Robert Ascher
Der Schuhmeier
Robert Ascher

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Vierundzwanzigstes Kapitel

So wurde der Schuhmeier eine Nummer. Er zog wie kaum sonst einer. Nicht nur in Österreich, auch schon im Auslande, wo man sich ihn immer öfter ausbat. Sein Äußeres und sein Gehaben machte alles, was er sagte, glaubhaft, ließ nie Zweifel aufkommen.

Er war aber auch ein Meister der gesprochenen Satire. Er hat immer die Lacher auf seiner Seite gehabt, hat mit seinem manchmal recht gemütlichen, manchmal aber blutig stechenden Witz bedrohliche Situationen gerettet, manchen gehässigen Feind für alle Zeiten unschädlich gemacht, manchen Bockbeinigen, der justament kalt bleiben und nicht mitgehen wollte, zum Schmunzeln gebracht und so zu sich herübergezogen.

Auch im sonstigen Verkehr platzte oft seine satirische Ader. Die, auf die es ging, nannten ihn bissig, arrogant, dichteten ihm Emporkömmlingsallüren an.

Das war gar nicht so. Satirisch behandelt hat er die Sorte, die sich herandrängte mit dem gewissen Blinzeln, wobei sie versicherten, daß sie ja längst auch schon dazu gehörten, mit der Partei sympathisierten, ihr Wohlwollen entgegenbrächten und sie insgeheim förderten, denn es gäbe da gewisse Rücksichten und Vorsichten. Denen begegnete er mit großem Mißtrauen und die mußten sehr unbefriedigt abziehen.

Wenn er in einem Menschen einen kalt berechnenden Streber erkannt zu haben glaubte, konnte er sehr unhöflich, sagen wir gleich, saugrob werden. Er hat sich da auch manchmal geirrt und ehrliche Freunde abgeschreckt; aber wer sich nicht abschrecken ließ und ein gutes Gewissen hatte, kam mit ihm doch bald auf gleich.

In Budapest fiel auf einen 1. Mai das Jubiläum der dortigen Arbeiterkrankenkasse. Der Schuhmeier war dringend eingeladen worden und kam auch. Der Maiaufmarsch war verboten worden, die Festversammlung der Krankenkasse mußte in einem Wirtshaus abgehalten werden, das von der Stadt stundenweit entfernt war. Am Abend fand dann in Budapest eine in letzter Minute doch noch erlaubte Massenversammlung statt, in der der Schuhmeier sprach. Es war die größte Versammlung, die Budapest bis dahin gesehen hatte. Viele unter den Massen haben ihn nicht verstanden, weil sie nicht deutsch konnten, aber sie haben den Mann an- und ihm zugeschaut und gefühlt, was er wollte. Noch zweimal hat der Schuhmeier in Budapest in Riesenversammlungen gesprochen. Die Budapester Arbeiter haben diesen Wiener gern gehabt bis zuletzt.

In einer Riesenversammlung in der oberösterreichischen Eisenstadt Steyr. Neben dem Vorsitzenden thront ein uniformierter Beamter der Bezirkshauptmannschaft als Regierungsvertreter. Das Gesicht voll Schmisse, wie ein raufender und saufender Couleurstudent, starrt er den Referenten Schuhmeier so eigenartig an. Dem Schuhmeier kommt es vor, als wollte der Bengel provozieren.

Der Schuhmeier redet kritisch: »Den sozialdemokratischen Abgeordneten ist das Mandat eine Bleikugel, wie uns der Parlamentarismus. Seitdem wir in diesem Kurienparlament vertreten sind, kommt es uns vor, als ob unsere Kraft dahin, als ob wir nicht besser wie jene bürgerlichen Parteien wären, die nur dem Scheine nach arbeiten. Herrgott, wenn wir uns früher reckten und streckten, außerhalb des Parlaments, auch auf der Straße, da waren wir groß und gefürchtet. Und jetzt? Wir kommen aus lauter Rücksichtnehmen auf die Herren 'Kollegen' zur linken und rechten Hand nicht heraus.«

Der Herr Regierungsvertreter forderte den Vorsitzenden auf, den Redner zur Mäßigung zu mahnen.

Der Schuhmeier macht eine wegwerfende Geste und spricht weiter: »Hier an dieser Stelle will ich nachdrücklichst betonen, daß die arbeitenden Massen auf all die Humanität – verzichten, um keinen passenderen Ausdruck zu gebrauchen, und daß sie wissen, daß die Arbeit, die sie leisten, den anderen weit mehr einbringt, als ihnen gegeben wird. Wir wollen den Ertrag der Arbeit, die wir für die ganze Gesellschaft leisten. Dann gibt es keine Not mehr für eines ihrer Glieder. Durch jenen Bettel aber wird der Arbeiter, der alles dies ja schafft, noch erniedrigt. Er ist ein Bettler, der diejenige Hand küssen soll, die von ihm erhalten wird.«

Der Herr Regierungsvertreter fordert den Vorsitzenden auf, den Redner zu ermahnen, er möge derlei Aufreizungen unterlassen.

Der Schuhmeier geht in Saft und redet nun plötzlich von den Beamten: »Im Vormärz herrschten die Beamten. Was zu ihnen kam, mußte stets bittlich kommen. Sie waren nicht des Volkes wegen, sondern das Volk war, ihrem Benehmen nach beurteilt, ihretwegen da. Ist es im Nachmärz anders? Leider nein. Wieder gibt es Beamte, die sich nicht einmal bemühen, zu danken, wenn einer, der ins Amt kommt, sie grüßt. Nicht alle unsere Volksgenossen wissen es, daß die Beamten des Staates des Volkes wegen da sind. Sie benehmen sich, als ob wir noch im Vormärz leben würden, und das macht gewisse Herren kühn. Das Volk wird immer so behandelt werden, wie es sich behandeln läßt. Darum sagen wir: Nur Hut ab vor dem, der ein Ehrenmann ist, aber nicht vor jedem Tropf, der an den Kleidern gelbe Knöpfe tragt.«

Die Versammlung hat den Schuhmeier verstanden und gleich gewußt, auf wen das gemünzt war. Darum wurde gelacht und nach jedem Satz rasend applaudiert wie noch nie in einer Versammlung. Der Herr Regierungsvertreter bekam einen kürzeren Hals und einen brennroten Kopf.

Der Schuhmeier ging auf das Schulwesen über. Und legte sich absichtlich keine Mäßigung auf: »Gilt in der Volksschule die mosaische Lehre, dort auf der Hochschule die naturwissenschaftliche Lehre – warum der Gegensatz zwischen Volks- und Hochschule, warum eine doppelte Lehrmethode, die einen Widerspruch schafft hier und dort? Warum ein Kontra von dem hier, was dort gelehrt wird? Volks- und Hochschule eine Stätte für einen Volkssinn und eine Wahrheit. Gleiche Lehren unten und oben!«

Der Schuhmeier drosch hin: »So wie Rom seit Menschengedenken die Zentrale war, welche Bannflüche und Ketzerurteile in die Welt sendete, durch die das Blut von Tausenden floß, jenes Rom, gegen welches der gelbe Feuerschein flammender Scheiterhaufen loderte, so geht auch von dort die Weisung in die Länder: Je unwissender das Volk, desto ergiebiger das Fischen im Trüben! Nicht durch Feuer und Rad kämpft heute eine weitverzweigte Priesterschaft gegen Wahrheit und menschlichen Geist, sondern lautlos und stetig besorgt eine stille Maulwurfsarbeit den Kampf gegen menschliches Wissen, und diese Maulwurfsarbeit besorgt die moderne Volksschule. Darum das Bestreben einer Klerisei, sich sie ganz wieder zurückzuerobern.«

Der Herr Regierungsvertreter erhob sich, setzte sein Käppi fesch und schief auf und die Versammlung war aufgelöst. Die Menge tobte: »Pfui« und »Nieder«, aber der Schuhmeier beschwichtigte sie mit einer Handbewegung. Langsam leerte sich der Saal. Als nur mehr ganz vereinzelte Leute da waren, gab sich der Herr Regierungsvertreter einen jähen Ruck, ging auf den Schuhmeier zu, streckte ihm die Hand entgegen und sagte: »Also jetzt außerdienstlich: »Servus Franzl!«

Der Schuhmeier schaute verdutzt auf den Herrn Regierungsvertreter, der eben so forsch gewesen, und nur zögernd nahm er dessen Rechte.

»Ja Franzl, kennst mich denn nimmer? Vielleicht wegen der Gluft,*) in der ich stecke?«

Der Schuhmeier verbohrte sich in das zerhackte Gesicht seines Gegenüber.

»Allerdings,« sagte er langsam, »bekannt kommt mir manches vor, aber... aber...?

»No, der Wimmer-Hansl bin i, in die Schul san mir miteinand gangen, im Blechturmverein waren mir Kollegen und an die G'schicht im Stall mit der Schromm-Mia – der Hausmeisterischen vom Gärtnerhaus – wirst dich doch auch erinnern, gelt?«

»Richtig ja, der Wimmer-Hansl... Man hat sich halt verändert, wenn man sich über zwanzig Jahr net g'sehn hat. Und die Uniform, und die Amtsmiene, ja... ja... und die Mia...«

»Die übrigens meine Frau Gemahlin geworden ist. So bleibt man picken. Ich muß mich ja noch vorstellen: Dr. Hans Wimmer, k. k. Statthaltereisekretär, zugeteilt der Bezirkshauptmannschaft Steyr, seit zwei Jahren verschlagen in das gottverlassene und fade Hungerleidernest.«

Der Schuhmeier wurde wärmer. Kindheitserinnerungen tauchten auf. Der Wimmer-Hansl lud ihn zu einem Schwarzen mit gemütlichem Plausch ins Kaffeehaus auf dem Hauptplatz ein. »Komm nur, komm nur,« drängte der Herr k. k. Statthaltereisekretär, »wirst doch net bös sein wegen der G'schicht in der Versammlung. Mein Gott, Dienst ist Dienst. Man muß oft anders als man möcht, gelt?«

Im Kaffeehaus, in dem der Wimmer-Hansl, ehemals der größte Lausbub von Matzleinsdorf, als einer von den Stadthonoratioren dienernd begrüßt und bedient wurde, redeten sie erst von Gewesenem und dabei geschah ihnen so warm und so weich, langsam kamen sie sich näher... Der k. k. Statthaltereisekretär Hans Wimmer bekannte sich als strammer Deutschnationaler und so kamen sie ins Politisieren.

»No und so kommt man auseinander,« sagte der Herr k. k. Beamte elegisch »und, wie sich heut gezeigt hat, übereinander. Aber weißt, Franzl, mir san Jugendfreund und da därf i dir sagen: du treibst es a bisserl arg – Leut aufhetzen, gut, schön, man lebt ganz gut davon, wie Figura zeigt, und wird dabei sozusagen berühmt, wie wieder Figura zeigt, aber laß dir raten, alles mit Maß und Ziel. Aber wieder alle Achtung, wie du das dahersagst mit dein treuherzigen G'schau. Naive Gemüter, gelt, müssen direkt meinen, du glaubst das, was du sagst. Daß 's Menschen gibt, die die Leut anplaudern können, hab i g'wußt, bitt dich, bei mein Dienst, gelt, aber so mit Talent anplaudern wie du – das is schon allerhand. Net amal der Girardi brächte das so z'samm.«

»Du überschätzt mich aber anständig, Freunderl,« erwiderte der Schuhmeier, der die Sache und den Mann nicht ernst nehmen konnte, »und hast keine Spur von einer Idee. Du kommst ja schließlich aus einer anderen und lebst in einer anderen Welt als unsereins und wirst in ihr sterben.«

»Weißt,« lenkte der k. k. Beamte ein, »manches Mal, wenn ich so nachdenke...«

»Geh weiter,« unterbrach der Schuhmeier, »was du net sagst, gibt's das auch?«

»... wenn ich also so nachdenke, find ich, daß diese Sozi eigentlich in manchen Sachen, bitte, nur in manchen und net in allen, net unrecht haben und wieder manches wär gar net so schlecht, wenn's nur möglich wär – siehst also, daß ich ka Reaktionär bin, gelt?«

»Zu gütig, Euer Wohlgeboren, da könnt's uns am End gar noch passieren, daß du zu uns kämst. Das wär ein Glanz in unserer niederen Hütten. Das mußt uns aber vierzehn Tag vorher telegraphieren, damit wir Zeit haben, alles zum festlichen Empfang vorzubereiten.«

»Ausgeschlossen, Franzl, ganz ausgeschlossen. Meine Position, gelt, k. k. Beamter, Weib und Kind hat man auch und will weiterkommen und meine gesellschaftliche Stellung, ich verkehr mit dem Herrn Bezirkshauptmann, der sogar Hofrat is, mit dem Herrn Bürgermeister von daselbst und dem Herrn Steueramtsdirektor, der is doch sogar ein Baron, denk dir, und mit dem Herrn Gerichtspräsidenten und mit hiesige Fabrikanten, schwerreiche Leut, sag ich dir, und unsere Damen verkehren auch miteinander, stell dir vor, in so einem Nest noch dazu, wenn bekannt werden möcht, daß i a Roter hin, a Umstürzler, brr, ka Mensch gäb mir mehr die Hand und net amal in 'n Kegelklub könnt i mehr kommen, na, also, schon deswegen, wär das natürlich ganz unmöglich, Standesrücksichten, gelt, siehst das ein?«

»No, sei so gut, ob ich's einseh. Schad, wirklich jammerschad. Da kann man halt nix machen. Ob wir's überleben werden?«

Der Redselige fuhr fort: »Und net das allein. Unsereins, gelt, kann sich doch net mit sein Dienstmädel und mit ein schmierigen Hausknecht von der Fabrik und mit 'n Herrn Stadtschreiber, der mit der großen Feder aufs Pflaster schreibt, auf a Stufe stellen. Die Manieren und der Bildungsgrad, schon mehr Grad als Bildung, hahaha, ja also, das is a Riesenabstand, das geht ja net, wo doch schon mein Papa ein hoher kaiserlicher Beamter war, das is wohl selbstverständlich, gelt? Aber daß du net vielleicht glaubst – Standesdünkel, oh, das kenn i gar net, sonst hätt i doch net die Mia g'heiratet, gelt, und grad die is in der Beziehung unnahbarer wie i, mein Lieber, die bewahrt Haltung und wann einer net unseresgleichen is macht s' gleich ein Schnoferl.«

»Ja richtig, Hansl, bitt dich, vergiß nicht, bestell der verehrten Frau Gemahlin Gruß und Handkuß.«

»Bestimmt werd i net vergessen Franzl i glaub sie wird sich riesig freuen.«

»Also, was das anbelangt, ganz bestimmt ist das net. Die Gnädige is mir noch ein Dank schuldig, und wie man sieht, sehr viel Dank, denn wenn i damals net verhindert hätt, so wär s' wahrscheinlich heut net Frau k. k. Statthaltereisekretär, und Leut, besonders Damen, die einem Dank schuldig sind, die können einem gar net leiden.«

»Was du wieder glaubst. Ja also um auf das Ursprüngliche zurückzukommen, die Leut, euere Sozi, haben kein Schliff und ka Bildung und Ideale schon gar net so wie wir von der guten Gesellschaft.«

»Sag einmal, lieber Hansl, kommt's dir net vor, als ob ihr, die gute G'sellschaft, das aus die Menschen gemacht hättet, was sie sind? Ihr wollt's doch gar net, daß sie Schliff und Bildung und Ideale haben, ihr laßt's ja die Menschen absichtlich net aus dem Sumpf heraus und macht's ihnen das jetzt zum Vorwurf, was ihr selbst verbrochen habt. Is dir das noch nie eing'fallen? Ihr braucht's doch den schwarzen Hintergrund, damit ihr euch strahlend abheben könnt und ohne den tät kein Mensch etwas von eurem Glanz bemerken. Stimmt's?«

»Kann i das ändern?«

Mit Spitzbubenaugen sagte der Schuhmeier: »Aber Hansi, wer tät denn das von dir verlangen. Aber wenn ihr so angepampft seid mit Wissen und Schliff, so helft's doch mit, die armen Menschen aus dem Sumpf rauszuziehen.«

»Du mit deiner Gleichmacherei. Unterschiede hat's immer geben und wird's immer geben. Gott sei Dank, gelt? I bin a Akademiker, a Intelligenzler und will net in der Masse untergehn. I will a Individualität bleiben, i will wer sein.«

»Die Masse besteht doch aus Individualitäten wie das Haus aus Ziegeln.«

»Ja, aber den einzelnen Ziegelstein sieht man net, hehehe, nur's ganze Haus, i will aber g'sehn werden. Schau, reden mir ernst, gelt? Was da für Leut dabei sein, soviel Bastardln, soviel Böhm und i bin a kerndeutscher Mann, a Deutschnationaler, i war in einer schlagenden Verbindung, ich kenn nur Deutsche, alles andere is G'sindel.«

Der Schuhmeier kam nun in Schwung: »Das ist doch alles Schwindel, aber entschuldige schon, so hellsichtige Intellektuelle, wie du einer bist, kommen da nie drauf.«

»Na hör amal? No sei so gut, willst vielleicht mit mir aa streiten, wo mir doch Jugendfreund san, gelt?«

»Wo werd ich es wagen! Die Deutschen g'hören z'samm, hast g'sagt. Bitte. Aber du hast auch g'sagt, daß du dich mit dein Dienstmädel und mit ein Hausknecht und dem Besenschreiber net auf eine Stufe stellen kannst, weil die Leut keine Bildung und kein Schliff und keine Ideale haben. Das sind aber doch auch Deutsche und gehören also zu dir und du zu ihnen, stimmt's?«

»Also so... das is kindisch.«

»Na, na, so is das schon richtig. Der deutsche Hausknecht muß zum deutschen Fabrikanten halten, freilich, aber dem deutschen Fabrikanten wird's net im Schlaf einfallen, zu sein deutschen Hausknecht zu halten. Beweis mir, daß der deutsche Fabrikant sein deutschen Hausknecht besser behandelt und mehr zahlt als sein böhmischen. Kannst das? Wen er am billigsten kriegt, der ist ihm willkommen. Im Betrieb, wird er sagen, hab ich für solche Dummheiten keine Zeit. Der deutsche Hausknecht wird also von euch, von der deutschen Intelligenz nicht bevorzugt, und auch gesellschaftlich nicht als gleichwertig behandelt. Was haben also die zwei Gemeinsames? Aber die Fabrikanten halten z'samm. Ergo müssen auch die Proleten zusammenhalten gegen die vom Industriellenverband. Das mit Deutsche und Juden, das ist das Dynamit, mit dem die Arbeitsleut auseinandergesprengt werden, damit sie sich untereinand raufen. Das ist das uralte ›teile und herrsche!‹ Stimmt's?«

»Was gehen mich eigentlich deine Proleten an, sei so gut. Wo gehören dann wir Gebildete hin, wir Beamte zum Beispiel?«

»Ihr Stehkragenproleten? Goldkragenproleten meinethalben? Wenn's auf den Letzten zugeht, müßt's auch beim Greißler aufschreiben lassen. Die Oberen, die auch so gebildet sind wie ihr, weil ihnen der Herr Papa Bildung per Kilo hat eintrichtern lassen, nehmen euch doch nicht voll, wenn ihr euch noch so an sie anschmiert, die lassen euch nur als ihre Pinscherln hinten nachrennen. Wenn ihr den ungebildeten deutschen Arbeitern Schliff beibringt und Freude an allem Schönen, daß er sich für den Schiller zu interessieren anfangt statt sich wie ein Schwamm anzusaufen, habt ihr tausendmal mehr für das Deutschtum geleistet, als wann ihr nach jedem Krügel Pilsner Heil! brüllt.«

Zum Schluß wußte der Herr Wimmer nicht mehr weiter und wehrte ab: »Jessas Franzl, mir brummt schon der Schädel. So spät in der Nacht noch so langweilige Sachen. Man möcht sich doch auch a bisserl unterhalten, gelt, nach dem anstrengenden Dienst.«

»Ich unterhalt mich großartig. Also das sind die Gebildeten, die Herren Akademiker. Ist das blöd von mir, wenn ich denen nie über 'n Weg getraut hab?«

»Plag dich net, 's wär schad, um deine schöne Stimm. Mir Gebildeten bleiben Völkische, stramm Nationale, wie man sagt, gelt, und daran kann net amal der berühmte Herr Genosse Franz Schuhmeier was ändern. Tut mir ja leid.«

»Bleibt's ruhig Völkische! Wenn noch was Dümmeres kommt, seid ihr Gebildeten die ersten dabei. Ich sag's ja: die Studierten waren noch immer die Dümmsten. Zahlen! Schläfrig bin ich. Servus!«

»Servus Franzl. Is das a fader Kerl. Der glaubt, i glaub, daß er das alles glaubt.


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