anteil am Kampfe.

»Bringt Leitern her!« befahl nach mehreren vergeblichen Versuchen Hephästion.

Aber die Mauer des Tempels war so hoch, daß keine Leiter ausreichte. Es nützte auch nichts, ihrer drei an einander zu befestigen, sie erreichten kaum die Höhe der Mauer. Hephästion geriet in Verzweiflung, denn er fürchtete, sein Feind Pendragon könnte noch zu rechter Zeit Nachricht von seinem Unternehmen erhalten und dem Amalek zu Hilfe kommen.

Und mehr als das, Alexander selber war im Begriff seinen Einzug in Babylon zu halten, und wer konnte wissen, mit was für Augen er ein solches Unterfangen ansehen würde, welches einem Tempelraube gleichkam? Allerdings, war einmal die Sache fertig, so würde Alexander, der seinem Günstling alles erlaubte, ihm nicht lange zürnen (so rechnete er), aber noch war eben dies Unternehmen nicht gelungen.

Jetzt faßte er einen entscheidenden, aber gefährlichen Entschluß. Er befahl, alle Möbeln aus der Nachbarschaft herbeizubringen und sie vor der großen Pforte aufzuschichten; hierauf legte er selber Feuer an und eine große Flamme loderte rasch empor.

In diesem Augenblick kam Pendragon an. Ein Teil des Volkes entfernte sich mit dem Ruf: »Feuer! Feuer! der Tempel Baals brennt!«

Andere dagegen stießen einen Ruf des Willkommens aus: »Pendragon ist da! Pendragon! Pendragon!« gleich als hätten sie die Ankunft eines Gottes zu melden.

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