Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IX.

An diesem Morgen waren die schnellsten Eilboten von Abomey nach Whydah mit dem Befehl des Königs abgegangen, daß kein Sclave eingeschifft werden solle, ehe Buardo und Semona gefangen genommen waren. Aber gerade an diesem Morgen waren die Kaufleute in Whydah eifrig mit den Vorbereitungen zu dieser Einschiffung beschäftigt, die in der Nacht bewerkstelligt werden sollte. Um die Zeit, zu welcher in Abomey das Fest begann, wurden in Whydah die Sclaven an ihren langen Ketten in Boote gepackt und durch die hohe Brandung in die See hinaus nach einem der beiden dort ankernden Schiffe gefahren und in dessen untern Raum gebracht. Die Dunkelheit benutzte man dazu, um jenem Dampfer in der Bay das Einschiffen der Sclaven zu verheimlichen, denn derselbe war ein englischer Kreuzer, welcher hier auf Station lag, um das Auslaufen eines Sclavenschiffs zu verhindern. Eine große Anzahl von Booten fuhr eilig hin und her, und ehe einige Stunden vergingen, waren siebenhundert Sclaven an Bord des Schiffes, dessen Luken jetzt geschlossen wurden und auf dem man schnell Alles zur Abfahrt vorbereitete. Doch nicht dies Schiff lichtete die Anker, sondern das andere, leere Fahrzeug, welches zugleich seine Segel bis in die Spitzen seiner schlanken Masten aufzog. Der Mond war noch nicht aufgegangen, die Dunkelheit hatte sich aber schon etwas gemindert, als der frische Ostwind die Segel des Schiffes füllte, und dasselbe nach Süden hin durch die Wogen strich. Das Dampfboot steuerte immer noch in der Ferne der nach Westen laufenden Küste der Gay zu, als das Segelschiff schon viele Meilen weit in die See hinausgezogen war; da plötzlich wandte sich der Dampfer von der Küste ab und folgte dem davoneilenden Fahrzeuge. Bald stieg der Mond auf, und in seinem Lichte konnte man nun in weiter Ferne die Segel des fliehenden leeren Schiffes erkennen, wie sie immer straffer angespannt wurden, und wie der Dampfer, ihm nachjagend, immer schwärzere Wolken über sich ausblies. Nach Verlauf von einer Stunde war Nichts mehr von den beiden Fahrzeugen zu erblicken und nun stiegen die Segel über dem Schiffe empor, in dessen Raum die siebenhundert Sclaven zusammengepackt waren. Die Anker wurden gehoben, das Schiff begann die Wogen zu theilen, und bald floh es in der Richtung nach Westen dem offenen Ocean zu. Dadurch, daß der englische Kreuzer, von dem leeren Schiff gelockt, die Bay verlassen hatte, war diesem mit Menschen beladenen Fahrzeug der Weg frei gegeben, und als der Tag über Afrika aufzog, schwamm die schnelle weißbeflügelte Barke auf offener See und die Küste lag wie ein dunkler Nebelstreif an dem Horizont.

Karney, der Kapitain des Schiffes, ein kleiner behender, aber kräftiger junger Mann mit blitzenden dunkeln Augen und glänzend schwarzem Haar, stand mit Burnock, dem Eigenthümer der Sclaven, einem hohen, schlanken, bleichen Mann mit rabenschwarzem Lockenhaar und großen schwarzen Augen, an der Brüstung auf dem Verdeck des Schiffes, und Beide ließen ihre spähenden Blicke nach Osten hin über den Horizont schweifen. Burnock hatte wiederholt das Fernglas zu dem Auge gehoben und sagte jetzt zu dem Kapitain:

»Noch läßt sich Nichts von dem Engländer sehen, ich hoffe nun, daß wir sicher vor ihm sind. Das Schiff hatte bedeutenden Vorsprung vor ihm und segelte so scharf bei dem Winde, daß es der Dampfer kaum vor Tagesanbruch eingeholt haben wird; und ehe er heute Abend in die Bay zurückkehrt, kann ihm unsre Abfahrt nicht bekannt werden. Ich glaube, er wird sich wohl die Mühe sparen, dann noch nach uns in offner See zu suchen.«

»Vor diesem Burschen sind wir sicher genug; wenn uns von der Aseension-Insel kein anderer auf den Hals kommt, dann haben wir alle Neune geworfen,« erwiederte der Kapitain.

»Schiff in Angesicht!« rief ein Matrose aus dem Mast herab und deutete nach Westen hin. Erschrocken sprang der Kapitain und der Sclavenhändler nach der Spitze des Schiffes und letzterer richtete das Fernglas dem Horizont zu. Nach einer Weile anhaltenden Spähens sagte er:

»Es ist ein großes Schiff, welches, wie es scheint, auf uns zu hält; es ist ja aber nur ein Segelschiff, und wenn es der Teufel selbst wäre, so sollte er uns wohl laufen lassen. Ich habe bis jetzt noch kein Segelfahrzeug gesehen, welches mit dieser Barke Schritt halten könnte. So lange wir keinen Rauch bemerken, hat es nichts zu sagen.

»Wir wollen aber doch dem Kerl auf die Finger passen, daß er uns nicht zu nahe kommt, im Fall es ein Kriegsschiff wäre. Er möchte uns den Wind abgewinnen,« bemerkte der Kapitain, nahm Burnock das Fernglas ab und sprang behend damit in den Mast hinauf. Alles auf dem Verdeck war stumm und sah mit Spannung weiterer Nachricht über das Schiff durch den Kapitain entgegen. Nach einer halben Stunde war dasselbe mit dem ganzen Rumpf über dem Horizont aufgestiegen und Karney rief lachend aus dem Mast herab:

»Der Bursche ist auf ebenso verbotenen Wegen, wie wir selbst, es ist ein Sclavenschiff, das sich eine Ladung schwarzes Fleisch holen will; darauf wette ich mein Leben. Ein Kriegsschiff ist es nicht.«

Mit diesen Worten sprang er vergnügt auf das Verdeck herab, reichte dem Sclavenhändler das Glas zurück und sagte:

»Beschauen Sie sich den Herrn einmal, er hat Nichts auf dem Verdeck liegen, und auch Nichts im Leibe, sonst schwämme er nicht so hoch über dem Wasser.«

Burnock hatte das fremde Schiff auch eine Zeitlang betrachtet und erklärte sich dann mit dem Kapitain einverstanden. Bald darauf zog es an der Barke vorüber und die Kapitains der beiden Fahrzeuge winkten sich mit Tüchern eine glückliche Reise zu.

Die letzte Andeutung der Küste von Afrika war verschwunden und der Kapitain gab dem Schiff eine etwas mehr südliche Richtung, um die nordwestliche Aequatorialströmung baldmöglichst zu gewinnen.

Während nun auf dem Verdeck Alles in gespannter Aufmerksamkeit über das Meer spähete und eine möglicherweise nahende Gefahr Alles in Aufregung erhielt, herrschte in dem Innern des Schiffes eine todtenähnliche dumpfe Abgespanntheit. In dem Raume unter dem Verdeck, dem sogenannten Zwischendeck, so wie in dem darunter befindlichen lagen die Sclaven dicht aneinandergedrängt, mit den Ketten, die sie am Halse trugen, an die Wände und an den Fußboden angeschlossen. Kein Wort, kein Laut ward hörbar und nur das Brausen der von dem Schiff durchfurchten See tönte durch die dunkeln Räume. Der unterste derselben empfing kaum einen Schimmer von Helligkeit aus der offenen Luke, die in den oberen führte, und dieser wurde durch kleine, in dem Verdeck befindliche, mit dickem Glas versehene Löcher matt erhellt. Unter einem dieser handgroßen Fenster nahe an der Leiter, die von der jetzt geschlossenen Luke im Verdeck herabführte, saß Buardo mit Semona im Arm an der nackten Schiffswand und hielt die Kette in der Hand, womit sie Beide an einer Rippe des Fahrzeuges festgeschlossen waren. Semona hatte ihren kleinen schönen Kopf an die Brust des Geliebten gelegt und Buardo ruhte mit seiner Wange auf ihrem Lockenhaar. Sie redeten nicht und blickten sich nicht an, sie fühlten aber gegenseitig den langsamen Pulsschlag ihres Blutes und hörten ihre schweren Athemzüge. Beide sagten dem Vaterlande Lebewohl.

Gegen Mittag wurde die Luke geöffnet, das helle Tageslicht drang in den düstern Raum ein und ein frischer Luftzug durchströmte die schwüle dicke Atmosphäre. Die großen Augen der Neger richteten sich sämmtlich erwartungsvoll nach der hellen Oeffnung und gierig athmeten sie die Seeluft ein. Jetzt stieg Burnock, ihr Herr, auf der Leiter in das Zwischendeck herab, ein schwarzer Diener folgte ihm, und gleich darauf wurde von Oben ein großer Kessel mit Kartoffelsuppe heruntergelassen, dem eine Menge leerer hölzerner Eimer folgte. Noch mehrere schwarze Diener stiegen in den Raum herab und begannen die Suppe in den Eimern an die Sclaven zu vertheilen, so daß immer ungefähr ein Dutzend derselben aus einem solchen Gefäß gefüttert wurden. Dem geleerten Kessel folgte schnell immer wieder ein anderer, bis sämmtliche Sclaven gespeist waren. Dann vertheilten die Wärter Schiffsbrod unter die Gefangenen und reichten ihnen in den Eimern Wasser. Der Kapitain war auch herabgekommen, um die Schwärzlinge, wie er sich ausdrückte, speisen zu sehen.

»Das Füttern nimmt uns sehr viel Zeit,« sagte Burnock zu ihm, »wir haben zwei Stunden damit hingebracht und doch bin ich überzeugt, daß nicht Alle gleichviel bekommen haben. Nun ist aber Niemand an Bord, der diese Raben versteht und sie verstehen uns nicht und können es uns natürlich auch nicht deutlich machen, wenn sie etwas auf dem Herzen haben. Es ist mir sehr unangenehm, daß ich in Whydah keinen Dolmetscher bekommen konnte, der sich dazu verstanden hätte, die Reise mitzumachen. Natürlich fürchteten die Kerle, daß wenn ich sie in Amerika ans Land setzte, ich sie mitverkaufen würde.«

»Und da hatten sie so ganz unrecht wohl nicht,« versetzte der Kapitain lachend.

»Nun, hätte vielleicht der Fall sein können,« sagte Burnock gleichfalls lächelnd. »Im Ernst aber, es ist mir leid, namentlich wenn die Leute krank werden sollten, was mehr oder weniger zu erwarten steht, dann weiß ich wahrlich nicht, wie ich etwas für sie thun soll, denn der Teufel kann sie verstehen.«

»Wenn ich Ihnen dabei behülflich sein soll, so will ich es gern thun,« sagte jetzt Buardo in gutem Englisch zu dem Händler, und dieser, so wie der Kapitain blickten sich rasch und verwundert nach dem Sprecher um.

»Was Teufel, Du kommst mir wie gerufen, Bursche, wo hast Du das Englisch gelernt?« rief Burnock freudig und trat zu Buardo hin.

»Ich bin in der Mission in Cape Coast erzogen worden,« erwiederte Buardo mit einem tiefen Athemzug.

»So komm, Du kannst sogleich Deinen Dienst antreten, und wirst es dadurch selbst nicht schlechter bekommen, als Deine Gefährten,« sagte Burnock, zog ein Bund Schlüssel aus seiner Tasche hervor, und öffnete das eiserne Halsband, welches Buardo an der Kette hielt.

Der Händler gab ihm nun seine Befehle, trug ihm auf, seine Gefährten über ihr Schicksal zu beruhigen und ihnen zu sagen, daß sie es in Amerika viel besser haben würden, als sie es in der Heimath jemals gehabt hätten, und bat ihn schließlich, ihm Alles mitzutheilen, was unter den Sclaven vorginge. Zugleich gab er ihm die Erlaubniß, auf dem Verdeck zu erscheinen, da von jetzt an die Luke immer offen bleiben würde.

»Siehst Du, Buardo, daß uns Gott gnädig ist!« sagte Semona, als der Händler mit dem Kapitain sich entfernt hatte, und hielt ihm mit einem wehmüthigen Lächeln ihre Hände entgegen, die der Jüngling ergriff, feine Lippen darauf preßte und, sich dann neben der Geliebten auf die Kniee werfend, sie innig in seine Arme schloß.

Mit Freuden und freier aufathmend kam Buardo nun den Befehlen seines Eigentümers nach, er redete mit allen seinen Leidensgefährten, sprach ihnen Trost und Muth ein, erkundigte sich nach ihren Wünschen, nach ihren Verlangen, sorgte für ihre Bedürfnisse und that Alles, um ihnen ihr Geschick zu erleichtern und erträglich zu machen. Burnock, so wie der Kapitain sahen bald in Buardo eine große Stütze und werthvolle Hülfe, sein anständiges, bescheidenes und doch festes, stolzes Benehmen gewann ihm ihre Zuneigung und flößte ihnen zugleich eine Achtung vor ihm ein, die ihnen seine schwarze Farbe mehr oder weniger vergessen ließ. Sie unterhielten sich gern und oft mit ihm, er mußte ihnen von Afrika erzählen, und so kam es denn, daß er ihnen auch seine eigene Lebensgeschichte mittheilte. Sie nannten ihn den Negerprinzen, scherzten und lachten mit ihm, und behandelten ihn mehr als einen gemietheten Diener, wie als einen Sclaven. Seine Bitte, auch Semona von der Kette zu befreien und sie ihm zur Gehülfin bei seinen Dienstleistungen zu geben, wurde gern erhört und auch sie machte sich bald nützlich und fast unentbehrlich. Auf Buardo's Rath wurde noch eine zweite Luke in dem Verdeck geöffnet, damit der Luftzug freier in das Schiff eindringen konnte, die Sclaven mußten ihren Aufenthalt in dem Zwischendeck und in dem untersten Raume häufig wechseln, und die schwächlichen, so wie die Kinder wurden zeitweise auf das Verdeck gebracht, damit sie die frische Seeluft genießen konnten. Dabei glitt die Barke ungestört mit immer günstigem Wind durch die Wogen, die gefürchtete Nähe der Ascension-Insel, wo viele englische Kriegsfahrzeuge auf Station gehalten wurden, um den Sclavenschiffen aufzulauern, war überwunden, und der Sclavenhändler, so wie die Schiffsmannschaft fühlten sich aller Gefahr der Verfolgung überhoben. Ein grimmigerer Feind aber, als die englischen Kreuzer, erschien jetzt an Bord des Schiffes, der ihr Interesse und ihre eigene Sicherheit bedrohte; es war das schwarze Erbrechen, welches sich plötzlich unter den Sclaven einstellte. Gleich am ersten Tage starben einige zwanzig von ihnen und wurden den Haifischen zum Raub in die See geworfen. So geduldig und ruhig bis jetzt die Gefangenen ihr Schicksal ertragen hatten, so wild und unbändig begannen sie sich nun gegen ihre Fesseln zu sträuben: sie schrieen, heulten und tobten, sprangen wie wahnsinnig an ihren Ketten umher und verlangten aus ihrem pesterfüllten Gefängniß erlöst und auf das Verdeck gebracht zu werden. Die Erkrankten rollten sich in ihrer Fiebergluth auf dem Boden und zerschlugen sich die Glieder an ihren Ketten, und die Sterbenden stießen unter Flüchen und Verwünschungen die herzzerreißendsten Schreie aus. Selbst Buardo's und Semona's freundliche theilnehmende Stimmen fanden kein Gehör mehr und nur mit Lebensgefahr und mit einem schweren Stock bewaffnet konnte Ersterer sich noch unter die wüthende Schaar wagen, um ihnen Speise und Trank zu bringen, um die Todten von ihren Fesseln zu befreien und sie auf das Verdeck zu schaffen. Die Sterblichkeit nahm mit jedem Tage zu, bald war der unterste Raum im Schiffe ausgestorben und es waren bereits über vierhundert Sclaven über Bord geworfen. Da endlich verstand sich Burnock auf das Bitten Buardo's dazu, den Rest der unglücklichen Schwarzen in Abtheilungen abwechselnd auf das Verdeck zu führen, wozu Tag und Nacht benutzt wurde, und wobei die ganze Schiffsmannschaft bewaffnet Wache hielt. Dies Verfahren brachte bald eine günstige Aenderung in dem Zustand der Sclaven hervor, die Krankheit nahm an Heftigkeit ab und nur noch einzeln zeigte sich der Tod auf dem Schiffe.

Da schallte eines Morgens der Jubelruf »Land« hoch aus dem Maste und Buardo sandte die Freudenbotschaft mit lauter Stimme zu seinen Leidensgefährten in das Zwischendeck hinab. Schon zu Mittag tauchte die flache lange Inselreihe, die sich an der Küste von Nordcarolina hinzieht und dort die geräumigen Binnenseen bildet, aus dem Meere auf, und das Sclavenschiff zog vor Cape Hatteras vorüber, um weiter südlich in einer von den vielen hundert kleinen Buchten einzulaufen, die sich dort in das Land hineindrängen. Bald hatte der Kapitain den wohlbekannten Punkt seiner Bestimmung an der Küste erkannt, näherte sich langsam unter nur wenigen Segeln und lavirte in einer Entfernung von einigen Meilen vor demselben auf und nieder, bis er plötzlich durch das Glas eine große weiße Flagge auf dem Strande wehen sah, die ihm als Zeichen diente, daß ihm beim Einlaufen keine Gefahr drohe.


 << zurück weiter >>