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Charlotte Heine, die Schwester Heinrich Heines.

Von Dr. Ad. Kohut in Dresden. Dieser Aufsatz ist aus: » Kohut, Heinrich Heine und die Frauen« (Berlin, Alfred H. Fried & Cie.) entnommen.

Charlotte Heine, die, noch in Hamburg lebende 1803 geborene, 86jährige Greisin Charlotte von Embden-Heine, war nur vier Jahre jünger als Heinrich Heine und war und blieb seine einzige Schwester. Der Knabe wuchs mit ihr auf, sie war seine Spielgenossin, teilte seine Studien mit ihm und war Zeit seines Lebens seine intime Freundin, die Vertraute seiner Freuden und Leiden. Stets erinnerte sich der Dichter mit Freude der trauten Jugendzeit, welche er mit »Lottchen« verlebte, und gar manches sinnige Gedicht widmete er jener holden »Jugendeselei«. So z. B. im Buch der Lieder das köstliche Poëm:

Mein Kind, wir waren Kinder,
Zwei Kinder, klein und froh;
Wir krochen ins Hühnerhäuschen,
Versteckten uns unter das Stroh.

Wir krähten wie die Hähne,
Und kamen Leute vorbei –
»Kikeriküh!« sie glaubten,
Es wäre Hahnengeschrei.

Die Kisten auf unserem Hofe
Die tapezierten wir aus,
Und wohnten drin beisammen,
Und machten ein vornehmes Haus.

Des Nachbars alte Katze
Kam öfters zum Besuch;
Wir machten ihr Bückling und Knickse
Und Complimente genug.

Wir haben nach ihrem Befinden
Besorglich und freundlich gefragt;
Wir haben seitdem dasselbe
Mancher alten Katze gesagt.

Wir saßen auch oft und sprachen
Vernünftig, wie alte Leut',
Und klagten, wie alles besser
Gewesen zu unserer Zeit;

Wie Lieb und Treu und Glauben
Verschwunden aus der Welt,
Und wie so teuer der Café
Und wie so rar das Geld! – –

Vorbei sind die Kinderspiele,
Und alles rollt vorbei, –
Das Geld und die Welt und die Zeiten
Und Glaub' und Lieb' und Treu'.

Auch sonst hat Heinrich Heine seine Schwester in seinen Schriften unsterblich gemacht. Er widmete ihr den Gedichtcyclus »Neuer Frühling«, der 1831 erschien, mit den Worten: »Seiner Schwester Charlotte Embden, geb. Heine, widmet diesen ›Neuen Frühling‹ artig und liebevoll der Verfasser.« In »Deutschland, ein Wintermärchen« – geschrieben im Januar 1844 – kommt auch Lottchen vor, nach der sich der Bruder, wie nach der Mutter, gesehnt habe:

Ich seufzte des Nachts und sehnte mich,
Daß ich sie wiedersähe.
Die alte Frau, Die »alte Frau«, wie man weiß, die Mutter Heines, wohnte am Dammthor in Hamburg, während »Lottchen« in einer Nebenstraße am Gänsemarkt, domicilierte. die am Dammthor wohnt;
Das Lottchen wohnt in der Nähe.

In einem Briefe Vom 1. April 1823. an seinen Jugendfreund Imanuel Wohlwill I. Wohlwill – 1799-1847 – hieß ursprünglich Wolf und war einer der Vorkämpfer der jüdischen Reform. nennt Heine seine Schwester »ein liebes Mädchen«; mit Rührung gedenkt er ihrer Hochzeit am 22. Juni 1823 – der er beigewohnt habe. »Es war ein schöner Tag der Festlichkeit und Eintracht!« Kritische Gesamtausgabe etc., Bd. VIII, S. 382. ruft er aus, und in einem Empfehlungsschreiben an Karl Zimmermann Ebendas., Bd. IX, S. 92. sagt er: »Ich kann nicht umhin, Ihnen zu bemerken, daß letztere, unsäglich von mir geliebt wird, daß ich ihr mit zärtlichen Gefühlen, wie sie bei Brüdern selten sind, zugethan bin, und daß ich jede Freundlichkeit, die Sie dem lieben Wesen Gelegenheit hätten, zu erzeugen, weit inniger und dankbarlicher empfinden werde, als das, was mir selbst erzeugt wird.« Erst durch den Brief, welchen Heine am 16. Juli 1853 Derselbe ist leider nur im Auszuge bekannt geworden. an seine Schwester richtete, wissen wir auch mit ziemlicher Gewißheit den Geburtstag desselben. Das Briefchen lautete nämlich:

»Was das Datum meiner Geburt betrifft, so bemerke ich Dir, daß ich laut meinem Taufschein am 13. Dezember 1799 geboren bin, und zwar in Düsseldorf am Rhein, wie Dir ebenfalls bekannt sein wird. Da alle unsere Familienpapiere durch die Feuersbrunst in Hamburg zu Grunde gegangen und in Düsseldorfer Archiven das Datum meiner Geburt nicht richtig angegeben sein kann, aus Gründen, die ich nicht sagen will, so ist obiges allein authentisch, jedenfalls authentischer, als die Erinnerungen meiner Mutter, deren alterndes Gedächtnis keine verloren gegangenen Papiere ersetzen kann!«

Da leider nur einige wenige Briefe Heines an seine Schwester veröffentlicht worden sind, sind wir darauf angewiesen, über die Beziehungen der beiden aus indirekter Quelle zu schöpfen. Besonders wertvoll sind in dieser Beziehung Aufzeichnungen Maximilian Heines und Marie Embden-Heines in ihren wiederholt erwähnten »Erinnerungen«, denen wir auch hier folgen.

Charlotte Heine besitzt noch aus ihrer frühesten Jugendzeit ein kalligraphisch schön geschriebenes Stammbuchblatt, das von des Dichters Geschwisterliebe Zeugnis ablegt. Dasselbe lautet:

»Wir können die Menschen füglich in zwei Klassen einteilen: erstens diejenigen, die uns lieben, zweitens diejenigen, die uns oft und deutlich sagen, daß sie uns lieben.

Mich, liebes Lottchen, kannst Du dreist zur ersten Klasse rechnen. Ich bin Dir herzlich gut, wenn ich auch nicht viel Aufhebens davon mache.

Düsseldorf, den 10. Juni 1817.

Dein Bruder
Harry Heine.«

Die Tochter Charlotte Embdens, die Fürstin della Rocca, will sogar wissen, daß Heine der Vermittler der Ehe ihrer Mutter und ihres Vaters war. Bei seinem Aufenthalte in Hamburg machte nämlich der Dichter die Bekanntschaft Embdens und sprach fortwährend von seiner Schwester. Embden wollte, neugierig gemacht, das schöne, liebenswürdige Mädchen kennen lernen. Sie sehen und sich verlieben, war das Werk eines Augenblicks. Sie wurde seine Gattin. Als Charlotte ihrem Bruder die Verlobung anzeigte, soll er ihr geraten haben, ja die Verse ihres Gatten zu loben, denn Dichten soll die Hauptleidenschaft des Herrn von Embden gewesen sein, und das Unterlassen hätte leicht Uneinigkeit herbeiführen können. Im Buch der Lieder enthält ein Gedicht diesen Rat:

Und lobst Du meine Verse nicht,
Laß ich mich von Dir scheiden!

Wie sehr Charlotte schon als Kind des Dichters Liebling war, erzählt die Principessa della Rocca in folgender kleinen Geschichte:

Des Morgens in aller Frühe, wenn die anderen der Familie noch in tiefem Schlummer lagen, spielten Heinrich und Charlotte mit einander. Sie suchten Reime. Eines Tages quälte sich das kleine Mädchen vergebens, sie konnte die gewünschten Verse nicht finden. Sie wandte sich an den Bruder:

»Dir ist es leicht, Worte zu finden, mir wird es sehr schwer, wir wollen lieber ein anderes Spiel spielen. Ich werde eine Fee vorstellen, wir bauen einen Turm, ich bewohne ihn; Du bleibst draußen stehen, siehst und findest Reime.«

Beinahe hätte dieses Spiel »Lottchen« das Leben gekostet!

Sie bauten einen Turm. Im Wagenscheuer standen viele leere Kisten; die beiden Kinder arbeiteten unermüdlich, bis sie eine Kiste auf die andere gehoben hatten und ihr Gebäude an zehn Fuß Höhe erreicht hatte. Dessen ungeachtet fanden sie, daß der Turm noch immer nicht hoch genug war. Die Kleine kletterte hinauf bis zur letzten Kiste und sprang hinein. Die Fee verschwand, da die Kiste höher war als das Kind. Sobald Heinrich seine Schwester nicht mehr erblickte, wurde ihm bange, er lief nach Hause und rief um Hilfe. Charlotte suchte sich zu befreien, die Kisten fingen an zu schwanken und furchterfüllt kauerte sie sich in eine Ecke. Um recht schön zu erscheinen, hatte sie ihr bestes Kleid angezogen und beim Hineinspringen bedeutend zerrissen. Sie fürchtete die Folgen, da Frau Betty eine strenge Frau war. Als man »Lottchen« zu Hilfe eilte, blieb sie stumm und still in einer Ecke sitzen, doch als sie das Klagen und Weinen ihres Bruders hörte, rief sie ihm zu: »Ich lebe, aber mein Kleid ist zerrissen!« Nicht ohne Schwierigkeit wurde sie aus ihrem sogenannten Turm hervorgeholt und Heinrich umarmte sie stürmisch, überglücklich, sein Schwesterchen unbeschädigt wiederzusehen.

»1855,« erzählte Frau Charlotte von Embden, zwei Monate vor seinem Tode, als ich ihn zum letzten Male sah und wir von den glücklichen Tagen unserer Kindheit sprachen, erzählte er mir, daß er nie den freudigen Eindruck vergessen habe, den er damals als achtjähriger Knabe empfand.«

Schon im zehnten Jahre soll sich Heines Dichtertalent entwickelt haben, und die Schwester soll es gewesen sein, die dies veranlasste. Sie wurde in einem Kloster zu Düsseldorf erzogen, d. h. sie ging dort in die Schule, die zwar von Nonnen geleitet wurde, welche jedoch aufgeklärt genug waren, den besten Professoren der Stadt den Unterricht für Geschichte, Geographie und Literatur anzuvertrauen.

Professor B. erzählte seinen Schülerinnen eine Geschichte, die sie zu Hause niederschreiben mußten. Nach den Schulstunden setzte sich die Schwester Heines an die Arbeit, doch so viel sie auch nachdenken mochte, sie konnte sich des Inhalts der Erzählung nicht mehr entsinnen. Mit den Armen auf dem Tische, unthätig ins Weite sinnend, rollten große Thränentropfen über ihre Wangen, und so fand Heinrich Lottchen.

»Was giebts?« fragte er.

»Die Geschichte, die ich niederschreiben soll, ist mir entfallen ... Was soll aus mir werden? Wie kann ich morgen vor dem Professor erscheinen?« und heftiges Schluchzen verhinderte sie, weiter zu sprechen.

»Beruhige Dich, liebes Lottchen,« begütigte sie der Bruder, »suche Dich nur zu erinnern, von welchem Gegenstande der Lehrer sprach, gieb mir eine Andeutung, den geringsten Anhalt, und ich schreibe Dir eine prächtige Geschichte.«

Nach einer Stunde brachte er seiner Schwester das Heft; glücklich und vergnügt, von dieser unangenehmen Arbeit befreit zu sein, legte sie es in ihre Schulmappe, ohne auch nur einen Blick hineinzuwerfen. Am folgenden Tage legte sie ihr Heft zu den anderen, und nachdem der Lehrer sie alle beisammen hatte, nahm er sie mit nach Hause, korrigierte sie und gab, je nachdem man es verdiente, gute oder schlechte Zensur.

Lottchen trug das Köpfchen hoch, denn sie erwartete, gelobt zu werden. Doch zu ihrem größten Erstaunen behielt der Lehrer ihr Heft zurück. War die Geschichte zu lang? Hatte er sie nicht gelesen?

Nach der Beendigung der Lehrstunde ließ sie der Professor rufen.

»Wer hat das geschrieben?« fragte er auf das Heft zeigend.

Ohne Zögern antwortete sie: »Ich!«

»Ich werde weder schelten, noch Dir Vorwürfe machen,« meinte er ermutigend; »nur sage mir: wer hat dies geschrieben?«

Beschämt, eine Unwahrheit gesagt zu haben, nannte sie den wahren Verfasser.

Zwei andere Professoren hatten dem kleinen Verhöre beigewohnt, und Professor B. las ihnen den Aufsatz vor. Es war eine grausige Gespenstergeschichte und mit so grausigen Farben geschildert, daß das kleine Mädchen laut aufschrie.

Als sie zu ihren Mitschülerinnen zurückkehrte, erzählte sie ihnen von dem Gespenste mit den feurigen Augen, dem Pferdefuß, dem feuerspeienden Drachen, der so groß war, daß er alle verschlingen konnte.

Furcht und Grauen herrschte unter den Mädchen und manche wischte heimlich die Thränen aus den Augen.

Professor B. besuchte Frau Betty Heine und beglückwünschte sie, einen so geistreichen Sohn zu haben, der mit solcher Leichtigkeit ein solches Meisterwerk zu stande bringen konnte.

Der Knabe wurde gerufen, er aber blieb kalt bei allen Lobeserhebungen, denn er glaubte nicht, etwas Besonderes geschaffen zu haben. Der Lehrer wollte durchaus das Manuskript behalten, doch er bekam nur eine Abschrift.

Das Original wurde sorgfältig aufgehoben, aber leider wurde auch diese Schrift beim großen Hamburger Brande zerstört, sowie angeblich auch die Fortsetzung des Rabbi von Barachach, welcher nie vervollständigt wurde. Mit thränenden Augen erzählte die Mutter Heines oft von diesem Verluste. Sie betrauerte weder Diamanten noch Perlen, alte Spitzen, Silber und Kostbarkeiten, nur die Papiere und Schriften ihres Sohnes schienen ihr ein beklagenswerter Verlust, denn alles andere konnte für Geld wieder angeschafft werden. Übrigens wurde die »alte Frau« bei diesem Brande wie durch ein Wunder vom Feuertode errettet; mit der Nachtmütze auf dem Haupte und dem Schlafrocke bekleidet, entkam sie aus dem brennenden Hause, welches fünf Minuten später mit schrecklichem Krachen zusammenstürzte.

Noch eine andere Episode aus der Kindheit Heines und seiner Schwester erzählt die Fürstin della Rocca.

Die beiden Geschwisterchen erkrankten an den Masern und mußten lange Zeit das Zimmer hüten. Um sie zu beschäftigen, gab man ihnen eine Kiste bunter Lappen.

»Was wollen wir damit anfangen?« fragte Charlotte.

»Wir wollen eine Narrenjacke davon machen,« antwortete Heinrich, und beide fingen emsig an zu nähen. Die Schwester mit ihrer angeborenen Lebhaftigkeit, warf bald die Arbeit fort, aber Heinrich nähte mit großem Eifer, bis die Jacke fertig war, denn er wollte sie während der Karnevalszeit tragen. Endlich kam der ersehnte Tag, aber man erlaubte ihm nicht, dieselbe anzuziehen. Ärgerlich und unmutig schenkte er sie einem Nachbarkinde.

Nach vielen Jahren, als Charlotte längst verheiratet war, und in Hamburg wohnte, begegnete sie eines Tages einem gut gekleideten Matrosen, der sie ehrerbietig grüßte und folgendermaßen ansprach:

»Sie erkennen mich wohl nicht? Ich bin jener Knabe, dem Ihr Bruder einst eine Narrenjacke schenkte, und damals wußte ich diese Gabe nicht zu schätzen, doch habe ich sie immer sorgfältig bewahrt. Vor nicht langer Zeit habe ich sie in siebzehn Stücke zerschnitten und unter meine Freunde verteilt, die ein Andenken von unserem berühmten Dichter besitzen wollten.«

Frau von Embden erstaunte, daß ein Mann aus dem Volke eine so wohlgesetzte Sprache führte; sie erkundigte sich nach seinem Namen, seiner Wohnung und ließ ihn später zu sich einladen, wo er von allen aufs freundlichste empfangen wurde.

Als Frau Charlotte in Paris war, erinnerte sie Heine an die Jacke und erzählte ihm ihre Begegnung mit dem Matrosen.

»Über dieses Thema,« sagte er, »werde ich Dir ein Gedicht machen und Du sollst herzlich darüber lachen!«

Leider wurde dieses Gedicht nicht mehr geschrieben – der Tod ließ ihm keine Zeit dazu ...

Alle Zeitgenossen berichten, daß Frau Charlotte ein sehr feines Urteil hatte, und daß ihr Bruder auf ihre Kritik seiner Gedichte, die er ihr oft im Manuskripte vorzulesen pflegte, viel gab. Auch hatte sie eine solche Gewalt über ihn, daß sie ihn falls er schlechter Laune war oder Anwandlungen von Weltschmerz hatte, erheitern konnte.

Nach dem Erscheinen der »Reisebilder« (1826) machte Charlotte eine Reise durch Deutschland, und ihre Tochter berichtet mit Stolz, wie aller Orten nur von seinem Buche und von Heine gesprochen wurde. Seine Schwester hatte einen Empfehlungsbrief an den Finanzminister K. in Frankfurt a. M., der sie aufs glänzendste empfing und sie der Familie Rothschild als »Heines Schwester« vorstellte. Dieser Name allein genügte, ihr den Aufenthalt daselbst angenehm zu machen, und sie war die Gefeierte, Gesuchte und der Mittelpunkt der Gesellschaft. Ihr zu Ehren wurde gleich ein großes Diner gegeben und allen Anwesenden wurde sie als Heines Schwester vorgestellt, ohne ihren wirklichen Namen zu nennen. Den folgenden Tag gab Rothschild eine große Abendgesellschaft; sie verspätete sich ein wenig in einem anderen befreundeten Hause, beinahe Alle waren schon versammelt, als sie endlich ankam. Mit Spannung wurde sie erwartet. Die Diener eilten ihr geschäftig entgegen; der Eine nahm ihr den Mantel ab, der Andere die Kapuze, und ein Dritter, ohne sie um ihren Namen zu fragen, riß die Thür auf und rief mit Stentorstimme: »Madame, die Schwester Heines.«

Man kann sich leicht das Gelächter Aller vorstellen, sowie auch die Verlegenheit Rothschilds. Die »Schwester Heines« stimmte jedoch fröhlich ins Gelächter ein, und bald war der drollige Zwischenfall vergessen.

Von der Genialität, der burschikosen Ausgelassenheit und Rücksichtslosigkeit ihres berühmten Bruders hatte Frau Charlotte nichts an sich, und kleine Konflikte, die sich jedoch bald in Wohlgefallen auflösten, waren zuweilen die Folgen der Grundverschiedenheit ihrer Charaktere. Hier nur zwei kleine Proben.

Als Frau Charlotte einst nach Göttingen reiste, lernte sie dort auch den Dichter Graf Platen kennen, den Heine bekanntlich so erbarmungslos angegriffen hatte, nachdem freilich auch Platen den Zorn des Satirikers durch einige boshafte Bemerkungen gereizt hatte. Sie umging alle Fragen nach ihrer Familie, weil sie glaubte, der Name Heine würde bei Graf Platen keine angenehme Erinnerung erwecken. Sie war entzückt von Platen, wünschte aber keine Erörterungen hervorzurufen und vermied ängstlich, von den berühmten Reisebildern zu sprechen.

Der Graf besuchte sie, und als er ihr ehrerbietig beim Abschied die Hand küßte, sagte er:

»Gnädige Frau, wollen Sie mir beim Abschied eine Frage beantworten: haben Sie je die Bibel gelesen?«

Frau von Embden sah ihn erstaunt an und wußte nicht was sie antworten sollte.

»Kennen Sie, meine Gnädigste,« fuhr er fort, »die Stelle in der heiligen Schrift: »Bin ich der Hüter meines Bruders?« Seien Sie meiner höchsten Achtung versichert und genehmigen Sie die aufrichtigsten Wünsche für Ihr Wohl, mögen die Bäder von Schwalbach Ihnen Genesung bringen!«

Sie blieb stumm und entließ ihn mit freundlichem Kopfnicken. Als sie ihrem Bruder diese Scene erzählte, wurde er ernstlich böse und sagte: »Aber, liebes Lottchen, Du hast doch die Zunge am rechten Fleck, wie konntest Du schweigen und nicht die Gelegenheit benutzen, ihm sein Unrecht gegen mich vorzuhalten? –«

Ein anderes Mal war er es, der ihr einen schlimmen Streich spielte.

Sie veranstaltete einst in Hamburg eine Soiree, zu welcher sie alle Bekannte und Freunde des Hauses Embden einlud, weil alle den berühmten Dichter kennen lernen wollten. Künstler, Gelehrte, Kaufleute, Bankiers wurden eingeladen, und viele der Herren glaubten, mit ihrem Reichtum zu imponieren, und klapperten mit den Thalern in der Tasche. Ihre schönen Hälften waren mit Brillanten und Perlen behangen. Die Wenigsten hatten Heines Schriften gelesen. Die Hausfrau ermahnte ihren Bruder, sich möglichst gut aufzuführen, den Leuten keine Bosheiten zu sagen und seinen Spott zu treiben. Heine versprach, alles aufzubieten, um ihren Wünschen nachzukommen, doch wie wurde sie enttäuscht!

Er trat in die Gesellschaft, verbeugte sich stumm, nahm eine seiner kleinen Nichten auf den Schooß, scherzte mit ihr, erzählte ihr ein hübsches Märchen, und während Frau Charlotte von Einem zum Andern ging, Diesem und Jenem ein freundliches Wort zu sagen, verschwand der Bruder, ehe sie sich dessen versah.

Am folgenden Tage empfing sie ihn mit Vorwürfen und klagte: er habe sie lächerlich gemacht!

»Mein liebes Schwesterchen,« antwortete Heine, »Du hast nur eins vergessen.«

»Das wäre?«

»Mir eine Kette um den Hals zu binden und mich so im Zimmer herumzuführen und Jedem zu sagen: Meine Herren und Damen, schauen Sie sich um, das ist der Dichter Heinrich Heine, der nichts Anderes kann und weiß, als dem lieben Gott die Zeit zu stehlen und Verse zu machen.« –

Als der arme Heine auf seiner Matratzengruft lag, war seine Sehnsucht groß, seine so geliebte, einzige Schwester wieder zu sehen; und so reiste sie denn 1855 nach Paris. Sie wohnte im Hause des sterbenden Dichters, um keinen Augenblick ohne ihn zu sein. Sie widmete ihm ihre ganze Zeit und Thätigkeit und bereitete ihm dadurch die letzten frohen Augenblicke. »Meine Mutter,« sagte die Fürstin della Rocca, »Erinnerungen an Heinrich Heine von seiner Nichte«, 1881, S. 142 ff. »litt Höllenpein bei dieser Zusammenkunft, denn Heine war fast bis zur Unkenntlichkeit zusammengeschrumpft. Ihn so wiederzusehen, war herzzerbrechend, einen Sterbenden, der jeden Tag ein Atom seiner Lebenskraft verzehrte, den schönen Mann so abgemagert, so hilflos wieder zu finden, war schrecklich anzusehen, und dennoch hatte meine herrliche Mutter die Kraft, es ihm zu verbergen. Sie that Alles, um seine Leiden zu erleichtern, sie erriet seine Wünsche, ehe er sie äußerte, sie erriet seine Gedanken und die beiden wohlverwandten Seelen verstanden sich, auch ohne zu sprechen. Er fühlte die Nähe seiner Schwester, wenn er auch regungslos und mit geschlossenen Augen dasaß ... Meine Mutter kam im Dezember in Paris an, und wollte nach einigen Wochen wieder fort, denn der leidende Zustand ihres Bruders betrübte sie und machte sie selbst leidend und nervös. Jeden Tag bat Heinrich, die Abreise zu verschieben, und sagte

»Lottchen, wir werden uns nicht wiedersehen!«

Wer konnte seinen Bitten widerstehen? ... Und sie blieb bei ihm, die gute, treue Schwester, versprach auch im Frühjahr wiederzukommen, doch als der Frühling kam, deckte die feuchte Erde sein Grab. Die Trennung der Geschwister muß ich mit Schweigen übergehen, es war zu schmerzlich, und halb ohnmächtig, in Thränen gebadet, mußte man meine arme Mutter aus dem Zimmer führen. Beide wußten recht gut, daß die Hoffnung auf ein Wiedersehen nur Täuschung war!«

In den, wie gesagt, nur wenigen Briefen, die wir von Heinrich Heine an seine Schwester und Verwandten besitzen, bekundet sich die ganze zärtliche Liebe des Bruders zu seiner Schwester. So schreibt er z. B. an Charlotte Aus »Erinnerungen an Heinrich Heine, von seinem Bruder Maximilian Heine«, 1868, S. 149 ff. aus Paris, den 13. Febr. 1834:

»Liebe Mutter, lieber Max und liebes Lottchen!

Vor anderthalb Minuten erhielt ich den lieben Brief, worin mir Euere glückliche Niederkunft gemeldet wird. Ihr hattet mich also getäuscht, in dem Ihr mir sagtet, daß Ihr erst zum Frühjahr in die Wochen kämet.

Mit tiefem Seufzen sah ich den Frühling entgegen. Mein Herz ist jetzt so erleichtert, daß ich vor Freude tanzen möchte. Ich lasse mich bei Herrn Moritz von Embden sehr bedanken, aber ich hoffe, daß er sich jetzt in acht nehmen wird, uns nicht öfters solche Freuden zu bereiten – Ich umarme Dich, liebes Lottchen, und ich sehne mich nach nichts in der Welt mehr, als daß ich die alte Gluck, und Dich die junge Gluck, und Deine kleinen Vögelchen wieder sehe. Daß Max Maximilian Heine, der Bruder Heinrichs, der 1879 als russ. Staatsrat in Berlin starb. nach Rußland reist, ohne daß ich ihn gesehen, macht mir viel Kummer, ich fühle schon die Nachgeburt meiner Sorge. – Lebt wohl und behaltet freundschaftlich im Andenken

Euren ergebenen Heinrich Heine

An seine Mutter, welche einige Zeit nicht schrieb, richtet er nach vierzehn Tagen die folgenden Zeilen: Nur auszugsweise mitgeteilt, mit Hinweglassung der nicht zur Sache gehörigen Stellen.

Paris, den 4. März 1834.

Ich muß mich bitter beklagen, liebe Mutter, daß ich, seitdem Ihr mir Lottchens Niederkunft gemeldet, ganz ohne alle Nachricht von Euch bin. Ein Wochenbett ist doch kein gewöhnlicher Zustand und da gebührte es sich wohl, daß ich etwas von dem Wohlsein meiner Schwester erfahre. Ich merke, daß Euch nicht viel an mir gelegen ist, und daß ich ein Narr bin, Euch zu schreiben. Ihr habt nichts zu thun, und ich muß um jede Zeile betteln. – Ich befinde mich wohl und gesund, welches mir im Grunde leid ist, denn wäre ich krank, liebe Mutter, so würde ich es Dir heute schreiben, blos um Dich zu ängstigen.

Wenn Ihr mich bei so wichtigen Umständen öfters ohne Brief laßt, so kann ich wirklich krank werden. Ich habe mir steif und fest vorgenommen, recht wirklich krank zu werden, um mich an Dir wegen Deines langen Stillschweigens zu rächen ...

Lottchen und die Kinder zu küssen. Lebt wohl.
H. Heine

Die ganze Liebe zu seiner Schwester bekundet jedoch der nachstehende Brief an seine Mutter. Vorerst sei bemerkt, daß dieselbe testamentarisch ein Kapital unter ihre vier Kinder: Heinrich, Charlotte, Max und Gustav verteilen wollte. Sie hatte ihrem Sohne Heinrich alle darauf bezüglichen Dokumente geschickt und ihn wegen der formellen Anordnung konsultiert. Darauf schrieb der Dichter, daß er auf Alles zu Gunsten Charlottens verzichte. Das Schreiben lautet:

Montmorency, den 28. Aug. 1847.

Liebe, gute Mutter!

Deinen lieben Brief vom 3. August habe ich richtig erhalten. Es ist hier Alles beim Alten, und ich werde, bis es herbstlich wird, hier bleiben; dies wird aber wahrscheinlich nicht über vier Wochen währen, da es Ende September hier sehr kalt zu werden anfängt. Meine Augen sind im selben Zustand, und das Schreiben macht mich übel; schreibe daher fast gar nicht. Heute schreibe ich Dir zunächst, um Dir einliegende Papiere zurückzuschicken, die zu diesem Endzweck bereits seit 6 Monaten, wo ich meine Skripturen ordnete, bereit lagen. Wozu soll ich sie im Grunde bei mir behalten? Denn ehrlich gestanden, nur als ein Zeichen Deiner mütterlichen Liebe hatten sie für mich eine Geltung, sonst aber kam es mir nie in den Sinn, davon jemals Gebrauch zu machen. Max wird in dieser Beziehung ganz so denken wie ich; Du mußt, nach meinem Rate, die ganze Summe meiner Schwester lassen. Mein weib- und kinderloser, in Amt und Glück stehender Bruder ist versorgt, wohl versorgt, und auch ich habe bis an mein Ende genug zu leben; auch für meine Frau ist gesorgt, und sie ist schon dadurch beglückt, daß Du sie liebst, hier kann also von keinem Opfer die Rede sein.

Sei überzeugt, auch Gustav hat dies Geld ebenso wenig nötig, als ich und Max. Das ist mein Wunsch und mein Rat, die beide um so mehr Gewicht haben dürften, da ich der älteste meiner Geschwister bin und mein Wort Dich jedenfalls gegen Dich selbst beruhigen darf. – Nun thue, was Du willst und laß mich nichts mehr von dieser Angelegenheit hören.

Dein liebend getreuer Sohn
Heinrich Heine.

So hat denn Heinrich Heine die Liebe zu seiner Mutter und Schwester stets wie ein Heiligtum im Herzen bewahrt. In der Fremde, in seinen Träumen, an der Seite seiner Mathilde, im Strudel des Genusses, auf der Matratzengruft – immer und immer denkt er an seine geliebte »Gluck,« und diese Liebe verklärt den Dichter und läßt uns viele seiner Schwächen und abstoßenden Charaktereigenschaften vergessen. In solchen Momenten gilt auch in bezug auf seine Seelenstimmung das Wort:

Die alte Liebe erscheinet,
Sie stieg aus dem Totenreich;
Sie setzet sich zu mir und weinet
Und macht das Herz mir weich.

Henri Julia erzählt von ihm eine kleine Thatsache, die am Besten die Liebe des Dichters zu seiner Schwester illustriert. Er umgab sich gern mit Dingen, die ihn an geliebte Personen erinnerten. So behütete er denn auch bis an sein Lebensende sorgfältig ein Bild seiner Schwester. Julia hörte von Heine oft die Versicherung, daß er Charlotte zärtlich liebe und daß sie » ein Herz wie ein Engel und einen Geist wie ein Teufel habe

finis

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