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Vom Herd.

Eine kulturgeschichtliche Plauderei
von I. von Pederzani-Weber.

Die Küche und ihre Erzeugnisse spielen in der Entwicklung der Menschheit zur Kultur eine große Rolle.

Wer kann es leugnen, daß unsere Stimmung, das seelische Behagen oder Unbehagen oft einzig nur davon abhängt, wie gut oder schlecht wir dinirt haben? Eine schmackhafte Mahlzeit war und bleibt immer die Sonnenwende unserer Laune. Ein Diplomat sagte mir eines Tages: Wenn sie sich von einem hohen Herrn ein Gunst erbitten wollen, so müssen Sie vorerst dessen Kammerdiener fragen, ob sein Herr schon gefrühstückt hat? Bei leerem Magen und trockener Kehle ist der Mensch allzeit ungnädig gestimmt! ... Die Deutschen vor allen Nationen halten den guten Schmaus in Ehren und können ohne ihn nichts in Gemütlichkeit und lustiger Stimmung feiern. Wenn ein Kind geboren wird, giebts einen Taufschmaus und die Verlobung des Haustöchterleins findet im Verlobungsmahl ihren würdigen Schlußaccord. Wenn zwei Liebende den Bund der Ehe schließen, darf die Hochzeitstafel nicht fehlen, und wenn die Bürger einen Kameraden zum Grab hinausgetragen haben, verlangt es sie nach einem Leichenmahl. Ohne dieses kann sich der Deutsche keine pompöse Totenfeier denken. Die Vorliebe für den Herd ist unter dem Volk so weit gediehen, daß es, um seine Sympathieen und Abneigungen für die Nachbarn kundzugeben, ein Wort aus dem Kochbuch wählt. »Dieser Mensch ist mir geradezu – ungenießbar!« Das heißt, ins Unhöfliche übersetzt: Er ist ein unausstehlicher Mann; während das: »Sie ist recht genießbar,« eine artige und liebenswerte Dame bezeichnet. Diese Schwärmerei für eine gute Küche haben die Deutschen mit den Völkern des klassischen Altertums gemeinsam. Sowie dem Christen das Feuer und Gebranntwerden als Inbegriff des größten körperlichen Schmerzes und Symbol der Hölle gilt, so erblickte der Sohn Griechenlands in einer ungenießbaren Mahlzeit und in der Entbehrung von Speisen die qualvollste Strafe, mit der die unsterblichen Götter ihn heimsuchten. »Jeglicher Tod,« singt Homer, »ist grauenvoll; doch des Hungers sterben ist das jammervollste Verhängnis!« Als die Götter Griechenlands den Frevler Phinäus »höllisch streng« bestrafen wollten, sandten sie die Harpyen in sein Haus, die jede Speise, die der hungrige Fürst kosten wollte, derart beschmutzten, daß er sie vor Ekel nicht genießen konnte.

Die Küche ist zu allen Zeiten das Barometer der Kultur gewesen und in den Jahrhunderten, wo die Menschheit keinen Herd hat, gab es auch keine Civilisation. Griechenland und Rom und die Kulturvölker des Mittelalters, die Franken und Angelsachsen, besaßen in der Epoche ihrer kulturellen Blüte die besten – Küchen ... Es liegt der Pflege des Herdes ein philosophisches und diätisches Moment zugrunde. Wenn die Philosophie die Kunst ist, das Leben weise und angenehm zu genießen, so lehrt die Diätetik die Fertigkeit, das Leben zu – verlängern. Und das eminenteste Mittel, diesen ethischen Zweck zu erreichen, ist eine gute – Küche. Ein berühmter Arzt schrieb einst: Einen guten Magen erhalten, heißt lange leben!« Und die Quelle, aus welcher der Magen seine ewige Jugend und Kraft schöpft, liegt im Feuerschein des Herdes.

Auch das uralte Sprichwort des deutschen Volkes: »Er ißt nicht mehr; er stirbt bald!« enthält eine unbestreitbare Wahrheit ... Wir wollen einen kurzen Gang durch Jahrtausende zurückmachen und am Herd des Volkes der Griechen ein wenig Rast halten. Die größten Dichter des alten Hellas, Homer an der Spitze, haben die Küche in den schönsten Liedern gefeiert. »Sich aus dem heil'gen Herde die nährende Kost zu bereiten« preist Homer als die angenehmste Beschäftigung! Er schildert mit dem verständnisvollen Behagen eines Feinschmeckers »die Schweine im blühenden Fett« und den »Gaismagen mit Fett und Blut,« den Urahn unserer deutschen Wurst. Der große Aristoteles schwärmt für den Knoblauch, dessen würzig duftenden Wohlgeschmack der römische Dichter Aemilianus Macer in zierlichen Versen besingt; auch der Historiker Plinius preist den Knoblauch. Die schönste Frau Griechenlands Aspasia, die Freundin des Perikles und Praxiteles, verstand es meisterlich, eine Kraftbrühe aus Hühner- und Lammfleisch und Pasteten von Hasen und Grasmücken zu kochen. Von den aus Gerstenmehl bereiteten schneeweißen Brötchen der Böotier nährten sich sogar die Götter. Sowie sieben Weise besaß Griechenland sieben berühmte Köche, deren Namen unsterblich geworden sind. Der Philosoph Archistratos schrieb ein Buch über die Kochkunst, welche der »Glanzpunkt der epikuräischen Philosophie« genannt wurde. Jede Provinz hatte ihre gastronomische Spezialität: Melos den Bockbraten, Theben die Rübchen, Sizilien die Muränen, Syrakus die gesulzten Schweine und Käse, Rhodus die getrockneten Weintrauben, Cypern den Senf, Hymettus den Honig, dessen Geruch schon, wie Demokritos sagte, »das Leben auf einige Tage verlängerte.« – Über der Wiege Roms schwebte, wie ein klassischer Dichter singt, »der Geist der Kochfünft.« Das Gehalt eines Koches zur Zeit der Cäsaren betrug gegen 15,000 Mark im Jahr; es bildeten sich Schulen, in denen die Jugend, wie in den Gymnasien, im Zubereiten und Tranchieren der Speisen unterrichtet wurde. Alles, was das Reich, in dem die Sonne nicht unterging, an Leckerbissen erzeugte, kam in die Küchen Roms; es wurden u. a. Schnecken und Feldmäuse mit Feigen gemästet und eine Mahlzeit, die Lucullus in seinem Apollo-Saal veranstaltete, durfte nicht weniger als 20,000 Mark kosten. Der Emporkömmling Trimalchio ließ auf einer goldenen Tragbahre ein gebratenes Schwein auf den Tisch setzen, und als der Hausherr einen Schnitt mit seinem edelsteinbesetzten Messer in den Leib des Tieres machte, quoll eine Flut von gebratenen Wachteln, Würstchen und Pasteten heraus. Der beliebteste Braten der Römer war der Hase. » Inter quadupedes gloria prima lepus,« (unter den Vierfüßlern gebührt der erste Platz den Hasen) schreibt Terenz. Ebenso beliebt waren die Pfauen, die Fersen der Kameele und das Gehirn der Fasanen, wie die Zungen der Flamingo und Singvögel. – Das Christentum, das Entsagung predigte, konnte dem Deutschen die Freude am tüchtigen Schmausen nicht verleiden.

Die heidnischen Germanen hielten es für eine Schande, etwas zu essen, was eine Frau bereitet hatte. Der Anbeter Odins kochte sich die zähe Sehne des Auerochsen und Pferdes, selbst der Pferdebraten war ein Lieblingsgericht; als Sanct Bonifacius zum erstenmal in die deutschen Urwälder kam, um die christliche Lehre zu predigen, entsetzte er sich, da ihn die Germanen mit Pferdefleisch bewirteten. Er schrieb an den Papst nach Rom, und dieser erließ eine Nulle, durch welche der Genuß des Pferdefleisches bei Strafe des großen Bannfluches verboten wurde. Kaiser Karl der Große der an allen Quellen der Civilisation schöpfte, suchte die rohen Sitten seiner Großen dadurch zu mildern, daß er sie an seiner Tafel speisen ließ und die Bereitung der Gerichte den Frauen anvertraute. Seitdem ist die Küche die Domäne der Frau geworden! Und durch die Küche beherrscht sie, seit Jahrhunderten, die Herzen der Männer. Ein deutscher Fürst des vorigen Jahrhunderts, der durch splendide Gastmähler berühmt war, äußerte eines Tages, »die Majestät des Thrones beruht auf einer guten Küche ... Wenn dieses Wort auch überschwänglich klingt, so ist es doch unbestreitbar, daß das Glück der Häuslichkeit und das harmonische Verhältnis zwischen Eheleuten zum großen Teil von der Küche abhängen. In ihr ruht die Majestät des Eheglückes. – In den Zeiten des Mittelalters war es für die gelehrten Männer und die Frauen, die Königinnen und Fürstinnen des Landes keine Schande, viel mit dem vollen Aufwand von Wissen und Kunst am Feuerherd zu verkehren. Die berühmtesten Ärzte von Deutschland und Frankreich schrieben Kochbücher und die schöne Philippine Weiser, die Schwiegertochter eines römisch deutschen Kaisers, benutzte die stille Zeit, in der sie einsam in der böhmischen Burg Prüglitz saß, um ein Buch de re coquinaria zu schreiben, in welchem sie zwanzigerlei, von ihr erfundene Weisen »Dortten und Kiechla und Fischsulzen« zu bereiten lehrt. – In der Neuzeit war Frankreich die Stätte der Kochkunst und der Herd der Gastronomie. Der Franzose ist der Erfinder der Potage, Suppe und Ragouts, durch welche eine neue Epoche in der Geschichte der Kochkunst geschaffen wurde; die Komposition verschiedener, an Geschmack sich ganz ungleicher Gerichte zu einer einzigen Speise. Und seitdem nahm die Zeit der wahren Kochkunst ihren Anfang. Sie erreichte ihre Sonnenhöhe unter der Regierung Ludwig's XIV. Der »große König«, wie er von seinen Schmeichlern genannt wurde, gab die Parole aus: »Keine Frauen in der Küche, außer zum Spülen des Geschirrs.« Die Köche wurden Millionäre und in den Adelstand erhoben, und als Kardinal Richelieu unter sie gegangen war, – er hatte ein Menu von 22 Schüsseln, bloß aus Ochsenfleisch bereitet, erfunden, galt die Kochkunst als eine Wissenschaft, der sich Gelehrte. Dichter und Priester widmeten. Mr. de Cussy schildert die Bedeutung des Diners: »Es ist der Nerv des geselligen Lebens. Während der ersten Augenblicke herrscht tiefes Schweigen; es wäre auch ein Fehler, den Mund unnütz zu öffnen. Bei der Suppe muß der Gast die Aufmerksamkeit verdoppeln. Bei Braten und Salat sind die Gäste bereits gute Freunde geworden. Nun kommen die Vertraulichkeiten, die Versöhnungen, Alles ist voll Wohlwollen und Heiterkeit.« Ein deutscher Kochkünstler stellte den Grundsatz auf: Man soll aus jedem eßbaren Ding das entwickeln, was dessen natürlicher Beschaffenheit am meisten angemessen ist« und der Kern seiner Lehre war: »Das Zubereiten ist die Seele der Kochkunst.« Ein Küchenjunge spickte infolge dieser Lehre eine – Kröte und schrieb auf das Servierbrett: »Es kommt alles auf die Bereitung an!« Die deutsche Küche hat sich niemals durch viele Leckerbissen, mehr aber durch absonderliche Gerichte ausgezeichnet. So liebte man z. B. im Mittelalter, das Fleisch von Geflügel und Kuchen mit Rosenwasser zu bereiten; der Lieblingsbraten der Deutschen war und ist der Truthahn, der Puter, von dem der Dichter Voß singt: »Romantisch blickst Du o Puter; doch klassisch schmeckst Du Seelenguter!« Doch wir sind genugsam durch die historischen Küchen gewandert ... Sie übten zu allen Zeiten einen civilisatorischen Einfluß auf die Menschen und deren Temperamente. Der Choleriker kann alles essen. Der Sanguiniker genießt mit Vorliebe Suppen, Mehlspeisen, Milch, Gurken, Krebse, Fische, Käse, Salat, Obst und Thee. Der Phlegmatiker liebt gewürzte Fleischspeise. Er ist im Gegensatz zum Sanguiniker, dem Vegetarier, Carnivore; Wildpret en haut goût und pikante kräftige Weine sagen ihm am meisten zu. Der Melancholiker wählt wildes Geflügel, Pökelfleisch, wenig gekochten Rinderbraten, Saucen, schwere Pflanzenkost und Hülsenfrüchte zu seinen Mahlzeiten ... Am Herd, dessen Königin die Hausfrau ist, liegt eine sanitäre und geistige Macht, die aus dem schwarzgalligsten Philister einen rosig gelaunten Lebemann schafft; denn:

»Bei guter Küche und richtiger Verdauung
Ändert sich die schlechteste Weltanschauung!«

finis

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