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Veilchenduft.

Von Elise Polko.

»In meiner Erinn'rung erblühen
die Bilder, die längst verwittert«

 

Es ist seltsam, wie unsere Erinnerungen an Persönlichkeiten oder Begebenheiten von einem bestimmten Blumenduft durchweht erscheinen, der unzertrennlich an ihnen haftet, so lange wir im stande sind, sie festzuhalten in unserem Geiste und Herzen. Der Zufall war's, der mir in dem Bildersaal eines alten Sammlers ein Miniaturbildchen vor Augen führte, das Werk einer Nichte des berühmten französischen Malers Antoine de Pesne, der jungen Marion de Buisson. – Es waren Veilchen und Frühlingsblumen, mit einer bezaubernden Grazie gemalt, aber nicht in Frankreich, nein, in Charlottenburg bei Berlin ... Die Künstlerfamilie Buisson war ihrem Oheim gefolgt, Vater, Söhne und zwei Töchter, aber erst als der Hofmaler und Galeriedirektor Friedrichs des Ersten unter dem jungen König, dem großen zweiten Friedrich, das Charlottenburger Schloß ausschmückte mit seinen strahlenden Fresken, wurde das Atelier der Blumenmaler aus Paris dort aufgeschlagen. Die graziöse Gestalt Marions tauchte auf, á la Watteau einhertrippelnd auf zierlichen Füßen, deutsche Veilchen in den Händen.

Wie viele Bilder sind dort wohl entstanden und von dort hinaus gegangen in alle Welt, wer könnte sie alle sammeln!

Von jenem einen, das ich entdeckte, wehte es wie frischer Veilchenduft herüber, und eine kleine weiße Hand grüßt aus den dichten Nebeln der Vergangenheit, und ein Erinnerungssonnenstrahl beleuchtet plötzlich einen Veilchenstrauß der Gegenwart, der freilich auch längst verblüht ist ...

Er grüßt herüber aus dem Westfalenlande, von den Wittekindbergen.

Sie ist in der That ein gar gewaltiges Thor, jene alte Porta Westphalica, durch die sich die schlanke Weser so eilfertig drängt, als fürchte sie, daß die grauen Felsen in ihrer Laubbekrönung, jene weit zurückgeschlagenen Thorflügel sich brausend zusammenfügen und ihre silberglänzende Schleppe einklemmen könnten. Und überall zwischen den Steinen grüne Guirlanden, üppige Waldungen, als erwarte man einen siegreich daherziehenden Helden und möchte ihn gern festlich empfangen.

Wenige Stellen auf deutscher Erde repräsentieren ein so großartiges Stück Weltgeschichte wie eben dieser Platz – es ist gleichsam eine via triumphalis, die durch die Porta führt. Welche Kriegerzüge, welche Gestalten sah sie vorüberziehen im Laufe der Jahrhunderte! Seltsame Träume, die bis in die jüngsten Tage hineinragen, nehmen die Seele gefangen, dem vielbesuchten Jacobsberge gegenüber und der ehemaligen Veste Minden, die einst auch ein Bischofssitz gewesen. Weilte doch in Mindens Nähe zu wiederholten Malen jene holdselige, fürstliche Frauengestalt, die man später die Königin Luise von Preußen nannte, und auf »Haus Himmelreich«, einem romantischen Versteck im Grünen, wohnte einen Sommer lang der Märchenprinz Louis Ferdinand, der schwärmerische Verehrer Beethovens, der zu wiederholten Malen sein Gast war. Auf der rechten Seite der alten Stadt aber ragte jener Portaberg empor, auf dessen Kamm ein verwittertes Dach hervorlugt aus den schützenden alten Bäumen. Es überdeckt, immer wieder erneuert, jene uralten Mauerreste der Wittekindkapelle, woselbst einst, der Sage nach, der trotzige Sachsenherzog getauft worden sein soll. Die Luft daselbst ist eben voll vom Wittekind und anderen Sagen, die Bäume rauschen sie auf den Wanderer herab, der ihren Schatten sucht, die Wellen des Flusses flüstern sie in geheimnisvoller Weise dem zu, der an ihren Ufern steht und sie auf- und niederrollen sieht. Von den Höhen herab schweift der Blick entzückt hinaus ins weite fruchtbare Land, bis zu jenen blauen Höhenzügen, wo der stolze Hermann des alten Bändel steht. Und die Löwe'sche Prachtballade vom heidnischen Wittekind und dem Kaiser Karol singt und klingt uns überall entgegen. Zwingt es doch den wilden Helden, der mit wüsten Rachegedanken in den Dom zu Aachen trat, gewaltsam auf die Kniee nieder, als der heilige Gottesdienst unter dem Rausche der Harfner und dem Gesänge der Menge an seinem Aug' und Ohr vorüberzog, während der große Kaiser mit seinem Volke betete, und auf alle himmlisch mild niederblickt die Mutter Gottes und das Christuskind. Trotz der überwältigenden Erinnerung an seine gefallenen Krieger im fernen Wesertal, an

»Die blutigen Riesenleiber,
Von Wunden überdeckt.«

beugt sich »der Sachsen Leu« vor dem kaiserlichen Herrn und vor der heiligen Lehre vom Gotte des Erbarmens.

Löwe selber hat diese seine ergreifende Komposition an den kleinen Theeabenden des kunstsinnigen Königs Friedrich Wilhelm des Vierten in Potsdam vorgetragen; sein hoher Schützer liebte eben diese Ballade vom Wittekind vor allen andern. Unter den Zuhörern, auf welche sie den lebhaftesten Eindruck machte, befand sich auch der nachherige Kaiser Wilhelm der Erste. Beide königlichen Brüder haben die alte Porta besucht und sind den breiten Fahrweg zur Wittekindkapelle hinaufgefahren, den man für sie angelegt, und die Melodie der Ballade schwebte auf ihren Lippen. Endlose Soldatenzüge nach und von Frankreich passierten das alte Felsenthor, und auf dem Jacobsberge, dem Wittekindhause gegenüber, stand auch der vielgeliebte Kaiser Friedrich als Kronprinz von Preußen und rief: »Wie schön ist es hier!«

Der jetzige jugendliche Kaiser hat als Knabe vom nahen Bade Ohnhausen aus, wo er mit seinem Bruder, dem Prinzen Heinrich, im Jahre 1868 mehrere Wochen zubrachte, gar oft voll Freude die beiden Portaberge erstiegen. Und eine kleine Sage von unserm Fritz, von Veilchenduft durchweht, geht eben dort leise von Mund zu Mund, seit Jahren, und wer hätte den Mut, ihr zu widersprechen? – Paßt sie doch ganz und gar in ihrer Färbung zu dem Bilde des Unvergeßlichen! – Man erzählt nämlich, daß der nachmalige Kaiser Friedrich III. im März des Jahres 1868, von irgend einer militärischen Reise nach Berlin zurückkehrend, ganz incognito einen Abstecher gemacht habe, um mit eigenen Augen Umschau zu halten im Bade Ohnhausen, woselbst wenige Monate später seine Söhne Aufenthalt nehmen sollten. War er doch allezeit der zärtlichste, sorglichste Vater, wer wüßte das nicht! Und auf der Rückkehr von dort wurde dann für eine kurze Stunde Halt gemacht in der alten Porta. Nur von einem Adjutanten und Diener begleitet, langte der Kronprinz auf der Station an, den nächsten Zug erwartend. – Allein trotz aller Vorsichtsmaßregeln und trotz des Wunsches, unerkannt zu bleiben, wurde ihm, als die hohe Siegfriedsgestalt den Perron betrat, im Auftrage eines reichen Grundbesitzers in der Nähe, ein prachtvoller Veilchenstrauß überreicht. Sie waren noch eine große Seltenheit in jener Gegend, in diesen eisigen Märztagen, und der Geber hatte sie gewiß mit Gold aufgewogen. Mit seinem herzgewinnenden Lächeln und mit freundlichstem Dankeswort empfing der hohe Herr seine Lieblinge und ließ sie nicht mehr aus den Händen, mit sichtlicher Freude immer und immer wieder den süßen Duft einatmend. Welche Empfänglichkeit zeigte er allezeit für frischen Blumenschmuck – von frühester Jugend an bis zu den dunklen Tagen in Charlottenburg, wo man ihn mit Veilchen überschüttete und den letzten Stunden in Friedrichskron, wo der Kranz von Seerosen neben seinem Schmerzenslager blühte!

Der Kronprinz erstieg damals in dem Garten des Steinert'schen Gasthauses einen Teil des Bergweges, sorglich seinen Veilchenstrauß mit seinem Mantelkragen schützend. Lange schaute er von jenem Aussichtspunkte zur alten Mindener Veste hinüber. Vielleicht gedachte er jenes Wintertages, an dem er einst von England kommend, mit der jungen Gattin durch das alte Felsenthor gezogen war, um auf dem Bahnhofe Minden von einer Schar frischer Landmädchen in charakteristischen Trachten empfangen zu werden, die den glücklichen Neuvermählten auch Veilchen gebracht, trotz der rauhen Jahreszeit. So stieg er denn endlich, gewaltsam sich losreißend, wieder hinab, denn die Zeit zur Abfahrt war herangekommen. Auf seinen Wink eilten seine Begleiter voraus, der Kronprinz folgte langsam. – Da kam er denn an einem armseligen, kleinen Hause vorbei, – jetzt ist es längst niedergerissen und von der Erde verschwunden – eine arme, junge Frau stand an einem der niederen Fenster zu ebener Erde, ihr krankes Kind auf dem Arm, ein totblasses kleines Mädchen, das sein Gesichtchen an die Schulter der Mutter drückte. Und wie denn der Kronprinz Friedrich niemals achtlos vorüberzugehen vermochte an irgend einem Leidenden oder Hilflosen, in welcher Gestalt er auch vor ihm auftauchen mochte, und gar an einem Kinde, so blieb er auch hier stehen in jenem heiligen Mitgefühle, von dem seine Seele immerdar erfüllt war. Da geschah es, daß die Augen der kleinen Kranken plötzlich aufleuchteten, das Köpfchen hob sich, und wie ein matter, flüchtiger Sonnenstrahl huschte der Schein eines Lächelns über das arme abgezehrte Antlitz. Die Kleine hatte den mächtigen Veilchenstrauß entdeckt – – – Kinder und Blumen gehören ja zu einander! – – die blassen Händchen streckten sich unwillkürlich nach ihnen aus. Die Mutteraugen aber folgten so hoffnungslos und müde diesem Blick, sie sagten: »Du Gesunder, Glücklicher, den ich nicht kenne, trägst Blumen in Deinen Händen, nach denen mein armes Kind sich vergebens sehnt – – mein Herzblut gäbe ich hin, könnte ich seinen Wunsch erfüllen!«

Und er, der da draußen stehen geblieben war, verstand in seinem Herzen die stumme Sprache des Kindes wie der Mutter und trat in das Haus. Er mußte sich freilich tief bücken, um über die Schwelle der Thür in das niedere Stübchen schreiten zu können.

Als der Kronprinz Friedrich wieder im Freien stand und weiter ging, rieselten leichte Flocken nieder, aber die Veilchen brauchten nicht mehr geschützt zu werden, er trug jenen kostbaren Strauß, dessen er sich so sehr gefreut, nicht mehr in der Hand, aber eine stille Heiterkeit lag auf dem schönen Antlitze: wußte er doch, daß seine Veilchen jetzt auf der Decke eines Krankenbettes lagen und Träume vom Frühling in einen fieberhaften Schlummer trugen und ein glückliches Lächeln auf jene bleichen unschuldigen Lippen gezaubert hatten, die nur noch der Todesengel und die Mutterliebe küssen sollten. – Was der unbekannte Wohlthäter sonst noch der Armen helfend zurückgelassen, erfuhr niemand, und niemand redet mehr davon, aber die Geschichte von jenem seltenen Veilchenstrauß lebt in der Porta noch fort und blüht dort mit jedem Frühling neu auf und wie eine Duftwelle flog zu mir ...

Diese kleine, stille Sage, von Veilchenduft erfüllt, ist freilich nur ein einziges Blättchen in jenem Riesenkranz, den man zusammenflechten wird aus all' den Blüten der Herzensgüte des unvergeßlichen Kaisers, dessen Lebensmotto allezeit das Dichterwort gewesen: »Edel sei der Mensch, hilfreich und gut,« – aber ich meine, es dürfe eben keines vergessen werden. – Wieviel Jugend, Kraft und Schönheit ging seit jenem rauhen Märztage an jener Stelle des Felsenthores vorüber, wo der Kronprinz Friedrich seine Lieblingsblumen verschenkte; wieviel Glanz und Herrlichkeit zerfiel seitdem in Staub; wie viele Augen, die zu der alten Porta ausgeschaut, schlossen sich für immer, auch die Augen meines Lebensgefährten, der mir einst von jener echten »Liebesgabe« geredet, und dessen Lieblingsstätte jene Berge gewesen! Und nun ist er auch dahingegangen, von wo es keine Wiederkehr giebt, der herrliche Kaiser Friedrich! Aus der Siegfriedsgestalt wurde allmählig ein totwunder Amfortas, aber ein klagloser, heldenhafter. – Der Zauber der Romantik zieht sich schon jetzt um diese edle Menschenerscheinung eines Kaisers von 99 Tagen.

Und jeder wird deshalb glauben, was ich selber sah, daß seit jenem Märztage des Jahres 1868, neben der Stelle, auf der einst das kleine Haus gestanden, in dessen dumpfen Räumen die Veilchen des Kronprinzen Friedrich in der Hand eines sterbenden Kindes verwelkten, jetzt in jedem Frühling die Veilchen in üppigster Fülle geblüht, und doch weiß sich niemand zu erinnern, wer sie dorthin gepflanzt hat. Und süßer und mächtiger als jenem kleinen reizenden Bilde der lieblichen Blumen entströmt dieser Sage aus unseren Tagen das herzerquickende Arom der Erde:

Veilchenduft.

finis

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