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Von Hugo Falk
Unser Klub war versammelt, und der Detektiv Erland Broman hatte das Wort. Er zog ein schwarzes Lederfutteral aus der Tasche, öffnete es und nahm eine Zigarrenspitze heraus, die er seinem Nachbar reichte.
»Ich möchte Sie bitten, meine Herren, die Zigarrenspitze genau zu betrachten, denn sie ist das Korpus delikti der Kriminalgeschichte, die ich Ihnen erzählen will. Ist sie nicht prächtig?«
Und sie war wirklich ein Prachtstück in ihrer Art. Aus dem feinsten Meerschaum gefertigt, hatte sie die Form eines Drachens, dessen offener Rachen die Zigarre hielt und dessen Schuppenschwanz in einem Stückchen hellgelben Bernsteins endete.
»Nun,« begann der Detektiv, »das Geschick zweier Menschen hängt an diesem scheinbar so unschuldigen Spielzeug. Da ich das Glück hatte, einige mir anvertraute kriminalistische Aufträge sehr günstig zu lösen, habe ich mir auf diesem Gebiet einen Namen erworben, der eines Tages – es war im November vorigen Jahres – einen jungen Mann zu mir führte, dessen Angelegenheit ich in aller Stille zu entwirren suchen sollte. Er stellte sich mir als Axel Frank vor, früherer erster Angestellter und Kontorchef der Kolonialfirma A. F. Wirén u. Co., wie bekannt, eines der größten Geschäfte seiner Branche im ganzen Norden. Und er erzählte mir die folgende kuriose Geschichte:
Ursprünglich als Volontär in der Firma tätig, hatte er sich bis zu einer ersten Stellung emporgearbeitet. Sein Chef erwies ihm unbedingtes Vertrauen und herzliche Freundschaft und sah ohne Mißbilligung, daß er der einzigen Tochter des Hauses eine innige Verehrung entgegenbrachte. Er hatte also die glänzendsten Aussichten für die Zukunft, als plötzlich alle seine Hoffnungen zusammenbrachen. Und das geschah gelegentlich eines Diners in dem Hause seines Chefs.
Am Vormittag des betreffenden Tages hatte er durch einen glücklichen Coup an der Börse ein paar tausend Kronen verdient. Dieser Erfolg und die vortrefflichen Weine des Diners hatten ihn ein wenig übermütig gemacht. Als man nach Tisch eine Partie Bridge arrangierte, spielte er gegen seine Gewohnheit sehr unvorsichtig. Doch auch hier hatte er ein merkwürdiges Glück, sein Gehirn funktionierte mit übernatürlicher Schärfe, er erriet die Absichten seines Widerparts und spielte mit rascher Entschlossenheit. Er befand sich in jenem Zustand, der durch ein Zusammentreffen besonderer Glücksumstände zuweilen in uns geschaffen wird, in dem all unsere Sinne zur höchsten Potenz der Kraft angespannt sind und jeder Widerstand durch einen Hauch unserer Lippen fällt. Er hasardierte und gewann, gewann unablässig, und das erhöhte noch sein Glücksgefühl.
In dem um den Tisch sich sammelnden Kreis interessiert Zuschauender befand sich auch sein Prinzipal. Als dieser ihn dann nach Schluß des Spiels mit sich in sein Zimmer nahm, strahlte er wie ein junger Gott – nun würde er seines Lebens höchstes Ziel erringen, würde um die Hand der Angebeteten werben! Konsul Wirén plauderte freundlich über alles mögliche, und mein Klient war gerade im Begriff, die entscheidende Frage zu tun, als er ihn in scherzendem Ton bat, ihm doch einmal seine Zigarrenspitze zu zeigen – dieselbe, die soeben unter Ihnen zirkulierte. Ganz erstaunt zog Frank sie aus der Tasche, er hatte sie nicht benutzt, seitdem er nach Tisch eine Zigarre geraucht, hatte aber damit seine Stiche beim Bridge markiert. Der Konsul drehte das hübsche Ding nach allen Seiten und sagte plötzlich:
»Wozu ist dieses Stückchen Spiegelglas hier? Und warum haben Sie die Öffnung damit verstopft? Das macht ja die Benutzung vollkommen unmöglich, – wenigstens was das Rauchen anbetrifft.«
In dem Glauben, daß sein Chef mit ihm scherze, nahm Frank die Zigarrenspitze zurück – ja, wahrhaftig! In dem Rachen des Drachenkopfes steckte ein Stückchen Spiegelglas! Warum es dort steckte, und wie es dorthin gekommen war, das ahnte er nicht, und bestürzt und verwirrt betrachtete er es. Doch der Konsul erhob sich vom Sofa.
»Das erklärt zur Genüge Ihr Glück beim Spiel heute abend,« sagte er ernst. »Mit diesem Ding vor sich auf dem Tisch lassen sich beim Geben die Karten der anderen leicht kontrollieren. Der Kniff ist, soviel ich weiß, vollkommen originell und zeugt für eine gute Erfindungsgabe. Doch ich für mein Teil wünschte, daß Ihre Talente in dieser Beziehung sich auf andere Ziele gerichtet hätten. Sie begreifen natürlich, daß nach dieser Entdeckung alles zwischen uns aus ist – nicht einmal die Stellung eines Laufburschen würde ich Ihnen – einem Falschspieler – anvertrauen. Und sollten Sie irgendwelche hochfliegenden Pläne bezüglich eines Mitgliedes meiner Familie gehabt haben, so werden Sie wohl verstehen, daß dergleichen nun nicht mehr in Frage kommen kann. Gott sei gelobt, daß ich Sie demaskiert habe, ehe es zu spät war. Und nun adieu! Wagen Sie es nicht noch einmal, sich in meinem Hause sehen zu lassen. Ihren sogenannten Spielgewinn mögen Sie behalten. Adieu!«
Außer sich vor Empörung und Erbitterung hatte der junge Mann seinem Chef zugehört. Noch konnte er den Inhalt seiner Worte kaum fassen.
»Darf ich wenigstens noch eine Bitte an Sie richten?« fragte er.
»Was könnte das sein? Der Polizei will ich Sie nicht angeben – um meiner selbst willen nicht.«
»Ich bitte Sie um die Beantwortung einer Frage: Wer hat mich bei Ihnen denunziert?«
»Wollen Sie sich rächen? Gleichviel, ich kann es Ihnen nicht verraten, ich bin durch ein Versprechen gebunden. Und nun gehen Sie!«
Frank legte seinen Spielgewinn auf den Tisch und ging. Am nächsten Tage kam er zu mir mit seinem Bericht. Er machte auf mich einen so unbedingt wahren Eindruck, daß ich ihn für vollkommen unschuldig hielt.
»Welche Personen nahmen an der Spielpartie teil?« war meine erste Frage, als er geendet hatte.
»Generalkonsul Hamnell, Finanzrat Gripenfeldt und Kapitän Höög.«
Alles Leute, die ich als vermögend und ehrenwert dem Namen nach kannte.
»Haben Sie irgendeinen Feind, dem Sie zutrauen könnten, daß er sich eines solchen Schurkenstreichs bedient, um Sie ins Unglück zu stürzen?«
»Nein, keinen. Ich bin ruhiger, zurückhaltender Natur, die nicht leicht mit anderen in Unfrieden gerät.«
»Sie haben auch keinen Nebenbuhler?«
»Ja,« sagte er nach einem kurzen Nachdenken, »ich weiß nicht recht, was ich da sagen soll. Luise – Fräulein Wirén wird natürlich viel der Hof gemacht. Aber ich glaube nicht, daß sie irgendeinen ihrer Kavaliere besonders begünstigt hat, so daß jemand hoffen könnte, ernste Aussichten zu haben.«
»So. Nun noch eine letzte Frage: Haben Sie vielleicht eine Feindin unter den Damen, die zum Diner da waren?«
»Wie wäre das möglich? Natürlich nicht – obwohl – ja – das heißt – im Wirénschen Hause lebt momentan ein Fräulein Klingwall, eine Nichte des Konsuls, die gewisse Gründe haben könnte, mir gram zu sein. Luise – Fräulein Wirén war im letzten Jahr in einem Pensionat in Lausanne, und da ich auch während ihrer Abwesenheit fast täglicher Gast im Hause meines Prinzipals war, wurde ich inzwischen mit Fräulein Klingwall recht vertraut. Vielleicht war ich ein wenig unvorsichtig, ein wenig zu entgegenkommend im Verkehr mit ihr. Sie wußte ja nicht, wie ich mit Luise stehe ...«
Ich versprach ihm, der Sache nachzuforschen und ihn zu unterrichten, sobald ich eine Spur entdeckt hätte, die zur Aufklärung führen könnte. Die unglückselige Zigarrenspitze behielt ich zurück und untersuchte sie genau. Mit Hilfe eines Vergrößerungsglases fand ich darin ein Stückchen Spiegelglas, das kürzlich erst hineingesetzt sein konnte, da die Ritzen noch ganz frisch waren; auch mußte es in großer Eile geschehen sein, denn ein Splitter war abgebrochen, was kaum der Fall gewesen wäre, wenn die fragliche Person das verräterische Glas in Ruhe zu Hause bei sich eingesetzt hätte. Nun galt es, in die feindliche Festung einzudringen, ohne daß deren Besatzung die Gegenwart des Widersachers ahnte.
Ich schrieb einen Brief an einen Großkaufmann in der Provinz – Bergendahl u. Söhne –, dem ich einmal einen bedeutenden Dienst geleistet hatte, und bat ihn, mich im Interesse einer wichtigen Angelegenheit bei der Firma Wirén u. Co. als seinen Einkäufer auftreten zu lassen. Bald hatte ich eine große Order auf Konserven von ihm in der Hand. Nun brachte ich in Erfahrung, wann Wiréns wieder eine Gesellschaft gaben, die aus denselben Personen bestand wie an jenem verhängnisvollen Tage. Mich möglichst der Kleidung eines provinzialen Geschäftsvertreters befleißigend, schickte ich meine neugedruckte Firmenkarte in das Kontor des Konsuls Wirén. Er empfing mich sehr zuvorkommend und wurde noch freundlicher, als ich meine große Order vorlegte, die in zehn Minuten erledigt war. Als alter Geschäftsfreund der Firma Bergendahl u. Söhne hatte er viele Anknüpfungspunkte mit mir, wir unterhielten uns vortrefflich, und er fragte mich schließlich, ob ich bereits über den heutigen Tag disponiert hätte, oder ob ich ihm das Vergnügen machen wolle, bei ihm zu speisen. Entzückt, daß meine List so vollkommen gelungen war, dankte ich ihm überströmend und sagte zu. Dann verabschiedete ich mich und telephonierte an meinen Klienten, daß er sich bereit halten solle.
Um sechs Uhr stand ich in Wiréns Salon. Im Laufe der Unterhaltung mit meinem liebenswürdigen Gastgeber fragte ich ihn nach Fräulein Klingwall.
»Ich sehe mich vergeblich nach ihr um. Soviel ich weiß, ist sie ja seit längerer Zeit Gast in Ihrem Hause?«
»Ja, gewiß!« Er sah mich überrascht an. »Kennen Sie meine Nichte?«
»O ja, wir sind uns schon einige Male begegnet, hoffentlich wird sie sich meiner noch erinnern.«
»Ach, sicherlich,« meinte er höflich und sah in seine Liste, die er aus der Rocktasche zog. »Das macht sich ja ausgezeichnet, sie ist Ihnen als Tischdame bestimmt. Sehen Sie, da kommt sie gerade.«
Und er zog mich mit sich zu einer jungen Dame mit schönen dunklen Augen, üppigem, blauschwarzem Haar und einer etwas extravaganten Toilette.
»Hier, Adele,« sagte er, indem er mich vorstellte, »ein alter Bekannter von dir. Nimm dich seiner an bei Tisch und sieh zu, daß er einen guten Eindruck von unserem Hause bekommt.« Und mir freundlich auf die Schultern klopfend, entfernte er sich.
Die junge Schönheit sperrte erstaunt die Augen auf und musterte mich mit einer Miene, als zweifle sie an meinem klaren Verstand. Doch ich nahm ohne weiteres ihren Arm und führte sie zu Tisch. Hier erzählte ich ihr eine äußerst unwahrscheinliche Geschichte von einem vor einigen Jahren von uns beiden gemeinsam eingenommenen Mittagessen auf Hasselbacken, und als sie es energisch verneinte, sprach ich von dem Eindruck, den sie auf mich gemacht hätte – was übrigens besonders unlogisch war – in einer Weise, wie junge Mädchen es gern hören, und brachte sie bald in die allerbeste Stimmung. Nun meinte ich etwas festeren Boden unter den Füßen zu haben und suchte behutsam nach der Spur.
Uns gegenüber saß Luise Wirén, ein schlankes, schönes, blondhaariges Mädchen mit großen, blauen Augen und frischem Teint. Sie sah bedrückt und traurig aus und schien zerstreut auf die Fragen zu antworten, die ihr Herr zur Linken an sie richtete, ein Mann mit stechenden, kleinen grauen Augen und einem Pincenez davor, einem, wie es schien, funkelnagelneuen Frack und einem übertrieben reich gestickten Oberhemd. Fräulein Wirén hatte mir bei der Vorstellung ein paar liebenswürdige Worte geschenkt und mit ihrem traurigen Lächeln und den von verhaltenen Tränen leuchtenden Augen mein ganzes Herz gewonnen.
Das Mittagessen war ausgezeichnet, der vorzügliche Sekt beschwor auf Fräulein Klingwalls feines Antlitz ein schwaches Rot herauf. Der rechte Augenblick war also da.
»Ich vermisse Axel Frank heute hier,« sagte ich mit dem gleichgültigsten Ton der Welt. »Ich hatte gehofft, ihn hier zu treffen, ich habe ihn seit langer Zeit nicht gesehen.«
»Axel Frank – Herr Frank, wollte ich sagen, ist jetzt nicht mehr so oft hier wie früher,« erwiderte sie, und ihre schwarzen Augen blitzten mich an. »Er – nun ja, es ist etwas geschehen, infolgedessen er sich – er sich hier nicht mehr wohl fühlt. Kennen Sie ihn schon lange?«
»O ja,« antwortete ich, »und ich halte ihn für einen der besten und zuverlässigsten Menschen, denen ich je begegnet bin. Man erzählte einst, soweit ich mich erinnere, von seiner Bewunderung für Ihre schöne Cousine uns gegenüber. Aber ich nehme an, das war nur ein Gerücht ohne eine Spur von wirklicher Begründung?«
»Meinen Sie?« sagte meine Nachbarin mit einer wohl nur meinem Detektivohr vernehmbaren Schärfe in der Stimme. »Meine Erfahrung weist auf das Gegenteil hin.«
»Es gehört zu dem Wesen der Liebe,« sagte ich philosophisch, »daß ihre Wege krumm sind. Axel Frank hat nur ein Mädchen hier auf Erden so geliebt, daß er es zu seiner Frau machen wollte – und das wissen auch Sie sehr wohl.«
Meine Behauptung enthielt ja an und für sich keine Unwahrheit, aber die Art, wie ich sie äußerte, war durchaus dazu angetan, sie irrezuleiten. Sie biß auch sofort auf den Köder an.
»Woher wissen Sie das?« fragte sie in einem Ton, der ihre starke Erregung hinlänglich verriet. »Aber warum frage ich danach? Geschehen ist geschehen und kann niemals ungeschehen gemacht werden.«
»Sagen Sie das nicht. Die meisten Irrtümer und Fehltritte hier auf Erden lassen sich richtigstellen und gutmachen, wenn man nur ernstlich will.«
»Ist das nicht eine gar zu billige Weisheit?« antwortete meine schöne Nachbarin.
Ich füllte ihr Glas von neuem und gestand mir innerlich, daß sie vollkommen recht hatte. Aber die Zeit drängte, und ich überging ihre Bemerkung.
»Will man auf Ihre Version der Frage eingehen,« fuhr ich daher fort, »so ist wohl der dort,« und ich machte eine Bewegung nach der Richtung von Luise Wiréns Kavalier, der sich gerade zu ihr neigte, »der Grund, daß mein Freund sich nicht mehr wohl fühlt im Hause seines Prinzipals?«
»Sie haben recht, mehr als Sie selbst es ahnen,« sagte sie hastig und impulsiv, »aber die Ursache ist nicht die, die Sie dort zu sehen meinen. Oh, wie ich sie hasse, die Männer und ihr Doppelspiel!« Sie sagte es mit einer Schärfe und einer Unbewußtheit, die meine Aufmerksamkeit erhöhte. »Sie sind alle gleich, und Treue ist für sie der allerabstrakteste Begriff.«
Wieder füllte ich ihr Glas, während ich über diese neue Spur nachdachte. Sollte wirklich dieser Stutzer dort neben Luise Wirén gemeinsam mit meiner Nachbarin die Intrige ausgeführt haben, die meinen Klienten zu Fall brachte? Und hatte der Attentäter, nachdem er Frank beseitigt, sein Sprungbrett – seine Mitschuldige – fortgestoßen, um sein ursprüngliches Ziel zu verfolgen? Die Hand der reichen Erbin? Durfte ich also annehmen, daß die Liebe das Motiv war, so muß die Verschmähte ihr Herz in zwei Hälften geteilt und jedem der beiden Rivalen eine Hälfte geschenkt haben. – Ich fand keinen Ausweg aus dem Dunkel, wenn ich gleich die Liebe für die einzig wirkende Kraft hielt.
Angenommen, meine schöne Freundin sei in Frank verliebt und habe ihn in der Verzweiflung der Eifersucht mit Hilfe jenes Mannes gestürzt, für den sie eine Zärtlichkeit geheuchelt, die sie nie gefühlt hatte. Und er habe es ebenso gehalten, bis er seinen Nebenbuhler für immer unschädlich gemacht und dann die Doppelrolle seines Spiels offen gezeigt hätte. Für ein Mädchen von stolzer und empfindsamer Natur wäre das ein Verrat, den sie nie verzeihen könnte und der den wahnsinnigen Haß begreiflich machen würde, den ich aus ihren Augen leuchten sah, als sie den Blick auf den Mann uns gegenüber richtete.
»Ich glaube den Kavalier Ihrer Cousine zu kennen,« sagte ich. »Ist er nicht beim Zollamt angestellt und heißt Andersson?«
»Bewahre, nein,« antwortete sie kalt, »er ist Fondsmakler und heißt Jones.«
»Jones. Ach ja, ich habe von ihm gehört. Er spielt ja wohl meist mit großem Erfolg an der Börse?« wagte ich die Sonde etwas tiefer zu stecken.
»Erfolg? Ja – man sagt.«
»Es gehört ein besonders konstruierter Kopf dazu, das Spiel dort dirigieren zu können.«
»Ja, ich nehme es an. Doch gewiß ist, daß ein besonders konstruiertes Gewissen dazu gehört, zu spielen wie er. Und ihm sind, scheint mir, alle Papiere zu diesem Zweck gut genug, selbst die Karten.«
Aha! Ich glaubte nun, schon etwas klarer zu sehen in dieser verwickelten Geschichte. Doch konnte ich unsere Unterhaltung nicht fortsetzen, denn die Tafel wurde aufgehoben. Nachdem ich mich im Salon vor meiner schönen Nachbarin verneigt hatte, suchte ich das Rauchzimmer auf, um mich hier neben Herrn Jones niederzulassen und an einem lebhaften Gespräch über Börsenangelegenheiten teilzunehmen. Mein neuer Freund rauchte wie ein Schornstein, und als er eine prachtvolle Zigarrenspitze aus der Tasche nahm, kribbelte es mich fast unwiderstehlich in den Fingern. Aber ich überwand mich und bemühte mich statt dessen, den ohnehin schon sehr eifrig gewordenen Herrn Jones durch meinen Widerspruch noch mehr zu erhitzen. Er war so interessiert, meine Behauptungen zu widerlegen, daß er seine Zigarre vergaß, sie mit der Spitze auf den Tisch tat und aufstand, um seinen Worten mehr Nachdruck zu geben. Auf diesen Moment hatte ich gewartet, und indem ich eine scheinbar unvorsichtige Bewegung machte, warf ich ein eben gefülltes Glas Grog über seine Beinkleider und ein Glas Wasser über die meinen. Das Opfer meiner Ungeschicklichkeit fluchte nicht eben fein, und während ich aufsprang und mich abtrocknete, nahm ich unbemerkt die Zigarrenspitze und ging zur Tür, um einen dienenden Geist herbeizurufen. Draußen im Entree war es dann das Werk eines Augenblicks, die Spitze durch ein Vergrößerungsglas zu untersuchen und das Stückchen Spiegelglas hineinzupassen. Und ehe Herr Jones noch an etwas anderes denken konnte als an seine durchnäßten Beinkleider, war ich wieder da und erschöpfte mich in Entschuldigungen, die ziemlich reserviert aufgenommen wurden.
Mein Verdacht war aber zur Gewißheit geworden. Glücklicherweise hatte er in seinem Ärger das Verschwinden der Zigarrenspitze nicht entdeckt, und es gelang mir, sie wieder auf den Tisch zu legen, während ich die Scherben der zerschlagenen Gläser aufsammelte und so dem Diener half, der sich mit offenbarer Verachtung meiner Ungeschicklichkeit an die Arbeit machte. Nach einer Weile erhob ich mich und ging in den Salon. Dort saß die, die ich suchte, Fräulein Luise Wirén. Ich sprach sie mit ein paar gleichgültigen Worten an, sobald wir jedoch unbeobachtet waren, flüsterte ich ihr ins Ohr:
»Klingeln Sie bei Axel Frank an und sagen Sie ihm, daß er sofort hier erwartet wird.«
Ohne zu antworten, starrte sie mich mit großen, erstaunten, ja, ich fürchte, ein wenig erschrockenen Augen an.
»Nicht fragen,« fuhr ich fort, »es ist sehr eilig. Begnügen Sie sich mit der Versicherung, daß ich sein und Ihr Freund bin und daß es Ihre ganze Zukunft gilt. Tun Sie, was ich Ihnen sage, und tun Sie es sofort.«
»Aber Axel – –«
»Er ist durch mich unterrichtet und wartet nur auf Ihren Anruf. Die unglückselige Geschichte von neulich soll nun aufgeklärt werden. Er kann jedoch nicht auf meinen Anruf hin kommen – wenn Sie ihn lieben, so zögern Sie nicht eine Sekunde.«
Ohne noch eine einzige Frage an mich zu richten, ging das resolute Mädchen langsam durch das Zimmer und zur nächsten Tür hinaus. Ich folgte ihr.
»Lassen Sie Ihren – Ihren Verlobten vor dem Arbeitszimmer Ihres Vaters warten, und geben Sie mir ein Zeichen, wenn alles bereit ist.«
Sie nickte, und ich ging in das Rauchzimmer zurück, in dem mein Mißgeschick vergessen zu sein schien. Die Stimmung ging hoch. Die kahlen Schädel und starken Gesichter röteten sich, und man schien dem Whisky eifrig zuzusprechen. Es gelang mir, einen Platz zu finden, von dem aus ich den Blick auf die Tür des Arbeitszimmers richten konnte, und so wartete ich meine Zeit ab, indem ich scheinbar eifrig mitredete über Diskonto und Obligationen, innerlich aber mit Ungeduld auf den Moment harrte, in dem Luise Wirén in der Tür erscheinen würde.
Plötzlich erhob ich mich zur Hälfte, setzte mich jedoch wieder mit einem Seufzer getäuschter Erwartung. Der Kopf in der Tür gehörte meiner Freundin vom Diner, Fräulein Klingwall, und nicht der Erwarteten – Luise Wirén. Aber auf ein Zeichen von ihr stand ich auf und ging in Herrn Wiréns Zimmer. Ich sah sofort, daß sie ahnte, um was es sich handelte. Sie war in höchster Erregung und stürzte auf mich zu, als wolle sie mich schlagen.
»Was geht hier vor?« fragte sie mit vor Angst zitternder Stimme. »Sie und Luise – Fräulein Wirén haben ein Komplott miteinander – ich hörte sie nach Axel – nach Herrn Frank telephonieren. Wissen Sie nicht, daß ihm das Haus verboten ist? Wissen Sie nicht, was geschehen war, ehe er fortgeschickt wurde? Wissen Sie nicht – oh, wie bin ich unglücklich!«
Und mit einem hysterischen Schluchzen warf sie sich auf das Sofa und bohrte den Kopf in die Kissen.
Hier fand sich nun ein Faktor, den ich nicht mit in meine Berechnungen gezogen hatte. Dieser Auftritt hier konnte alles zerstören – es fehlte nur, daß der Konsul eine Ahnung bekam von dem, was ich vorhatte, und mein ganzer Plan war in die Luft gesprengt. Indessen galt es einzig und allein, Zeit zu gewinnen. Ich sah auf die Uhr. In fünf Minuten mußte Frank sicher hier sein, und gewann ich die, so war er gerettet.
»Ja,« sagte ich, indem ich mich über sie beugte, »ich weiß allerdings, daß er hinausgeworfen worden ist. Und ich weiß auch, weshalb das geschah. Ich weiß, wie das Kartenspiel verlief, ich habe das Stückchen Spiegelglas gesehen, das in Herrn Jones' Zigarrenspitze hineinpaßt, als wäre es dafür gemacht. Ich weiß alles.«
Sie erhob sich und starrte mich mit großen, glanzlosen Augen an – die vor Schreck gelähmt zu sein schienen. Dann strich sie sich mit einer müden, verzweifelten Gebärde über die Stirn.
»Was sagen Sie da von Herrn Jones?« fragte sie. »Herr Frank war es ja, der an jenem entsetzlichen Abend falsch gespielt hat, und Herr Jones machte mich auf seinen Betrug aufmerksam. Und ich habe dann in einem Anfall von wilder –,« sie zögerte einen Moment, aber dann brach es wieder los, »von wilder Eifersucht, wenn Sie es endlich wissen wollen, die Sache meinem Onkel erzählt. Und als das geschehen war, schob er mich beiseite, nachdem er mich dazu verlockt hatte, den einzigen Mann, den ich je geliebt, ins Verderben zu stürzen.«
Und wieder barg sie das Antlitz in die Kissen.
Armes Weib! dachte ich, während ich bestürzt neben ihr stand und auf sie niederblickte. Ich konnte mir wohl vorstellen, in welcher abnormen Gemütsverfassung sie sich befand, wenn sie – eine stolze, wohlerzogene junge Dame – vor einem ihr völlig unbekannten Manne ihr Herz so unverhüllt offenbarte, und Mitleid mit dem schönen Mädchen erfüllte mich. Aber die Zeit drängte, und ich mußte handeln.
»Wenn ich Ihnen nun auf mein Ehrenwort sage, daß Herr Frank keine Ahnung hatte von dem verhängnisvollen Stückchen Spiegelglas?« sagte ich.
»Ich habe es ja selbst gesehen! Herr Jones zeigte es mir in Axels Zigarrenspitze.«
»Ja, das mag schon stimmen. Aber ich versichere Ihnen, daß nicht Herr Frank es eingesetzt hatte, und daß schon seine Unkenntnis von dem Vorhandensein dieses Korpus delikti jede Beschuldigung des Falschspiels unberechtigt macht. Er fiel einem Komplott zum Opfer – einem niedrigen, schurkenhaften Komplott, in dem Sie allerdings Ihrer Meinung nach eine richtige und ehrliche Rolle spielten, das ihn aber doch zu Fall brachte. Denn dessen können Sie völlig gewiß sein: hätten Sie die Sachlage nicht Ihrem Onkel mitgeteilt – Herr Jones hätte es niemals gewagt.«
»Wissen Sie das, was Sie sagen, auch ganz bestimmt? – Sind Sie völlig davon überzeugt, daß das Spiegelglas Herrn Jones gehörte und nicht Herrn Frank?«
»So überzeugt wie von meinem Dasein.«
»Oh!« Sie rang die Hände und erhob die Arme, »oh, dieser Schurke! Dieser Schurke!«
»Sie werden ihn in zehn Minuten entpuppt sehen! Sie müssen dabei sein.«
»Nicht um alle Schätze der Welt will ich dabei sein. Ich bleibe hier.«
Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Dieses Geständnis hatte ich nicht erwartet und meinen Anschlag gegen Herrn Jones nur auf seine Überrumpelung basiert. Nun aber hatte ich ja quasi einen Zeugen. Und nachdem ich ein Glas Wasser eingeschenkt und das arme Mädchen gezwungen hatte, es zu trinken, begab ich mich wieder in das Rauchzimmer zurück, in dem noch immer die Wogen geschäftlicher Diskussionen hoch gingen.
Diesesmal setzte ich mich Herrn Jones gegenüber und behielt seine Zigarrenspitze, die ich als Beweismaterial benutzen wollte, im Auge.
Nun brauchte ich nicht mehr lange zu warten. Bald öffnete sich ein Türspalt, und Fräulein Wirén nickte mir zu. Ich hatte mich also nur noch der Zigarrenspitze zu bemächtigen. Herr Jones war gerade mit seiner Zigarre fertig und langte nach einer neuen, während er die Spitze auf den Tisch legte. Diese Gelegenheit benutzte ich, streckte den Arm aus und ergriff sie. Der Eigentümer sah mich an, etwas wie ein Erschrecken im Blick.
»Interessieren Sie sich für Meerschaumspitzen?« fragte er in einem Ton, den er vergeblich zu festigen suchte. »Ich habe zu Hause eine Sammlung, vielleicht würde es Ihnen Spaß machen, sie zu besichtigen?«
»Ich interessiere mich nicht für Meerschaumspitzen im allgemeinen,« erwiderte ich in scharfem Ton. »Nur diese Spitze interessiert mich.«
Er streckte die Hand aus, um sie zurückzunehmen.
»Ich bin ein wenig besorgt um sie,« sagte er in rührender Bitte, »wollen Sie so freundlich sein, sie mir wiederzugeben?«
»Wenn Sie mir in das Arbeitszimmer des Konsuls folgen wollen,« antwortete ich, »will ich sie Ihnen wiedergeben. Oder ziehen Sie es vor, daß ich es hier tue mit einem gleichzeitigen kleinen Kommentar über eine gewisse Eigentümlichkeit dieser merkwürdigen Zigarrenspitze?«
Sein Gesicht wurde aschgrau. Unser Gespräch hatte inzwischen die Aufmerksamkeit der anderen Gäste erregt – es wurde über den Tisch hinüber geführt, und der Konsul wandte sich an mich.
»Was bedeutet das?« fragte er. »Ich muß Sie bitten, zu erklären, was Sie da sagen.«
»Gern, wenn Sie mir eine kurze Unterhaltung mit Ihnen und Herrn Jones allein in Ihrem Arbeitszimmer gestatten.«
Der Konsul sah mich mit einer Miene an, die andeutete, daß er mich für nicht ganz nüchtern hielt. Dann machte er eine verdrossene Handbewegung, wandte sich mit einigen Worten der Entschuldigung an seine Gäste und begleitete uns in das Nebenzimmer, dessen Tür ich sorgsam schloß.
Darauf ging ich zur gegenüberliegenden Tür und öffnete sie. Und durch diese trat mein Klient Axel Frank ein, gefolgt von Luise Wirén und Fräulein Klingwall.
Der Konsul starrte die Eintretenden mit entsetzt aufgerissenen Augen an, und in sein Antlitz schoß ein dunkles Rot.
»Das geht denn aber doch zu weit,« rief er, zu mir gewandt, in einem Ton kaum unterdrückten Zornes aus. »Ich weiß nicht, mit welchen Worten ich Ihr Auftreten in meinem Hause stempeln soll, doch so viel kann ich Ihnen sagen: Ihr Chef Bergendahl soll davon erfahren, und das mit der nächsten Post.«
»Hören Sie mich nur einen Augenblick an,« sagte ich. Aber sicherlich wäre meine Stimme ungehört verklungen, wenn sich nicht in demselben Moment ein paar Arme um seinen Hals geschlungen und ein Mund etwas in sein Ohr geflüstert hätte.
»Laß mich los, Luise,« brummte er barsch. »Und erklären Sie sich, bitte, so kurz wie möglich.«
Ich zog Franks Zigarrenspitze aus der Tasche.
»Auf Grund des kleinen Spiegels in dieser Spitze haben Sie Herrn Frank ungehört verurteilt,« sagte ich. »Hier ist indessen eine zweite Zigarrenspitze, die nicht ohne Interesse für Sie sein dürfte.«
Ich reichte ihm Herrn Jones' Spitze und mein Vergrößerungsglas.
»Wollen Sie die Güte haben, die Ringe in dieser zu betrachten,« fuhr ich fort, indem ich ihm die Innenseite der Spitze zeigte. »Nehmen Sie nun diese Pinzette, heben Sie damit das Spiegelglas aus Herrn Franks Zigarrenspitze und setzen Sie es an seine rechte Stelle – nein, halt, mein bester Herr –,« diese Worte waren an Herrn Jones gerichtet, der mit ausgestreckter Hand herbeistürzte, um sein Eigentum zu ergreifen. Ich stieß ihn zurück, und Frank und ich behielten ihn im Auge, während der Konsul sehr interessiert das Experiment ausführte, um das ich ihn gebeten hatte, und seine Tochter sich mit atemlosem Interesse über ihn beugte.
Wirén kam zu demselben Resultat wie ich: der verräterische Spiegel paßte genau in die Furchen, die zu diesem Zweck in Herrn Jones' Zigarrenspitze ausgeschnitten waren, und es war keinen Augenblick zu bezweifeln, daß der Spiegel ursprünglich für diesen Platz bestimmt war.
Der erregte Konsul wandte sich an den enthüllten Schurken:
»Wie wollen Sie das erklären?« begann er, wurde aber von Jones unterbrochen.
»Ich will gar nichts erklären. Das ist unter meiner Würde. Sie können sich ja ans Gericht wenden, wenn es Ihnen beliebt – ich glaube, es würde Ihnen nicht viel nützen. Jedenfalls gestehe ich nichts zu. Ihnen gratuliere ich, Herr Polizeispion, und auch Ihnen, Luise! Es hat nicht viel gefehlt, und wir beide wären ein Paar geworden, mein Püppchen. Die Zigarrenspitze überlasse ich Ihnen zur Erinnerung. Adieu!«
Er öffnete die Tür, während ich all meine Kraft anwenden mußte, um Herrn Wirén zurückzuhalten, der sich auf den frechen Betrüger stürzen wollte. Wir hörten ihn das Haus verlassen, und damit verschwand er aus meinem Leben.
Der Konsul wandte sich nun an Frank, aber ich wartete nicht auf die Fortsetzung, sondern ging unbemerkt meiner Wege – mein Auftrag war erfüllt, und ich hatte nicht das Recht, als ungeladener Gast länger zu verweilen.
Aber ich wurde reich belohnt. Die Zigarrenspitze mit dem Drachenkopf erhielt ich zum Andenken, und zu Franks und Luise Wiréns Hochzeit – nun, es mag genügen, wenn ich andeute, daß mich die Höhe des Honorars vollkommen zufriedenstellte.
(Autorisierte Uebersetzung von Rhea Sternberg)