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Drittes Kapitel.
Wilde als Vortragender: Der Prophet des Ästhetizismus

Im Dezember 1881 fuhr Wilde nach den Vereinigten Staaten, um dort Vorträge zu halten. Obgleich seit mehr als 100 Jahren politisch und wirtschaftlich selbständig, waren die Vereinigten Staaten damals und sind bis zu einem gewissen Grade heute noch in kulturellem Sinne eine Provinz Englands. Sie empfangen von dort einen nicht geringen Teil ihrer geistigen Nahrung und zahlen in materiellen Gaben. Die englischen Aristokraten holen sich Milliardärstöchter, um ihre Grafen- oder Herzogskronen, deren Glanz verblaßt ist, frisch vergolden zu können. Berühmte Schriftsteller tragen ihre geistigen Erzeugnisse vor, um auf diese Weise Geld zu machen. Charles Dickens hat dies mit sehr großem Erfolge getan, und Thackeray ist ihm gefolgt mit seinen glänzenden Essays über »Die drei George« und »Die englischen Humoristen«. Die Vorträge, die M. Arnold im Jahre 1883 in Amerika gehalten hat, gehören zu dem Gediegensten, was er hervorgebracht hat. Diese Männer waren anerkannte Größen, als sie über den Atlantischen Ozean gingen, um dort ihr Bestes zu bieten. Wilde war den meisten und wohl auch noch sich selbst ein Problem. Man wußte nicht recht, ob man ihn ernst nehmen sollte oder nicht. Er hatte zunächst nur die Absicht, einen Vortrag über »Die Kunstrenaissance in England« in der Chickering Hall in Neuyork zu halten. Von dem Erfolge dieses ersten Vortrages sollte es dann, wie er einem Interviewer des New York Herald mitteilte, abhängen, ob er noch weitere Vorträge halten würde. Auch wollte er versuchen, ein Drama, das er bei sich führte, Vera oder die Nihilisten, und das er in London nicht hatte auf die Bühne bringen können, in Amerika anzubringen. Sein erster Vortrag am 9. Januar 1882, zu dem er in seinem gewöhnlichen »ästhetischen Kostüm« erschien, hatte einen großen Erfolg. Die Neuyorker Zeitungen brachten ausführliche und anerkennende Berichte. Ein unternehmender Impresario, Major Pond, nahm ihn unter seine Fittiche und bereitete eine große Vortragstournee vor. Boston, die alte geistige Hauptstadt der Vereinigten Staaten, die Stadt Emersons und Hawthornes, war das nächste Ziel. Hier versuchten Harvarder Studenten, den »Ästheten« zu verulken. Sie erschienen zu 60 im Gänsemarsch in Frack, Kniehosen, fliegenden Perücken und grünen Binden mit einer Lilie im Knopfloch und einer großen Sonnenblume in der Hand, und verhöhnten den Vortragenden durch lautes und auffallendes Beifallklatschen, wenn er einen Schluck Wasser nahm oder bei anderen gleichgültigen Anlässen. Aber Wilde, der diesmal nicht im »Kostüm«, sondern in gewöhnlichem Gesellschaftsanzuge erschienen war, brachte durch vornehme, ruhige Würde und gelegentliche feine spitzige Bemerkungen die Masse des Publikums auf seine Seite und gewann so den Sieg über die spottlustigen jungen Herren. Ebenso ging es in Rochester, wo die Studenten einen ähnlichen Ulk versuchten. Weitere Vorträge über »Hausschmuck« und »Die Kunst und der Handwerker« hielt Wilde in Omaha, Louisville, Denver, ferner in den Hauptorten Kanadas, Quebec, Montreal, Ottava, Kingston, Toronto, in Halifax, Chikago und anderen, auch kleineren Plätzen. Er drang bis zum »wilden Westen« vor und erzählte später, daß er im Kasino zu Leadville Bergleute und einen Klavierspieler gefunden habe und daß über dem Klavier gestanden hätte: »Es wird gebeten, nicht nach dem Klavierspieler zu schießen. Er leistet ohnehin sein Bestes.« Wilde pflegte hinzuzufügen, daß die Erkenntnis der Tatsache, daß auf schlechte Kunst die Todesstrafe zu setzen sei, ihn verblüfft habe, und daß er empfunden habe, daß seine aufklärende Tätigkeit in dieser weltfremden Stadt, wo der Revolver zu ästhetischen Zwecken so allgemeine Anwendung fände, sehr erleichtert werden würde. Der Erfolg war nicht überall sehr groß, so daß sein Impresario, Major Pond, ihn schließlich allein reisen ließ. Züge von Herzensgüte, die sich in der Unterstützung notleidender Schriftsteller und Künstler zeigte, werden von ihm berichtet. Er besuchte auch den Dichter Walt Whitman, und das Zusammentreffen des Stutzers mit dem auch äußerlich den Naturmenschen darstellenden Dichter der »Grashalme« muß ein höchst merkwürdiges gewesen sein; näher kamen sich diese beiden so ganz entgegengesetzten Naturen nicht. Im allgemeinen war der pekuniäre Ertrag der Reise nicht unbedeutend; der Nebenzweck, die Annahme des Dramas Vera, wurde allerdings zunächst nicht erreicht. Bedeutender aber war die Bereicherung Wildes an Lebenserfahrung, Selbsterkenntnis und Energie. Seine ästhetische Maskierung gab er endgültig auf; soweit hatte doch die Satire der Studenten Erfolg gehabt. Seine amerikanischen Eindrücke hat er in einem Essay niedergelegt, der erst nach seinem Tode im Jahre 1906 von Stuart Mason herausgegeben worden ist. Eine Reihe von Bonmots über Amerika und die Amerikaner sind über seine Dramen zerstreut. Das bekannteste ist die Definition amerikanischer Romane als American dry-goods ( dry-goods = Kurz- oder Schnittwaren, das Wortspiel läßt sich nicht übersetzen).

Was wollte Oscar Wilde aber eigentlich in Amerika, und welches ist die Bedeutung seiner dort gehaltenen Vorträge? Er ging in das Dollarland als der Verkünder einer neuen Religion, eines neuen Glaubens, jener Religion der Schönheit, die in England mit Keats, dem genialen Verehrer des antiken Geistes beginnt, dann die präraffaelitische Bewegung in der Dichtung und Malerei erzeugt und in Ruskin ihren beredtesten Anwalt, in William Morris, dem Schöpfer des modernen Kunsthandwerks, ihren bedeutendsten praktischen Vertreter hervorbringt. Wilde hat dieser Kulturbewegung wenig Neues hinzugefügt. Selbst seine Gedichte sind mehr die Erzeugnisse eines Virtuosen, als eines originellen Schöpfers. Aber er hat doch seine eigene Rolle innerhalb der Bewegung. Ruskin hatte die Ästhetik mit der Ethik verbunden und sie dadurch bis zu einem gewissen Grade gefälscht; der Schönheitsbegriff der Präraffaeliten, wie er in den Bildern und Gedichten von Dante G. Rosetti und den Gemälden von Burne-Jones verkörpert ist, hat etwas Krankhaftes, Melancholisches, Unweltliches; Swinburne begeistert sich für Freiheit, Pantheismus und Verehrung der Menschheit, Antichristentum, ein echter Nachfolger Shelleys. Wilde allein sah die Bedeutung der Schönheitskultur an und für sich, unabhängig von Moral und Leben; er ist ihr konsequentester kritischer Exponent. Das zeigt sich gleich in seinem ersten großen Vortrage über » Die englische Kunstrenaissance des XIX. Jahrhunderts«. Wir haben darin die umfassendste, klarste und beredteste Darlegung der Entstehung und Entwicklung dieser Bewegung, ihres Zusammenhanges mit der allgemeinen Entwicklung der Menschheit und ihrer Bedeutung für die Zukunft, die wir besitzen, und zugleich ein Meisterwerk englischer Prosa, ebenso glänzend, witzig und geistvoll in der Form, wie gediegen und durchdacht in Form und Inhalt. Wilde zeigt sich hier sowohl als einen Mann von umfassendster Bildung, einen Kenner nicht bloß der modernen Literatur, sondern auch der Antike – il savait tout sagte ein französischer Kritiker von ihm, und ein anderer erklärte ihn für le moins borné unter allen englischen Schriftstellern –, als auch als einen scharfsinnigen, feinen Denker. Die anderen beiden Vorträge über »Hausschmuck« und über »Die Kunst und der Handwerker« sind nicht minder formvollendet, aber von geringerer Bedeutung; die Abhängigkeit von Ruskin und William Morris tritt hier mehr hervor. Er spricht als Popularisator ihrer Ideen.

Bald nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten ging Oscar Wilde nach Paris, das bis zu seinem Tode seine zweite Heimat und in gewissem Sinne die Heimat seines Geistes blieb. Er machte sich bekannt, indem er seine Gedichte an bedeutende Schriftsteller und Künstler sandte, und es gelang ihm auch, in persönliche Beziehung zu Männern wie Edmund de Goncourt, Alphonse Daudet, Paul Bourget, dem Dichter Henri de Régnier, dem Kritiker und Romanschriftsteller André Gide, dem Maler John Sargent, der großen Sarah Bernhardt u. a. zu treten; der alte Victor Hugo empfing ihn sogar in seinem Hause. Seine vollständige Beherrschung der französischen Sprache, seine außerordentliche Gabe der Konversation und sein blendender Witz machten ihn überall zu einem gern gesehenen Gaste. Er kleidete sich zwar nicht »ästhetisch«, wie in früheren Jahren, aber er ging sehr elegant, in feinem Pelzrock, mit bunten Steinen an den Ringen über der behandschuhten Hand und einem Amethyst in der grünen Krawatte, ließ sich täglich die Locken brennen und trug einen Stock aus Elfenbein, dessen Knopf mit Türkisen besetzt war, ganz nach dem Muster des Stockes von Balzac, den er sich zum Vorbild nahm. Wie dieser pflegte er bei der Arbeit auf seinem Zimmer im Hotel Voltaire einen langen weißen Mantel mit einer mönchischen Kapuze zu tragen, vielleicht in der Hoffnung, daß mit der äußeren Aufmachung auch die Energie und der Fleiß des Verfassers der Comédie humaine auf ihn übergehen würde. Die »wissenschaftlich ausgedachte Pose«, wie er sich einmal ausdrückt (Robert Sherard The Story of an Unhappy Friendship p. 24), die Annahme einer Maske gehörte nun einmal zu seinem Wesen. Im Grunde war sie ja nur das Zeichen einer angeborenen Willensschwäche, die er durch das Mittel der Selbstanregung zu überwinden suchte. Er hatte wohl Vorsätze, aber es fehlte ihm die stille, im Schweigen gesammelte Entschlußkraft; er hatte, man möchte sagen, den Willen zu wollen, aber nicht den Willen zu sein, die velléité, wie Taine es einmal ausdrückt, und nicht die volonté, und darin liegt die Ursache seines schließlichen Schiffbruchs, seines Unglücks. Er lebte in großem Luxus, speiste in den feinsten Pariser Restaurants und war daher oft in Geldverlegenheit, da das, was er aus Amerika mitgebracht hatte, bald verbraucht war und ferne Einkünfte aus Irland nicht sehr weit reichten. Er hatte seine Hoffnung auf ein Drama gesetzt, das er in Paris vollendete, » Die Herzogin von Padua,« aber diese Hoffnung ging nicht in Erfüllung, und seine übrigen literarischen Erzeugnisse brachten ihm nichts ein.

So mußte er dann im Sommer 1883 nach England zurückkehren, und hier versuchte er noch einmal, mit Vorlesungen Geld zu verdienen. Er sprach zunächst in London in Prince's Hall Piccadilly und dann vor den Kunststudenten in Westminster. Der Vortrag, den er vor den letzteren über »Das Wesen der Kunst« hielt, fußte auf den Ideen des Malers Whistler, der ihn deshalb heftig als Plagiator angriff – er habe den Mut fremder Meinungen, sagte er von ihm. Darauf machte er eine Vortragsreise in der Provinz; der Gegenstand derselben war »Das schöne Haus«. Die Vorträge wurden von der Agentur mit schreiender Reklame angekündigt (Er kommt!!! Wer kommt??? Oscar Wilde!!! Der große Ästhet!!! in spaltenlangen Ankündigungen in den Zeitungen), hatten aber nur geringen Erfolg. Das Publikum hatte eine Sensation, eine Hanswurstiade erwartet und war enttäuscht, als ein eleganter Stutzer vor ihm erschien und mit angenehmer Stimme in ruhiger Weise über schöne Möbel, Hausgerät und dergleichen Dinge vortrug, die über den Horizont des Provinzphilisters hinausgingen und nur wenig Interesse bei ihm erregten. Die Besprechungen in den Provinzblättern beschäftigten sich mehr mit der Person des Vortragenden, als mit dem Inhalte seines Vortrages, witzelten und spöttelten über seine Erscheinung, seine sorgfältig gekräuselten Locken, seinen Kragen, seine untadelig weiße Hemdenbrust, das rotseidene Taschentuch, das darin stak, seine weißen Seidenhandschuhe, seine massive Uhrkette und seine Krawatte und wußten sonst wenig zu sagen. Es war eine Prostituierung, eine Erniedrigung seines Genies, zu der er sich, um Geld zu verdienen, hergegeben hatte. Er lebte eben damals trotz seines feinen äußeren Auftretens, wie ein echter Bohémien, bald in Luxus, bald in Mangel, ohne einen festen Boden unter den Füßen.

Diesem unerquicklichen Zustande machte die Ehe ein Ende, die er am 29. Mai 1885 mit der Tochter eines Dubliner Anwalts, Constance Mary Lloyd, schloß, die er auf einer Vortragsreise kennengelernt hatte. Die Hochzeit fand in London statt, und die Flitterwochen verbrachte das junge Paar in Paris. Die Mitgift seiner Frau ermöglichte es Wilde, ein schönes Haus in Tite Street Chelsea zu mieten, das nach Whistlers Anleitung geschmackvoll ästhetisch eingerichtet wurde und fortan das Heim Wildes blieb. Als Talisman, der ihn zur Arbeit begeistern sollte, erstand er auf einer Auktion den Tisch, an dem Carlyle seine »Französische Revolution« geschrieben hatte, und machte ihn zu seinem Arbeitstisch. Er hatte die Aufgabe, die Balzacs Stöckchen und sein langes weißes Mönchsgewand in Paris ziemlich schlecht erfüllt hatten. Zwei Söhne gingen aus der Ehe hervor, die eine glückliche gewesen zu sein scheint. Frau Wilde bewunderte ihren Gatten, scheint aber eine unbedeutende Frau gewesen zu sein und keinen Einfluß auf ihn ausgeübt zu haben. Sie war von ihrem Großvater, der sehr vermögend war, zur Erbin eingesetzt worden, aber dieser lebte noch, und für den Augenblick reichte ihr Einkommen nicht dazu aus, die Familie zu unterhalten. Oscar wußte deshalb eine einträgliche Beschäftigung suchen: er hielt weiter Vorlesungen und schrieb Zeitungsaufsätze. Seine Vorträge über »Die Kleidung«, »Den Wert der Kunst im modernen Leben« und ähnliche Gegenstände hatten wenig Erfolg. Ein Kritiker in der Dublin University Review meinte spöttisch, Wilde ergehe es wie dem Elefanten Jumbo, er ziehe die Zuneigung und die Schillinge des Publikums nicht mehr an, so belehrend und anregend auch seine Darlegungen seien. Dagegen wurde er ein regelmäßiger Mitarbeiter an der Pall Mall Gazette , der Dramatic Review , der World und anderer Zeitschriften, für die er auch Bücher besprach. Im Oktober 1887 übernahm er die Redaktion einer neugegründeten, im Verlage von Cassel & Co. erscheinenden Zeitschrift, The Woman's World , und füllte diese Stellung zwei Jahre lang mit großer Gewissenhaftigkeit aus. Täglich ging er zu seinem Bureau in Fleet Street und arbeitete dort mit Fleiß und Pünktlichkeit. Selbst das Zigarettenrauchen, das bei ihm eine Leidenschaft war, unterließ er während der Bureaustunden, da es nicht gestattet war. Er selbst steuerte eine allmonatliche Plauderei bei unter dem Titel »Einige literarische Notizen« und schrieb gelegentlich auch längere Aufsätze, wie den über »Stickerei und Spitze«. Wildes literarische Aufsätze zeigen immer Geist und Geschmack, sowie seine umfassende Bildung und namentlich für einen Engländer erstaunliche Kenntnis der Weltliteratur. Auch war er ein glänzender Kritiker; er hat einen ebenso sicheren Blick für das Große und Erhabene wie für pretentiöse Mittelmäßigkeit, und seine Urteile über Walt Whitman, den guten Longfellow, Edgar Allan Poe, über Meredith und über die anderen englischen Romanschriftsteller sind ebenso treffend und scharf dem Inhalte nach als von unnachahmlicher Knappheit und Präzision der Form. Es ist ein wahrer Genuß, diese Kritiken zu lesen.

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