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Geschichte des Neiders und des Beneideten.

In einer ganz ansehnlichen Stadt wohnten zwei Männer Tür an Tür. In dem einen regte sich gegen den andern ein heftiger Neid, daß der, welcher der Gegenstand dieses Neides war, seinen Wohnort zu verändern und sich zu entfernen beschloß, überzeugt, daß die Erbitterung seines Nachbars nur durch die Nachbarschaft erregt worden wäre; denn es war ihm nicht entgangen, daß, obgleich er jenem gute Dienste geleistet hatte, er ihn darum doch nicht minder haßte. Er verkaufte deshalb sein Haus und seine übrige geringe Habe, begab sich in die nicht ferne Hauptstadt des Landes und kaufte sich ein kleines Landgut, welches ungefähr eine halbe Meile von der Stadt entfernt war. Er hatte dort ein recht bequemes Haus, einen schönen Garten und einen großen Hof, in welchem sich ein tiefer Wasserbehälter befand, dessen man sich nicht mehr bediente.

Als nun der Ehrenmann diesen Ankauf gemacht hatte, wählte er die Tracht eines Derwisches, um ein zurückgezogeneres Leben führen zu können, und ließ in dem Hause mehrere Zellen bauen, in welchen er in kurzer Zeit eine zahlreiche Gemeinde von Derwischen zusammenbrachte. Seine Tugend machte ihn bald bekannt und führte ihm eine sehr große Menge von Leuten sowohl aus dem Volke als von den Angesehensten der Stadt zu. Kurz, jedermann liebte ihn auf ausgezeichnete Weise. Es kamen auch welche aus weiter Ferne, um sich seinen Gebeten zu empfehlen, und alle, die sich zu ihm begaben, erzählten von den Gnaden, welche sie durch seine Vermittlung vom Himmel erhalten zu haben glaubten.

Da sich der große Ruf des Mannes bis in die Stadt verbreitet hatte, aus welcher er hergekommen war, so empfand der Neider darüber einen so lebhaften Verdruß, daß er sein Haus und seine Geschäfte verließ mit dem Entschlusse, jenen ins Verderben zu stürzen. Zu diesem Zwecke begab er sich in das neue Kloster der Derwische, deren Oberhaupt, sein vormaliger Nachbar, ihn mit allen erdenklichen Freundschaftsbezeigungen aufnahm. Der Neider sagte, er wäre ausdrücklich gekommen, um ihm eine wichtige Angelegenheit, jedoch nur unter vier Augen, mitzuteilen. »Damit,« fügte er hinzu, »niemand uns behorchen könne, wollen wir, wenn's Euch gefällig ist, in Eurem Hofe auf- und abgehen; und da die Nacht herannaht, so befehlt Euren Derwischen, sich in ihre Zellen zu begeben.« Das Oberhaupt der Derwische erfüllte diesen Wunsch.

Als sich nun der Neider mit unserm Ehrenmann allein sah, begann er ihm zu erzählen, was ihm eben einfiel, wobei sie beide im Hofe umhergingen, und als sie sich am Rande des Wasserbehälters befanden, stieß er ihn hinein, ohne daß irgend jemand Zeuge dieser nichtswürdigen Handlung war. Nachdem er dies getan, machte er sich schnell davon, erreichte die Türe des Klosters, durch welche er sich ungesehen entfernte, und gelangte in seine Heimat, sehr zufrieden mit seiner Reise und überzeugt, daß der Gegenstand seines Neides nicht mehr auf der Welt wäre; aber er betrog sich sehr.«

Scheherasade konnte nicht weiter erzählen; denn der Tag brach an. Der Sultan war über die Bosheit des Neiders aufgebracht. »Ich wünsche sehr,« sagte er zu sich selbst, »daß dem guten Derwisch nichts Böses widerfährt, und ich hoffe, morgen zu erfahren, daß ihn der Himmel bei dieser Gelegenheit nicht verlassen hat.«

 

Einundfünfzigste Nacht.

Dinarsade beschwor bei ihrem Erwachen ihre Schwester, ihr zu erzählen, ob der Derwisch frisch und gesund aus dem Wasserbehälter herausgekommen wäre. »Ja,« erwiderte Scheherasade; »denn der zweite Kalender fuhr folgendermaßen fort: »Der Wasserbehälter war von Feen und Geistern bewohnt, welche schnell bei der Hand waren, um dem Vorsteher der Derwische beizustehen, ihn auffingen und ihn, bis er auf den Grund kam, so unterstützten, daß er sich gar keinen Schaden tat. Er merkte wohl, daß etwas Außerordentliches in diesem Sturze stattfand, der ihm eigentlich das Leben hätte kosten müssen; aber er sah und fühlte nichts. Dessenungeachtet vernahm er bald eine Stimme, welche sagte: »Wißt ihr, wer der Ehrenmann ist, dem wir diesen guten Dienst geleistet haben?« Und als andere Stimmen mit Nein geantwortet hatten, fuhr die erste fort: »Ich will's euch sagen. Dieser Mann hat die Stadt, in welcher er wohnte, aus dem größten Wohlwollen von der Welt verlassen und hat hier seinen Wohnsitz aufgeschlagen in der Hoffnung, einen von seinen Nachbarn von dem Neide zu heilen, den dieser gegen ihn hegte. Er wird hier so allgemein geschätzt, daß der Neider, der dies nicht ertragen konnte, in der Absicht hierher kam, ihn ums Leben zu bringen, was er auch bewerkstelligt hätte, wären wir dem Ehrenmanne nicht zu Hilfe gekommen, dessen Ruf so groß ist, daß der Sultan, der in der benachbarten Stadt Hof hält, ihn morgen besuchen will, um die Prinzessin, seine Tochter, seinen Gebeten zu empfehlen.«

Eine andere Stimme fragte, weshalb die Prinzessin der Gebete des Derwisches bedürfe, worauf die erste erwiderte: »Ihr wißt also nicht, daß sie von dem Geist Maimun, Sohn des Dimdim, besessen ist, der sich in sie verliebt hat? Aber ich weiß wohl, wie dieses gute Oberhaupt der Derwische sie heilen könnte, die Sache ist sehr leicht, und ich will sie euch sagen. Es befindet sich in seinem Kloster eine schwarze Katze, welche am Ende des Schwanzes einen weißen Fleck ungefähr von der Größe einer kleinen Silbermünze hat. Er darf nur sieben Härchen aus diesem weißen Fleck reißen, sie verbrennen und mit ihrem Rauch das Haupt der Prinzessin beräuchern. Sogleich wird sie geheilt und so sicher von Maimun, dem Sohne Dimdims, befreit sein, daß er sich's niemals wieder wird einkommen lassen, sich ihr ein zweites Mal zu nähern.«

Das Oberhaupt der Derwische verlor nicht ein Wort von dieser Unterredung der Feen und der Geister, welche nach dem Erwähnten die ganze Nacht hindurch ein tiefes Stillschweigen beobachteten. Als er nun bei Anbruch des folgenden Tages die Gegenstände erkennen konnte, fand er, da der Wasserbehälter an mehreren Stellen verfallen war, eine Lücke, durch welche er ohne Mühe herauskam.

Die Derwische, welche ihn suchten, waren sehr erfreut, ihn wiederzusehen. Er erzählte ihnen in wenigen Worten die boshafte Tat des Gastes, den er am vergangenen Tage so gut aufgenommen hatte, und begab sich sodann in seine Zelle. Die schwarze Katze, von welcher in der Nacht die Feen und die Geister sich unterredet hatten, blieb nicht lange aus und kam, um ihn auf gewohnte Weise liebzukosen. Er nahm sie, riß ihr sieben Härchen aus dem weißen Fleck ihres Schwanzes und legte sie beiseite, um sich ihrer zu bedienen, wenn es not täte.

Die Sonne war noch nicht lange aufgegangen, als der Sultan, der nichts verabsäumen wollte, was zur schnellen Heilung der Prinzessin beitragen konnte, an der Pforte des Klosters anlangte. Er befahl seiner Leibwache, dort zu warten, und ging mit den vornehmsten Beamten, die ihn begleiteten, ins Haus. Die Derwische empfingen ihn mit tiefer Ehrfurcht.

Der Sultan zog ihr Oberhaupt beiseite. »Guter Scheich,« sagte er zu ihm, »dir ist vielleicht der Gegenstand, der mich zu dir führt, schon bekannt.« – »Ja, mein Fürst,« erwiderte der Derwisch in bescheidenem Tone, »es ist, wenn ich nicht irre, die Krankheit der Prinzessin, welcher ich diese unverdiente Ehre verdanke.« – »So ist's,« versetzte der Sultan, »du würdest mir das Leben wiedergeben, wenn deine Gebete die Genesung meiner Tochter bewirkten.« – »Herr,« entgegnete der Ehrenmann, »wenn Euer Majestät so gnädig sein will, sie hierher kommen zu lassen, so schmeichle ich mir, daß sie mit Gottes Hilfe und Gnade vollkommen gesund heimkehren soll.«

Der Fürst, vor Freude außer sich, ließ auf der Stelle seine Tochter holen, welche alsbald, begleitet von einem zahlreichen, aus Frauen und Verschnittenen bestehenden Gefolge, erschien und so verschleiert war, daß man ihr Gesicht nicht sehen konnte. Das Oberhaupt der Derwische ließ eine Rauchpfanne an das Haupt der Prinzessin halten, und kaum hatte er die sieben Härchen auf die herbeigebrachten glühenden Kohlen gelegt, als der Geist Maimun, Sohn Dimdims, ein heftiges Geschrei ausstieß, ohne daß man irgend etwas sah, und aus der Prinzessin ausfuhr. Sie faßte sogleich mit der Hand den Schleier, der ihr Gesicht bedeckte, und hob ihn in die Höhe, um zu sehen, wo sie wäre.

»Wo bin ich,« rief sie aus, »wer hat mich hierher gebracht?« – Bei diesen Worten konnte der Sultan das Übermaß seiner Freude nicht verbergen, er umarmte seine Tochter und küßte sie auf die Augen; er küßte auch dem Oberhaupte der Derwische die Hand und sagte zu den ihn begleitenden Beamten: »Saget mir eure Meinung: welche Belohnung verdient der, welcher meine Tochter auf diese Weise geheilt hat?« Sie erwiderten alle: »Er verdient, sie zu heiraten.« – »Das hatte ich im Sinn,« sagte der Sultan, »und ich mache ihn von diesem Augenblicke an zu meinem Schwiegersohn.«

Bald nachher starb der erste Wesir. Der Sultan übertrug dem Derwisch sein Amt; und da der Fürst ohne männliche Kinder starb, so wurde der Ehrenmann von der versammelten Priesterschaft und Kriegsmacht einstimmig zum Sultan erklärt und als solcher anerkannt.«

Der anbrechende Tag nötigte Scheherasaden, innezuhalten. Der Derwisch schien dem Schachriar der erhaltenen Krone würdig; aber dieser Fürst war begierig zu wissen, ob der Neider vor Kummer gestorben war, und er stand mit dem Entschluß auf, es in der folgenden Nacht zu erfahren.

 

Zweiundfünfzigste Nacht.

»Folgendermaßen,« sagte Scheherasade, »fuhr der Kalender in der Geschichte des Neiders und des Beneideten fort:

»Als nun,« sagte er, »der gute Derwisch den Thron seines Schwiegervaters bestiegen hatte, bemerkte er eines Tages, da er in der Mitte seines Hofes durch die Hauptstadt zog, unter der Menge, die sich auf seinem Wege drängte, den Neider. Er rief einen der ihn begleitenden Wesire zu sich heran und sagte ihm ganz leise: »Geh und bringe dort jenen Mann zu mir; aber hüte dich, ihn zu erschrecken.« Der Wesir gehorchte, und als der Neider dem Sultan gegenüberstand, sagte ihm dieser: »Mein Freund, ich bin sehr erfreut, dich zu sehen!« – und sodann, indem er sich zu einem Beamten wandte: »Man zahle ihm auf der Stelle tausend Goldstücke aus meinem Schatze. Außerdem gebe man ihm noch aus meinen Vorratshäusern zwanzig Ladungen der kostbarsten Waren, und eine hinreichende Wache führe und geleite ihn in seine Heimat.« Nachdem er dem Beamten diesen Auftrag gegeben hatte, sagte er dem Neider Lebewohl und zog weiter.

Als ich nun diese Geschichte dem Geist erzählt hatte, von welchem die Prinzessin der Ebenholzinsel ermordet worden war, machte ich folgende Anwendung aus ihn: »O Geist,« sagte ich zu ihm, »du siehst, daß der wohltätige Sultan sich nicht damit begnügte, zu vergessen, daß es nicht am Neider gelegen hatte, wenn er nicht ums Leben gekommen war, sondern er bewies sich ihm überdies noch gnädig und sandte ihn mit so vieler Güte heim, wie ich dies erzählte.« Kurz, ich wandte alle Beredsamkeit an, um ihn zu bitten, er möchte doch ein so schönes Beispiel nachahmen und mir verzeihen, und fügte noch folgende Verse hinzu:

»Erlaßt mir meine Schuld; denn das tun ja auch die großmütigen Machthaber.

Sollte ich mich auch noch so sehr gegen dich vergangen haben, so sei du gegen mich nicht minder großmütig.

Denn wer Vergebung hofft von dem, der über ihm steht, der verzeihe auch die Fehler dem, der unter ihm ist.«

Es war mir jedoch nicht möglich, ihn zu erweichen. »Alles, was ich für dich tun kann,« sagte er zu mir, »ist, daß ich dir nicht das Leben nehme; aber schmeichle dir nicht, daß ich dich frisch und gesund fortlasse. Ich muß dich fühlen lassen, was meine Zauber vermögen.« Bei diesen Worten packte er mich mit Heftigkeit, trug mich durch das Gewölbe des unterirdischen Palastes, welches sich öffnete, um ihm einen Weg zu bahnen, und entführte mich so hoch, daß die Erde mir nur wie eine kleine weiße Wolke vorkam. Von dieser Höhe stürzte er sich wie ein Blitz zur Erde herab und faßte auf dem Gipfel eines Berges Fuß.

Dort raffte er eine Handvoll Erde auf, sprach oder murmelte vielmehr einige Worte darüber, von denen ich nichts verstand, und sagte sodann, indem er mich mit der Erde bewarf: »Lege die Gestalt eines Menschen ab und nimm die eines Affen an.« Hierauf verschwand er, und ich blieb allein, in einen Affen verwandelt und vor Schmerz zu Boden gedrückt, in einem unbekannten Lande und ohne zu wissen, wie nahe oder wie fern ich mich von den Staaten des Königs, meines Vaters, befände.

Ich stieg von der Höhe des Berges herab und kam in ein flaches Land, dessen Ende ich erst nach Verlauf eines Monates fand, als ich ans Meeresufer gelangte. Es herrschte eben eine große Windstille, und ich sah eine halbe Meile von dem Lande ein Schiff. Um eine so gute Gelegenheit nicht zu versäumen, brach ich einen großen Zweig von einem Baume, zog ihn mir nach ins Meer und setzte mich reitend darauf, in jeder Hand einen Stock zum Rudern haltend.

In diesem Zustand schwamm ich auf das Schiff zu. Als ich nahe genug war, um erkannt zu werden, gewährte ich den Matrosen und Reisenden, welche auf dem Verdeck erschienen, ein seltsames Schauspiel. Sie betrachteten mich alle mit großer Verwunderung. Inzwischen gelangte ich an Bord und kletterte, indem ich mich an ein Tau hielt, auf das Verdeck. Da ich aber nicht reden konnte, war ich in einer schrecklichen Verlegenheit. In der Tat, die Gefahr, welche mir damals drohte, war nicht geringer als die, mich in der Gewalt des Geistes zu befinden.

Die abergläubischen und ängstlichen Kaufleute glaubten, daß ich ihrer Schiffahrt Unglück bringen würde, wenn man mich aufnähme, und deshalb sagte einer: »Ich will ihn mit einem Schlegel totschlagen«; ein anderer: »Ich will ihm den Leib mit einem Pfeil durchbohren«; ein dritter: »Man muß ihn ins Meer werfen.« Gewiß würde irgend einer getan haben, was er sagte, wenn ich mich nicht dem Schiffshauptmann genähert und zu Füßen geworfen hätte; aber da ich ihn in der Stellung eines Bittenden bei seinem Kleide ergriff, wurde er von diesem Benehmen und von den Tränen, die er aus meinen Augen fließen sah, so gerührt, daß er mich in seinen Schutz nahm und jeden, der mir das geringste Leid zufügen würde, zu bestrafen drohte. Er machte mir sogar tausend Liebkosungen. Ich von meiner Seite gab ihm in Ermangelung der Worte durch meine Gebärden alle mir möglichen Zeichen von Erkenntlichkeit.

Der Wind, welcher auf die Stille folgte, war zwar kein starker, wohl aber ein günstiger; er hielt fünfzig Tage ununterbrochen an und ließ uns im Hafen einer schönen, sehr bevölkerten und bedeutenden Handelsstadt vor Anker gehen, die als Hauptstadt eines mächtigen Staates umso ansehnlicher war.

Unser Schiff war bald von einer Menge kleiner Kähne umgeben, mit Leuten angefüllt, welche kamen, um ihren Freunden zu ihrer Ankunft Glück zu wünschen oder Nachricht von solchen zu erhalten, die sie in dem Lande, von welchem jene herkamen, kennengelernt hatten, andere aus bloßer Neugier, ein Schiff zu sehen, das aus weiter Ferne kam. Es fanden sich auch einige Beamte ein, die von seiten des Sultans mit den Kaufleuten, die wir am Bord hatten, sprechen wollten. Die Kaufleute stellten sich ihnen vor, und einer der Beamten nahm das Wort und sagte:

»Der Sultan, unser Herr, hat uns beauftragt, euch seine große Freude über eure Ankunft zu bezeugen und euch zu bitten, daß ihr euch die Mühe gebt, auf diese Papierrolle jeder einige Zeilen zu schreiben. Damit ihr wisset, was er dabei für eine Absicht hat, so sollt ihr erfahren, daß er einen ersten Wesir hatte, der bei einem sehr großen Geschick in der Leitung der Angelegenheiten eine ausgezeichnet schöne Hand schrieb. Dieser hohe Staatsbeamte ist vor wenigen Tagen gestorben. Der Sultan ist sehr betrübt darüber, und da er die von des Wesirs Hand geschriebenen Schriften nie ohne Bewunderung ansah, so hat er einen feierlichen Schwur abgelegt, seine Stelle nur einem Mann zu geben, der ebenso schön schreibt. Viele Leute haben ihre Handschrift eingereicht; aber bis jetzt hat sich im Umfang dieses Reiches niemand gefunden, der würdig geachtet wäre, die Stelle des Wesirs zu erhalten.«

Diejenigen Kaufleute, welche gut genug zu schreiben glaubten, um auf die hohe Würde Anspruch machen zu können, schrieben einer nach dem andern, was ihnen beliebte. Als sie fertig waren, nahte ich mich und nahm die Rolle aus der Hand dessen, der sie hielt. Alle Gegenwärtigen, und besonders die Kaufleute, welche geschrieben, bildeten sich ein, daß ich sie zerreißen und ins Meer werfen wollte, und erhoben ein lautes Geschrei; aber sie beruhigten sich, als sie sahen, daß ich die Rolle sehr säuberlich hielt und zu verstehen gab, daß ich auch schreiben wollte. Dies verwandelte ihre Furcht in Bewunderung. Da sie jedoch niemals einen Affen gesehen hatten, der zu schreiben verstanden hätte, und sich nicht überzeugen konnten, daß ich geschickter als andere meiner Gattung wäre, so wollten sie mir die Rolle aus den Händen reißen; aber der Schiffshauptmann nahm sich wieder meiner an.

»Laßt ihn gewähren,« sagte er, »er mag schreiben. Wenn er das Papier nur besudelt, so versprech' ich euch, ihn auf der Stelle zu bestrafen; wenn er aber gut schreibt, wie ich hoffe, (denn ich habe in meinem Leben keinen geschickteren und gescheiteren Affen gesehen), so erkläre ich, daß ich ihn für meinen Sohn erkennen werde. Ich hatte einen, der lange nicht so viel Verstand besaß als er.«

Da ich sah, daß sich niemand meinem Vorhaben widersetzte, so ergriff ich die Feder und legte sie erst wieder weg, als ich sechs Arten von Schrift, wie sie bei den Arabern gebräuchlich sind, geschrieben hatte, und jede Art enthielt je zwei oder vier Zeilen aus dem Stegreif zum Lobe des Sultans, z. B. in mittlerer Frakturschrift:

»Wenn die Jahrhunderte die Tugenden der Edlen verzeichneten, so würden die deinigen alle bis jetzt aufgezeichneten austilgen.

Möchte doch Gott die Menschen nicht an dir zu Waisen werden lassen, denn du bist zugleich Vater und Mutter der Tugenden.«

Hierauf schrieb ich mit der Schrift Nasach folgende Verse:

»Es gibt keinen, der da schreibt, der dadurch nicht auf irgend eine Art in Versuchung geriete; er bedenke aber, daß Jahrhunderte aufbewahren, was seine Hände geschrieben haben.

Schreib daher nie etwas anderes als solches, was dich nicht gereuen kann, wenn du es am Tage der Auferstehung wieder sehen solltest.«

Dann fügte ich noch mit den Schriftzügen Tomar folgendes hinzu:

»Es sei, wenn du schreibst, deine Tinte aus Güte und Edelmut zusammengesetzt; dann werden sich Schwert und Feder vereinigen, deinen Ruhm zu behaupten.«

Meine Handschrift verdunkelte nicht nur die der Kaufleute, sondern ich wage zu behaupten, daß man in jenem Lande noch keine so schöne gesehen hatte. Als ich fertig war, nahmen die Beamten die Rolle und trugen sie zum Sultan.«

So weit war Scheherasade in ihrer Erzählung gekommen, als sie den Tag anbrechen sah. »Herr,« sagte sie zu Schachriar, »wenn ich Zeit hätte fortzufahren, so würde ich Euer Majestät noch erstaunlichere Dinge als die bereits erzählten mitteilen.« Der Sultan, der sich vorgenommen hatte, diese ganze Geschichte zu hören, stand auf, ohne zu sagen, was er dachte.

 

Dreiundfünfzigste Nacht.

Am andern Morgen sagte Dinarsade bei ihrem Erwachen zur Sultanin: »Ich glaube, meine Schwester, daß der Sultan, mein Gebieter, nicht weniger neugierig ist als ich, die Folge der Abenteuer des Affen zu erfahren.« – »Ihr sollt beide befriedigt werden,« erwiderte Scheherasade, »und um euch nicht lange warten zu lassen, sage ich euch, daß der Kalender in seiner Erzählung auf folgende Weise fortfuhr:

»Der Sultan schenkte den andern Handschriften keine Aufmerksamkeit; er betrachtete nur die meinige, die ihm so wohl gefiel, daß er zu den Beamten sagte: »Nehmet aus meinen Ställen das schönste und am reichsten gezäumte Pferd und ein prächtiges Kleid vom reichsten Stoffe, um die Person, welche diese sechs Gedichte geschrieben hat, damit zu bekleiden, und bringt sie zu mir.«

Bei diesem Befehl des Sultans fingen die Beamten zu lachen an. Dieser Fürst, über ihre Dreistigkeit erzürnt, war im Begriff, sie zu bestrafen; aber sie sagten zu ihm: »Herr, wir bitten Euer Majestät, uns zu verzeihen; diese Schriftzüge sind von keinem Menschen, sondern von einem Affen.« »Wie,« rief der Sultan aus, »diese sonderbaren Schriftzüge kommen von keiner Menschenhand?« – »Nein, Herr,« erwiderte einer der Beamten, »wir versichern Euer Majestät, daß sie von einem Affen sind, der sie vor unseren Augen geschrieben hat.« Der Sultan fand die Sache zu erstaunlich, als daß er nicht hätte neugierig sein sollen, mich zu sehen. »Tut, was ich euch befohlen habe,« sagte er zu ihnen, »und bringet mir einen so seltnen Affen her.«

Die Beamten kehrten zum Schiffe zurück und teilten dem Schiffshauptmann den erhaltenen Befehl mit, worauf dieser ihnen sagte, daß der Sultan nur zu gebieten hätte. Sie zogen mir sogleich ein Kleid von sehr reichem Stoffe an und trugen mich ans Land, woselbst sie mich auf das Pferd des Sultans setzten, der mich in seinem Palast erwartete, umgeben von einer großen Anzahl zu seinem Hose gehöriger Personen, die er berufen hatte, um mir mehr Ehre zu erweisen.

Der Zug begann. Der Hafen, die Straßen und die öffentlichen Plätze, die Fenster, die Terrassen der Paläste und der Häuser, alles war mit einer zahllosen Menge Menschen von beiden Geschlechtern und jedem Alter angefüllt, welche die Neugier aus allen Teilen der Stadt herbeigezogen hatte, um mich zu sehen: denn die Nachricht, daß der Sultan einen Affen zu seinem Wesir gemacht habe, hatte sich in einem Augenblick verbreitet. Nachdem ich dieser ganzen Volksmasse, welche nicht abließ, durch wiederholtes Geschrei ihre Verwunderung zu bezeigen, ein so neues Schauspiel gewährt hatte, gelangte ich in den Palast des Sultans.

Ich fand den Fürsten in der Mitte der Großen seines Hofes auf seinem Throne sitzen. Ich machte ihm drei tiefe Verbeugungen, und bei der letzten warf ich mich vor ihm nieder und küßte die Erde. Hierauf setzte ich mich auf Affenweise nieder. Die ganze Versammlung konnte nicht müde werden, mich zu bewundern, und begriff nicht, wie ein Affe sich so gut auf die den Sultanen gebührende Hochachtung verstand, und der Sultan war erstaunter als irgend jemand. Kurz, die Audienzfeierlichkeit würde vollständig gewesen sein, wenn ich meine Gebärden mit einer Anrede hätte begleiten können; aber die Affen haben niemals gesprochen, und der Vorzug, ein Mensch gewesen zu sein, gab mir dieses Vorrecht nicht.

Der Sultan entließ seine Hofleute und behielt niemand bei sich als das Oberhaupt der Verschnittenen, einen kleinen, sehr jungen Sklaven und mich. Er ging aus seinem Audienzsaal in sein Wohnzimmer und ließ sich daselbst Essen auftragen. Als er bei Tafel saß, machte er mir ein Zeichen, daß ich näher kommen und mit ihm essen sollte. Um ihm meinen Gehorsam zu bezeigen, küßte ich die Erde, stand auf und setzte mich an den Tisch. Ich aß mit vieler Zurückhaltung und Bescheidenheit.

Ehe man abräumte, gewahrte ich ein Schreibzeug; ich machte ein Zeichen, daß man mir es bringen sollte, und als ich es vor mir hatte, schrieb ich auf einen großen Pfirsich Verse von meiner Arbeit, welche dem Sultan meine Erkenntlichkeit bezeugten, und sein Erstaunen mehrte sich, als ich ihm den Pfirsich überreichte und er das darauf Geschriebene las. Nach aufgehobener Tafel brachte man ihm ein besonderes Getränk, wovon er mir ein Glas reichen ließ. Ich empfing das Glas aus seinen Händen, trank und schrieb folgende Verse darauf:

»Man verbrannte mich durch Feuer, um mich zum Sprechen zu bringen; aber ich wurde bereit gefunden, jede Qual zu ertragen.

Deshalb werd' ich nun auf den Händen getragen und berühre küssend den Mund der Schönen.«

Der Sultan las auch diese Verse und sagte: ein Mensch, der imstande wäre, so etwas zu machen, würde über den größten Männern stehn.

Der Fürst ließ sich ein Schachbrett bringen und fragte mich durch Zeichen, ob ich das Spiel verstände und mit ihm spielen wollte. Ich küßte die Erde und gab durch eine Handbewegung zu erkennen, daß ich bereit wäre, diese Ehre anzunehmen. Er gewann mir das erste Spiel ab; aber ich gewann das zweite und dritte, und da ich bemerkte, es verursache ihm einigen Verdruß, schrieb ich auf das Schachbrett folgende Verse:

»Zwei Heere bekämpften sich den ganzen Tag hindurch mit zunehmendem Eifer.

Als aber die Nacht ihren Schatten über sie ausbreitete, schliefen sie ruhig nebeneinander auf demselben Schlachtfelde«

Da so vieles von dem, was ich getan, dem Sultan alles zu übertreffen schien, was man jemals von der Geschicklichkeit und dem Verstande der Affen gesehen oder gehört hatte, so wollte er nicht alleiniger Zeuge dieser Wunder sein. Er hatte eine Tochter, die man »Dame der Schönheit« nannte. »Geh,« sagte er zum Oberhaupt der Verschnittenen, welches gegenwärtig und bei dieser Prinzessin in Diensten war, »geh, bringe deine Gebieterin hierher, es soll mich freuen, sie an dem Vergnügen, das ich genieße, teilnehmen zu sehen.«

Das Oberhaupt der Verschnittenen ging fort und kam alsbald mit der Prinzessin zurück. Sie kam mit unverschleiertem Gesicht, aber sie war kaum im Zimmer, als sie sich schnell mit ihrem Schleier bedeckte und zum Sultan sagte: »Herr, Euer Majestät muß sich vergessen haben. Ich bin sehr erstaunt, daß Ihr mich vor Männern erscheinen laßt.« – »Wieso, meine Tochter,« erwiderte der Sultan, »du bedenkst nicht, was du sprichst. Hier ist ja nur der kleine Sklave, dein Hofmeister, der Verschnittene und ich, die wir sämtlich die Befugnis haben, dein Gesicht zu sehen; desungeachtet verschleierst du dich und machst mir ein Verbrechen daraus, daß ich dich habe hierherkommen lassen.« »Herr,« entgegnete die Prinzessin, »Euer Majestät wird einsehen, daß ich nicht unrecht habe. Hier dieser Affe, obgleich er die Gestalt eines Affen hat, ist doch ein junger Prinz, der Sohn eines großen Königs. Ein Zauberer hat ihn in einen Affen verwandelt. Ein Geist, Sohn der Tochter des Iblis, hat ihm diesen boshaften Streich gespielt, nachdem er auf eine grausame Weise der Prinzessin der Ebenholzinsel, der Tochter des Königs Epitimarus, das Leben genommen hatte.«

Der Sultan, über diese Rede erstaunt, wandte sich nach meiner Seite und fragte mich, ohne weiter durch Zeichen mit mir zu sprechen, ob das, was seine Tochter soeben gesagt hätte, wahr sei. Da ich nicht reden konnte, gab ich ihm durch eine Bewegung meiner Hand zu erkennen, daß die Prinzessin die Wahrheit gesagt hätte. »Meine Tochter,« sagte nun der Sultan, »woher weißt du, daß dieser Prinz durch Zauber in einen Affen verwandelt worden ist?« – »Herr,« erwiderte die Prinzessin Dame der Schönheit, »Euer Majestät erinnert sich gewiß, daß ich um die Zeit, als ich aufhörte, ein Kind zu sein, eine alte Dame um mich hatte. Sie war eine sehr geschickte Zauberin und hat mich siebenzig Regeln ihrer Wissenschaft gelehrt, durch deren Kraft ich in einem Augenblick Eure Hauptstadt mitten ins Weltmeer jenseits des Kaukasus versetzen könnte. Durch diese Wissenschaft erkenne ich alle verzauberten Personen, sowie ich sie nur sehe; ich weiß, wer sie sind, und wer sie verzaubert hat; seid also nicht erstaunt, daß ich diesen Prinzen ungeachtet der Verwandlung erkannt habe, welche ihn verhindert, vor Euren Augen in natürlicher Gestalt zu erscheinen.« »Meine Tochter,« sagte der Sultan, »ich hielt dich nicht für so geschickt.« – »Herr,« versetzte die Prinzessin, »das sind wunderbare Dinge, die zu wissen wohl gut ist; aber es schien mir, daß ich mich ihrer nicht rühmen dürfe.« – »Weil sich nun die Sache so verhält,« versetzte der Sultan, »so kannst du ja wohl den Zauber des Prinzen lösen?« – »Ja, Herr,« entgegnen die Prinzessin, »ich kann ihm seine ursprüngliche Gestalt wiedergeben.« – »So gib sie ihm wieder,« unterbrach sie der Sultan, »du kannst mir keine größere Freude machen; denn ich will, daß er mein Großwesir sein und dich heiraten soll.« – »Herr,« sagte die Prinzessin, »ich bin bereit, Euch in allem zu gehorchen, was Euch belieben wird, mir zu befehlen.«

Indem Scheherasade diese letzten Worte beendigte, bemerkte sie, daß es Tag wurde, und hörte auf, die Geschichte des zweiten Kalenders fortzusetzen. Schachriar, welcher vermutete, daß die Folge der Geschichte nicht minder ergötzlich sein würde als das, was er schon davon erfahren hatte, beschloß, sie den nächsten Morgen zu hören.

 

Vierundfünfzigste Nacht.

Da die Sultanin sah, wie begierig ihre Schwester war, zu wissen, auf welche Weise Dame der Schönheit den zweiten Kalender in seinen früheren Zustand zurückversetzte, so sagte sie zu ihr: »Der Kalender nahm seine Erzählung folgendermaßen wieder auf:

»Die Prinzessin Dame der Schönheit ging in ihr Zimmer und holte ein Messer, auf dessen Klinge hebräische Worte eingegraben waren. Sie ließ hierauf den Sultan, das Oberhaupt der Verschnittenen, den kleinen Sklaven und mich in einen geheimen Hof des Palastes herabsteigen; dort ließ sie uns unter einer rund herumgehenden Galerie, trat sodann in die Mitte des Hofes, wo sie einen großen Kreis beschrieb und in ihn mehrere Verse in alten und andern arabischen Schriftzeichen, welche man Schriftzeichen der Kleopatra nennt, niederschrieb.

Nachdem sie nun geendet und den Kreis nach gewünschter Weise geordnet hatte, stellte sie sich in die Mitte, woselbst sie Beschwörungen vornahm und Verse aus dem Alkoran hersagte. Nach und nach verdunkelte sich die Luft, so daß es Nacht zu sein und das Weltgebäude auseinanderzufallen schien. Wir fühlten uns von einem ungeheuren Schrecken befallen, und dieser Schrecken vermehrte sich noch, als wir auf einmal den Geist, Sohn der Tochter des Iblis, unter der Gestalt eines Löwen von furchtbarer Größe erscheinen sahen.

Sobald die Prinzessin das Ungeheuer gewahrte, sagte sie zu ihm: »Hund, statt vor mir zu kriechen, wagst du es, dich unter dieser fürchterlichen Gestalt zu zeigen, und glaubst mich zu schrecken?« – »Und du,« versetzte der Löwe, »du scheust dich nicht, gegen den Vertrag zu handeln, den wir miteinander gemacht und durch einen feierlichen Schwur bestätigt haben, uns gegenseitig weder zu schaden noch etwas Böses zuzufügen?« – »Ha, Verruchter,« erwiderte die Prinzessin, »dir hab' ich diesen Vorwurf zu machen.« – »Du wirst,« unterbrach sie der Löwe trotzig, »für die mir gemachte Mühe, hierherzukommen, bezahlt werden.« Indem er dies sagte, öffnete er einen schrecklichen Rachen und fuhr auf sie los, um sie zu verschlingen. Sie aber war auf ihrer Hut, sprang zurück und hatte Zeit genug, um sich ein Haar auszureißen, welches sie durch ein paar gesprochene Worte in ein schneidendes Schwert verwandelte, womit sie den Löwen mitten durch den Leib in zwei Teile zerhieb. Die beiden Teile des Löwen verschwanden bis auf den Kopf, der sich in einen großen Skorpion verwandelte. Sogleich verwandelte sich die Prinzessin in eine Schlange und bestand einen harten Kampf mit dem Skorpion, der, da er keine Übermacht gewann, die Gestalt eines Adlers annahm und davonflog. Aber die Schlange nahm nun die Gestalt eines noch gewaltigeren schwarzen Adlers an und verfolgte ihn. Wir verloren beide aus dem Gesicht.

Einige Zeit nach ihrem Verschwinden öffnete sich vor uns die Erde, und es kam eine schwarz und weiße Katze heraus, deren Haar sich über und über emporsträubte, und die auf eine gräßliche Weise miaute. Ihr folgte ganz nahe ein schwarzer Wolf, der ihr keine Ruhe ließ. Die höchst bedrängte Katze verwandelte sich in einen Wurm und befand sich dicht bei einem Granatapfel, der zufällig von einem Granatbaum gefallen war, welcher am Ufer eines ziemlich tiefen, aber nicht sehr breiten Kanales stand. Dieser Wurm durchbohrte den Granatapfel in einem Augenblick und verbarg sich darein. Der Apfel schwoll sogleich zur Größe eines Kürbisses auf und erhob sich auf das Dach der Galerie, von wo er, nachdem er sich eine Weile hin- und hergerollt hatte, in den Hof fiel und in mehrere Stücke brach.

Der Wolf, der sich inzwischen in einen Hahn verwandelt hatte, warf sich auf die Kerne des Granatapfels und verschluckte einen nach dem andern. Als er keine mehr sah, kam er mit ausgebreiteten Flügeln und großem Geräusch auf uns zu, gleichsam um uns zu fragen, ob keine Kerne mehr übrig wären. Noch einer lag am Ufer des Kanals, den er erblickte, als er sich umdrehte. Er lief schnell hinzu; aber in dem Augenblicke, als er ihn mit dem Schnabel auspicken wollte, rollte der Kern in den Kanal und verwandelte sich in einen kleinen Fisch.«

Doch es wird Tag, mein Fürst,« sagte Scheherasade; »wäre er nicht so schnell angebrochen, so bin ich überzeugt, Euer Majestät würde sich an dem, was ich noch erzählt hätte, sehr ergötzt haben.« Nach diesen Worten schwieg sie still, und der Sultan stand auf, erfüllt von allen diesen unerhörten Begebenheiten, die ihm eine große Lust und Ungeduld einflößten, das Ende dieser Geschichte zu hören.

 

Fünfundfünfzigste Nacht.

Scheherasade, um ihrer Schwester Genüge zu leisten, welche neugierig war, die Folge aller dieser Verwandlungen zu erfahren, rief ihr ins Gedächtnis zurück, wo sie in ihrer Erzählung stehengeblieben war, und sagte, indem sie nun ihr Wort an den Sultan richtete: »Herr, der zweite Kalender setzte seine Geschichte folgendermaßen fort:

»Der Hahn warf sich in den Kanal und verwandelte sich in einen Hecht, der den kleinen Fisch verfolgte. Beide blieben zwei ganze Stunden lang unter dem Wasser, und wir wußten nicht, was aus ihnen geworden war, als wir ein schreckliches Geschrei hörten, das uns zittern machte. Kurze Zeit nachher sahen wir den Geist und die Prinzessin ganz im Feuer. Sie spieen Flammen gegeneinander, bis sie handgemein wurden. Hierauf vermehrten sich die beiden Feuer, von welchen sich ein dicker und entflammter Rauch sehr hoch erhob. Wir fürchteten mit Grund, daß er den ganzen Palast entzünden möchte; aber wir hatten bald einen dringenderen Grund zur Furcht: denn der Geist, der sich von der Prinzessin losgemacht hatte, kam bis an die Galerie, woselbst wir uns befanden, und blies uns Wirbelwinde von Feuer zu. Es wäre um uns geschehen gewesen, wenn die Prinzessin, die uns zu Hilfe eilte, ihn nicht durch ihr Geschrei genötigt hätte, sich zu entfernen und sich vor ihr zu hüten. Wie eilig sie aber auch war, konnte sie doch nicht verhindern, daß dem Sultan der Bart verbrannt und das Gesicht beschädigt, daß das Oberhaupt der Verschnittenen erdrückt und auf der Stelle von den Flammen verzehrt wurde, und daß ein Funken in mein rechtes Auge flog und mich einäugig machte. Der Sultan und ich, wir erwarteten den Tod; aber bald hörten wir schreien: »Sieg, Sieg!«, und wir sahen plötzlich die Prinzessin in ihrer natürlichen Gestalt und den Geist in einen Aschenhaufen verwandelt.

Die Prinzessin näherte sich uns, und um keine Zeit zu verlieren, verlangte sie eine Schale voll Wasser, welche ihr der junge Sklave brachte, der vom Feuer nicht beschädigt worden war. Sie nahm die Schale, und nachdem sie einige Worte darüber gesprochen hatte, besprengte sie mich mit dem Wasser und sagte: »Bist du ein Affe durch Bezauberung, so verändere deine Gestalt und nimm die eines Menschen an, die du früher hattest.« Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, so wurde ich ein Mensch, wie ich vor meiner Verwandlung gewesen war, bis auf ein Auge.

Ich schickte mich an, der Prinzessin zu danken, aber sie ließ mir keine Zeit dazu. Sie wandte sich an den Sultan, ihren Vater, und sagte zu ihm: »Herr, ich habe den Sieg über den Geist davongetragen, wie Euer Majestät es sehen kann; aber es ist ein Sieg, der mir teuer zu stehen kommt. Mir bleiben nur noch einige Augenblicke zu leben übrig, und Ihr werdet nicht die Freude haben, die von Euch beabsichtigte Heirat zu schließen. Das Feuer hat mich in diesem schrecklichen Kampfe durchdrungen, und ich fühle, daß es mich nach und nach verzehrt. Das würde mir nicht begegnet sein, wenn ich den letzten Kern des Granatapfels bemerkt und ihn, gleich den andern, verschluckt hätte, als ich mich in einen Hahn verwandelt hatte. Der Geist hatte sich in diesen Kern, als in seine letzte Verschanzung, geflüchtet, und hiervon hing der Erfolg des Kampfes ab, der glücklich und gefahrlos für mich geendet hätte. Dieser Fehler hat mich genötigt, meine Zuflucht zum Feuer zu nehmen, um mit diesen mächtigen Waffen zu kämpfen, wie ich es zwischen Himmel und Erde und in Eurer Gegenwart getan habe. Ungeachtet der Gewalt seiner furchtbaren Kunst und ungeachtet seiner Erfahrung hab' ich dem Geist gezeigt, daß ich mehr wisse als er, ich habe ihn besiegt und in Asche verwandelt. Aber ich kann dem herannahenden Tode nicht entrinnen ...«

Hier unterbrach Scheherasade die Erzählung des zweiten Kalenders und sagte zum Sultan: »Herr, der anbrechende Tag ermahnt mich, nicht weiter zu erzählen; wenn aber Euer Majestät die Gnade haben will, mich noch bis morgen leben zu lassen, so werdet Ihr das Ende dieser Geschichte erfahren.« Schachriar willigte ein und stand seiner Gewohnheit nach auf, um die Angelegenheiten seines Reichs zu besorgen.

 

Sechsundfünfzigste Nacht.

Als die Sultanin erwacht war, nahm sie sogleich das Wort, um in der Geschichte des zweiten Kalenders wie folgt fortzufahren.

»Edle Frau,« sagte der Kalender zu Sobeïden, »der Sultan ließ die Prinzessin Dame der Schönheit die Erzählung ihres Kampfes vollenden, und als sie geendet hatte, sagte er ihr mit einem Ton, der den lebhaften Schmerz schilderte, von welchem er durchdrungen war: »Meine Tochter, du siehst, in welchem Zustande dein Vater ist. Ach! ich bin erstaunt, daß ich noch lebe. Der Verschnittene, dein Hofmeister, ist gestorben, und der Prinz, dessen Zauber du soeben gelöst hast, hat ein Auge verloren.« Er konnte nicht mehr sagen, Tränen, Seufzer und Schluchzen benahmen ihm die Sprache. Seine Tochter und ich, wir waren sehr gerührt über seine Betrübnis, und wir weinten mit ihm. Während wir uns gleichsam um die Wette betrübten, schrie die Prinzessin: »Ich brenne, ich brenne!« Sie fühlte, daß das Feuer, welches sie verzehrte, sich nun ihres ganzen Leibes bemächtigte, und sie hörte nicht eher auf zu schreien: »Ich brenne!«, bis der Tod ihren unerträglichen Schmerzen ein Ende gemacht hatte. Die Wirkung dieses Feuers war so außerordentlich, daß sie in wenigen Augenblicken, gleich dem Geist, in Asche verwandelt war.

Ich mag Euch nicht sagen, verehrte Frau, wie sehr ich von einem so traurigen Schauspiel gerührt war. Lieber, als meine Wohltäterin so elend umkommen zu sehen, wär' ich mein ganzes Leben hindurch Affe oder Hund geblieben. Der Sultan seinerseits, der über alle Begriffe betrübt war, stieß ein klägliches Geschrei aus, indem er sich heftig vor den Kopf und die Brust schlug, bis er, seiner Verzweiflung unterliegend, in Ohnmacht fiel und mich für sein Leben fürchten ließ. Inzwischen liefen die Verschnittenen und die Beamten auf das Geschrei des Sultans herbei, den sie nur mit großer Mühe wieder zu sich brachten. Dieser Fürst und ich, wir hatten nicht nötig, ihnen eine lange Erzählung von diesem Abenteuer zu machen, um sie von dem Schmerz zu überzeugen, den wir darüber empfanden; die beiden Aschenhaufen, in welche die Prinzessin und der Geist verwandelt worden waren, machten ihnen das Geschehene nur allzubegreiflich. Da der Sultan sich kaum aufrecht zu erhalten vermochte, war er genötigt, sich auf seine Verschnittenen zu stützen, um wieder in sein Zimmer zu gelangen.

Sobald sich die Nachricht von einer so traurigen Begebenheit im Palast und in der Stadt verbreitet hatte, beklagte jedermann das Unglück der Prinzessin Dame der Schönheit und nahm an der Betrübnis des Sultans teil. Sieben Tage lang beging man alle Feierlichkeiten der tiefsten Trauer. Die Asche des Geistes wurde den Winden übergeben, die der Fürstin in ein kostbares Gefäß gesammelt, um sie darin aufzubewahren; und dieses Gefäß wurde in einem prächtigen Grabmal aufbewahrt, welches an demselben Ort, wo man die Asche gesammelt hatte, errichtet wurde.

Der Kummer, welchen der Sultan über den Verlust seiner Tochter empfand, zog ihm eine Krankheit zu, die ihn nötigte, einen Monat lang das Bett zu hüten. Er war noch nicht gänzlich genesen, als er mich rufen ließ. »Prinz,« sagte er zu mir, »hört den Befehl, den ich Euch zu geben habe; es gilt Euer Leben, wenn Ihr ihn nicht ausführt.« Ich versicherte ihn, daß ich pünktlich gehorchen würde. Hierauf nahm er das Wort und sagte: »Ich hatte immer in einer vollkommnen Glückseligkeit gelebt, und kein Unfall hatte sie gestört; durch Eure Ankunft ist das Glück, dessen ich genoß, entschwunden. Meine Tochter ist gestorben, ihr Hofmeister lebt nicht mehr, und mir ist das Leben nur durch ein Wunder gegönnt. Ihr allein seid die Ursache so vieler Unglücksfälle, über welche ich mich unmöglich zu trösten vermag. Darum zieht in Frieden von hinnen, aber unverzüglich; ich selbst würde sterben, wenn Ihr länger hier verweiltet; denn ich bin überzeugt, daß Eure Gegenwart Unglück bringt; das ist alles, was ich Euch zu sagen hatte. Reiset und hütet Euch, jemals wieder in meinen Staaten zu erscheinen; keine Rücksicht würde mich hindern, es Euch bereuen zu lassen.« Ich wollte reden; aber er schloß mir den Mund durch Worte voll Zornes, und ich war genötigt, mich aus seinem Palast zu entfernen.

Von aller Welt zurückgestoßen, verjagt und verlassen und ohne zu wissen, was aus mir werden sollte, ehe ich die Stadt verließ, ging ich in ein Bad, ließ mir Bart und Augenbrauen scheren und wählte die Tracht eines Kalenders. Ich machte mich auf den Weg und beweinte minder mein eigenes Elend als das der schönen Prinzessinnen, deren Tod ich veranlaßt hatte. Ich durchstrich mehrere Länder, ohne mich zu erkennen zu geben; endlich faßte ich den Entschluß, mich nach Bagdad zu begeben, in der Hoffnung, mich dem Beherrscher der Gläubigen vorstellen zu lassen und durch die Erzählung einer so seltsamen Geschichte sein Mitleid zu erregen. Diesen Abend bin ich hier angekommen, und die erste Person, die mir bei meiner Ankunft aufstieß, war der Kalender, unser Bruder, der vor mir gesprochen hat. Ihr wißt das übrige, edle Frau. und warum ich die Ehre habe, mich in Eurem Hause zu befinden.«

Als der zweite Kalender mit seiner Erzählung zu Ende war, sagte Sobeïde, an welche er das Wort gerichtet hatte, zu ihm: »Es ist gut; geht nun, wohin Ihr wollt, ich gebe Euch dazu meine Erlaubnis.« Anstatt aber fortzugehen, bat er die Dame, ihm dieselbe Gunst zu erweisen wie dem ersten Kalender, neben welchen er sich setzte.

Aber, Herr,« sagte Scheherasade nach diesen letzten Worten, »es ist Tag und mir deshalb nicht erlaubt, fortzufahren. Ich wage zu versichern, daß, so angenehm auch die Geschichte des zweiten Kalenders ist, die des dritten nicht minder schön genannt werden mag. Eure Majestät gehe mit sich zu Rate, ob sie die Geduld haben wird, sie zu hören.«

Der Sultan, neugierig, zu wissen, ob sie wunderbarer wäre als die erste, stand auf, entschlossen, das Leben Scheherasadens noch zu verlängern, obgleich der von ihm bewilligte Aufschub bereits seit mehreren Tagen verflossen war.


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