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Zweites Kapitel.
Die Gedichte; der Londoner Ästhet

Neben der Wissenschaft beschäftigte Wilde vor allem die Poesie. Er war ein tief eindringender Leser und Kenner der englischen und daneben besonders der neueren französischen Poesie. Und vermöge eines merkwürdigen Talents der Nachempfindung, das er besaß, und einer erstaunlichen Herrschaft über die metrische Form und die Sprache verwandelte sich alles, was er in sich aufnahm und verarbeitete, wieder in Poesie. Seine poetischen Leistungen erschienen zunächst in irischen Zeitschriften, der Dubliner Universitätszeitschrift Kottabos, der Irish Monthly, dem Dublin University Magazine und später auch in Londoner Blättern. Sie beginnen im Jahre 1875 mit formvollendeten Übersetzungen und poetischen Paraphrasen aus Euripides' Hekuba, Aristophanes' Wolken und Äschylus' Agamemnon und endigen mit einigen, allerdings sehr bedeutenden Ausnahmen im Jahre 1880. Wenn man also Wildes Gedichte kritisch betrachtet, so darf man nicht vergessen, daß sie zum größten Teile Jugenderzeugnisse sind, der Zeit von seinem 20. bis zu seinem 25. Jahre angehören.

Wilde hat seine Jugenddichtungen in der ersten Sammlung des Jahres 1881 in einzelne Abschnitte geordnet, die er mit charakterisierenden Namen wie Eleutheria (Freiheit), Rosa Mystica , Windblumen, Goldblumen, Impressions de Théâtre , Vierter Satz (ein Ausdruck, der der Musik entnommen ist) bezeichnet und zwischen die er größere halb erzählende, halb lyrisch-reflektierende Dichtungen einschiebt, denen er ebenfalls anspruchsvolle, hochtönende Namen gibt, wie Der Garten des Eros, Die Klage um Itys, Charmides, Panthea, Humanitad , und Glykypikros Eros (»Die bittersüße Liebe«). Diese Titel sollen im allgemeinen die Grundstimmung der Dichtungen und des Dichters andeuten, ohne daß darauf eine Entwicklungsgeschichte des Dichters sich in chronologisch strenger Folge aufbauen ließe. Denn neben diesen Stimmungen, diesen Erlebnissen, wie dem Katholizismus und der Mystik, der Freiheitsbegeisterung, dem Hellenismus, der Kunst sind es besonders literarische Erlebnisse, die Poesie anderer Dichter, die Wilde beeinflußt haben. Wilde empfand diese Abhängigkeit selbst. In der »Klage um Itys« sagt er von sich:

Ich bin's, ich bin es, dessen Seele gleich
Dem Rohr nichts Eigenes hat zu künden, drum
Nach anderer Willen flötet, ich bin's, weit
Von jedem Hauch entführt über ein Meer von Herzeleid.

In der Tat finden wir Anklänge an fast alle großen englischen Dichter, an Marlowe und Shakespeare, an Milton und Keats, an Tennyson, Matthew Arnold, Rosetti, Browning, Swinburne, ferner an französische Dichter wie Gautier, Baudelaire und Flaubert, und an die Griechen und Italiener, besonders an Dante, in seinen Dichtungen; dem Literaturkundigen rufen sie die Vorbilder unmittelbar ins Gedächtnis. Ist Wilde deshalb ein Plagiator zu nennen, wie das von deutschen Gelehrten und englischen Kritikern, die die fremde Weise aus seinen Tönen heraushörten, geschehen ist? Ich glaube nicht, wenn auch manche seiner frühesten Dichtungen sich sehr eng an seine Vorbilder anschließen. Er setzt sich nicht hin, um einem anderen Dichter nachzuahmen, sondern er dichtet unter dem starken Einfluß einer anderen dichterischen Individualität, die ihn beherrscht, sein Ohr so erfüllt mit der Musik des fremden Meisters, daß er seine eigene Stimme nicht finden kann. Und sein Erlebnis ist neben der Sprache, die er in diesen Gedichten zu meistern lernt und in der er sich ein Organ von wunderbarer Biegsamkeit und Ausdrucksfähigkeit schafft, vor allem die Empfindung und der Ausdruck der Schönheit, die das beherrschende Prinzip seines Lebens, Denkens und Dichtens sind. Die Verkündigung der Schönheit, und zwar der Schönheit der Kunst um ihrer selbst willen, I'art pour l'art, das war und wurde schließlich seine »Botschaft« oder »Sendung«, wie sie das praktische England nun einmal als Entschuldigung für die Existenz des unpraktischen und daher eigentlich zur Existenz nicht berechtigten Dichters verlangt, und diese »Botschaft« ist in den Jugendgedichten gewissermaßen vorbereitet durch Anschluß an die Dichtungen seiner Vorgänger und berühmten Zeitgenossen, die er verehrte und deren Lob er laut und neidlos singt. Schon damals wies Wilde jede moralische Beurteilung der Kunst ab. Einem Kritiker, der eines seiner Gedichte unmoralisch genannt hatte, antwortete er: »Ein Gedicht ist gut geschrieben oder schlecht geschrieben. In der Kunst sollte es keine Beziehung auf einen Maßstab des Guten oder Bösen geben. Das Vorhandensein solch eines Maßstabes zeigt eine unvollkommene Auffassung+… Der Genuß der Dichtung beruht nicht auf dem Gegenstände, sondern auf der Sprache und dem Rhythmus. Die Kunst muß um ihrer selbst willen geliebt werden und nicht nach moralischen Gesichtspunkten beurteilt werden.«

Er rechnete sich selbst als Dichter zur präraffaelitischen Schule, deren Vorläufer, wie er sagt, Keats war und deren Blüte er in der Malerei von Burne-Jones, in der Dichtung eines Morris, Rosetti und Swinburne sieht. So sind denn die wechselnden Gegenstände seiner Poesie, der Preis der Größe Englands in dem prächtigen Gedichte Ave Imperatrix, die Freiheitsbegeisterung und andere, die katholisierende Mystik und Papstverehrung, dann später Freidenkertum, Pantheismus und Religionsfeindschaft nach dem Beispiele und in der Art Swinburnes, des machtvollen Sängers der »Balladen«, »Der Lieder vom Sonnenaufgang« und des »Liedes von Italien«, den er vor allen bewunderte, nur vorübergehende Stimmungen, keine tiefen Überzeugungen, sondern ästhetische Anwandlungen, aber darum nicht minder wahr und empfunden als etwa Heines »Gang nach Kevelaer«. Als vorwiegend ästhetischer Dichter landet er dann schließlich auch im Impressionismus, beeinflußt besonders von französischen Dichtern, wie Gautier und Baudelaire, und außerdem von dem bedeutenden amerikanischen impressionistischen Maler James McNeill Whistler, mit dem er nach seiner Übersiedlung nach London Freundschaft schloß, eine Freundschaft, die allerdings bald darauf sich zur Feindschaft wandte, da Whistler ihm Plagiat seiner Ideen und Worte vorwarf und boshaft witzig von ihm sagte: » II prend mon bien où il le trouve.« Diese impressionistisch-malerische Lyrik, die von den Dingen nur das Charakteristische, den Wesenskern geben will, nicht das Stoffliche, sondern gewissermaßen die Idee – das ist die eigentlich originelle Note der Lyrik Wildes. Was er in diesem Stile geschaffen hat, ist wenig und gehört meist seiner späteren Zeit an, ist aber in seiner Art vollendet. Andere echte Perlen der Dichtkunst aus dieser Frühzeit sind das schon erwähnte Gedicht auf den Tod seiner als Kind gestorbenen Schwester: Requiescat

»Still, daß du sie nicht störst.
Leise hier geh!
Wachsen die Blumen hört
Sie unterm Schnee«,

ferner seine Sonette Keats' Grab, Shelleys Grab, das Einführungssonett Hélas und einige seiner Sonette an Schauspielerinnen, Phèdre (an Sarah Bernhardt), Portia und Königin Henrietta Maria (an Ellen Terry).

Die umfassenderen, anspruchsvolleren Dichtungen sind am wenigsten gelungen. Hier geht dem Dichter der Atem aus; er flickt poetische Reminiszenzen aneinander, es fehlt die Einheit. Am besten ist unter diesen die poetische Erzählung Charmides, eine Schöpfung von schwüler, süßer Sinnlichkeit. Der Gegenstand des ersten Teils ist die Liebe eines griechischen Jünglings zur Statue der Athena, der des zweiten die Liebe einer Hamadryade zu dem entseelten Körper dieses Jünglings, die im Hades durch die Gunst der Venus einen Augenblick der Erfüllung findet. Auch hier fehlt es nicht an Vorbildern für Inhalt und Form – ein gelehrter gründlicher Kritiker zählt deren nicht weniger als fünfzehn auf, griechische und moderne von Luzian und Theokrit bis zu Shakespeare, Keats, Rosetti und Swinburne –, aber es handelt sich dabei doch um meist unbewußte Anlehnung des außerordentlich belesenen und empfänglichen Dichters. Das Resultat ist ein Gedicht von einheitlichem originellen Ton und großer Schönheit der Form.

Der schmale Gedichtband von 1881 ist im ganzen aufzufassen als eine Vorbereitung Wildes für seine spätere Wirksamkeit, eine Schule der Form und der Schönheit. Wilde hatte der Welt etwas zu sagen, und hier sucht er sich und findet sich dann und wann. Er ist als Dichter ein Erbe und Ausläufer der englischen Romantik, in der er eine zwar nicht sehr bedeutende, aber doch eigenartige Stellung einnimmt.

Mit dem Manuskript dieser Gedichte ging der preisgekrönte Dichter von Oxford im Jahre 1879 nach London, um diese Stadt zu erobern. Seine Mutter, die seit 1876 Witwe war, und sein älterer Bruder Willy, der als Journalist lebte, wohnten ebenfalls in London, aber Oscar wohnte allein, da er seine eigenen Wege zu gehen beabsichtigte. Er hauste in zwei möblierten Zimmern in der Salisburystraße, einer Seitenstraße des Strand, dem Bohèmeviertel, und später in einer Straße in Grosvenor Square. Sein Einkommen war gering, 200 £ jährlich aus dem Ertrage von Land in Irland. Für einen jungen Mann von so gesundem Lebenshunger, der von brennendem Ehrgeiz und starkem Selbstgefühl beseelt war und »seines blauen Porzellans würdig leben« wollte, war das herzlich wenig, um so mehr als er die Tagesfron des Journalismus verachtete und einen direkteren Weg zu Ruhm, Ehre und Genuß suchte. Er mußte die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenken, in die exklusive Gesellschaft eindringen. Der Weg durch die Gedichte war schwer; monatelang suchte er vergebens nach einem Verleger. Da verfiel er auf den Gedanken der Selbstreklame. Er wollte auf jeden Fall Aufsehen erregen, épater le bourgeois, den Philister verblüffen und er wählte dazu das sogenannte »ästhetische Kostüm«, ähnlich wie schon Benjamin Disraeli sich durch stutzerhafte Kleidung bemerkbar gemacht hatte. Aber Wilde hatte hierbei eine wirklich ernsthafte Absicht. »Er machte«, wie ein Kritiker sehr gut sagt, »in unaufrichtiger Weise zu seinen eigenen Zwecken Gebrauch von einem vollkommen aufrichtigen Gefühle.« Nicht bloß kluge Berechnung und Eitelkeit, sondern auch ein starker Glaube an seine Mission, das Schöne in der Welt zum Ausdruck zu bringen, vorbildlich zu wirken, veranlaßten ihn zu seiner Pose. Das »ästhetische Kostüm« bestand in einem Samtrocke, Kniehosen, einem weichen Hemde mit Umlegekragen und einer in einem Levallièreknoten zusammengehaltenen langen Binde von möglichst auffallender Farbe; dazu trug er gewöhnlich eine Lilie oder Sonnenblume in der Hand und rauchte unendliche Zigaretten mit vergoldetem Mundstück. Sein Haar war lang, sein Gesicht glattrasiert, und das alles zusammen mit seiner großen Gestalt, seinen Glotzaugen und seinen interessanten, wenn auch nicht gerade schönen Gesichtszügen erregte das Aufsehen der Gesellschaft, das er suchte, und den Spott und das Gelächter der Straßenjugend, dem er kühl und tapfer Trotz bot. Die Witzblätter bemächtigten sich seiner Person und karikierten ihn; besonders der Punch, an dessen Spitze damals Du Maurier und Bermond standen, machte sich Woche für Woche über die Exzentrizitäten der sogenannten ästhetischen Schule lustig; wir sehen Wilde als Sonnenblume, als General der Heilsarmee und in anderen Stellungen. Besonders aber wurde ihm die Ehre zuteil, auf der Bühne verspottet zu werden. Eine Operette von Gilbert und Sullivan, die unter dem Titel Patience den Ästhetizismus lächerlich machte, hatte in England wie in den Vereinigten Staaten einen ungeheueren Erfolg. Wilde erschien darin, wie er auf dem Strande spazierenging, with a poppy or a lily in his medieval hand. Der Zweck der Reklame, sich gewissermaßen einen Schatten, ein vergrößertes Spiegelbild zur Anlockung des Publikums zu schaffen, war jedenfalls erreicht. Oscar Wilde erlangte als Salonlöwe Zutritt zu der Londoner Gesellschaft, in der ihn seine boshaft-witzigen Bemerkungen, wenn auch nicht beliebt, so doch bekannt machten. Hier lernte er die Aristokratie gründlich kennen, die er später so amüsant und treffend zu schildern wußte. Und auf diesem Wege fand er auch einen Verleger für seine Gedichte.

Am 2. Juli 1881 wurden die Gedichte von Oscar Wilde im Athenaeum zum Preise von 10 s 6 d angekündigt. Sie waren auf holländischem Büttenpapier gedruckt und schön in Pergament gebunden. Es wird berichtet, daß sie es in den ersten beiden Jahren ihres Erscheinens zu fünf Auflagen gebracht haben. Allerdings wird dieser erstaunliche Erfolg des Erstlingsbandes eines Dichters – man denke an die Mißerfolge von Tennyson, Browning, M. Arnold, Meredith – verständlicher, wenn wir hören, daß die ersten 750 Exemplare auf drei Auflagen verteilt wurden und daß dann 1882 500 neue Exemplare gedruckt wurden, von denen aber nur 270 verkauft wurden, während die übrigen 230 bis 1892 auf Lager blieben und dann neu aufgeputzt als neue Auflage erschienen. Erst lange nach dem Tode Wildes, mit dem Jahre 1908, fanden sie erneut schnellen Absatz, und nun folgte Auflage auf Auflage bis auf die Gegenwart. Immerhin ist auch dieser Anfangserfolg bei Gedichten bemerkenswert, so sehr er auch zum Teil auf Mache und Reklame beruhte. Besprochen wurden die Gedichte in vielen Blättern. Punch brachte verschiedene sehr witzige Parodien derselben. Die englische Kritik verhielt sich im allgemeinen ablehnend, vermißte die persönliche Note, warf dem Dichter Oberflächlichkeit, Unaufrichtigkeit und besonders Nachahmung und Plagiat vor. Mit größerem Beifall äußerten sich die amerikanischen Zeitschriften. Das Gedicht Ave Imperatrix wurde mit ähnlichen Erzeugnissen des ruhmgekrönten Poeta laureatus Tennyson verglichen und höher gestellt. Auch Requiescat und Charmides, die Wilde selbst als seine Lieblingsgedichte bezeichnete, fanden viel Bewunderer. Jedenfalls war Oscar Wilde jetzt in England und den Vereinigten Staaten bekannt. Alles was er tat, sagte und schrieb, konnte der allgemeinen Aufmerksamkeit gewiß sein. Es fragte sich nur, ob er sie enttäuschen oder befriedigen würde.

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