Robert Ascher
Der Schuhmeier
Robert Ascher

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Zehntes Kapitel

Am 24. April 1879 feierten Franz Josef I. und Elisabeth Silberhochzeit und Wien feierte sie mit. An diesem 24. April wurde bei strömendem Regen die Votivkirche feierlich eingeweiht.

Am 18. Februar 1853 hatte der ungarische Schneidergeselle Johann Libeny auf der Bastei nächst dem Kärntnertore einen Mordanschlag auf den Kaiser versucht, diesen je doch nur ganz leicht verletzt. Der Täter wurde gefangen und am 26. Februar hingerichtet. Zur Erinnerung an die Errettung des Kaisers von diesem Attentat wurde die Votivkirche erbaut.

Und am Sonntag den 29. April 1879 bei herrlichstem »Kaiserwetter« fand zu Ehren des Silberhochzeitspaares ein glänzender Festzug vom Prater aus über die Ringstraße statt. Hans Makart, der gefeiertste Maler jener Zeit, war der Arrangeur dieses Festzuges, bei dem eine Farbenpracht entfaltet wurde, wie sie Wien noch nie zuvor bestaunen konnte.

An diesem Sonntagvormittag hatte sich der Franzl freimachen können und vom Vater die Mami ausgebeten. Mit ihr und mit einem Zeichenblock und einem feingespitzten Bleistift stand er eingekeilt im Spalier. Der Mami wurde schwindelig und sie mußte sich auf ihres Buben Schultern stützen. Daß es so viele Menschen gibt! Und diese Kostüme und die vielen Pferde und Wagen, diese flimmernde und glitzernde Herrlichkeit!

»Muß das Geld kosten«, sagte sie immer wieder und schüttelte vor Verwunderung den Kopf.

Der Franzl zeichnete ab, was ihm am besten gefiel. Ein Herr aus dem Spalier guckte ihm zu. Er frug die Mami: »Gehört der junge Mann Ihnen?«

»Freilich,« antwortete sie, »das ist doch mein Franzl.«

»Der kann was,« gab der Herr sein Urteil ab, »den sollten Sie ausbilden lassen.«

Die Mami wurde stolz. Jede Mutter wird stolz, wenn man ihr Kind lobt. Der Franzl spitzte die Ohren.

»Das ist leicht g'sagt,« sprach die Mami, »wir sind arme Leut, unsereins kann seine Kinder nicht studieren lassen. Das einzige, was unsereins studieren lassen kann, is die Pendeluhr«, fügte sie mit Humor bei.

»Wäre aber schad um das Talent,« ließ der Fremde nicht locker, »vielleicht läßt sich doch etwas tun. Geben Sie mir Ihre Adresse.«

Der Franzl steckte den Bleistift hinter das Ohr und hub an: »Schuhmeier Franz heiß i und...«

Die spitzknochige Faust der Mami stieß ihn in die Rippen und deshalb brach er ab. »Du wirst doch nicht,« wispelte ihm die Mami vorwurfsvoll zu, »es gibt heutzutag so viel Schwindler auf der Welt, wer weiß, was der im Sinn hat. Du bist halt noch jung und weißt noch nix.«

Der Franzl gehorchte und zeichnete weiter. Der fremde Herr zuckte die Achseln und kümmerte sich nicht mehr um Mutter und Sohn. Wer kann wissen, welche Gelegenheit da wieder versäumt wurde? Das Leben besteht zumeist aus versäumten Gelegenheiten.

Die Zeichnungen vom Makart-Festzug hat der Schuhmeier noch in späteren Jahren herumgezeigt.


Beim Meister Großkopf ging es weiter, wie am ersten Tag. Der Franzl war wohl Titularziseleurlehrling, aber in Wahrheit der Hauspatsch. Das ertrug er nicht. Er wollte etwas Tüchtiges lernen, um sich später sein Brot selbst verdienen zu können.

Er begann bockig zu werden. Er gab manchmal Antworten, die im Munde eines Lehrbuben etwas Unerhörtes waren. Und als ihm einmal die Frau Meisterin anschaffte, den gefüllten Nachttopf des krank im Bette liegenden Schorschl auszutragen, weigerte er sich mit den Worten: »Dazu bin i net da«, eine Arbeit zu verrichten, die sicher nicht geeignet war, ihm die Anfangsgründe der Ziseleurkunst beizubringen.

Die Frau Meisterin würdigte den renitenten Buben keines Wortes. Sie rief den Herrn Meister aus der Werkstätte und teilte ihm, bleich vor Empörung, mit, was dieser da sich herausgenommen. Der Herr Meister haute dem Rebellen eine links und eine rechts herunter und brüllte ihn an: »Folgen wirst, auf der Stell wirst folgen oder du fliegst hinaus, Lausbub verdächtiger.«

Der Franzl biß sich in die Lippen, Trotz funkelte aus seinen Augen. »I tu's nicht«, beharrte er, nahm den Besen und ging in die Werkstätte.

»Das kann auch nur dir passieren.« So ließ jetzt die Frau Meisterin ihre Wut an dem Herrn Meister aus, der doch gar nichts dafür konnte.

Zum Hinauswurf sollte es gar nicht kommen. Der Franzl beklagte sich wohl am nächsten Sonntag bitter bei der Mami und erklärte ihr mit Nachdruck, daß er das nicht mehr aushalte und alles gar keinen Zweck hätte, weil er ja in dieser Lehre doch nie etwas Rechtes lernen würde; aber die Mami, in deren Natur es lag, zu vermitteln, zu begütigen und Auflehnungen gegen Hergebrachtes im Keime zu ersticken, versuchte ihren Buben zu besänftigen.

»Aber Franzl, du wirst doch die Welt nicht ändern. Das war immer so und wird wohl immer so sein müssen. Schön gehorchen und weiter dienen, nur so kommen arme Leut vorwärts.«

Der Franzl tat so, als hätte ihn die Mami überzeugt, weil er sie nicht kränken und nicht beunruhigen wollte, aber er war nicht überzeugt. Alles in ihm lehnte sich gegen das auf, »das immer so war und wohl so wird sein müssen«.

Am Montagmorgen gab sich der Franzl einen Ruck und verlangte von dem zweiten Lehrbuben endlich die zwei Kreuzer zurück, die dieser noch immer schuldig war, von denen er sich aber beharrlich nichts wissen machte.

Der zweite Lehrbub benahm sich nicht anders, als viele Schuldner sich in ähnlicher Lage benehmen. Er leugnete, etwas schuldig zu sein, und wurde zum Schluß noch kotzengrob.

Solche Verlogenheit war dem in kaufmännischen Usancen noch nicht bewanderten Franzl neu. Er sagte dem die Rechtmäßigkeit seiner Forderung bestreitenden Schuldner gehörig die Meinung. Darüber geriet der in Saft, ein Wort gab das andere, eine Balgerei entstand, bei der der ältere, aber kleinerere den kürzeren gezogen hätte; der bückte sich, holte hinter dem Werktisch eine Handvoll Metallspäne hervor und schmiß diese seinem Gegner ins Gesicht. Der Franzl tat einen gellenden Schrei. Feine, aber spitzige und kantige Metallspäne waren ihm ins Auge geflogen. Ein Span war im Augenwinkel stecken geblieben, und bei den verzweifelten Versuchen, den Span herauszubringen, wurde die Hornhaut verletzt. Sie haben den Franzi sofort zu einem Arzt geführt. Der hat das verletzte Auge gereinigt und verbunden und festgestellt, daß dieses Auge dauernden Schaden erlitten habe. Zum Ziseleur werde es nicht mehr taugen. So ist der Meister Großkopf den Lehrbuben Franz Schuhmeier losgeworden und dieser seine erste Lehre, in der er nichts gelernt hat.


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