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Elftes Kapitel.
Ausklang und Schlußbetrachtung

Nachdem Wilde am 19. Mai 1897 das Gefängnis verlassen hatte, lebte er noch dreieinhalb Jahre. Daß sein Stolz nicht gebrochen war, beweist die Tatsache, daß er das Angebot einiger smarten amerikanischen Journalisten, für einen großen Betrag ihnen einen Bericht über sein Leben im Zuchthaus zu schreiben, verächtlich mit der Bemerkung zurückwies, er begreife nicht, wie man einem Gentleman einen solchen Antrag machen könne. Einige Freunde versahen ihn mit etwas Geld und er verließ England, wo seines Bleibens nicht mehr war. Er ließ sich in Frankreich in dem Dörfchen Berneval bei Dieppe nieder. Seine Frau und seine Kinder wurden von ihm getrennt gehalten. Man hatte ihm eine Pension von 10 sh. täglich ausgesetzt unter der Bedingung, daß er jede Verbindung mit Lord Douglas abbräche. Nach einer Probezeit stellte man ihm die Wiedervereinigung mit seiner Frau in Aussicht. Er nahm den Namen Sebastian Melmoth an, den des Helden des Romans »Melmoth der Wanderer« von dem berühmtesten unter seinen Vorfahren, seinem Urgroßonkel Charles Maturin. Mit den geringen Mitteln hätte er in dem kleinen, sehr wohlfeilen Örtchen leben können, aber er war freigebig wie immer, unterstützte seine Mitgefangenen, half einem Dichter, der in einem Gasthause seine Rechnung nicht begleichen konnte, übte Gastfreundschaft gegen gelegentliche Besucher und machte sich sogar das Vergnügen, am 60jährigen Jubiläum der Königin Viktoria die ganze Dorfschule zu bewirten. Ein gewisser Leichtsinn und die Unfähigkeit sich zu beschränken und zu zähmen, gehörte nun einmal zu seinem Charakter. Zu literarischen Arbeiten konnte er sich nicht aufraffen. Die schon besprochene Ballade und die beiden Briefe über das Gefängniswesen an die Zeitung Daily Chronicle sind das einzige geblieben, was er produziert hat. Wie André Gide berichtet, wollte er ein Drama Pharaoh schreiben, eine Erzählung Judas und ein Drama Ahab und Jesabel, aber er kam zu nichts. Inzwischen drängte Lord Alfred Douglas immer, zu ihm zurückzukommen. Wilde sträubte sich lange. »Bosy schreibt mir Briefe«, sagte er zu André Gide; »er versteht mich nicht. Wir können nicht denselben Weg gehen; er hat seinen, einen sehr schönen, ich habe meinen. Seiner ist der des Alcibiades, meiner jetzt der des Franz von Assisi.« Er wollte also die Tugend der Entsagung üben, die er nie gekannt hatte. Aber er war zu schwach. Schließlich, halb schon gewonnen, bat er den Verführer, ihn erst sein Drama beenden zu lassen; dann würde er zu ihm zurückkehren. Und er schloß seinen Brief mit dem bezeichnenden, in seinem Kontrast zu der Wirklichkeit ach so traurigen Worte: »Und dann werde ich wieder der König des Lebens sein.« Nach einer Zusammenkunft in Rouen gab er nach und zerstörte dadurch zum zweiten Male sein Leben. André Gide fragte ihn später, warum er Berneval verlassen habe. »Man darf jemandem, der so geschlagen worden ist, nichts übelnehmen«, lautete seine resignierte Antwort. Er ging mit Lord Alfred nach Posilippo bei Neapel und verbrachte mit ihm eine kurze Zeit im Überfluß. Aber auch sie war nicht ohne Bitterkeit, denn, wo er sich unter seinen Landsleuten zeigte, wurde er mit kränkender Nichtachtung behandelt. Und nach kurzer Zeit schon entzog die Familie seines Gönners diesem alle Mittel, um ihn zu zwingen, sich von Wilde zu trennen. Auch Oscar Wilde selbst verlor seine Rente. Er mußte nach Paris zurück, wo er von den Spenden seiner Freunde und seiner Frau, die ihn heimlich unterstützte, das Leben eines echten Bohémien führte. »Selbst große Summen«, erzählt Frank Harris, »glitten wie Wasser durch seine unachtsamen Hände«. Er war in sein altes Laster zurückgefallen. »Das Gerede von einer Besserung, Frank,« sagte er selbst zu dem oben genannten Freunde, »ist reiner Unsinn; in Wirklichkeit bessert oder ändert sich kein Mensch. Ich bin derselbe, der ich immer gewesen bin.« Zu schriftstellerischen Arbeiten konnte er sich nicht mehr aufraffen. Nach langem trostlosen Umherirren – oft war er obdachlos und mußte bei Freunden eine Zuflucht suchen – fand er schließlich Unterkunft in einem kleinen Gasthause in der Rue des Beaux Arts, dem Hotel d'Alsace , und lebte hier bis zu seinem Tode. In den letzten Monaten seines Lebens quälten ihn böse Kopfschmerzen, und er suchte sich durch übermäßigen Alkoholgenuß aufrechtzuerhalten. Schließlich aber wurden die Schmerzen fast unerträglich, und die Ärzte sprachen von der Notwendigkeit einer Operation, die aber nur ein ganz bestimmter hervorragender Chirurg übernehmen könne. Man sprach von dem großen Honorar, das dieser fordern würde, und Wilde sagte mit schmerzlicher Selbstverspottung, die an Heine erinnert: »Ach ja, da werde ich wohl auch noch über meine Verhältnisse sterben müssen.« Es kam nicht dazu. Er starb am 30. November 1900. Kurz vor seinem Tode ist er zum Katholizismus übergetreten. Am 3. Dezember 1900 wurde er auf dem Kirchhof zu Bagneux beigesetzt. Auf den Grabstein setzten die Freunde die Worte, in denen Hiob den früheren Einfluß seiner Rede schildert (Hiob XXIX, 22):

Verbis meis addere nihil audebant et
super illos stillabat eloquium meum

(»Nach meinen Worten redete niemand mehr, und meine Rede troff auf sie«). Im Jahre 1909 wurden seine Überreste nach dem Père Lachaise in Paris gebracht.

So endete in der Verbannung und im Elend dieser fröhliche Genius, dessen heitere Phantasie so viele erfreut hatte und soviel mehr noch erfreuen sollte, dessen Worte ein lebendiges Echo gefunden hatten und noch finden in den Herzen der Kleinen wie der Großen, naiver Kinder, wie raffinierter Weltmenschen und verwöhnter ästhetischer Genießer, dessen Leser und Zuhörer sich über die ganze moderne Kulturwelt erstrecken.

Worin liegt nun die Gewalt, die dieser Geist über die Menschen ausübte und noch ausübt, worin liegt das Zwingende, das Überzeugende seiner Kunst? Es liegt doch schließlich darin, daß dieser Mensch, dieser Oscar Wilde, trotz aller seiner Schwächen, ja mit allen seinen Schwächen eine Einheit war in einem Sinne, wie das nur wenigen Ausnahmemenschen zuteil wird. »Ich war ein Mann,« sagt Wilde selbst in seinem Bekenntnisbuche, »der in symbolischen Beziehungen zur Kunst und Kultur meines Zeitalters stand. Ich hatte das, was mich angeht, schon in meinem frühesten Mannesalter erkannt und hatte auch mein Zeitalter gezwungen, es später zu erkennen.« Darin liegt es. Er nahm als künstlerische Persönlichkeit eine ganz selbständige Stellung innerhalb der Kultur und Kunst seiner Zeit ein und war sich dieser voll bewußt, vertrat dieselbe mit großartiger, bis zum Paradoxon gehenden Einseitigkeit und Konsequenz in seinem Leben und Schaffen trotz Spott und Hohn, Verlästerung und Verkennung. Diese Stellung ist die eines Apostels der Schönheit, eines gläubigen Verkünders ihres Wertes für die Menschheit im Gegensatze zu den anderen Werten, die namentlich in Wildes Heimat geschätzt und hochgehalten wurden, der Moral, der Arbeit, der tatkräftigen, konsequenten Lebensführung. Man hat Wilde jede ernste Lebensabsicht, jede »Mission«, wie die Engländer sagen, abgesprochen, ihn als Poseur bezeichnet – ein bedeutender englischer Kritiker, Arthur Symons, nennt ihn sogar wegwerfend »einen Künstler in der Pose« und glaubt ihn damit abgetan zu haben. Nichts ist falscher als das. Wenn je ein Künstler ein einheitliches Lebensziel, eine »Sendung« hatte, die er nie verleugnete, der er stets treu blieb, nicht aus Überzeugung – das wäre zu wenig gesagt –, sondern weil sie der Sinn, das innerste Wesen seines Lebens war, so war es Wilde. Und diese Sendung war eben die der Verkündigung der Schönheit. Wilde ist der Vollender, der Gipfelpunkt jener ästhetischen Bewegung, die nach seinen eigenen Worten mit Keats beginnt und in Ruskin, Morris, Rosetti und Swinburne ihre hervorragendsten Vertreter gefunden hat. Diese sind in gewissem Sinne seine Vorgänger, sie ebenso wie unter den Kritikern Matthew Arnold und Walter Pater. Alle diese Männer sind Kämpfer gegen den englischen Puritanismus mit seiner das Leben verengenden und verhäßlichenden Übertreibung des Moralischen auch in der Kunst und predigen einen neuen Geist, keiner aber so rücksichtslos und konsequent, so einseitig und unbedingt wie Wilde. Man hat ihn des Plagiats beschuldigt, aber er ist ein Plagiator nur in dem Sinne, daß er überall nach Nahrung, Anknüpfung sucht, mit einer genialen Fähigkeit der Aufnahme alles verarbeitet, was in der Kunst früherer Zeiten seinem Wesen genehm ist. Er posiert und gibt den Witzblättern Stoff, weil er das nicht zu unterdrückende Bestreben in sich fühlt, überall seinen Glauben, seine Wertung der Dinge zu bekennen, auch in dem scheinbar Unbedeutendsten, der äußeren Erscheinung und Kleidung. Er wiederholt sich oft, nicht aus Geistesarmut, sondern weil die Dinge in ihm immer dieselben Gedanken anregen, weil er ein festes persönliches Verhältnis zu ihnen hat, das nach Ausdruck verlangt. Er ist – in seinen guten Tagen – von einer oft abstoßenden und herausfordernden Selbstgewißheit und Anmaßung, weil er im Goetheschen Sinne eine »Natur« ist und sich als den Maßstab der Dinge betrachtet. Theorie und Praxis, Leben und Kunst sind für ihn eins. Was er sagt, ist oft einseitig, übertrieben und deshalb halbrichtig, aber es ist fast immer bedeutend, bedeutet etwas. Ein Lehrer des Lebens ist Wilde nicht; zu einer Synthese, die für das wirkliche Leben paßte, ist er nicht vorgedrungen in seinem kurzen, auf der Höhe zerstörten Leben, aber er ist ein Anreger von bleibender Kraft, weil er in hohem Sinne eine Persönlichkeit war.

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