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Geschichte des Brahmanen Padmanaba und des jungen Fikaï.

»Herr,« fuhr der dritte Wesir fort, »es war einmal in der Stadt Damaskus ein Fikáa-Verkäufer, der hatte einen Sohn von fünfzehn bis sechzehn Jahren, welcher sich Hassan nannte und für ein Wunder gelten konnte. Der Jüngling war von Angesicht wie der Mond, an Wuchs wie die Zypresse, von heiterem Gemüt und anmutigem Geiste. Wenn er sang, so entzückte er alle Welt durch die Süßigkeit der Stimme; und wenn er die Laute spielte, so war er imstande, einen Toten zu erwecken.

Diese Gaben waren nicht ohne Nutzen für seinen Vater, der sich gewissermaßen das Vergnügen, welches sein Sohn gewährte, mit bezahlen ließ und seinen Fikáa sehr teuer verkaufte. Das Maß, welches anderswo nur einen Mangir galt, verkaufte er für einen Aktscha. Aber er durfte getrost sein Getränk verteuern: da man in seine Schenkstube mehr um seinen Sohn zu sehen ging, so war der Zulauf nicht minder groß. Man nannte sogar sein Haus Tschesméy Aby Hhayat, das heißt die Quelle der Jugend, wegen des Vergnügens, welches die Greise darin fanden.

Eines Tages, als der junge Fikaï sang und die Laute spielte zum großen Behagen aller, die sich in der Schenke befanden, trat der berühmte Brahmane Padmanaba herein, um sich zu erfrischen. Er bewunderte nicht minder den Hassan; und als er sich mit ihm unterhielt, wurde er ganz bezaubert von seinem Gespräch. Er kam nicht allein den folgenden Tag wieder in die Schenke, sondern verließ sogar seine Geschäfte, um alle Tage dahin zu gehen; und anstatt daß die andern nur einen Aktscha bezahlten, gab er eine Zechine.

Schon lange Zeit dauerte dies so fort, da sprach der junge Fikaï zu seinem Vater: »Es kommt jeden Tag ein Mensch hierher, welcher das Ansehen eines vornehmen Mannes hat; es macht ihm so viel Vergnügen, mit mir zu sprechen, daß er mich alle Augenblicke ruft, um mir irgend eine Frage zu tun, und wenn er weggeht, gibt er mir eine Zechine.« – »Ho, ho!« antwortete der Vater, »dahinter steckt ein Geheimnis: die Absichten dieses vornehmen Mannes sind vielleicht nicht die besten. Manchmal sind die Weltweisen trotz ihrer ernsthaften Miene sehr lasterhaft. Wenn du ihn morgen wiedersiehst, so sage ihm, daß ich ihn kennen zu lernen wünsche, laß ihn heraufsteigen in mein Zimmer, ich will ihn ausforschen: ich habe Erfahrung und werde mitten durch alle seine Reden erkennen, ob er ebenso weise ist, als er scheinen will.«

Am folgenden Tage tat Hassan, was sein Vater verlangte: er nötigte den Padmanaba hinaufzusteigen in sein Zimmer, wo ein köstliches Frühstück bereitet war. Der Fikáa-Verkäufer erwies dem Brahmanen alle erdenkliche Ehre, welcher sie so höflich aufnahm und so viel Weisheit in seiner Unterhaltung zeigte, daß nicht mehr zu zweifeln war, daß er ein sehr tugendhafter Mann wäre. Nach dem Mahle fragte ihn der Vater des jungen Hassan, aus welchem Lande er wäre und wo er wohnte; und sobald er vernahm, daß er ein Fremder war, sagte er zu ihm: »Wenn Ihr bei uns wohnen wollt, so will ich Euch eine Wohnung in meinem Hause geben.« – »Ich nehme das Erbieten an, welches Ihr macht,« antwortete Padmanaba, »weil es ein Paradies auf dieser Welt ist, bei lieben Freunden zu wohnen.«

Der Brahmane nahm also seine Wohnung bei dem Fikáa-Verkäufer. Er machte ihm ansehnliche Geschenke und empfand bald für Hassan eine so große Zuneigung, daß er eines Tages also zu ihm sprach: »O mein Sohn! Ich muß dir mein Herz öffnen: ich finde, daß dein Geist der geheimen Wissenschaften fähig ist: es ist wahr, daß dein Gemüt ein wenig zu aufgeweckt ist, aber ich bin überzeugt, daß du dich noch ändern und in der Folge all den Ernst oder vielmehr all den Tiefsinn haben wirst, welcher dem Weisen und den Geheimnissen geziemt, in welche ich dich einweihen will. Ich habe die Absicht, dein Glück zu machen, und wenn du mich außerhalb der Stadt begleiten willst, so will ich dir heute noch Schätze zeigen, in deren Besitz ich dich zu setzen gedenke.« –

»Herr,« antwortete Hassan, »Ihr wisset, daß ich von meinem Vater abhange; ich kann ohne seine Erlaubnis nicht mit Euch gehen.« Der Brahmane sprach deshalb mit seinem Vater, welcher, überzeugt von der guten Gesinnung des Weisen, ihm erlaubte, seinen Sohn mit sich zu nehmen, wohin es ihm gefiele.

Padmanaba ging also mit Hassan aus der Stadt Damaskus; sie erreichten ein altes Gebäude, auf welches sie ihren Weg richteten, und fanden dort einen Brunnen, der bis an den Rand voll Wasser stand. »Bemerke wohl diesen Brunnen,« sprach da der Brahmane, »die Reichtümer, welche ich dir bestimme, sind da drinnen.« – »Desto schlimmer,« antwortete lächelnd der Jüngling. »Ei, wie könnte ich sie aus diesem Abgrunde heraufziehen?« – »O mein Sohn!« erwiderte Padmanaba, »es wundert mich nicht, daß solches dir so schwer scheint: nicht alle Menschen haben die besondere Gabe, die ich habe; nur diejenigen, welche Gott an den Wundern seiner Allmacht will teilnehmen lassen, haben die Gewalt, die Elemente zu beherrschen und die Ordnung der Natur zu stören.«

Zu gleicher Zeit schrieb er auf ein Papier einige Buchstaben im Sanskrit, welches die Sprache der Magier in Indien, Siam und China ist. Hierauf tat er nichts weiter, als das Papier in den Brunnen werfen: und alsogleich senkte sich das Wasser und versiegte, so daß nichts mehr davon zu sehen war. Nun stiegen sie beide in den Brunnen, in welchem sich eine Treppe zeigte, die sie bis auf den Grund führte.

Hier fanden sie eine Tür von Kupfer, verschlossen mit einem großen Vorlegeschlosse von Stahl. Der Brahmane schrieb ein Gebet auf und berührte damit das Schloß, welches auf der Stelle sich öffnete. Sie stießen die Tür auf und traten in ein Gewölbe, in welchem sie einen der schwärzesten Mohren erblickten: er stand aufrecht und hatte die eine Hand auf einen großen Stein von weißem Marmor gestützt. »Wenn wir uns ihm nähern,« sprach der junge Fikaï, »so wird er uns diesen Stein an den Kopf werfen.« In der Tat, sobald der Mohr sah, daß sie herankamen, hob er den ungeheuren Stein vom Boden aus, als wenn er sie damit werfen wollte; Padmanaba sprach aber schleunig ein kurzes Gebet und blies ihn an: der Mohr konnte der Gewalt der Worte und des Hauches nicht widerstehen und fiel rücklings nieder.

Sie gingen nun ohne Hindernis durch das Gewölbe und kamen auf einen Hof von weitem Umfange; in der Mitte desselben stand ein Dom von Kristall, dessen Eingang durch zwei Drachen bewacht war, die einander gegenüberstanden, und deren offene Rachen Flammenwirbel ausspieen. Hassan erschrak davor und rief aus: »Gehen wir nicht fürder; diese furchtbaren Drachen werden uns verbrennen.« – »Fürchte nichts, mein Sohn,« sagte der Brahmane; »habe mehr Zutrauen zu mir und sei dreister. Die hohe Weisheit, zu welcher ich dich will gelangen lassen, erfordert Festigkeit; diese Ungeheuer, die dich erschrecken, werden auf meinen Zuruf verschwinden. Ich habe die Macht, den Geistern zu gebieten und alle Bezauberungen zu vernichten.« Hierauf sprach er nur einige kabbalistische Worte aus, und sogleich krochen die Drachen in ihre Löcher zurück.

Nun öffnete die Tür des Domes sich plötzlich von selber. Padmanaba und der junge Fikaï traten hinein, und die Augen des letzteren wurden angenehm überrascht, als er in einem andern Hofe einen neuen Dom von Rubin erblickte, auf dessen Gipfel ein Karfunkel von sechs Fuß im Durchmesser stand, welcher durch sein Licht, das er überall verbreitete, diesem unterirdischen Orte als Sonne diente.

Dieser Dom war nicht wie der erste von schreckbaren Ungeheuern bewacht. Im Gegenteil, sechs reizende Standbilder, jedes aus einem einzigen Diamanten gemacht, erschienen am Eingange und stellten sechs schöne Frauen dar, welche das Tamburin spielten. Die Pforte, aus einem einzigen Smaragd gehauen, stand offen und ließ in einen prächtigen Saal schauen. Hassan konnte nicht müde werden, alles zu betrachten, was sich seinen Blicken darbot.

Nachdem er die Standbilder und den Dom von außen wohl beschaut hatte, ließ Padmanaba ihn in den Saal treten, dessen Boden von gediegenem Golde war und die Decke von Porphyr, überall mit Perlen besät. Hier nun beschäftigten tausend mannigfaltige Gegenstände, einer immer auffallender als der andere, die gierigen Blicke des Jünglings.

Der Weise ließ ihn hierauf in ein großes viereckiges Zimmer treten: da lag in einem Winkel ein großer Haufen Goldes, in dem andern ein Haufen Rubinen von äußerster Schönheit, in dem dritten ein silberner Krug und in dem vierten ein Haufen schwarzer Erde.

In der Mitte des Zimmers erhob sich ein prächtiger Thron, und auf demselben stand ein silberner Sarg, in welchem ein König lag, mit einer goldnen, mit dicken Perlen geschmückten Krone auf dem Haupte. Vorn an dem Sarge sah man eine breite Goldplatte, auf welcher man folgende Inschrift las in hieroglyphisch-kabbalistischen Schriftzügen, deren sich die alten ägyptischen Priester bedienten:

»Die Menschen schlafen, solange sie leben: sie erwachen nur in der Stunde des Todes. Was frommt es mir gegenwärtig, ein großes Reich und alle die Schätze, die hier sind, besessen zu haben? Nichts währet so kurz als die Glückseligkeit, und alle menschliche Macht ist nur Schwäche. O törichter Sterblicher! Solange du in der schwankenden Wiege des Lebens bist, so rühme dich nicht deines Glückes: gedenke der Zeiten, in welchen die Pharaonen herrschten. Sie sind nicht mehr, und bald wirst auch du aufhören zu sein, wie sie.«

»Was für ein Fürst liegt in diesem Sarge?« fragte Hassan. – »Es ist einer eurer alten Könige von Ägypten,« antwortete der Brahmane, »er ist es, der dieses unterirdische Gewölbe und diesen reichen Dom von Rubinen hat bauen lassen.« – »Mich verwundert, was du mir sagst,« fuhr der Jüngling fort. »Aus welchem Eigensinne hat dieser König unter der Erde ein Werk erbauen lassen, das alle Schätze der Welt erschöpft zu haben scheint? Alle anderen Fürsten, welche der Nachwelt Denkmale ihrer Größe hinterlassen wollen, stellen sie ans Licht, anstatt sie den Augen der Menschen zu verbergen.« – »Du hast recht,« erwiderte der Brahmane, »aber dieser König war ein großer Kabbalist; er entzog sich oft seinem ganzen Hofe und begab sich an diesen Ort, um Entdeckungen in der Natur zu machen. Er war im Besitze mehrerer Geheimnisse, unter andern auch in dem des Steins der Weisen, wie man an allen den Reichtümern sehen kann, die hier sind, und welche aus diesem Haufen schwarzer Erde hervorgebracht sind, die du in diesem Winkel siehst.« – »Ist es möglich,« rief der junge Fikaï aus, »daß diese schwarze Erde das alles hervorgebracht hat?« – »Zweifle keineswegs daran,« antwortete der Brahmane; »und um es dir zu beweisen, so will ich dir zwei türkische Verse vorsagen, welche das ganze Geheimnis des Steines der Weisen in sich schließen:

»Wirgil Arus garby Schachsadey Chitaya
Bir Tifl ola bunlardan sulthan Chob ruyan.«

Das heißt buchstäblich: »Vermähle der Braut des Okzidents den Sohn des Königs vom Orient; ein Kind wird von ihnen geboren, welches der Sultan der schönen Angesichter ist.« Ich will dir den mystischen Sinn davon sagen: »Laß durch die Feuchtigkeit die trockene Adamischs Erde, die aus dem Orient kommt, auflösen: aus dieser Durchdringung erzeugt sich der philosophische Merkurius, welcher allmächtig ist in der Natur und die Sonne und den Mond erzeugt; und wenn er den Thron besteigt, so verwandelt er Kiesel in Diamanten und andere Edelsteine.« Der silberne Krug, der in einem Winkel dieses Zimmers steht, enthält das Wasser oder die Feuchtigkeit, deren man sich bedient, um die trockene Erde zu durchdringen und sie in den Zustand zu setzen, worin sie sich hier befindet. Wenn du von diesem Haufen nur eine Hand voll nimmst, so kannst du, wenn du willst, alle Erze Ägyptens in Silber oder Gold und alle Steine der Häuser in Diamanten und Rubinen verwandeln.«

»Man muß gestehen,« sagte Hassan, »daß dies eine wunderbare Erde ist; jetzt verwundere ich mich nicht mehr, so viel Reichtümer hier zu sehen.« – »Sie ist noch viel wunderbarer, als ich dir sage,« fuhr der Brahmane fort; »sie heilt Krankheiten aller Art: wenn ein Kranker schon ausgestreckt daliegt, um den Geist aufzugeben, und nur ein Körnlein davon einnimmt, so fühlt er sogleich seine Kräfte wiederkehren und erhebt sich auf der Stelle in voller Kraft und Gesundheit. Sie hat aber noch eine andere Eigenschaft, welche ich allen übrigen vorziehe: wer sich mit ihrem Safte die Augen reibt, sieht die Geister der Luft und die Dämonen und hat die Macht, ihnen zu gebieten.

Nach allem, was ich dir gesagt habe, mein Sohn,« fuhr der Weise fort, »kannst du ermessen, welche Schätze dir zugedacht sind.« – »Sie sind ohne Zweifel unschätzbar,« sagte der Jüngling; »aber bis du mich in den Besitz derselben setzest, darf ich nicht etwas davon mit mir nehmen, um meinem Vater zu zeigen, wie glücklich wir sind, einen solchen Freund zu haben, wie du bist?« – »Ja, du kannst es,« antwortete Padmanaba; »nimm alles, was du willst.« Hassan benutzte die Gelegenheit, belud sich mit Gold und Rubinen und folgte dem Brahmanen, welcher das Zimmer mit dem Sarge des Königs von Ägypten verließ.

Sie gingen zurück durch den schönen Saal, die beiden Höfe und das Gewölbe, wo sie den Mohren noch umgestürzt fanden, sie zogen die kupferne Tür hinter sich zu, und sogleich sprang das stählerne Schloß von selber zu. Dann stiegen sie die Treppe hinauf, und sobald sie aus dem Brunnen waren, füllte er sich wieder mit Wasser und erschien wie zuvor.

Der Brahmane bemerkte, daß der Jüngling über die plötzliche Wiederkehr des Wassers erstaunt war, und fragte ihn: »Woher kommt dieses Erstaunen, das du bezeigst? Hast du nie vom Talisman reden gehört?« – »Nein,« antwortete der junge Fikaï, »und ich möchte gern von Euch vernehmen, was es ist.« – »Ich will es dir nicht bloß sagen,« fuhr Padmanaba fort, »sondern dich selbst eines Tages lehren, einen solchen zu machen. Es gibt zwei Arten von Talismanen, den kabbalistischen und den astrologischen. Der erste, welcher die höchste Art ist, tut seine wunderbaren Wirkungen vermittelst der Buchstaben, Worte und Gebete; und der zweite wirkt durch die Beziehung, in welcher die Planeten zu den Metallen stehen. Es ist die erste Art der Talismane, deren ich mich bediene: sie ist mir im Traume durch den großen Gott Wischnu offenbart, dem Herrn aller Pagoden der Welt.

Wisse, mein Sohn,« fuhr der Weise fort, »daß die Buchstaben in Beziehung zu den Engeln stehen: daß es keinen Buchstaben gibt, der nicht durch einen Engel beherrscht wird. Und wenn du mich fragst, was ein Engel ist, so antworte ich dir: es ist ein Strahl oder ein Ausfluß der Allmacht und der Eigenschaften Gottes. Die Engel, welche in der übersinnlichen Welt wohnen, beherrschen diejenigen der Himmelswelt und diese wieder die unserer Erdenwelt. Die Buchstaben bilden Worte, die Worte fügen sich zu Gebeten, und es sind die durch die Buchstaben vorgestellten und in den geschriebenen oder ausgesprochenen Gebeten versammelten Engel, die diese Wunder wirken, welche die gewöhnlichen Menschen in Erstaunen setzen.«

Während Padmanaba also zu dem Jünglinge sprach, kehrten beide in die Stadt zurück. Sie kamen heim zu dem Fikáa-Verkäufer, der ganz bezaubert wurde, als sein Sohn ihm das Gold und die Edelsteine zeigte, womit er beladen war. Sie gaben ihre Fikáa-Schenke auf und fingen an, in Überfluß und Vergnügen zu leben.

Nun hatte Hassan eine Stiefmutter von geiziger und ehrsüchtiger Gemütsart. Obgleich er Rubinen von unermeßlichem Werte mitgebracht hatte, so fürchtete sie dennoch Geldmangel, und eines Tages sprach sie zu ihm: »O mein Sohn, wenn wir fortfahren, so zu leben wie jetzt, so werden wir bald zugrunde gehen.« – »Seid unbesorgt deshalb, meine Mutter,« erwiderte er ihr, »die Quelle unsers Reichtums ist noch nicht versiegt. Hättet Ihr alle die Schätze gesehen, welche der großmütige Padmanaba mir bestimmt, so würdet Ihr nicht diese eitle Furcht haben. Das nächstemal, das er mich wieder zu dem Brunnen führt, werde ich Euch eine Handvoll schwarzer Erde mitbringen, welche Euch auf lange Zeit beruhigen wird.« –

»Belade dich lieber mit Gold und Rubinen,« begann die Stiefmutter wieder, »das liebe ich mehr als alle Erden der Welt. Aber Hassan,« fügte sie hinzu, »es fällt mir ein: da Padmanaba dir alle diese Schätze geben will, warum lehrt er dich nicht alle die erforderlichen Gebete, um nach dem Orte hinabzusteigen, wo sie sich befinden? Wenn er plötzlich stürbe, so wären alle unsere Hoffnungen vereitelt. Übrigens wissen wir auch nicht, ob er es nicht überdrüssig wird, bei uns zu wohnen, vielleicht ist er schon im Begriff, uns zu verlassen und jemand anders seine Reichtümer mitzuteilen. Was mich betrifft, mein Kind, so bin ich der Meinung, daß du den Padmanaba dringend bittest, dich die Gebete zu lehren; und wenn du sie weißt, so wollen wir ihn töten, damit er keinem andern das Geheimnis des Brunnens entdecke.«

Der junge Fikaï war entsetzt über diese Rede. »O meine Mutter,« rief er aus, »was waget Ihr mir da anzutragen! Wie könnt Ihr einen so schwarzen Anschlag fassen? Der Brahmane liebt uns; er überhäuft uns mit Wohltaten, er verspricht mir Schätze, welche imstande sind, die Habgier des größten Herrschers der Erde zu stillen: und zum Lohne für all diese Güte wollt Ihr ihm das Leben nehmen! Nein, und wenn ich in meinen vorigen Zustand zurückkehren und mein Lebelang Fikáa verkaufen sollte, so kann ich nicht die Hand bieten zu dem Tode eines Mannes, dem ich so viele Verpflichtungen habe.« – »Du hast sehr gute Gesinnungen, mein Sohn,« erwiderte die Stiefmutter; »aber man muß nur seinen eigenen Vorteil zu Rate ziehen. Das Glück bietet uns eine Gelegenheit, uns für immer zu bereichern, drum wollen wir sie nicht entschlüpfen lassen. Dein Vater, der mehr Erfahrung hat als du, gibt meinem Vorschlage Beifall, und du mußt ihn auch annehmen.«

Hassan fuhr fort, großen Widerwillen gegen die Teilnahme an diesem grausamen Vorsatze zu bezeigen: gleichwohl, da er jung und leichtsinnig war und seine Stiefmutter ihm so viel vorredete, war er schwach genug, nachzugeben. »Wohlan,« sagte er, »ich will zu Padmanaba gehen und ihn vermögen, mich die Gebete zu lehren.«

In der Tat ging er auf der Stelle zu ihm und bat ihn so dringend, ihn alles zu lehren, was man tun müßte, um in das unterirdische Gewölbe zu gelangen, daß der Brahmane, welcher diesen Jüngling aufs zärtlichste liebte, es ihm nicht versagen konnte. Er schrieb jedes Gebet auf ein Papier und bemerkte genau den Ort, wo es gesprochen werden mußte, samt allen übrigen kabbalistischen Umständen, und gab sie dann dem Jüngling.

Sobald dieser die Gebete hatte, benachrichtigte er davon seinen Vater und seine Stiefmutter, die einen Tag bestimmten, an welchem sie alle drei zu den Schätzen gehen wollten. »Bei unserer Heimkehr,« sagte die Stiefmutter, »wollen wir den Padmanaba töten.«

Der Tag kam, und sie verließen das Haus, ohne dem Brahmanen zu sagen, wohin sie gingen. Sie nahmen ihren Weg nach dem verfallenen Gebäude. Sobald sie dort angelangt waren, zog Hassan das Papier aus seiner Tasche, auf welches das erste Gebet geschrieben war; er hatte es nicht sobald in den Brunnen geworfen, als das Wasser verschwand. Sie stiegen die Treppe hinab bis zu der kupfernen Türe. Der Jüngling berührte mit einem anderen Gebete das stählerne Schloß, welches sich sogleich öffnete, und sie stießen die Türe auf. Der Mohr, welcher wieder aufrecht stand, im Begriff, seinen weißen Marmorstein zu schleudern, verursachte dem Fikáa-Verkäufer und seiner Frau einigen Schrecken; aber Hassan sprach schleunig das dritte Gebet, blies ihn an, und der Mohr fiel zu Boden. Kurz, sie gehen durch das Gewölbe in den Hof mit dem Dome von Kristall; der Jüngling zwingt die Drachen, in ihre Löcher zurückzukriechen. Dann traten sie in den zweiten Hof; sie gehen durch den Saal und gelangen endlich in das Zimmer, wo die Rubinen, das Gold, der silberne Krug und die schwarze Erde sind.

Die Stiefmutter gab wenig Achtung auf den Sarg des Königs von Ägypten und hielt sich nicht dabei auf, die lehrreiche Inschrift desselben auf der goldenen Tafel zu lesen. Noch weniger würdigte sie den Haufen schwarzer Erde, welche ihr Stiefsohn ihr so sehr angepriesen hatte, eines Blickes. Sie warf sich gierig über die Rubinen her und nahm davon eine so große Menge, daß sie kaum gehen konnte. Ihr Mann belud sich mit Gold, und Hassan begnügte sich, zwei Hände voll schwarzer Erde in seine Tasche zu stecken, in der Absicht, bei seiner Heimkehr Versuche damit anzustellen.

Hierauf verließen alle drei das Zimmer des Königs von Ägypten. Beschwert von der Last der Reichtümer, welche sie fortschleppten, gingen sie fröhlich durch den ersten Hof, als plötzlich drei furchtbare Ungeheuer erschienen, welche gerade auf sie losgingen. Der Fikáa-Verkäufer und seine Frau, von tödlichem Schrecken ergriffen, flüchteten sich zu Hassan, welcher nicht minder erschrocken war als sie, da er kein Gebet hatte, diese Ungeheuer zu vertreiben. »Ha, undankbare und boshafte Stiefmutter!« rief er aus, »Ihr seid die Ursache unsers Verderbens, Padmanaba weiß ohne Zweifel, daß wir hierher gegangen sind; vielleicht hat er durch seine Wissenschaft sogar entdeckt, daß wir seinen Tod beschlossen haben: und um uns für unsere Undankbarkeit zu bestrafen, sendet er uns diese Ungeheuer, uns zu verschlingen.«

Kaum hatte er diese Worte geendigt, als sie in der Luft die Stimme des Brahmanen vernahmen, welcher ihnen zurief: »Ihr seid alle drei Elende und meiner Freundschaft unwürdig; ihr hättet mir das Leben geraubt, wenn der große Gott Wischnu mich nicht von euerm bösen Anschläge unterrichtet hätte. Ihr sollt meine gerechte Rache erfahren: du Weib, weil du den Anschlag ersonnen hast, mich zu ermorden, und ihr andern beiden, weil ihr so schwach gewesen seid, dem Rate eines Weibes zu folgen, dessen Bosheit ihr verabscheuen mußtet.«

Nach diesen Worten ließ sich die Stimme nicht mehr hören, und die drei Ungeheuer rissen den unglücklichen Hassan, seinen Vater und seine schuldige Stiefmutter in Stücken.«

»Diese Geschichte lehrt Euch, Herr,« fügte der Wesir hinzu, »daß Ihr nicht auf die Königin hören sollt, welche Euch verleitet, Nurgehan töten zu lassen; denn wenn er unschuldig ist, so wird der Himmel Euch als Mitschuldigen der Sultanin strafen, ebenso, wie Padmanaba den Hassan und seinen Vater bestrafte, obwohl sie nichts weiter getan hatten, als dem bösen Willen seiner Stiefmutter nachzugeben.«

Der Kaiser von Persien war gerührt durch die Erzählung dieser Geschichte und sprach: »Mein Sohn soll nicht eher sterben, als bis ich augenscheinliche Beweise seines Verbrechens habe.«

Sindbad ging dann wieder auf die Jagd, sich zu erlustigen; und am Abend, als er heimkam, sagte die Sultanin zu ihm: »Ihr habet also Nurgehan noch Frist gegeben?« – »Liebe Frau,« antwortete der König, »ehe ich ihn töten lasse, will ich versichert sein, daß er den Tod verdient.« – »Wohlan, Herr,« fuhr die Fürstin fort, »wenn Ihr meinen Worten nicht Glauben beimessen wollt, wenn mein Zeugnis Euch verdächtig ist, so glaubt doch dem Stillschweigen Eures Sohnes und der Flucht seines Lehrers. Warum hat Abumaschar sich vom Hofe entfernt? Ohne Zweifel hat er die Leidenschaft und die böse Gemütsart des Prinzen entdeckt und gefürchtet, daß man es ihm zum Vorwurfe machen werde, den Prinzen so schlecht erzogen zu haben. Wenn gegen einen Verbrecher keine Zeugen auftreten, soll er darum der Strenge der Gerechtigkeit entgehen? Nein, Herr! in Ermangelung der Zeugen muß er auf Anzeichen und selbst aus bloßen Verdacht hin verurteilt werden. Die Anzeichen dienen alsdann anstatt der Beweise. Davon will ich Euch überzeugen, wenn Ihr mir erlaubet, Euch die Geschichte des Sultans Akschid zu erzählen.« – »Ich bin bereit, Euch anzuhören, Herrin,« sagte der König. Und sogleich erzählte sie folgendermaßen:


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